Geldordnungen und Stabilitätspolitik im 20. und 21. Jahrhundert Rede beim Symposium des Instituts für Bank- und Finanzgeschichte e. V. (IBF) auf Einladung der Deutschen Bundesbank

Es gilt das gesprochene Wort.

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Sehr geehrte Damen und Herren, 

ich freue mich, wieder an einem gemeinsamen Symposium 
von IBF und Bundesbank teilnehmen zu können. Die Symposien des IBF haben eine lange Tradition. Lange Zeit waren sie einer der wenige Fixpunkte, 
an denen alle Zweige des deutschen Kreditgewerbes regelmäßig miteinander ins Gespräch gekommen sind. 

Dabei ging es immer um das aktuelle Zeitgeschehen, aber in historischer Perspektive, über das Tagesgeschehen hinaus. Ich bin nicht sicher, aber ich vermute, die meisten meiner Amtsvorgänger haben in den vergangenen Jahrzehnten hier auf einem der Symposien gesprochen. Ich habe jedenfalls oft im Publikum gesessen, und später auch auf dem Podium. 

Dann standen Themen und Fragestellungen zur Debatte, die aus der aktuellen Geld- oder Währungspolitik stammten, die hier aber in historischer Perspektive diskutiert wurden. So auch heute: Unser Symposium 2023 hat die Inflation zum Thema. Oft wird dabei an das „deutsche Krisenjahr 1923“ erinnert. Damals eskalierte eine schwere Inflation zu einer Hyperinflation. 

In meinem Vortrag möchte ich strukturgeschichtlich erörtern, wie sich das geschichtliche Umfeld auf die Geldpolitik auswirkt – auf geldpolitische Regime, Ziele und Resultate. Oder anders gesagt: Ich möchte die Geschichte der Geldpolitik selbst betrachten, und zwar in der westlichen Welt im 20. und 21. Jahrhundert, insbesondere mit Blick auf die Erfahrungen in Deutschland. 

Was für mich dabei herauskommt: Die Geldpolitik ist ein zentrales Politikfeld für Wirtschaft und Gesellschaft. Sie wirkt über Geld und Währung hinaus auch auf die Stabilität der Gesellschaft insgesamt. Geldpolitik fand und findet aber nicht losgelöst von Geschichte statt. Sie war lange ein nachgeordnetes Aufgabengebiet der Politik. Und auch heute noch wirkt das politische Umfeld auf die Geldpolitik ein. Natürlich diskutieren wir im Kreis der Zentralbanken und in der Wissenschaft darüber, welche geldpolitischen Instrumente und Maßnahmen am besten geeignet sind, um den Geldwert stabil zu halten. 

Die historische Rückschau zeigt aber: Darüber hinaus hat das politische und wirtschaftliche Umfeld maßgeblichen Einfluss auf die Geldwertstabilität. Und deshalb hat eine alte Botschaft der Bundesbank weiterhin Bestand: Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik kann auf Dauer nur Erfolg haben, wenn auch die anderen Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an diesem Stabilitätsziel mitwirken. 

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Meine Damen und Herren, 

im Kontext der Pandemie ist das Preisniveau unter anhaltenden Druck geraten. Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem damit verbundenen massiven Anstieg der Energiepreise ist weltweit die hohe Inflation zurück. 

Blicken wir zurück auf die vergangenen 125 Jahre oder auf mehr als 2.500 Jahre Geld- und Währungsgeschichte: Immer wieder sind Geldentwertungen aufgetreten. Immer wieder sind sie als gravierende Missstände beklagt worden: ökonomisch, sozial und auch gesellschaftspolitisch. Das lehren, im Großen wie im Detail, zahlreiche historische Erfahrungen. Nicht zuletzt deshalb ist es Aufgabe der modernen Geldpolitik, auf stabile Preise hinzuwirken. 

In der modernen Geldpolitik besteht außerdem der Anspruch, dieses wichtige gesellschaftspolitische Ziel auf wissenschaftlicher Grundlage zu verfolgen. Geldpolitik lässt sich dabei auf drei Ebenen analysieren, auf der empirischen Ebene, der theoretischen Ebene und der praktischen Ebene geldpolitischer Planung, Entscheidung und Kommunikation. Gute Geldpolitik berücksichtigt die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf jeder dieser drei Ebenen.

