Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2024 Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2024 durch Michael Theurer, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank
Frage:
Die erste Frage zu den Gewerbeimmobilien: Ist die Risikovorsorge bei den Banken, die stark in Gewerbeimmobilien engagiert sind, angemessen? Mit Blick auf die Erwartung, dass die Preise noch weiter fallen könnten.
Und dann eine Frage zu Wohnimmobilien: In der Pressenotiz schreiben Sie, dass ein Abbau der Verwundbarkeiten im Wohnimmobilienmarkt wahrscheinlich geworden ist. Daraus lese ich, dass Sie nächstes Jahr den systemischen Risikopuffer dafür rausnehmen könnten. Habe ich zu viel Fantasie oder ist das etwas, worauf Sie anspielen wollen? Und wenn das der Fall sein sollte, wie viel Kapital würde das freigeben? Wenn ich mich richtig erinnere, wurden im Jahr 2022 17 Milliarden Euro antizyklischer Kapitalpuffer und 5 Milliarden Euro Systemrisikopuffer genannt. Also würde das nächstes Jahr 5 Milliarden Euro Kapital bei Banken freigeben?
Michael Theurer, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank:
Zu einzelnen Instituten kann ich natürlich keine Stellung nehmen. Sie haben den Gewerbeimmobilienmarkt und die dort bestehenden Risiken angesprochen. In meinen einführenden Worten habe ich mich vor allen Dingen auf den deutschen Gewerbeimmobilienmarkt bezogen.
Es gibt natürlich auch Verflechtungen deutscher Akteure mit anderen Immobilienmärkten. In der Vergangenheit gab es Diskussionen über das Thema Exposures in den Vereinigten Staaten und dort ist ja die Entwicklung des Gewerbeimmobilienmarktes nach unseren Daten signifikant schlechter als in der Bundesrepublik. Insgesamt hat sich die Quote notleidender Kredite bei den Gewerbeimmobilienkrediten seit Ende 2022 mehr als verdoppelt. Allerdings liegen sie mit 4,2 Prozent noch nicht in einem außerordentlich kritischen Bereich. Die Akteure haben ihre Risikoversorge deutlich angehoben. Wir gehen davon aus, dass generell hier die Risiken bewältigbar sind und haben das als Aufsicht auch im Blick. Das schließt natürlich nicht aus, dass es einzelne Akteure gibt, die vielleicht stärkeren Risiken ausgesetzt sind. Es sind ja entsprechende Fonds öffentlich in der Diskussion gewesen. Aber für die Finanzstabilität der Bundesrepublik Deutschland sehen wir die Risiken als beherrschbar an. Allerdings ist es im besonderen Blick sowohl der mikroprudenziellen als auch der makroprudenziellen Aufsicht.
In dem Zusammenhang haben Sie die Risikopuffer angesprochen. Das Thema bezieht sich aber nicht auf die Gewerbeimmobilien, sondern auf die Wohnimmobilien. Hier haben wir gemeinsam mit Bafin und Bundesfinanzministerium im Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) natürlich über die Entwicklung gesprochen und es deutet sich anhand der Daten eine gewisse Entspannung oder Stabilisierung an.
Aber ob dies bereits eine Veränderung des sektoralen Systemrisikopuffers rechtfertigt, kann ich an dieser Stelle nicht sagen. Denn es gibt ja eine gegenläufige Entwicklung, nämlich die Frage, wie sich die konjunkturelle Stagnation an der Grenze zu einem Abschwung auf den Arbeitsmarkt auswirkt und hier könnte es natürlich in den nächsten Monaten einen Anstieg der Risiken bei der Wohnimmobilienfinanzierung geben. Insofern müssen wir das noch eine Weile genauer beobachten, bevor man dann zur Entscheidung kommen kann.
Frage:
Sie hatten bei den Wohnimmobilien angesprochen, dass die Bundesbank gewarnt hatte, diese könnten 30% überbewertet sein. Nun sind die Preise ja runtergegangen, aber natürlich nicht um 30%. Würden Sie denn sagen, die sind immer noch überbewertet oder würden Sie sagen, die Überbewertung ist damals überschätzt worden?
