Klimawandel und Zentralbanken – Beitrag der Preisstabilität zum ökologischen Wandel Begrüßungsrede anlässlich der Frühjahrskonferenz der Deutschen Bundesbank 2023
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Begrüßung
Sehr geehrte Damen und Herren,
guten Morgen und herzlich willkommen zum zweiten Tag unserer Frühjahrskonferenz.
Zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich für Ihr Kommen und Ihre wertvollen Beiträge bedanken. Auch heute stehen wieder beeindruckende Themen auf der Tagesordnung, die einen tiefen und fruchtbaren Gedankenaustausch erwarten lassen. Wir freuen uns, das Thema „Klimawandel und Zentralbanken“ in all seiner Vielschichtigkeit präsentieren zu können.
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist notwendig. Er betrifft uns alle, und wir alle können dazu beitragen.
Auf dem Weg zu einer „grüneren“ Wirtschaft können wir am schnellsten Fortschritte erzielen, wenn klar ist, wer jeweils „Vorfahrt“ hat. Und wenn sich alle Beteiligten an die Vorfahrtsregel halten. Die Regierungen und Parlamente kommen als Erstes zum Zuge. Sie haben zum einen die richtigen Instrumente und zum anderen die demokratische Legitimierung zur Durchführung der Klimapolitik. Auch die Zentralbanken sollten ihren Beitrag leisten. Dabei müssen sie darauf achten, dass sie innerhalb der Grenzen ihres Mandats handeln und gewissermaßen „in der Spur bleiben“. Die Bundesbank und das Eurosystem sind sich dieser Verantwortung bewusst. Wir handeln entsprechend und unterstützen den Kampf gegen den Klimawandel, ohne unser Mandat zu überdehnen.
Unser vorrangiges Ziel ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Daher sehe ich Preisstabilität als den Dreh- und Angelpunkt jeder Überlegung, Klimathemen auch in der Geldpolitik zu berücksichtigen. Mit diesem Ansatz können wir große Fortschritte erzielen, ohne unsere Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit zu gefährden.
Indem das Eurosystem sein Preisstabilitätsziel verfolgt, unterstützt es den grünen Wandel. Darauf werde ich gleich noch näher eingehen. Lassen Sie mich diese Kernaussage kurz durch drei Aspekte veranschaulichen.
2 Unterstützung des grünen Wandels durch Preisstabilität
Erstens ist Preisstabilität eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Klimapolitik ihre Ziele erreichen kann.
Laurence Ball und David Romer formulierten es sinngemäß so: Die Inflation verringert den Informationsgehalt der aktuellen Preise, was die Kunden dazu bringt, kostspielige Fehler zu machen.[1] Was im Allgemeinen gilt, gilt auch im Besonderen. Die Bepreisung von Treibhausgasemissionen ist nicht das einzige, wohl aber das wirksamste Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels.
Ist die Inflation niedrig und stabil, sind solche Preissignale leicht zu erkennen. Private Haushalte und Unternehmen können ihr Verhalten dann entsprechend anpassen. Zu diesem Thema werden wir heute Nachmittag mehr erfahren.
Ist die Inflation hingegen hoch oder schwankt sie, ist es schwieriger, von der Geldpolitik gesetzte Preissignale von allgemeinen Preisbewegungen zu unterscheiden. In dieser Situation können preisbasierte Klimaschutzmaßnahmen nicht ihre volle Wirkung entfalten.
Außerdem braucht es für den ökologischen Wandel umfangreiche Investitionen in technologische Innovationen und erneuerbare Energien. Mit diesem Thema werden wir uns heute Morgen befassen.
In einem von Preisstabilität geprägten Umfeld ist es einfacher, Entscheidungen über solche Investitionen zu treffen. Diese sind zudem leichter zu finanzieren, wenn die in den Marktzinsen enthaltenen Terminprämien niedrig sind.
In der Vergangenheit verharrten die Terminprämien nach einer längeren Phase starken Inflationsdrucks auf einem erhöhten Niveau.[2] Grund hierfür war eine hohe wahrgenommene Inflationsunsicherheit.
Die Zentralbanken sollten keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie Preisstabilität anstreben. Durch stabile Preise verringert sich das Risiko dauerhaft erhöhter Terminprämien; diese würden die Finanzierung des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft erschweren.
Der zweite Aspekt, den ich ansprechen möchte, hängt mit diesem Übergang zusammen: Der Klimawandel und die Klimapolitik verändern die Grundstrukturen unserer Volkswirtschaften.
Politik, Finanzmärkte und die breite Öffentlichkeit müssen mit der Unsicherheit umgehen, die uns erwartet. Die Zentralbanken können zu einem gemeinsamen Verständnis beitragen, wie der Klimawandel die Wirtschaft beeinflussen wird – zum Beispiel die Produktion, die Inflation, die Zinsen oder die Vermögenspreise.
Die Notenbanken müssen diese wirtschaftlichen Effekte besser verstehen und kommunizieren. Und sie müssen diese Faktoren von anderen Triebfedern struktureller Veränderungen trennen, etwa vom zunehmenden demografischen Druck oder einer möglicherweise weniger globalisierten Weltwirtschaft.