Die historische Rückschau zeigt: Nichts ist so beständig wie der Wandel. 
Die Welt verändert sich ständig. Deshalb müssen wir unsere Theorien und Konzepte regelmäßig überprüfen, ebenso wie unsere praktische Politik. Das ist der Grundgedanke hinter dem Titel dieses Symposiums:
Inflation: gestern, heute – und morgen? 

Historische Entwicklungen verlaufen nicht linear. In unserer aktuellen Zeitgeschichte ist das offensichtlich, auch und gerade im Geld-, Finanz- und Bankensystem: im Jahr 2007/2008 die Finanzkrise, 2022 die globale Rückkehr hoher Inflation. 

In den 15 Jahren seit der Finanzkrise erweist sich der Wandel im Geld- und Finanzsystem wieder als ausgesprochen wechselhaft, mitunter dramatisch, – das Gegenteil von linear. Das ist – per se – eine historische Beobachtung. Ich komme gleich noch einmal darauf zurück. 

Deshalb möchte ich dies heute ins Zentrum meines Vortrages stellen: wie die Entwicklungen in Politik und Wirtschaft über eine lange Zeitspanne hinweg auf Umfeld, Ziele, Möglichkeiten und Resultate der Geldpolitik einwirken. 

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Meine Damen und Herren, 

ich bin kein Historiker. Um diesen großen Bogen zu schlagen, breche ich zwei Historiker-Regeln, nämlich erstens: Ich halte die Chronologie nicht ein. Und zweitens: Ich argumentiere aus meiner subjektiven Erfahrung. Die vergangenen 25 Jahre der Geld- und Währungsgeschichte, also den Beginn des 21. Jahrhunderts, kann ich aus meiner eigenen Erwerbsbiografie rekonstruieren. 

Und ich kann aus meiner Erfahrung nur bestätigen: Nichts ist so beständig wie der Wandel. 

Den akademischen Diskurs über Geldpolitik habe ich in meiner Zeit an der Universität 1985 bis 1999 kennengelernt und mitverfolgt. Wie akademische Theorie, Finanzmärkte und operative Geldpolitik einander beeinflussen, das konnte ich von 1999 bis 2010 als Bundesbank-Mitarbeiter erleben. 

Danach kamen für mich die politischen Realitäten der geldpolitischen Verantwortung hinzu, besonders seit 2022 als Bundesbankpräsident. Speziell herausfordernd ist die geldpolitische Kommunikation: Was darf, kann, soll oder muss ich als geldpolitischer Mitentscheider wann, wo und wie äußern? 

Im akademischen Diskurs geht es um begründete Meinungen. Sie konkurrieren aber und sind keineswegs eindeutig. Und natürlich ist die Welt in der geldpolitischen Praxis deutlich komplexer, als die Modell- und Theorieannahmen sie abbilden.

In der politischen Verantwortung schließlich geht es darum, die Erkenntnisse aus dem akademischen Meinungsdiskurs so zu berücksichtigen, dass das gesellschaftspolitische Ziel bestmöglich erreicht werden kann. Die geldpolitische Kommunikation ist wichtig, um zu erklären, warum Geldpolitik wie agiert. Mehr noch: Zentralbankkommunikation ist schon lange ein wichtiges Instrument der Geldpolitik geworden. Das hat auch der EZB-Rat bei seiner Strategieüberprüfung vor zwei Jahren deutlich gemacht.

Wo wir schon bei der geldpolitischen Strategie sind: Auch die hat sich während meiner Berufslaufbahn geändert, und damit meine ich nicht nur die jüngste Strategieüberprüfung. Als ich studierte, verfolgte die Bundesbank eine monetaristische Geldmengenstrategie: die Geldmenge als Indikator und Zwischenziel der Geldpolitik. Dem lag die Annahme eines vergleichsweise engen Zusammenhangs von Geldmenge und Inflation zugrunde – der sich aber kurzfristig und bei niedrigen Inflationsraten so nicht findet.

Der geldpolitische Strategiewechsel kam offiziell mit dem Währungswechsel: 1999 löste der Euro die nationalen Währungen ab. Das Eurosystem entwickelte damals seine Zwei-Säulen-Strategie und konkretisierte seine Definition von Preisstabilität. 

In seinen ersten Jahren, 1999 bis 2008, erwies sich der Euro als bemerkenswert stabil. Entgegen den Prognosen von Skeptikern konvergierten sogar die Zinsen der Eurostaaten. Viele sprachen vom „Euro-Honeymoon“. Die Debatte um die geldpolitische Strategie war damals akademischer Natur. 