Michael Theurer:
Wir haben damals festgestellt, dass es eine Überbewertung gegeben hat. Jetzt sind die Wohnimmobilienpreise gesunken. Entsprechend unserer Daten haben wir den Eindruck, dass nicht nur der Preisrückgang zu einem Stillstand gekommen ist, sondern dass es auch einen leichten Anstieg bei den Wohnimmobilienpreisen gegeben hat. Allerdings ist das Transaktionsvolumen in den Immobilienmärkten, also auch beim Wohnimmobilienmarkt, von einer nachlassenden Dynamik und deutlich geringer, als es vor den Zinsanpassungen war. Es gibt immer noch relativ wenige Transaktionen. Stabilisierend wirkt sich mit Sicherheit auf den Wohnimmobilienmarkt aus, dass es immer noch eine hohe Nachfrage gibt.
Der Bedarf an Wohnungen ist offensichtlich immer noch höher als das Angebot und mit den sich wieder etwas verbesserten Finanzierungskonditionen hat dies zu einer Belebung im Wohnimmobilienmarkt geführt. Auch die Kreditausfälle bleiben weiterhin gering. Die Überbewertungen haben sich auf jeden Fall zurückgebildet. Ich weiß nicht, ob wir aktuelle Statistiken dazu haben, dann würde ich Herrn Dr. Weigert bitten, etwas dazu zu sagen.
Dr. Benjamin Weigert, Leiter des Zentralbereichs Finanzstabilität:
Die Kollegen aus dem Zentralbereich Volkswirtschaft haben im Februar dieses Jahres im Monatsbericht versucht, die Überbewertungen abzuschätzen und für 2023 lagen diese noch im Bereich von 15 bis 20 Prozent. Und seitdem sind die Preise nochmal ein bisschen gefallen. Es sind möglicherweise noch Überbewertungen da, aber sie sind deutlich zurückgegangen.
Frage:
Wenn Sie nun Nichtbanken beaufsichtigen und regulieren wollen, was sagt denn die BaFin dazu, deren ureigenste Aufgabe das doch als Nachlassverwalterin des Bundesaufsichtsamts fürs Versicherungswesen wäre?
Michael Theurer:
Wir stimmen unsere Stellungnahmen natürlich mit der BaFin ab. Unsere gesetzliche Aufgabe, das Thema unter den Gesichtspunkten der Finanzstabilität zu betrachten, ergibt sich auch über die Mitgliedschaft des Präsidenten im Financial Stability Board der G20 und über die Gremien der EZB. Angesichts des Volumens von 40 Prozent und einem starken Zuwachs, - 15 Prozent seit der Finanzkrise - spielt der Nichtbankensektor eine zunehmende Rolle.
Die Bundesbank hat eine gesetzlich begründete Aufgabe, aber sie haben natürlich Recht, dass die BaFin als Allfinanzaufsicht für die Aufsicht für diesen Bereich zuständig ist. Wir sind zum Beispiel in dem gerade von der EU-Kommission angestrebten Konsultationsverfahren in enger Abstimmung sowohl mit dem Bundesfinanzministerium als auch mit der BaFin, um hier zu einer einheitlichen Position der Bundesrepublik Deutschland zu kommen.
Frage:
Sie haben gesagt, Sie wollten zunächst einmal nicht neue Daten erheben, sondern die Daten von den Nichtbanken europäisch vernetzen. In der Pressemitteilung steht hingegen auf der letzten Seite, es bestünden Datenlücken. Wie ist das zu verstehen?