Daher passen wir unsere Analyse- und Prognoseinstrumente entsprechend an. Damit dies gelingt, müssen die Zentralbanken natürlich eng mit der Wissenschaft zusammenarbeiten. Genau deshalb haben wir einen Großteil des ersten Konferenztags der Preisstabilität und den makrofinanziellen Auswirkungen des Klimawandels gewidmet.
Wir möchten in der Lage sein, klimabedingte Anpassungsprozesse mit ihren sektoralen und regionalen Dimensionen im internationalen Kontext zu untersuchen. Esteban Rossi-Hansberg hat in dieser Hinsicht viel beachtete Forschungsbeiträge geliefert, und ich freue mich sehr, dass er die heutige Keynote-Rede halten wird. Mit EMuSe hat die Bundesbank bereits ein Modell entwickelt, das auf dieses Ziel zugeschnitten ist.
Indem wir unser Wissen teilen, können wir zu einem gemeinsamen Verständnis beitragen, wie der Klimawandel die Wirtschaft beeinflussen wird. Auf diese Weise erhalten Politikerinnen und Politiker, Finanzmärkte und die breite Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich besser auf die bevorstehende Unsicherheit einzustellen.
Der dritte Aspekt, auf den ich eingehen möchte, betrifft die finanziellen Risiken, die durch den Klimawandel und den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft entstehen können.
Diese Risiken müssen transparent gemacht und in den Bilanzen der Finanzinstitute angemessen berücksichtigt werden. Dies fordern wir als Aufsichtsbehörden.[3] Wir unsererseits sollten mit gutem Beispiel vorangehen.
Risikoeffizienz ist ein wichtiger Aspekt der Finanzgeschäfte, die wir zum Erreichen von Preisstabilität durchführen. Sie kommt nicht zuletzt unserer Glaubwürdigkeit zugute. Wir streben nicht nach Gewinnmaximierung. Doch die Steuerzahler und Parlamente erwarten zu Recht, dass wir unsere finanziellen Mittel mit Bedacht einsetzen.
Wir müssen die Risiken, die wir eingehen, gering halten und umsichtig steuern. Deshalb analysiert die Bundesbank auch in der eigenen Bilanz die klimabezogenen finanziellen Risiken fortlaufend.
Als Teil des Eurosystems haben wir weitere Schritte eingeleitet, um solche Risiken in unserem geldpolitischen Rahmen durch gezielte Maßnahmen zu begrenzen. Dies betrifft den Ankauf von Unternehmensanleihen, den Sicherheitenrahmen und das Risikomanagement.
Künftig werden Wertpapieremittenten verpflichtet, klimabezogene Risiken offenzulegen, wenn ihre Wertpapiere als Sicherheiten bei unseren Refinanzierungsgeschäften zugelassen werden sollen. Transparenz- und Offenlegungsstandards werden dazu beitragen, einen besseren Überblick über die Klimarisiken an den Finanzmärkten zu erhalten. Dann kann jeder diese Risiken prüfen und entsprechend bepreisen. Letztlich lassen sich Klimaeffekte besser in Vermögenspreisen und -renditen abbilden, was eine effiziente Kapitalallokation begünstigt. Auf diese Weise trägt das Eurosystem allgemein dazu bei, den Weg für ein „grüneres“ Finanzsystem zu ebnen.
Wie Sie sehen, können wir eine Menge tun, um den Klimaschutz zu unterstützen, auch wenn wir nicht am Steuer sitzen.
Einige Maßnahmen werden bereits umgesetzt: Beispielsweise richten wir unsere Wiederanlagen von Unternehmensanleihen stärker auf Emittenten mit einer besseren Klimabilanz aus. Dadurch tragen wir klimabedingten finanziellen Risiken besser Rechnung.
Seit März legen wir nicht mehr alle im APP fällig werdenden Anleihen wieder an. So bauen wir unsere Anleihebestände nach und nach ab. Die Bilanznormalisierung unterstützt den restriktiven geldpolitischen Kurs, der zur Eindämmung der Inflation notwendig ist. Ich würde es begrüßen, wenn dieser Prozess ab Juli beschleunigt würde.
Hier zeigt sich auch etwas anderes ganz deutlich: Geldpolitische Portfolios, die im Konjunkturverlauf zur Sicherung von Preisstabilität angepasst werden, sind naturgemäß ein zyklisches Instrument. Dies ist einer der Gründe, weshalb sie ungeeignet sein dürften, strukturelle Veränderungen in der Wirtschaft zu befördern.
Damit die Klimapolitik solche Veränderungen erzielen kann, ist Preisstabilität unverzichtbar. Hier hat die Geldpolitik Vorrang und muss liefern.
3 Ausblick
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie befassen sich auf dieser Konferenz mit sehr wichtigen, aber auch hoch komplexen Themen.
Die Forschung hat zwar Fortschritte erzielt, doch sind die wichtigen Fragen längst noch nicht beantwortet. Wir verfolgen die laufenden wissenschaftlichen Arbeiten genau und sind insbesondere gespannt auf weitere Forschungsergebnisse von Ihnen.
Fußnoten:
- Ball, L. und Romer, D., Inflation and the Informativeness of Prices, Journal of Money, Credit and Banking 35 (2), 2003, S. 177.
- Deutsche Bundesbank, Zinsstrukturkurven in der volkswirtschaftlichen Analyse, Monatsbericht, Januar 2023.
- Deutsche Bundesbank, Nachhaltigkeitsrisiken in der Bankenaufsicht, Monatsbericht, April 2023.