Ansprache von Jens Weidmann anlässlich der Gedenkfeier für Karl Otto Pöhl
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Begrüßung
Sehr verehrte Frau Dr. Pöhl,
liebe Familie von Karl Otto Pöhl,
liebe Freunde und Wegbegleiter Karl Otto Pöhls,
wir sind heute zusammengekommen, um auch in der Bundesbank Karl Otto Pöhls zu gedenken. Ich danke Ihnen, liebe Frau Dr. Pöhl, liebe Familie Pöhl herzlich für Ihr Kommen. Es hilft, beim Abschiednehmen zusammenzurücken, gemeinsam zurückzudenken, Erinnerungen auszutauschen.
Und Sie geben mir Gelegenheit, Ihnen meine aufrichtige Anteilnahme am Tod Ihres Mannes und Vaters persönlich und stellvertretend für die gesamte Bundesbank auszusprechen. Vielleicht ist es für Sie zumindest ein gewisser Trost, zu sehen, wie vielen das gemeinsame Gedenken an Ihren Ehemann und Vater wichtig ist, –
denen, die mit ihm eine Wegesstrecke gemeinsam gegangen sind,
denen, die mit ihm persönlich verbunden waren, und
denen, die Karl Otto Pöhl mit seinem Scharfsinn, seiner Urteilskraft und seinem Humor für sich einnehmen konnte.
Für jeden von uns ist Karl Otto Pöhls Tod auf eine ganz eigene Art schmerzlich. Für die engsten Angehörigen reißt er eine Lücke, die kaum zu ertragen ist. Aber auch denjenigen, die Karl Otto Pöhl in den letzten Jahren nur gelegentlich begegnet sind oder die sein Tun sogar nur aus der Entfernung verfolgten, wird die mit seinem Tod entstandene Leerstelle immer wieder zu Bewusstsein kommen.
Immanuel Kant hat einmal gesagt: "Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird.
" Vergessen wird Karl Otto Pöhl nicht. Bei seinen Nächsten wird er ohnehin fortleben. Aber auch im Gedächtnis der Bundesbank wird er weiterleben – denn er hat in seinem Leben Großes bewirkt. Dies gibt uns Grund, dankbar zu sein und ihm ein ehrendes Andenken der Bundesbank zu bewahren.
2 Vermächtnis Karl Otto Pöhls
2.1 Herausforderungen der ersten Jahre im Amt
Karl Otto Pöhl hat die deutsche und die europäische Geschichte mit seiner ganz eigenen Handschrift geprägt. Der Spiegel stellte bei ihm schon 1979 eine "seltene Kombination von Fähigkeiten" fest: Er verstehe es, "zugleich politisch wie ökonomisch zu denken und zu argumentieren
". Dies tat er während den elfeinhalb Jahren an der Spitze der Deutschen Bundesbank häufig – zum Wohle des Landes und zum Wohle der Bundesbank.
Als Karl Otto Pöhl 1980 Präsident der Deutschen Bundesbank wurde, befand sich die Bundesrepublik in einer schwierigen Zeit. Die deutsche Leistungsbilanz wies 1979 zum ersten Mal seit 1965 ein Minus auf. Im Folgejahr sollte es sich sogar verdreifachen. Die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte ließen das internationale Vertrauen in die D-Mark schwinden. Die D-Mark wertete 1980 gegenüber dem Dollar um 13 %, gegenüber den Währungen der 23 wichtigsten Handelswährungen Deutschlands um 4 % ab. Die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik trübte sich weiter ein. Die Preise stiegen im Zuge eines weltweiten Inflationssogs immer schneller. Geldpolitisches Eingreifen war nötig, um das Stabilitätsziel nicht zu gefährden.
Die konjunkturellen Risiken einer strafferen Geldpolitik waren Karl Otto Pöhl durchaus bewusst. Doch er gab folgendes zu bedenken: "Was würde es uns helfen, wenn wir wegen dieser Risiken auf eine konsequente Stabilitätspolitik verzichten würden? Je früher und je glaubwürdiger Ernst gemacht wird mit der Stabilitätspolitik, umso geringer sind ihre Kosten."
2.2 Vorbild für die Europäische Zentralbank
2.2.1 Unabhängigkeit der Notenbanken als Erfolgsmodell
Doch es waren nicht nur schwierige Zeiten für Deutschland. Die 70er und 80er Jahre stellten die Notenbanken weltweit vor große geldpolitische Herausforderungen:
der Zusammenbruch des Festkurssystems von Bretton Woods,
die fortschreitende Integration der internationalen Finanzmärkte und die damit einhergehenden anwachsenden Kapitalströme und Wechselkursschwankungen,
und natürlich zwei Ölpreisschocks, die die weltwirtschaftliche Entwicklung dämpften und die Preise stark steigen ließen.