Michael Theurer:
Wir sprechen uns dafür aus, dass es innerhalb Europas eine Schrittmacherfunktion hinsichtlich der Datenerhebung und des Datenaustausches gibt, damit vorhandene Daten bei den nationalen Aufsehern und den nationalen Zentralbanken bei der EZB zusammengeführt und mitgliedsstaatenübergreifend ausgewertet werden können. Der Schwerpunkt liegt eindeutig nicht auf der Erhebung zusätzlicher Daten, sondern auf der Auswertung und vor allen Dingen auf der Schaffung gesetzlicher Grundlagen zu einer mitgliedstaatenübergreifenden und gemeinsamen Auswertung vorhandener Daten.
Damit wären wir innerhalb der Europäischen Union und des Eurosystems handlungsfähig. Es gibt natürlich auch einen globalen Aspekt, der offensichtlich schwieriger zu handhaben ist, weil man auf das Wohlwollen und die Kooperationsbereitschaft anderer Akteure angewiesen ist. Angesichts der Bedeutung des US-amerikanischen Kapitalmarkts mit einem Volumen von über 130 Billionen US-Dollar stellt sich die Frage, wie im Rahmen internationaler Kooperation wie etwa der G20 ein entsprechender zeitnaher Datenaustausch sichergestellt werden kann. Das ist auch Gegenstand von Gesprächen auf der internationalen Ebene. Ich möchte jetzt aber nicht darüber spekulieren, wie sich der Regierungswechsel in den USA auf die zukünftige Entwicklung eines Datenaustausches auswirkt.
Wir plädieren jedenfalls, auch im Sinne der Dokumente die das Financial Stability Board der G20 veröffentlicht hat, dafür, dass der Non-Bank Financial Institutsmarkt stärker in den Blick genommen wird, weil er erhebliche Bedeutung für uns hat und sich schnell große Risiken aufbauen können, die angesichts des Volumens auch schnell die Dimension eines Tsunami erreichen können.
Frage:
Ich habe Fragen zu drei Komplexen, die ich gerne nacheinander durchgehen würde. Meine erste Frage ist ein bisschen aus der Vogelperspektive betrachtet: Der Tenor des Bundesbank-Finanzstabilitätsberichts ist insgesamt sehr positiv aus meiner Sicht. Jetzt hatten wir gestern die EZB mit ihrem Finanzstabilitätsreport, die mir deutlich kritischer erscheint und wo deutlich stärker vor verschiedenen Risiken gewarnt wird, unter anderem vor einer Rückkehr der Euro-Schuldenkrise. Teilen Sie den Eindruck, dass die Bundesbank da deutlich optimistischer unterwegs ist als die EZB? Woran liegt das? Teilen Sie die Sorgen, die im EZB-Bericht geäußert werden, oder würden Sie sagen, die EZB ist da viel zu pessimistisch, oder beschönigen Sie die Lage?
Michael Theurer:
Sie haben ja mit Sicherheit gehört, dass ich den Financial Stability Review der EZB angesprochen habe und die Risiken für die Schuldentragfähigkeit hier als Vulnerabilität beschrieben habe. Das heißt, wir teilen die Einschätzung der EZB. Da wir uns im Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank allerdings auf die Stabilität des deutschen Finanzsystems konzentrieren, können wir an der Stelle sagen, dass die Bemühungen der öffentlichen Hand in der Bundesrepublik zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte oder zur Stabilisierung oder sogar Reduzierung der Staatsschuldenquote sich positiv abheben von der Entwicklung in anderen Ländern. Vor dem Hintergrund sehe ich keinen Dissens zwischen dem EZB-Finanzstabilitätsbericht und dem Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank.
Im Gegenteil, wir haben versucht, ein differenziertes Bild darzustellen: Die Dinge, die sich positiv entwickelt haben, also die allmähliche Reduzierung von Verwundbarkeiten dort, wo die deutschen Finanzakteure reagiert haben, erwähnen wir positiv, ohne dabei die Risiken und Verwundbarkeiten zu verschweigen, die wir sehen wie die EZB. Aber gerade was die Schuldentragfähigkeit angeht, ist das ja etwas, was sich nicht an den deutschen Haushaltsgesetzgeber richtet, sondern an andere.
