Überschussreserven und Überschussliquidität
Einlagen von Kreditinstituten bei der Zentralbank werden als Reserven bezeichnet. Reserven können u. a. zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Bereitstellung von Banknoten und zur Deckung der Mindestreserve (siehe weiterführende Links) genutzt werden. Als Überschussreserven werden Einlagen von Kreditinstituten auf Zahlungsverkehrskonten bei der Zentralbank bezeichnet, die über das Mindestreservesoll hinausgehen. Überschussreserven werden im gegenwärtigen positiven Zinsumfeld mit 0,00 % verzinst. Statt diese Reserven unverzinst auf Zahlungsverkehrskonten zu halten, können Kreditinstitute ihre Einlagen bei der Zentralbank über Nacht anlegen und den Einlagesatz erhalten (siehe weiterführende Links). Diese Guthaben sind per Definition keine (unverzinsten) Überschussreserven, sondern werden der Einlagefazilität zugeschrieben. Aufgrund dieser Verzinsungsdifferenz spielen Überschussreserven im Regelfall keine große Rolle. Nur in Ausnahmefällen halten Banken Überschussreserven, z. B. wenn sie keinen formellen Zugang zur Einlagefazilität haben. Die Summe aus Überschussreserven und Guthaben in der Einlagefazilität wird als Überschussliquidität bezeichnet.
Historisch gesehen ist die Überschussliquidität ein Ergebnis der unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen, die das Eurosystem seit dem Beginn der Banken-, Finanz- und Staatsschuldenkrise ab dem Jahr 2007 sowie der COVID-19-Pandemie seit 2020 durchgeführt hat. Das Eurosystem stellte die Refinanzierungsgeschäfte auf Mengentender mit Vollzuteilung um und startete später die Anleihekaufprogramme APP und PEPP sowie gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte, sogenannte TLTROs. Durch die Maßnahmen wurde dem System mehr Liquidität zugeführt, als rein rechnerisch vom Bankensystem benötigt wurde (u. a. zur Bereitstellung der Banknoten und Erfüllung der Mindestreserve). Dies führte zu Überschussliquidität im Bankensystem.
Während des Negativzinsumfelds hatte das Thema Überschussreserven an medialer Aufmerksamkeit gewonnen. Ist der Zins der Einlagefazilität negativ, werden auch die Überschussreserven negativ verzinst. Am 12. September 2019 beschloss der EZB-Rat ein zweistufiges System (two-tier system) für die Verzinsung von gehaltenen Überschussreserven einzuführen, das mit Beginn der Erfüllungsperiode am 30. Oktober 2019 in Kraft trat. In dem bis September 2022 geltenden System wurde ein bestimmter Teil der Überschussreserven für die geldpolitischen Geschäftspartner zu 0,00 % statt negativ verzinst. Dieser Anteil war an die Höhe des Mindestreservesolls des einzelnen Geschäftspartners gekoppelt. Berechnet wurde dieser als ein vom EZB-Rat bestimmtes Vielfaches des Mindestreservesolls. Ebenso legt der EZB-Rat den Zinssatz fest, der auf diesen Betrag Anwendung findet.
Das zweistufige System sollte die bankbasierte Transmission der Geldpolitik unterstützen und sicherstellen, dass die negativen Zinssätze weiterhin zum akkommodierenden geldpolitischen Kurs beitrugen. Nach der Anhebung des Zinssatzes für die Einlagefazilität auf einen Wert über null ist das zweistufige System für die Verzinsung von Überschussreserven nicht mehr erforderlich. Der EZB-Rat hat daher am 8. September 2022 beschlossen, das zweistufige System auszusetzen, indem das o.g. Vielfache des Mindestreservesolls mit Wirkung zum 14. September 2022 auf null gesetzt wird.