Diese relative monetäre Ruhe endete schlagartig 2008, als die globale Finanzkrise Europa erfasste. Die Geldpolitik hat darauf reagiert. Die geldpolitische Praxis ist mit der Finanzkrise eine andere geworden. Der Übergang zu Vollzuteilungspolitik, niedrigste Zinsen, Kaufprogrammen und anhaltend hoher Überschussliquidität war historisch präzedenzlos – und heftig umstritten. In dieser historischen Phase war ich Zeitzeuge, als Krisenstabsleiter der Bundesbank wie später als Vorstandsmitglied.

Im Lichte der Erfahrungen aus der Finanzkrise und aus der darauf folgenden Niedriginflationsphase hat das Eurosystem seine geldpolitische Strategie revidiert. Dabei hat es den besonderen Herausforderungen an der Zinsuntergrenze Rechnung getragen. 

Kaum war die neue Strategie 2021 beschlossen, änderte sich erneut die Gesamtlage. Im Gefolge der Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zeigte sich die Inflation in neuem Auftritt: unerwartet hoch und erstaunlich persistent.

Die Inflation wieder in den Griff zu bekommen – das ist derzeit die zentrale Herausforderung für die Geldpolitik. 

Fasse ich zusammen, was wir in den letzten rund 25 Jahren erlebt haben, also im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts, dann zeigt sich: Sehr viel hat sich geändert, das Umfeld, die geldpolitische Strategie und das geldpolitische Instrumentarium. Gleichgeblieben ist aber das Ziel der Geldpolitik: Preisstabilität. 

Dabei sind die Herausforderungen für die Geldpolitik im Wesentlichen immer von den Umständen bestimmt worden. Es war nur selten so, dass die Geldpolitik still und friedlich in einem stabilen Umfeld ihren Segen entfalten konnte.

Jetzt habe ich schon einmal die ersten rund 25 Jahre des 21. Jahrhunderts abgearbeitet, einfacherweise entlang meiner Berufsbiografie. Fehlen noch 100 Jahre Geldgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ich verspreche, es dafür bei maximal sieben Minuten zu belassen, also nur den wichtigsten Charakteristika. 

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Meine Damen und Herren, 

das 20. Jahrhundert ist auch geldgeschichtlich eine ganz besondere Periode: Es beendet rund 2.500 Jahre Münzgeldstandard und leitet eine Veränderungsepoche ein, in der monetär kein Stein auf dem anderen geblieben ist. 

Das 20. Jahrhundert begann noch mit dem Internationalen Goldstandard. In den Ländern der westlichen Welt herrscht eine Metallumlaufwährung, in der Gold- und Silbermünzen von Hand zu Hand und von Land zu Land gingen. Es liefen Staatspapiergelder und Banknoten um, letztere als privatrechtliche Emissionen meist privateigener Notenbanken. Daneben hatte sich ein Bankensystem entwickelt, Giralgeld und bargeldloser Zahlungsverkehr breiteten sich aus. 

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 änderte alles: Das Edelmetall wurde aus dem Geldumlauf genommen. Die Notenbanken wie deren Banknotenemissionen gingen in Staatskontrolle über. Die Geldpolitik richtete sich meist an kriegswirtschaftlichen Anforderungen aus. In der allgemeinen Geldvorstellung und im Außenwirtschaftsverkehr blieb man beim Goldstandard. Der binnenstaatliche Zahlungsverkehr dagegen wurde nun in Giralgeld abgewickelt oder mit stoffwertlosen Zahlungsmitteln wie Banknoten oder Staatspapiergeld. Diese Geldformen waren nicht mehr in Gold einlösbar, 
zumindest für die Zeit des Krieges.

Mit Ende des Ersten Weltkriegs endeten die Kriegswährungsregimes. Das Gold als Währungsbasis löste wieder die Papierwährungen des Krieges ab. Die Banknoten wurden erneut bankmäßig durch Gold und Forderungen gedeckt, aber nie wieder für das Publikum in Goldmünzen einlösbar. In der Zwischenkriegszeit trat damit die Goldkernwährung an die Stelle der alten Goldumlaufwährung. In diesem „zweiten Goldstandard“ mit Goldkernwährungen war Gold wieder die Außenhandelswährung, im Binnengeldsystem aber nur Währungsbasis. 

