Ansprache von Michael Stürmer anlässlich der Gedenkfeier für Karl Otto Pöhl

Es gilt das gesprochene Wort.

Herr Präsident,

liebe und verehrte Frau Pöhl,

meine Damen und Herren,

es ist eine große Ehre und eine Herausforderung, über einen Mann zu sprechen, der schon zu seiner Zeit Geschichte gemacht hat und der uns eine Tradition hinterlassen hat, mit der das vereinte Europa steht oder fällt. Das Scheitern ist nicht undenkbar und das beste an Stabilität verdanken wir der Bundesbank und den Menschen, die für die Bundesbank standen und stehen.

Karl Otto Pöhl hat Maßstäbe gesetzt, die weit in die Zukunft hineinwirken. In eine offene Zukunft – offener vielleicht, als wir es uns wünschen möchten. Er hat ganz wesentlich die Institutionen geprägt. Er hat die Tradition der Bundesbank europäisiert, gegen Widerstände. Von ihm kann man wahrhaftig sagen: De re publica bene meritus.

Karl Otto Pöhl war Präsident der Deutschen Bundesbank in wahrhaftig turbulenten Jahren, eine Legende schon zu seiner Zeit. Der Abschied vom Bretton Woods System und damit die Trennung des Dollar vom Gold hatte die Finanzmärkte in unkontrollierbare Schwankungen versetzt. Der erste und bald darauf der zweite Exzess des Ölpreises bedrohten inneres und äußeres Gleichgewicht der industriellen Demokratien. Das Europäische Währungssystem konnte Reibungen zwischen Paris und Bonn eine Weile mildern, aber nicht überwinden. Der Fall der Mauer versprach eine neue Weltordnung made in the US und erzwang pari passu die Suche nach neuem Gleichgewicht in Europa.

In alldem spielte die Bundesbank eine stabilisierende, beruhigende, ausgleichende Rolle im Hintergrund. Pöhl wurde Inbegriff des deutschen und mehr und mehr auch des europäischen Währungsvertrauens. Die Angelsachsen schätzten an ihm fachliche Kompetenz, die Gabe gewinnender Kommunikation und, nicht zuletzt, einen starken sense of humor. Mit Paul Volcker an der Spitze der Federal Reserve in Washington teilte er vielerlei Wahlverwandtschaft.

Auf seltene Weise verband Karl Otto Pöhl Gelassenheit in Krisenzeiten mit fester Führung und, wenn nötig, deutlicher Aussprache. Man sagte von ihm, auf City-Englisch: "he doesn’t suffer fools gladly". Das bekannte Bonmot von Jacques Delors, damals Präsident der Europäischen Kommission, verrät aus der Gegensicht die Achtung, die Pöhl und die Bundesbank gewannen: "Nicht alle Deutschen glauben an Gott. Aber alle glauben an die Bundesbank."  

Das Haus, das Pöhl steuerte, wurde in Paris, als es ernst wurde mit der Wirtschafts- und Währungsunion, halb achtungsvoll, halb schreckensvoll, "le monstre de Francfort" genannt. Pöhl aber ließ sich nicht beeindrucken. Er insistierte auf der Grundwahrheit, dass die Währung, da der materielle Tauschwert des Geldes gegen Null geht, auf nichts so sehr gründet wie auf Vertragstreue der Staaten und Vertrauen der Bürger. Nach zwei wahrhaft katastrophalen Inflationen in einer Generation gehört das in Deutschland mehr als anderswo zu den Lehren der Geschichte. Die Katastrophe des Geldes war beides gewesen, Teil und Mittel der Katastrophe der Politik. Das vergisst sich nicht leicht für einen vom Jahrgang 1929, dem Jahr der Großen Depression, da die zweite Höllenfahrt der Deutschen begann.  

Pöhl war, viele Jahrzehnte später, der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Er wusste aber auch diesen Platz aufzugeben, als die Politik Wege wählte, welche die Deutsche Bundesbank und ganz besonders Karl Otto Pöhl für unklug hielten. Es ging damals um Schicksalsfragen der Nation, die unvermindert Gegenwart und Zukunft bestimmen: Die gemeinsame Währung zuerst die der Deutschen und dann die der Europäer. Beide Seiten, der deutsche Bundeskanzler und der Chef der Deutschen Bundesbank, hatten gute Gründe – aber es waren nicht dieselben. Ein Konflikt tragischer Natur entstand, wo aus je eigenen guten Gründen keiner nachgeben konnte. Dieser Zwiespalt musste nach Lage der Dinge mit dem Rücktritt des Mannes enden, dem das Vertrauen der Bürger in gutes Geld nicht negotiabel war. Elf Jahre lang hatte er die Bundesbank dirigiert, die seit der Entkoppelung des Dollars vom Gold – infolge Vietnam – zur Weltklasse im anhaltenden globalen Krisenmanagement aufgestiegen war.