Frage:
Wobei die EZB ja nicht nur auf die Schuldentragfähigkeit, sondern auch auf das Vertrauen der Finanzmärkte und die Ausweitung der Risikospreads zwischen verschiedenen europäischen Ländern abgehoben hat, was ja noch ein anderer Aspekt ist. Ich weiß nicht, ob das ein Thema ist, was die Bundesbank dann nicht interessiert oder nicht für relevant hält.
Ansonsten würde ich Sie bitten, den Punkt geopolitische Risiken, Handelskrieg mit den USA noch ein bisschen auszuführen. Herr Nagel hat ja zu Wochenbeginn von einer neuen Ära des Welthandels gesprochen. Wie sehr sehen Sie für das nächste Jahr akute Risiken auch für die Finanzstabilität der Bundesrepublik?
Michael Theurer:
Zu Ihrer ersten Frage. Natürlich behält die Bundesbank die Entwicklung von Credit-Spreads genau im Blick. Die aktuelle Entwicklung ist in dem Bereich stabil. Die von der EZB beschriebenen Risiken werden von uns allerdings in dem Zusammenhang geteilt. Ich kann in dem Zusammenhang nochmal auf den Staaten-Banken oder Banken-Staaten-Nexus hinweisen. Das ist etwas, was die Bundesbank und auch die Bundesrepublik immer in den entsprechenden Gremien der Europäischen Union und des Eurosystems angesprochen hat. Wenn es etwa um die Weiterentwicklung des institutionellen Arrangements geht, Stichwort Bankenabwicklung (CMDI) oder auch das Europäische Einlagensicherungssystem (EDIS), dann sind wir der Meinung, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um diesen Staaten-Banken-Nexus anders zu gestalten als bisher. Das ist aber nur ein Hinweis, ohne dass ich an der Stelle in Details gehen möchte.
Zur Entwicklung in den USA hat der Bundesbankpräsident bereits alles Wesentliche gesagt. Wir können aus Sicht der Finanzstabilität nur darauf hinweisen, dass das eben ein Known-unknown ist. Die Ankündigung des neuen amerikanischen Präsidenten Trump geht in die Richtung, dass er ein neues Zollregime einführen wird. Die Frage, wie stark die Bundesrepublik Deutschland davon betroffen sein wird, hängt von der konkreten Ausgestaltung der US-Maßnahmen ab. Das kann man als Risiko benennen und es gibt Szenarien, die darauf hinweisen, dass dies schon signifikante Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben wird, möglicherweise auch inflationstreibende Momente beinhaltet. Aber solange die Details nicht auf dem Tisch liegen, ist das schwer abschätzbar und es wird sehr stark darauf ankommen, dass dann entsprechend reagiert wird.
Richtig aus Finanzstabilitätssicht ist allerdings vor diesem Hintergrund gewachsener geopolitischer Risiken, dass wir alles tun, um unsere eigene Resilienz zu stärken. Da habe ich die Instrumente der makroprudenziellen Aufsicht bereits genannt. Die sind alle aktiv. Der antizyklische Kapitalpuffer zum Beispiel und auch der sektorale Systempuffer sind da. Die könnten, sollte es zu massiven Verwerfungen kommen, auch abgesenkt werden.
Unabhängig davon macht uns aber, und das ist gleichlautend im EZB-Bericht, das schwache Wachstum Sorgen, das ist natürlich vor allem in der Bundesrepublik die Aufgabe, vor der wir stehen. Hier sind konjunkturelle Effekte ein Thema, aber eben auch strukturelle Effekte. Die Finanzstabilität kann nur dafür sorgen, dass die anderen Akteure im Unternehmenssektor, die Tarifpartner und auch der Gesetzgeber die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um wieder zu einem Wachstum zu kommen und Strukturanpassungen vornehmen.
