Lagarde: Koordinierte Anstrengungen für nachhaltige Krisenlösung unabdingbar
Die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hat am 5. April an der Goethe-Universität in Frankfurt eine Rede mit dem Titel "Decisive Action to Secure Durable Growth" ("Entschlossenes Vorgehen zur Sicherung dauerhaften Wachstums") gehalten. Die Rede bildete den Auftakt für die Frühjahrstagung des IWF vom 15. bis 17. April in Washington.
Lagarde spannte in ihrem Vortrag den Bogen zu Johann Wolfgang von Goethe, der nicht nur ein hochgeschätzter Dichter und Schriftsteller gewesen sei, sondern auch ein Diplomat und "Internationalist". Das brachte Lagarde zu den Schwerpunkten ihrer Rede: Vernetzung, Internationalismus und Zusammenarbeit. Ihrer Auffassung nach sind auch in Anbetracht der jüngsten Ereignisse Solidarität und Kooperation für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen von entscheidender Bedeutung. Mit Blick auf die bevorstehende Frühjahrstagung sei der Fokus der 188 Mitgliedsländer auf die Lage der Weltwirtschaft gerichtet. Die Grundlage hierfür bilden die jüngsten Ergebnisse des Weltwirtschaftsausblicks des IWF, der in der Woche vor der Tagung veröffentlicht werden soll.
"Wir befinden uns nicht in einer Krise"
Zu Beginn ihrer Rede gab Lagarde einen Überblick über die allgemeine Entwicklung und wies darauf hin, dass seit der Finanzkrise große Fortschritte erzielt worden seien. So setze sich die Erholung fort und es gebe Wachstum. Gleichwohl beeinflussten eine Reihe von Faktoren die Gesamtaussichten: die relative Konjunkturschwäche in China, niedrigere Rohstoffpreise und die Verschärfung der Finanzlage in vielen Ländern. Da das Wachstum seit zu langer Zeit zu gering sei, bestehe die Gefahr sich selbst verstärkender negativer Effekte und eines "new mediocre", also einer "neuen Mittelmäßigkeit"
mit anhaltend schwachem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit. Die Politik müsse sich den Herausforderungen stellen und zusammenarbeiten, um das Vertrauen weltweit zu stärken, was sich spürbar positiv auf die Weltwirtschaft auswirken würde, so Lagarde.
Abwärtsrisiken
Wenngleich sich die Stimmung in der Wirtschaft seit Jahresbeginn verbessert habe, warnte Lagarde davor, sich zurückzulehnen. Sie sehe eine Reihe von Risiken sowohl für fortgeschrittene als auch für aufstrebende Volkswirtschaften. Die Industrieländer kämpften immer noch mit den Folgen der Krise wie etwa hoher Verschuldung, niedriger Inflation, geringer Produktivität und zum Teil auch hoher Arbeitslosigkeit. Die Schwellenländer seien zunehmend anfällig für sinkende Rohstoffpreise, höhere Schuldenstände der Unternehmen und volatile Kapitalströme. Dabei wies Lagarde darauf hin, dass die Risiken nicht isoliert betrachtet werden dürften. Sie hätten allesamt eine makrofinanzielle Dimension und könnten – unter ungünstigen Bedingungen – Rückkopplungsschleifen zu den Staatsfinanzen erzeugen. Darüber hinaus könnten dadurch häufigere und stärkere grenzüberschreitende Ansteckungseffekte als zuvor auftreten. Frau Lagarde zitierte aus Forschungsergebnissen des IWF, wonach sich die Übertragungseffekte aus Schwellenländern in den vergangenen Jahren verstärkt hätten.
Koordinierte Maßnahmen
Angesichts der bestehenden nationalen und globalen Herausforderungen und der zunehmenden Fragmentierung betonte Lagarde die Bedeutung einer engeren Zusammenarbeit. "Erste Priorität muss es sein, die Erholung zu sichern und die Grundlagen für ein stärkeres und ausgewogeneres mittelfristiges Wachstum zu schaffen", sagte sie. Hierzu seien verschiedene Maßnahmen in drei Bereichen erforderlich: gezieltere Strukturreformen, eine wachstumsfreundlichere Finanzpolitik und eine stärkere Unterstützung für geldpolitische Maßnahmen in den beiden vorgenannten Bereichen.