Dank einer konsequenten Stabilitätspolitik bewältigte Deutschland als einziges OECD-Land diese Herausforderungen, ohne zweistellige Inflationsraten hinnehmen zu müssen – und wohlgemerkt, ohne beim Wirtschaftswachstum hinter andere Länder zurückzufallen. "Geldwertstabilität ist keine Alternative zu wirtschaftlichem Wachstum, sondern eine ihrer wesentlichen Voraussetzungen."
Karl Otto Pöhls Überzeugung hatte sich als richtig erwiesen.
Zwar fand die konsequente Stabilitätsorientierung im In- und Ausland nicht nur Zustimmung – mochten die Kritiker nun in Washington, Paris oder Bonn sitzen. Doch der Erfolg der deutschen Geldpolitik ist vermutlich auch ein Grund dafür, dass andere Notenbanken dem Beispiel der Bundesbank folgten und Anstrengungen unternahmen, wieder Preisstabilität zu gewährleisten. Allen voran die amerikanische Federal Reserve.
Damit führte der Erfolg auch dazu, dass die Wissenschaft zunehmend Interesse an der Frage zeigte, inwieweit die Unabhängigkeit der Notenbank hilft, die Stabilität des Geldwertes zu sichern. Eine Vielzahl empirischer Untersuchungen belegt mittlerweile den Erfolg unabhängiger, der Preisstabilität verpflichteter Notenbanken.
Um zu verstehen, welch bedeutende Entwicklung dies war, muss man sich vor Augen führen, dass eine unabhängige Notenbank in den 70er und 80er Jahren eine Seltenheit war. Heute besteht unter den Ökonomen weitgehend Konsens über die Notwendigkeit unabhängiger Notenbanken – fraglos ein unschätzbarer Verdienst auch Karl Otto Pöhls.
2.2.2 Die Delors-Kommission
Der Stabilitätserfolg der Bundesbank war der Grund, die Europäische Zentralbank nach deren Prinzipien aufzubauen. Es ist kein Geheimnis, dass Karl Otto Pöhl der Idee einer europäischen Währungsunion eher skeptisch gegenüber stand. Als der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher 1988 sein Papier zur Schaffung einer Währungsunion vorlegte, überraschte er damit auch die Bundesbank. Noch im Sommer des gleichen Jahres beschloss der Europäische Rat eine Sachverständigengruppe einzusetzen, die Vorschläge für einen stufenweisen Übergang zu einer Wirtschafts- und Währungsunion erarbeiten sollte.
Als Karl Otto Pöhl von seiner Nominierung für die Delors-Kommission hörte, war sein erster Reflex, diese abzulehnen. Es widerstrebte ihm, an Vorschlägen zur Abschaffung der D-Mark und der geldpolitischen Befugnisse der Bundesbank mitzuarbeiten. Gleichzeitig wollte er aber die Gestaltung dieses historischen Projekts nicht alleine anderen überlassen. Die Börsenzeitung beschrieb dies seinerzeit als eine "Aufgabe unerhörter geldpolitischer und moralischer Dimension".
In der ersten Sitzung machte Delors deutlich, dass es bei der Arbeit der Kommission nicht mehr um die Frage des "ob", sondern lediglich um das "wie" einer gemeinsamen Geldpolitik gehe[1]. Und Margaret Thatcher, die – wie Karl Otto Pöhl selbst – der Idee einer Währungsunion kritisch gegenüber stand, setzte großes Vertrauen in ihn. Dem britischen Vertreter im Delors-Komitee, Leigh-Pemberton, gab sie folgenden Ratschlag mit auf den Weg: "I have confidence in Karl Otto Pöhl. If he is proposing something, you can accept it."
Leitmotiv seiner Arbeit in der Delors-Kommission war nach eigener Aussage der "Grundgedanke, dass eine Währungsunion für ihr Funktionieren eine unabhängige, der Preisstabilität verpflichtete und entscheidungsfähige Zentralbank benötigt".
Und davon konnte er am Ende auch die anderen Mitglieder überzeugen. Dies galt nicht nur für die zu errichtende Europäische Zentralbank, sondern auch für jede einzelne nationale Zentralbank.
Karl Otto Pöhl verhinderte in der Kommission auch Frankreichs Versuch, für die Übergangsphase zu einer gemeinsamen Währung einen Europäischen Reservefonds durchzusetzen, also einen Interventionspool gegen Währungsschwankungen. Seine Befürchtung war, dass hierdurch der Anpassungsdruck auf die Schuldnerländer geschwächt würde, "ihr Haus in Ordnung zu bringen …".
Die Haltung der Bundesbank wurde im Ausland nicht verstanden und viel kritisiert. Man warf Karl Otto Pöhl vor, die Last der Anpassung im Europäischen Währungssystem einseitig den Schuldnerländern aufzuerlegen. Karl Otto Pöhl sah darin jedoch gerade den "Hauptgrund für den zeitweisen Erfolg des
EWS und den Fortschritt an Stabilität und Konvergenz, der in den achtziger Jahren währungspolitisch erreicht wurde".
