Finanzstabilitätsbericht 2017: Marktteilnehmer dürfen Risiken nicht unterschätzen

Die Bundesbank sieht keine Anzeichen dafür, dass sich momentan übermäßige Risiken für das deutsche Finanzsystem aufbauen. Gleichzeitig warnt sie in ihrem Finanzstabilitätsbericht 2017 vor zu positiven Erwartungen über die künftige wirtschaftliche Entwicklung: "Die derzeit günstige konjunkturelle Situation und die geringe Volatilität an den Finanzmärkten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Risiken für die Stabilität des deutschen Finanzsystems bestehen und sich weiter aufbauen können", heißt es in dem Bericht, den Bundesbankvizepräsidentin Claudia Buch und Vorstandsmitglied Andreas Dombret bei einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main vorgestellt haben.

Niedrigzinsumfeld und gute konjunkturelle Lage bergen Risiken

Durch die niedrigen Zinsen und die gute konjunkturelle Lage bestehe vor allem die Gefahr, dass die Schuldentragfähigkeit von Marktteilnehmern überschätzt werde, sagte Buch. Insbesondere zwei Szenarien könnten das deutsche Finanzsystem empfindlich treffen.

So könne einerseits ein unerwartet schneller und starker Zinsanstieg Banken in Bedrängnis bringen. Für sie würden sich die Refinanzierungskosten am Markt deutlich erhöhen, während die Zinserträge zunächst weniger stark steigen würden. Sollten die Zinsen indes länger als erwartet auf dem derzeitig niedrigen Niveau bleiben, könne dies die Suche nach Rendite bei den Banken verstärken und ihre Risikobereitschaft erhöhen. "Ein stabiles Finanzsystem sollte gegen solche unerwarteten, aber keinesfalls völlig unrealistischen Szenarien gewappnet sein", fügte Buch hinzu.

Banken müssen Widerstandsfähigkeit weiter stärken

Nach Einschätzung der Bundesbank ist die Eigenkapitalausstattung der deutschen Banken heute deutlich besser als vor der Finanzkrise. So hätten sich die Kernkapitalquoten, die das Verhältnis von Kernkapital zu risikogewichteten Aktiva zeigen, von zehn Prozent im Jahr 2008 auf 15,4 Prozent im zweiten Quartal 2017 erhöht. Dombret, der bei der Bundesbank unter anderem für die Bankenaufsicht zuständig ist, begrüßte vor allem, dass die Institute, die vor der Krise weniger gut kapitalisiert waren, ihre Kernkapitalquote besonders stark erhöht haben.

Vor dem Hintergrund der im europäischen Vergleich niedrigen Ertragskraft vieler deutscher Banken und Sparkassen appellierte Dombret an die Banken, ihre Risikotragfähigkeit weiter zu stärken und auf nachhaltige Finanzierung zu achten. Das Augenmerk solle dabei vor allem auf die Fristentransformation und die Zinsänderungsrisiken gerichtet werden. "Eine Fortschreibung der günstigen Entwicklungen der Vergangenheit, so ist zu befürchten, könnte sonst sehr wohl zu einer systematischen Unterschätzung von Kreditrisiken führen", so Dombret.

Risiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung weiter begrenzt

Ein weiterer Schwerpunkt des Finanzstabilitätsberichts ist der Wohnimmobilienmarkt, der in Deutschland gesamtwirtschaftlich besonders relevant ist. Die Preise für Wohnimmobilien sind im Jahr 2016 um sechs Prozent und im ersten Halbjahr 2017 um 5,4 Prozent gestiegen. Modellrechnungen der Bundesbank deuten darauf hin, dass es dabei insbesondere in den Städten zu Überbewertungen kommt. Die Preisübertreibungen beliefen sich demnach im vergangenen Jahr auf 15 bis 30 Prozent. Im Jahr 2015 konnten nur 10 bis 20 Prozent des Preisanstiegs nicht durch Fundamentaldaten, wie Einkommen, Zinsen oder demografische Faktoren erklärt werden. Dennoch seien die Risiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung weiterhin eher begrenzt, schreiben die Expertinnen und Experten im Finanzstabilitätsbericht.

Die Bundesbankvizepräsidentin begründete diese Einschätzung mit der im Vergleich zu den Preissteigerungen weniger dynamischen Kreditvergabe für Wohnimmobilien. Das Kreditwachstum liege mit 3,9 Prozent unterhalb des langfristigen Durchschnitts von 4,8 Prozent. Außerdem deuteten die verfügbaren Daten nicht darauf hin, dass die Kreditvergabestandards gelockert worden seien. "Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich Finanzierungen an den Immobilienmärkten zukünftig als nicht nachhaltig erweisen", sagte Buch. Dazu könne es kommen, wenn die Zinsen stiegen oder sich die dynamische Preisentwicklung umkehre.

Strukturierte Evaluierung der Reformen

Der Finanzstabilitätsbericht  befasst sich außerdem mit den umfassenden Reformen der Finanzmarktregulierung nach der Krise, deren Ziel es war, die Eigenkapitalausstattung zu stärken und letztlich die Widerstandsfähigkeit des gesamten Finanzsystems zu verbessern.

Die vereinbarten Regeln müssten nun konsequent angewendet werden, heißt es in dem Bericht. Nur so könne der Markmechanismus wirken und die Steuerzahler künftig besser geschützt werden. Zudem sei es an der Zeit diese Reformen auf ihre Wirkung hin zu überprüfen. Nur durch eine strukturierte Evaluierung sei es möglich, Kosten und Nutzen der Reformen für die Gesellschaft insgesamt abzuschätzen, erklärte Buch und warne gleichzeitig: "Eine Evaluierung der Reformen darf nicht zum Vorwand genommen werden, Reformen zu verwässern und die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu schwächen."

Video der Pressekonferenz



Veröffentlichungen zum Finanzstabilitätsbericht