Frage:
Ich habe einen Fragenbereich zu den Volks- und Raiffeisenbanken. Das ist eine der wichtigsten Säulen im deutschen Bankensystem, nicht EU-reguliert, unter Aufsicht der BaFin und der Bundesbank. Hier haben wir in den vergangenen Monaten mehrere ziemlich dramatische Schieflagen in einzelnen Instituten gesehen, die möglicherweise aus Sicht von manchen Beobachtern Zweifel an der generellen Qualität der Kontrolle und Unternehmensführung in diesen Banken aufwerfen. Sehen Sie da grundsätzlich Gefahren für die Stabilität dieses Sektors? Denn wenn mehrere Fälle dieser Größenordnung auftreten sollten, wäre möglicherweise deren Institutssicherung erheblich unter Druck. Inwiefern besteht aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf, dass Governance und Compliance innerhalb dieser Gruppe professionalisiert werden?
Michael Theurer:
Zu einzelnen Instituten können wir generell nicht sprechen. Ob aus den von Ihnen genannten beziehungsweise gemeinten Instituten ein Rückschluss auf die insgesamt mehr als 600 Institute gezogen werden kann, ist eine andere Frage. Mit Blick auf die Finanzstabilität lassen sich daraus keine Risiken erkennen, die nicht beherrscht werden können.
Gleichzeitig haben wir in der mikroprudenziellen Aufsicht die Institute genau im Blick. Hier bitte ich Herrn Schulz darum, etwas dazu zu sagen.
Alexander Schulz, Ständiger Vertreter des Zentralbereichsleiters Banken und Finanzaufsicht:
Auch Volks- und Raiffeisenbanken sind durch europäische Gesetzgebung reguliert, denn die CRD/CRR ist allgemein gültig. Diese Regulierung gilt in Europa für kleine genauso wie für großen Kreditinstitute, wir haben ein Single Rulebook. Die Aufsicht liegt auf nationaler Ebene bei BaFin und Bundesbank. Ich würde Ihre implizit geäußerte Skepsis an dem Sektor so nicht teilen wollen. Es ist umgekehrt positiv, wenn Probleme ans Tageslicht kommen und man mit ihnen umgehen kann und sie lösen kann. Governance ist tatsächlich ein Schwerpunkt, den sich BaFin und Bundesbank als Thema für den deutschen Bankensektor vorgenommen haben.
Frage:
Mein letzter Fragenkomplex bezieht sich auf die Basel III-Implementierung und insgesamt darauf, in welche Richtung die Bankenregulierung gehen sollte. Auf diesem Gebiet machen deutsche und europäische Banken ziemlich viel Lobbyarbeit um das aufzuschieben und zu verzögern. Jetzt ist unter Donald Trump als künftigem Präsidenten in den USA damit zu rechnen, dass der US-Bankensektor tendenziell dereguliert wird. Wie ist dazu Ihre Meinung? Offensichtlich sind ihrer Einschätzung nach die Risiken gut unter Kontrolle. Sollte also weniger reguliert werden oder sollte Europa bei dem vereinbarten Zeitplan bleiben?
Michael Theurer:
Die Entstehung der Basel III-Regeln ist eine direkte Konsequenz aus der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009. Damals haben sich Risiken aufgebaut, die am Ende nicht nur dazu geführt haben, dass ganze Institute kollabiert sind. Damals bestand auch die Gefahr, dass Staaten in die Insolvenz rutschen und damit das globale institutionelle Gefüge aus den Fugen gerät. Deshalb wurde ein internationaler Ansatz gewählt, um diese Gefahr in Zukunft zu vermeiden.
In der Ausgestaltung dieser Regeln lassen sich durchaus unterschiedliche Auffassungen vertreten. Auf europäischer Ebene wurde intensiv über die Frage diskutiert, wie die Empfehlungen aus Basel III rechtlich umgesetzt werden können. Die EU hat mit der CRR III entsprechende Gesetze erlassen, die am 01.01.2025 in Kraft treten. Diejenigen Institute, die diesen gesetzlichen Vorgaben unterliegen, haben sich bereits mit der Implementierung beschäftigt.