Jetzt – mehr als ein Vierteljahrhundert später – befinden wir uns mitten in einer europäischen Schuldenkrise. Und an den Argumenten auf beiden Seiten hat sich wenig geändert. Damals wie heute muss es aus Sicht der Bundesbank vor allem darum gehen, das Prinzip der Eigenverantwortung durchzusetzen. Denn nur derjenige trifft verantwortungsvolle Entscheidungen, der auch für die Folgen seiner Handlungen einstehen muss.
Mit der Unabhängigkeit und der klaren Ausrichtung am Ziel der Preisstabilität haben die Gründerväter des Euro die Grundlagen für eine stabilitätsorientierte europäische Geldpolitik gelegt.
Der Delors-Bericht selbst zeigte jedoch nur die groben Linien einer Währungsunion auf und blieb in weiten Teilen sehr vage. Unter Vorsitz Karl Otto Pöhls verfeinerten die Notenbankchefs diese Vorschläge und entwarfen die Blaupause für das Europäische System der Zentralbanken, wie wir es heute kennen – das Statut der Europäischen Zentralbank. Er selbst bezeichnete dies in einem Interview anlässlich seines bevorstehenden 75. Geburtstags einmal als seine wichtigste persönliche Leistung.
2.3 Die deutsch-deutsche Währungsunion
Am 1. Juli 1990 begann die erste Stufe der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Ein bedeutendes Datum nicht nur für die europäische Integration. Denn am selben Tag vollzog sich in Deutschland auch die deutsch-deutsche Währungsunion. Und ähnlich dem großen europäischen Integrationsprozess vollzog sich auch in Deutschland die Währungsunion auf politisches Drängen.
Karl Otto Pöhl hatte vor einer überstürzten Währungsunion gewarnt und zunächst eine gewisse wirtschaftliche Konvergenz angemahnt, um die Preisstabilität nicht zu gefährden. Er wusste, dass bei einer zu schnellen Währungsunion die ostdeutschen Unternehmen aufgrund ihrer geringeren Produktivität dem direkten Konkurrenzkampf mit den westdeutschen Unternehmen nicht gewachsen sein würden. Rückblickend sagte er, dass es wohl kaum eine Alternative gegeben habe: "Insofern war die politische Realität damals stärker als die ökonomische Logik".
Das traf letztlich wohl auch auf die umstrittene Frage der Festlegung des Umtauschkurses zu. Er betonte jedoch, dass die Bundesbank trotz mancher Bedenken in der Sache die politische Entscheidung der Bundesregierung zur Einführung der D-Mark in der damaligen DDR von Anfang an loyal unterstützt habe.
In einer bewegenden persönlichen Erklärung kündigte er am 16. Mai 1991 an, aus persönlichen Gründen sein Amt niederlegen zu wollen. Diesen Schritt vollzog er dann am 31. Juli. Das Ausscheiden solle nicht "als Demonstration oder als Zeichen der Resignation"
gedeutet werden, so Karl Otto Pöhl, sondern sei Teil seiner längerfristigen Lebensplanung.
3 Abschied
In dem Spannungsfeld zwischen politischen Erfordernissen und ökonomischer Vernunft ist sein unermüdlicher Einsatz für die Stabilitätsorientierung der Bank ein ungeheurer Verdienst.
Mit Karl Otto Pöhl haben die Bundesbank und die Bundesrepublik Deutschland eine der großen Persönlichkeiten verloren, die die D-Mark zum Stabilitätsanker in Europa und die Bundesbank zum Vorbild für die Europäische Zentralbank gemacht haben.
Wir trauern um einen herausragenden Notenbanker und Bundesbankpräsidenten.
Wir trauern um einen großen Wegbereiter der Europäischen Währungsunion.
Wir trauern um einen tiefgründigen und gleichzeitig humorvollen Menschen.
Karl Otto Pöhl war auch eine Persönlichkeit, die für Werte einstand, die für uns wichtig sind: für Toleranz und Weltoffenheit, für die Freiheit der Gedanken und für die Freiheit, Gedanken zu publizieren, auch und gerade kritische Gedanken. Sein Vermächtnis ist es auch, dass wir uns unmissverständlich für die Freiheit der Presse einsetzen und uns gegen jede Form der Intoleranz und der Gewalt wenden.
Die Menschen, die am Sonntag auf den Straßen von Paris ein so eindrucksvolles Zeichen gesetzt haben, zeigen uns, dass die Werte, die auch Karl Otto Pöhl geleitet haben, lebendig sind und weiterleben. Deswegen sollten wir heute auch in Verbundenheit mit unseren französischen Freunden der Opfer der grausamen Anschläge in Paris gedenken.
Vielen Dank.
Fussnote
[1] "We are a team, we do teamwork to serve our Masters and that is all".