In diesem Spannungsfeld musste sich die Geldpolitik bewegen, zwischen Zahlungsbilanz und Außenwert einerseits und Golddeckung und Binnenkaufkraft andererseits. Entsprechend orientierten sich die geldpolitischen Konzepte zwischen Quantitätstheorie und Außenwerttheorie. 

Die Zwischenkriegszeit war eine Phase relativer Instabilität, politisch, ökonomisch wie monetär.  Die Kriegsschuldenfrage schwächte das Weltfinanzsystem. Im Weltwährungssystem bauten sich Spannungen zwischen den Wirtschafts- und Währungsräumen auf, ein wichtiger Faktor für die Weltwirtschaftskrise von 1929. 

Im instabilen politischen Umfeld der Zwischenkriegszeit ist die Geldpolitik kaum unpolitisch geblieben. Die Hyperinflation in Deutschland ist das traurige Ergebnis davon. Die Reichsbank unterstützte durch Kredite an den Staat zuerst die Finanzierung des Krieges und danach die Krisenbewältigungspolitik der Reichsregierung. Zur übermäßigen Geldausgabe gesellte sich dann eine rapide Beschleunigung der Geldumlaufgeschwindigkeit: die hohe Inflation ging 1923 zur Hyperinflation über.

Die „goldenen Zwanziger“ waren eine Scheinblüte, die 1929 mit der Weltwirtschaftskrise endete. Besonders für die Krisenschauplätze USA und Deutschland ist bis heute umstritten, wie sehr damals die Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik die Banken- und Deflationskrise ab 1929 befeuert hatten.

Beide Geldkrisen, die Inflation 1914 bis 1923 wie die Deflation ab 1929, 
gelten als wesentliche Faktoren für den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Der finanzierte seine Politik ebenfalls wieder über die Zentralbank, zunächst über die Rüstungs- und später die Kriegsfinanzierung. Die NS-Regierung und die gleichgeschaltete Reichsbank versprachen Geldwertstabilität, während sie mit Preiskontrollen die massive Inflation verdeckten. 

Der Zweite Weltkrieg zwang dann alle Staaten in ein Kriegswirtschafts- und -währungsregime. Das warf auch die Frage auf, wie es nach Kriegsende weitergehen sollte. Die westlichen Gegner der Achsenmächte diskutierten deshalb die historischen Lehren aus den vergangenen Jahrzehnten mit den beiden Weltkriegen und der krisenhaften Zwischenkriegszeit. 

Das Ergebnis war das Bretton-Woods-Abkommen von 1944. Der Gold-Devisen-Standard bestimmte nun für rund 30 Jahre die globale Währungsordnung mit den USA im Mittelpunkt, und damit auch die geldpolitischen Regime der Mitgliedsländer: Der Wechselkurs wurde zur bestimmenden Größe. Die Länder der westlichen Welt kehrten unter diesem Dach nach und nach aus Bewirtschaftungsregimen zu einer liberalen Weltwirtschaftsordnung zurück. 

Die Nachkriegsjahrzehnte waren vielerorts Jahre von Wachstum, Wohlstand und Stabilität. Westdeutschland hat sein Wirtschaftswunder erlebt, und die D-Mark war eine der stabilsten Währungen der Welt. Man muss dies aber einordnen: Wir sprechen zwar vom „Kalten Krieg“, aber in den Ländern der beiden Blöcke herrschte in jenen Jahren Frieden. 

Wieder waren es Kriege, diesmal in anderen Teilen der Welt, die das Bretton Woods-System in den 1950er- und 1960er-Jahren erschütterten und 1971/73 beendeten: Korea, Vietnam, der Nahe Osten. 

In den letzten 25 Jahren des 20. Jahrhunderts ist uns in unserem Teil der Welt der große Krieg erspart geblieben. Die ökonomischen Turbulenzen sind aber zurückgekehrt: In den 1970er-Jahren die Ölkrise, markante Teuerung und Stagflation, daneben die Suche nach neuen Wechselkursregimen und die Debatte um die richtige geldpolitische Strategie. Im System freier Wechselkurse war es möglich, die Stabilität der Binnenkaufkraft ins Zentrum zu stellen. Die unabhängige Bundesbank beispielsweise hat diesen Spielraum entsprechend genutzt – mit Erfolg.

Die 1980er-Jahre waren unter anderem geprägt von Fragen der regionalen Währungskooperation, und den Krisen regionaler Wechselkurssysteme. 

Der Zusammenbruch des Ostblocks, die Systemtransformation 
und der Aufstieg asiatischer Länder charakterisierten die 1990er-Jahre. 