Mit Blick auf die geplanten Strukturreformen rief Lagarde dazu auf, die Verpflichtung der G 20, das weltweite BIP bis 2018 um zusätzliche 2 % zu steigern, auf das Jahr 2016 vorzuziehen. Es bedürfe gezielter Reformen in den einzelnen Ländern. Hierzu führte sie konkrete Beispiele an: die Ausweitung der Steuergutschrift auf Erwerbseinkommen, die Anhebung des Mindestlohns auf Bundesebene und die Stärkung familienfreundlicher Leistungen in den Vereinigten Staaten. Für den Euro-Raum forderte sie bessere Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie Strategien für eine bessere Abstimmung von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt, und Rohstoffexporteuren empfahl sie eine stärkere Diversifizierung. Diese Maßnahmen sollten ohne weitere Verzögerungen ergriffen und durch flankierende finanz- und geldpolitische Maßnahmen ergänzt werden, betonte Frau Lagarde.
Was die Finanzpolitik betrifft, so gibt es nach Ansicht von Lagarde in den meisten Ländern noch Spielraum für eine wachstumsfreundlichere Ausgestaltung. Insbesondere müsse die Effizienz staatlicher Ausgaben erhöht werden. Dies könne bedeuten, dass Ausgaben in profitablere Bereiche umgelenkt werden müssten. Mehraufwendungen für Infrastruktur und Innovation bergen Lagarde zufolge ebenfalls großes Potenzial. Bezug nehmend auf Untersuchungen des IWF erklärte sie, dass eine Ausweitung der privaten Investitionen für Forschung und Entwicklung um 40 % in fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu einem BIP-Anstieg von 5 % führen würde.
Im Hinblick auf die Geldpolitik sagte Lagarde, akkommodierende geldpolitische Maßnahmen hätten bei der Unterstützung der weltwirtschaftlichen Erholung eine unschätzbare Rolle gespielt. Allerdings betonte sie, die Geldpolitik allein könne die Erholung nicht gewährleisten. Um wirksam zu sein, müsse sie durch Strukturreformen und finanzpolitische Maßnahmen flankiert werden.
Weltweite Herausforderungen erfordern eine weltweite Zusammenarbeit
Lagarde rief zu einer "stärkeren weltweiten Zusammenarbeit"
auf, um gemeinsame Prioritäten, insbesondere bei der Förderung des Welthandels, zu setzen. Reformen bei der Finanzmarktregulierung müssten vorangetrieben und Klimawandel sowie Korruption bekämpft werden. Als Bestandteil der weltweiten Kooperation unterstrich sie – unter Verweis auf den Finanzstabilitätsrat, den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die G 20 als Beispiele für ein gemeinsames Vorgehen – die Bedeutung des IWF und hob die bereits erfolgte Überarbeitung seines Überwachungs- und Kreditinstrumentariums sowie die Ausweitung seiner Ressourcen hervor. Lagarde ging auch darauf ein, welche Aspekte dieses "globalen Sicherheitsnetzes" in den kommenden Monaten erörtert werden müssten: der Umfang des Sicherheitsnetzes, die Erleichterung des Zugangs dazu sowie Möglichkeiten einer verbesserten Reaktionsfähigkeit auf neue Herausforderungen für das internationale Währungssystem.
Zum Abschluss ihrer Rede bemühte Lagarde erneut ein Goethe-Zitat, um ihrer Aufforderung zum Handeln Nachdruck zu verleihen: "Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun."
Weidmann: IWF für Rettungsprogramme unverzichtbar
Lagarde hielt ihren Vortrag an der Goethe-Universität auf Einladung der Deutschen Bundesbank in Zusammenarbeit mit dem Research Center SAFE und dem Center for Financial Studies. In seiner kurzen Einführung würdigte Bundesbankpräsident Jens Weidmann die geschäftsführende Direktorin des IWF als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten weltweit und dankte ihr dafür, dass sie der Einladung nach Frankfurt gefolgt sei. Dabei wies Weidmann auch darauf hin, wie wichtig die unabhängigen Bewertungen des IWF für die Euro-Länder bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise in den vergangenen Jahren gewesen seien.
Redetext
in englischer Sprache