Hatte Pöhl nicht geraten, der Umtausch in der Größenordnung 1 zu 2 zu 1 würde die Reste der DDR-Wirtschaft ruinieren? Hatte er nicht gewarnt, als Frankreich unter Präsident Mitterrand schon vor, aber noch mehr nach dem Mauerfall ein neues europäisches Gleichgewicht einforderte und Kanzler Kohl um des Friedens willen nachgab und die Maastrichter Verträge über Wirtschafts- und Währungsunion unterschrieben wurden, mit Deutschland unausweichlich – de Gaulle hätte gesagt: "par la force des choses" - in der tragenden Rolle, die den Deutschen doch unheimlich bleibt? Pöhl wusste, dass auf die Dauer nicht politisches Fiat eine gemeinsame Währung zwischen ungemeinsamen Lebensformen sichert, sondern nur ein hohes Maß an Konvergenz: Sozial, wirtschaftlich, kulturell, in Staatsaufbau und Staatsgesinnung – mit einem Wort prägende Geschichte. Mit Griechenland, wovor Pöhl zeitig warnte, ging es gar nicht, mit Frankreich ging es besser, aber zunehmend und vorhersehbar schwierig – wie lange aber, vermag hier und heute niemand zu sagen. Einmal im Privatleben, hielt Pöhl sich mit öffentlichen Kommentaren zurück, aber er machte kein Geheimnis aus seiner Skepsis und gleichzeitig seiner Loyalität gegenüber den Ratschlüssen der Politik wie gegenüber dem Interessenkalkül der Wirtschaft. 

Der Präsident der Deutschen Bundesbank muss sich hüten, gegenüber der Politik Dankbarkeit zu zeigen. Das ist die Erfahrung der glücklichen deutschen Jahrzehnte seit Gründung der Bundesrepublik. Seine Loyalität muss dem Land gelten, nicht der Instanz, die ihn einsetzte. So hat Karl Otto Pöhl sich selbst und seine öffentliche Persona gesehen. Der Präsident der Bundesbank ist, wie die ganze Institution, Vertrauensverwalter der Bürger. Dazu gehört, dass bis heute die Deutsche Bundesbank einen weit besseren Stand in der öffentlichen Vertrauensbilanz hat als die EZB und die gewählten Institutionen, eingeschlossen Bundestag und Bundesregierung.

Pöhl sah sich, wie das Gesetz es befahl, als Treuhänder der Nation. Gedruckte Erinnerungen hat er nicht hinterlassen, auch nicht unerbetene Handlungsanweisungen für Nachfolger. Wohl aber verpflichtende Werte und Maßstäbe des Handelns. Denn er wusste mehr als andere – mit Joseph Schumpeter zu sprechen – "Vom Wesen des Geldes" – und so soll der Klassiker hier zitiert sein anstelle eines Epilogs. Schumpeter hat geschrieben: "Das oft leidenschaftliche, stets große Interesse, das den praktischen Fragen des Geldwesens und des Geldwerts gilt, erklärt sich ja nur daraus, dass sich im Geldwesen eines Volkes alles spiegelt, was dieses Volk will, tut erleidet, ist, und dass zugleich vom Geldwesen eines Volkes ein wesentlicher Einfluss auf sein Wirtschaften und sein Schicksal überhaupt ausgeht. Der Zustand des Geldwesens eines Volkes ist ein Symptom aller seiner Zustände... Nichts sagt so deutlich, aus welchem Holz ein Volk geschnitzt ist wie das, was es währungspolitisch tut".

In Zeiten globaler Umbrüche hat Karl Otto Pöhl sich eingeschrieben in das Buch der deutschen Geschichte: Ausnahmegestalt von Weisheit und Charakter, kannte Pöhl, wie kein zweiter, die Tragik der Niederlage und den Glanz des Erfolges. Bankier der Republik – so werden wir ihn im Gedächtnis halten und sind dankbar dafür, dass es ihn gegeben hat.