Aus Gesprächen mit dem Sektor hören wir auch, dass sie sich darauf einstellen, dass am 01.01.2025 die Dinge, die derzeit klar sind, auch bereits implementiert werden. Eine kurzfristige Gesetzesänderung könnte, nur durch den europäischen Gesetzgeber erfolgen. Darauf müssten sich die neue EU-Kommission, Rat und Parlament verständigen. Meine eigene Erfahrung im Europäischen Parlament deutet darauf hin, dass das nicht in den nächsten drei Monaten zu erwarten ist.
Gemäß Fundamental Review of the Trading Book gibt es längere Übergangsfristen bis 2033. Mit dem Verweis auf die Diskussion und die Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Amerika hat die EU-Kommission die Implementierung dieses Fundamental Review of the Trading Book um ein Jahr verschoben. Jetzt stellt sich die Frage, wie die Entwicklung in den USA weitergehen wird. In den USA haben Aufsichtsinstitutionen wie die Fed, das OCC und die FDIC, mit denen ich am Rande der IWF-Herbsttagung sprechen konnte, zum Ausdruck gebracht, dass sie grundsätzlich an der Umsetzung von Basel III festhalten wollen. Aus Sicht dieser Institutionen geht es lediglich um die Frage der Kalibrierung. Die Aufsichtsvertreter haben in diesen Gesprächen auch erläutert, dass die heutigen US-amerikanischen Kapitalvorgaben zum Teil strenger sind als die europäischen. Sie verweisen auch darauf, dass die EU in der Umsetzung von Basel III im Vergleich zu den ursprünglichen Vorschlägen Anpassungen vorgenommen hat, die zu einer Reduktion der Kapitalanforderungen geführt haben.
Insofern wird sich die Bundesbank sehr intensiv mit Vorschlägen aus der Finanzbranche beschäftigen. Allerdings raten wir zu einem faktenbasierten Vorgehen. Das heißt, es muss zunächst ein Faktencheck erfolgen ob die US-amerikanische Vorschläge tatsächlich zu einer Veränderung der Wettbewerbsbedingungen führen. An international einheitlichen Vorgaben für den Bankensektor halten wir fest als eine der zentralen Lehren aus der Finanzkrise 2008-2009. Eine ähnliche Gefährdung der Finanzstabilität gilt es in Zukunft auszuschließen.
Alexander Schulz:
Wir bei der Bundesbank verfolgen seit 2011 die Auswirkungen von Basel III. Banken melden uns regelmäßig ihre Ergebnisse. Der letzte Bericht dazu ist im Oktober veröffentlicht worden. Für den deutschen Bankenmarkt, also für die teilnehmenden Banken, die uns gemeldet haben, kommen wir auf einen Kapitalanstieg von 3,3 Prozent und der wird im Wesentlichen Richtung 2029 mit dem dann weiter schrittweise eingeführten Output-Floor kommen. Das sind also bei weitem nicht die Größenordnungen, die mancher in einer öffentlichen Diskussion an die Wand gemalt hat.
Frage:
Eine Frage zum Zinsüberschuss beziehungsweise zur Prognose für das Zinsergebnis, was offensichtlich der Zinsüberschuss ist. Sie schreiben im Finanzstabilitätsbericht, dass der nochmal steigen beziehungsweise zumindest gut gehalten werden sollte von den drei Säulen. Jetzt hätte man denken können, wenn die Kreditvergabe stagniert und die Zinsen fallen, sollte der Zinsüberschuss fallen. Was sind da die Faktoren? Liegt das daran, dass die Banken ihre Kunden weiter knapp halten mit dem Einlagezins?
Gibt es eine Prognose, wie der Zinsüberschuss 2024 von den deutschen Banken im absoluten Volumen ausfallen dürfte? Letztes Jahr hatten Sie das für 2024 prognostiziert.
Und gibt es einen neuen Stand zu kreditnehmerbasierten Instrumenten im makroprudenziellen Zusammenhang wie die Schuldendienst-Einkommens-Relation? Die Bundesbank hatte im letzten Jahr gefordert, dass sie das bräuchte.
