„Zurück in die Zukunft“ – Europäische Aufsicht und Digitalisierung: Was war, ist, wird? Rede beim Bundesbank-Symposium

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen zum Bundesbank-Symposium „Bankenaufsicht im Dialog“. Ich freue mich, dass auch dieses Mal so viele von Ihnen unserer Einladung gefolgt sind.

Für mich persönlich ist dieses Symposium eine Premiere; ich darf zum ersten Mal das Symposium eröffnen – und dies gleich in einem Jubiläumsjahr für die europäische Bankenaufsicht. Denn in diesem Jahr feiern wir das zehnjährige Bestehen des europäischen Aufsichtsmechanismus SSM.

Zugleich bedaure ich sehr, heute leider nicht persönlich vor Ort sein zu können. Umso mehr freue ich mich, dass so viele hochkarätige Gäste unserer Einladung gefolgt sind und begrüße heute Vormittag ganz besonders unseren Keynote Speaker, den Direktor der Finma und früheren SSM Director General, Stefan Walter und unsere ehemalige Vizepräsidentin und jetzigen SB Chair Claudia Buch! 

Meine Damen und Herren, im Juni 2009 veranstaltete Stephen Hawking eine exklusive Party für Zeitreisende aus der Zukunft und hatte weniger Glück als wir heute, denn zu seiner Feier erschien kein einziger Gast.

Was für unser Symposium ein Horror-Szenario gewesen wäre, war genau der Wunsch Hawkings. Er wollte mit seiner Party beweisen, dass Zeitreisen in die Vergangenheit nicht möglich sind, und veröffentlichte die Einladungen zu seiner Feier deshalb erst im Nachhinein.

Auch wenn wir pünktlich eingeladen haben und uns über jeden Gast freuen, werden wir heute gemeinsam mit Ihnen die Zeitmaschine Symposium starten. Wir reisen in die Vergangenheit, indem wir auf das zehnjährige Bestehen des SSM zurückblicken. Und wir reisen in die Zukunft, in einen Finanzsektor in zehn Jahren, der geprägt ist von Künstlicher Intelligenz, Kryptowerten, Cloud und – natürlich – Banken.

2 Europäische Aufsicht: 10 Jahre SSM

Meine Damen und Herren, schauen wir auf die europäische Aufsicht im Jahr 2014, 2024 und 2034.

Im Jahr 2014 entstand der SSM als europäische Antwort auf die Finanz- und Staatsschuldenkrise. Ziel war es, europaweit an alle Banken den gleichen strengen Maßstab anzulegen. Institute sollten hinsichtlich ihrer Kapitalausstattung und der Qualität ihrer Vermögenswerte vergleichbarer werden. Gleichzeitig sollten alle Institute im Euroraum nach einheitlich hohen Aufsichtsstandards und ohne den viel zitierten National Bias beaufsichtigt werden.

Zu Beginn des SSM war die europäische Aufsicht alles andere als einheitlich. Die neu geschaffene Institution stand vor der Herausforderung, heterogene Aufsichtsansätze und -kulturen zusammenzubringen sowie konsistente und transparente europäische Aufsichts- und Beurteilungskonzepte zu entwickeln.

Heute, im Jahr 2024, sind die Bankbilanzen deutlich solider. Neben allgemein höheren Kapital- und Liquiditätsquoten sind auch die NPL-Quoten in den Bankbilanzen im Euroraum stark gesunken, von 8 Prozent im Jahr 2014 auf unter 2 Prozent,[1] und das trotz einiger Herausforderungen auf diesem Weg. Denken Sie an den Brexit, die Pandemie, an den russischen Angriffskrieg in der Ukraine oder die Bankenturbulenzen im letzten Jahr diesseits und jenseits des Atlantiks.

Auch an den Methoden und Standards der Aufsicht wurde gearbeitet und beispielsweise der aufsichtliche Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) vereinheitlicht. Auf dem Weg zur Vereinheitlichung mussten wir allerdings an der ein oder anderen Stelle realisieren, dass die Prozesse zu komplex werden. Dagegen hat eine Expertengruppe, die Wise Persons Group, der europäischen Aufsicht im letzten Jahr eine stärkere Risikoorientierung und eine höhere Risikotoleranz verordnet. Sie hat der Aufsicht empfohlen, zu priorisieren und sich bei Häufigkeit und Umfang von Aufsichtsaktivitäten stärker an den Risiken und der Bedeutung der Institute zu orientieren.

Die Aufsicht arbeitet im SSM effektiv zusammen, über Ländergrenzen hinweg. Durch diese Zusammenarbeit ist für mich deutlich weniger National Bias wahrnehmbar; zum Beispiel werden Prüfungen auch länderübergreifend oder im Mixed Team durchgeführt. Für mich zeigt der SSM, dass Europa funktioniert.