Das Auslaufen des 20. Jahrhunderts war von neuen Krisen geprägt: 1997 von der asiatischen, 1998 der russischen Finanzkrise, und der Dot-Com-Bubble. Die Krisen und Probleme der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts 
scheinen aber im Vergleich zu den Krisen, Gewalttätigkeiten und Kriegen der ersten Hälfte geringer. Alles in allem kann deshalb die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als deutlich stabiler gelten als die erste Hälfte. 

Auch in der Geld- und Währungsgeschichte sehen wir: Preisstabilität erschien für Deutschland in der ersten Hälfte – gegeben die politischen Umstände – nur in wenigen friedlichen Ausnahmejahren in Reichweite zu sein. In der zweiten Hälfte waren die politischen Bedingungen deutlich günstiger. Aber nach wie vor musste die Geld- und Währungspolitik immer wieder auf exogene Ereignisse reagieren.

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Meine Damen und Herren, 

der Parforce-Ritt durch die Geld- und Währungsgeschichte zeigt: Währungspolitik wie Geldpolitik waren stets wesentlich von ihren historischen Rahmenbedingungen beeinflusst. 

Die praktische Geldpolitik wurde geändert, wenn sich das Umfeld verändert hat. Sie wurde angepasst, wenn dafür der politische Spielraum gegeben war, und Erkenntnisse aus Empirie, Theorie oder Praxis angemessene Änderungen nahelegten. Was bedeutet das für die aktuelle Herausforderung hoher Inflation? 

Selbstverständlich werden wir prüfen, ob und wann wir unseren geldpolitischen Handlungsrahmen anpassen müssen – inklusive Vollzuteilung, hoher Überschussliquidität und geldpolitischen Anleihebeständen. 

Grundsätzlich aber besteht Einigkeit über elementare Fragen der Geldpolitik zwischen Wissenschaft und geldpolitischer Praxis: Der Rahmen, innerhalb dessen Preisstabilität erreicht werden kann, ist weiter richtig gesetzt. 

Unabhängige Zentralbanken haben den Auftrag, Preisstabilität zu sichern. Die Geldpolitik muss der hohen Inflation mit Zinserhöhungen klar und entschlossen entgegentreten. 

Aber wir müssen auch die Grenzen unseres Einflusses als Zentralbanken anerkennen. Einerseits brauchen geldpolitische Maßnahmen Zeit, bis sie ihre volle Wirkung entfalten. Das bedeutet: wir müssen um Geduld werben. 

Andererseits müssen auch andere Akteure ihren Teil dazu beitragen, die derzeitige Phase hoher Inflation zügig zu beenden. Ich sprach zu Beginn meiner Reden vom politischen und wirtschaftlichen Umfeld. 

Das politische Umfeld bietet drei Ansatzpunkte für stabile Preise: Erstens, indem Staatsfinanzen solide sind, die Verschuldung also verlässlich begrenzt 
und übermäßige Verschuldung zurückgeführt wird. Zweitens, indem die Finanzpolitik mit ihren Maßnahmen keinen zusätzlichen Preisdruck erzeugt. Und drittens, indem eine gute Wettbewerbspolitik übermäßige Marktmacht unter den Unternehmen begrenzt. Denn solche Marktmacht kann zu überhöhten Preisen führen.

Zwei weitere Ansatzpunkte für stabile Preise finden sich im wirtschaftlichen Umfeld: Unternehmen, die ihre Preisforderungen maßvoll und begründet anheben und nicht die Gelegenheit für kurzfristige „Windfall Profits“ nutzen. Und Tarifparteien, die das Augenmaß zeigen, für das sie in der Vergangenheit zu recht gerühmt wurden.

Es wird nicht ohne Mühen zu erreichen sein, wieder nachhaltig zu stabilen Preisen im Euroraum zu gelangen. Alle Beteiligten können dabei sicher sein, dass der EZB-Rat und auch die Bundesbank engagiert und konsequent weiter dieses wichtige gesellschaftliche Ziel verfolgen werden. 

Ich bin überzeugt: Wenn wir Zentralbanken den eingeschlagenen Kurs konsequent fortsetzen, und wenn das politische und wirtschaftliche Umfeld ebenfalls seiner Verantwortung gerecht wird, dann werden wir die Phase hoher Inflation bald hinter uns lassen. 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen ein angeregtes Symposium.