Michael Theurer:
Die letzte Frage haben wir bereits adressiert. Der Ausschuss für Finanzstabilität hat im Jahr 2015 schon kreditnehmerbasierte Instrumente wie die Debt Service to Income Ratio vorgeschlagen. Der Gesetzgeber ist dem damals allerdings nicht gefolgt. Was jetzt gemacht wurde, ist eine Anpassung der Statistik. Wir halten nach wie vor andere Indikatoren für sinnvoll, können aber generell sagen, dass aus unserer Sicht die Risiken im Bereich der Wohnimmobilien auch durch die Aktivierung des sektoralen systemischen Risikopuffers beherrschbar sind.
Die andere Frage richtete sich auf das Zinsergebnis. Nach den Daten, die wir bekommen, gehen wir davon aus, dass das Zinsergebnis im Jahr 2024 weiterhin hoch bleiben wird. Allerdings könnte es in den nächsten Jahren sinken. Ich habe im Finanzstabilitätsbericht eine ganze Reihe von Dingen erwähnt, die eine Rolle spielen. Wir haben zum Beispiel höhere Wertberichtigungen im Hinblick auf das Kreditrisiko. Wir haben auch Vorsorge bei den Wertpapieren, wo stille Lasten berücksichtigt werden. Gleichzeitig sind die Zinsen zurückgegangen; wie sie sich weiterentwickeln, bleibt faktenbasiert abhängig von den Entscheidungen des EZB-Rats. Wir gehen nach wie vor davon aus, dass es einen Zinsüberschuss gibt, aber eine Zahl kann ich derzeit nicht nennen.
Frage:
Ich habe eine Frage zum Thema digitaler Euro. Im Finanzstabilitätsbericht wurde die Auswirkung einer Einführung auf Liquidität und Finanzierungskosten für Banken untersucht. Meines Erachtens ist ein ganz anderer Aspekt spannend, weil auf dem Zahlungsverkehrssymposium der Bundesbank der eine oder andere Teilnehmer darauf hingewiesen hat, dass eine Einführung über drei, vier Jahre hinweg wesentliche Kapazitäten der IT binden würde, was dann am Ende bei der Innovationskraft fehlt. Wie Sie selbst sagen, bringt die zunehmende Digitalisierung auch zunehmende Cyberrisiken mit sich. Wenn IT-Kapazitäten mehrere Jahre gebunden sind, stellt sich mir die Frage, ob Sie potenziell eine negative Auswirkung auf die Finanzstabilität sehen? Hat die Bundesbank dieses Risiko schon im Blick?
Die zweite Frage betrifft die allgemeinen Vorsorgen, die die Banken treffen sollen, also nicht die kreditspezifischen. Herr Theurer, Sie haben gesagt, die Banken sollen geopolitische Szenarien aufnehmen. Sie haben den Blick auf die aggregierten Zahlen. Sind die Banken angemessen aufgestellt für die fragile und komplexe Gesamtlage, die wir im Moment haben?
Michael Theurer:
Die Entscheidung über die Einführung eines digitalen Euros ist eine Entscheidung, die auf EZB-Ebene getroffen wird. Getroffen wurde am 18. Oktober 2023 die Entscheidung über die erste Vorbereitungsphase und die zweite Phase erfolgt erst nach einem EZBR-Beschluss im Oktober 2025. Die Vorbereitungsphase beinhaltet weitere Experimente zur technischen Umsetzung, die Auswahl der Service-Provider sowie die Veröffentlichung eines Scheme-Rulebooks.
Die Fragen, die Sie angesprochen haben, nämlich die Fragen der Cybersicherheit und die Fragen der Kapazität sind tatsächlich zentrale Fragen. Es ist ein Bestreben der Bundesbank als Teil des europäischen Systems der Zentralbanken des Eurosystems, einen Schwerpunkt darauf zu legen, dass es eine sichere Einführung des digitalen Euro gibt.