Wenn wir in die Zukunft schauen, wie wird die europäische Aufsicht in zehn Jahren aussehen? Welche Arbeit liegt vor uns? Was wir schon deutlich erkennen können, ist der Strukturwandel. Klimarisiken, geopolitische Risiken, demographischer Wandel und Digitalisierung erfordern umfangreiche Anpassungen unserer Volkswirtschaften, die sich auch in den Geschäftsmodellen der Institute niederschlagen werden und damit auch uns als Aufsicht fordern.

3 Digitalisierung im Finanzsektor

Schauen wir stellvertretend für all die unterschiedlichen Herausforderungen auf diejenigen Veränderungen, die durch die Digitalisierung ausgelöst werden.

„Ganz früher“, also zum Beispiel im Jahr 2014, galten FinTechs noch als Exoten im Finanzsektor – kleine Unternehmen, die „irgendwas mit Digitalisierung“ machen, was teilweise außerhalb der klassischen Finanzaufsicht liegt. Kryptowerte waren damals noch neu und längst nicht im Mainstream angekommen.

Heute gibt es tausende unterschiedliche Kryptowerte, und nicht wenige haben sogar Bitcoin im eigenen Wallet – und etliche haben damit viel Geld verloren.

Die Risiken von Kryptowerten sind offensichtlich und ein Fall für die Regulierung. Hier ist Europa tatsächlich der Welt voraus: Mit der „Markets in Crypto-Assets Regulation“, kurz MiCAR, haben wir in der EU einen soliden regulatorischen Rahmen für Kryptowerte geschaffen.

Und auch die Exoten von damals, die FinTechs, haben sich weiterentwickelt. Dank Technologien wie API (Application Programming Interface) und Cloud haben sich FinTechs mittlerweile erfolgreich in die Wertschöpfungskette des Banken- und Finanzgeschäfts integriert. Entgegen ursprünglicher Befürchtungen haben sie die etablierten Institute damit aber nicht vom Markt gedrängt, sondern sind zu deren Kooperationspartnern geworden.

Bleibt die Frage: Was kommt? Wie wird die Digitalisierung den Finanzsektor und die Aufsicht in den nächsten zehn Jahren verändern?

Künstliche Intelligenz zum Beispiel dürfte unser aller Leben gründlich verändern – und das Bankgeschäft wird keine Ausnahme bleiben. Noch ist die Relevanz der eingesetzten künstlichen Intelligenz für das Geschäft der Banken oft begrenzt; so wird AI beispielsweise für Chatbots im Kundenkontakt genutzt, nicht aber im Kern des Bankgeschäfts.

Aber bleibt es dabei? AI bietet aussichtsreiche Chancen und könnte künftig vermehrt im Finanzsektor eingesetzt werden, von der Bonitätsprüfung bis hin zu Risikomanagement-Modellen. Weit in die Zukunft gedacht, könnte Regulierung das einzige sein, was zwischen uns und einer Bank steht, die komplett von einer künstlichen Intelligenz betrieben wird.

Aber würden wir das wollen? Ich persönlich hätte Bedenken, nicht zuletzt, weil AI spezifische Risiken mit sich bringt und etliche ethische Fragen aufwirft.

So können mangelhafte Trainingsdaten zu verzerrten Ergebnissen führen – Diskriminierung bei der Kreditvergabe könnte die Folge sein. Hinzu kommt, dass AI häufig eine „Black Box“ ist; wir kennen die Daten, die hineingehen, und wir kennen das Ergebnis, das herauskommt. Was dazwischen passiert, ist aber nicht immer nachzuvollziehen – eine Herausforderung gerade im Risikomanagement und in der Bankenaufsicht.

Klar ist also, dass AI einen regulatorischen Rahmen braucht. Und ebenso wie bei Kryptowerten ist Europa auch hier voraus.

Mit der KI-Verordnung, dem AI Act, gibt es nun auf europäischer Ebene einen sektorübergreifenden regulatorischen Rahmen für AI-Anwendungen. Insofern Banken AI nutzen, müssen auch sie im Zweifel den AI Act anwenden – die Bundesbank ist hier übrigens keine Ausnahme.

4 Schluss

Meine Damen und Herren, was war, ist und wird prägend für den Finanzsektor und die Aufsicht? Auf diese Fragen habe ich einige Antworten umrissen, möchte aber eine wichtige Erkenntnis des schon am Anfang erwähnten Stephen Hawking teilen: Die größten menschlichen Errungenschaften sind durch Kommunikation zustande gekommen – die schlimmsten Fehler, weil nicht miteinander geredet wurde.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein erfolgreiches Symposium 2024, konstruktive Gespräche, neue Erkenntnisse und Errungenschaften. Reden wir miteinander. Über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.

Fußnote:

  1. Quellen: ECB Banking Supervision (2018), Addendum to the ECB Guidance to banks on nonperforming loans: supervisory expectations for prudential provisioning of non-performing exposures, March. Abrufbar unter: ECB Banking Supervision (2019), Communication on supervisory coverage expectations for NPEs, 22 August.