Dafür müssen Kapazitäten bereitgestellt werden. Ich finde es richtig, dass sich die Bundesbank daran, wie vom Vorstand beschlossen, aktiv beteiligt. Da das ein Projekt der EZB ist, wären wir nach dem Kostenschlüssel an den Kosten beteiligt, und insofern ist es auch richtig, wenn wir uns mit unseren Kapazitäten einbringen. Zum einen, weil wir davon überzeugt sind, dass die Bundesbank dafür Expertise hat und zum anderen, weil wir davon ausgehen, dass wir uns dann die neu zu erarbeitende Expertise zunutze machen können.
Generell gehen wir davon aus, dass die von Ihnen angesprochenen Cyber-Risiken beherrscht werden können, aber es wird natürlich erhebliche Anstrengungen erfordern. Davon kann man ausgehen. Allerdings sind die Zeitpläne ambitioniert, aber aus unserer Sicht realistisch. Unabhängig davon muss natürlich der legislative Prozess erst noch abgeschlossen werden, damit Klarheit besteht, in welcher Form der digitale Euro dann in Europa eingeführt werden kann.
Zur zweiten Frage: Bei den geopolitischen Risiken haben wir zum einen die schwelenden oder offen zu Tage tretenden Konflikte, den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die Situation im Nahen und Mittleren Osten, um nur mal zwei zu nennen. Wir haben natürlich politische Risiken, wobei wir unter politischen Risiken nicht verfassungsmäßige Regierungswechsel und Wahlen subsumieren, denn da sind die Verfassungen entsprechend resilient aufgestellt. Das ist das Normalste von der Welt.
Wenn allerdings neue Regierungen systemverändernde Maßnahmen ergreifen, insbesondere unilaterale Maßnahmen ergreifen, dann kann das natürlich zu Auswirkungen führen in einer arbeitsteiligen, vernetzten Welt, insbesondere für eine stark exportabhängige Volkswirtschaft wie die Bundesrepublik Deutschland. Deshalb haben wir auch in diesem Finanzstabilitätsbericht den klaren Appell an alle Beteiligten gerichtet, eben auch die Banken, bei ihren entsprechenden Risikosimulationen geopolitische Risiken mit einzubeziehen. Und wir haben bei der makroprudenziellen Simulation in einem Top-Down-Verfahren einige dieser Szenarien eingespielt. Wir haben aber — mit einem anderen Fokus —auch mikroprudenziell mit dem LSI-Stress-Test auf der Grundlage des Szenarios der EZB Risiken eingespielt und wir können cum grano salis sagen, dass wir davon ausgehen, dass der deutsche Finanzsektor und auch die kleinen und mittleren Banken mit solchen Schocks umgehen können, dass sie stabil und resilient sind.
Um Ihre Frage ganz klar zu beantworten: Wir appellieren an die Entscheidungsträger in den Banken, sich auf geopolitische Risiken einzustellen, also genau zu beobachten, was sich da entwickelt, um dies dann in ihren Geschäftspolitiken entsprechend zu berücksichtigen.
Frage:
Kann ich dann im Umkehrschluss daraus schließen, dass sie eben noch nicht in ausreichendem Maß ausgestattet sind in der allgemeinen Risikoversorge?
Michael Theurer:
Da es sich um viele hunderte, um nicht zu sagen tausende Akteure handelt, weil es ja in der Finanzstabilität nicht nur um Banken geht, ist ein genereller Appell notwendig und auch richtig. Die Verantwortung liegt in einer Marktwirtschaft zunächst einmal bei den Akteuren selbst. Gleichzeitig sprechen wir bei den geopolitischen Risiken zum Teil auch über Dinge, die sich nur in der Diskussion befinden, die also noch nicht substanziiert oder materialisiert sind. Insofern kann man hier nur einen Grundsatz in Erinnerung rufen, der schon im Handelsgesetzbuch steht, das ist die kaufmännische Vorsicht.