Joachim Nagel ©Gaby Gerster

Zwölf wirtschaftspolitische Punkte für mehr Wachstum in Deutschland

Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Eine kluge, konsistente und verlässliche Wirtschaftspolitik könne die Rahmenbedingungen setzen und die Aufbruchsstimmung erzeugen, die wir jetzt brauchen, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel. In seiner Rede bei der Berlin School of Economics stellte Nagel zwölf aus seiner Sicht zentrale Punkte für mehr Wirtschaftswachstum in Deutschland vor. Je vier Punkte zielen auf ein höheres Arbeitsangebot, den nötigen Umbau hin zur Klimaneutralität und auf mehr Dynamik im Unternehmenssektor. 

Maßnahmen für ein höheres Arbeitsangebot

Durch den demografischen Wandel mangelt es in Deutschland mehr und mehr an Arbeitskräften, sagte Nagel. Das schmälert unser Wachstumspotenzial. Um den Wohlstand hierzulande zu sichern, benötige Deutschland mehr Menschen, die arbeiten, sowie mehr Teilzeitkräfte, die länger arbeiten.

Nagel zufolge wünschen sich Teilzeitkräfte oft eine längere Wochenarbeitszeit. Dies sei häufig aber zum Beispiel wegen mangelnder Kinderbetreuungsplätze nicht möglich – insbesondere für Frauen. Mit besseren Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und Pflegebedürftige kann daher der Weg gebahnt werden, um die Arbeitszeit von Teilzeitkräften zu erhöhen.

Darüber hinaus müsse Deutschland die arbeitsmarktorientierte Migration fördern. Zwar sei das nationale Einwanderungsrecht für qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten vergleichsweise liberal. Die bürokratischen Hürden könnten Zuwanderinnen und Zuwanderer jedoch nur schwer meistern. So müssten laut Bundesbankpräsident etwa Visavergaben schneller gehen. Berufliche Anerkennungsverfahren für die Antragstellenden müssten einfacher und kostengünstiger sein. Ideal wäre eine gemeinsame Ansprechstelle für qualifizierte Einwanderungswillige inklusive deren Familien, die bei den bürokratischen Herausforderungen unterstützt.

Zusätzlich schlug Nagel vor, Arbeitsanreize für die Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld zu verbessern, um sie stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. 

Mit Blick auf das Thema Rente plädierte der Bundesbankpräsident dafür, Erwerbsanreize für Ältere zu verstärken. Dazu gehöre, den vorgezogenen Rentenzugang weniger attraktiv zu machen. Die Bundesbank spricht sich zudem schon länger dafür aus, das Rentenalter nach 2031 an die Lebenserwartung zu knüpfen. Ein so an die steigende Lebenserwartung gekoppeltes Rentenalter würde nicht nur die Arbeitskräfteknappheit mildern und das Wirtschaftswachstum stützen. Es würde auch den Finanzierungsdruck bei der Rentenversicherung dämpfen, so Nagel.

Bausteine für einen klima- und wirtschaftsfreundlichen Energiesektor

Damit die Energiewende möglichst effizient gelingt, benötigt es dem Bundesbankpräsidenten zufolge einen möglichst einheitlichen CO2-Preis. Denn nur durch einen einheitlichen CO2-Preis ist sichergestellt, dass Einsparungen dort erfolgen, wo sie am kostengünstigsten sind. Aktuell unterscheidet sich der CO2-Preis nach Sektoren.

Das Fundament einer erfolgreichen Energiewende sei laut Nagel ein verlässlicher und konsistenter Rahmen. Die Politik muss klar darstellen, wie erneuerbare Energien aus dem Inland und Energieimporte in Zukunft zusammenwirken sollen, so der Bundesbankpräsident. Wichtiger Bestandteil dieses Zusammenspiels sei ein Plan für den Ausbau der Energie-Infrastruktur, der mit geeigneten Anreizen zu unterlegen ist. Gleichzeitig sollten ökonomische Anreize geschaffen werden, Stromangebot und Stromnachfrage innerhalb Deutschlands besser in Einklang zu bringen.

Klimaschädliche Subventionen sollten aus Sicht von Nagel abgeschafft werden: Denn sie wirken den ökonomischen Anreizen der CO2-Bepreisung entgegen, indem sie den Verbrauch fossiler Energieträger begünstigen, und binden gleichzeitig knappe finanzielle Mittel.

Außerdem sprach sich der Bundesbankpräsident dafür aus, europäische Energiemärkte stärker zu integrieren. Dies würde dazu beitragen, Angebot und Nachfrage über europäische Grenzen hinweg besser auszugleichen. Außerdem würde dies die Zahl der nötigen Reservekraftwerke reduzieren. 

Mehr Unternehmensdynamik für längerfristiges Wachstum

Um die deutsche Wirtschaft längerfristig wieder auf einen steileren Wachstumspfad zu bringen, sei Nagel zufolge mehr Unternehmensdynamik nötig. Dazu müsse man hierzulande Bürokratie abbauen. Zum einen sollten laut Bundesbankpräsident bestehende Regeln regelmäßig daraufhin geprüft werden, ob sie ihr Ziel effizient erreichen oder ob es bessere Instrumente gibt. Das betrifft Nagel zufolge zum Beispiel eine Vielzahl an Dokumentations-, Berichts- und Meldepflichten. Um den Erfüllungsaufwand zu begrenzen, sollten zudem EU-Vorgaben zum anderen möglichst schlank und bürokratiearm umgesetzt werden.

Für mehr Unternehmensdynamik müsste Deutschland zweitens Unternehmensgründungen erleichtern und die Innovationskraft stärken. Der Bundesbankpräsident plädierte in dem Zusammenhang für eine zentrale Anlaufstelle für Gründerinnen und Gründer, die alle typischen Angelegenheiten einer Gründung abdeckt. Gerade innovativen Start-ups sollten wir keine unnötigen Steine in den Weg legen, sondern den roten Teppich ausrollen, sagte er. 

Dem Bundesbankpräsidenten zufolge müssten Unternehmen steuerlich entlastet werden. Damit sich zum Beispiel international tätige Unternehmen verstärkt in Deutschland ansiedeln, schlug Nagel vor, den tariflichen Körperschaftssteuersatz zu senken. Diese Maßnahme hätte allerdings auch hohe Steuerausfälle zur Folge. Vor- und Nachteile seien also genau abzuwägen.

Verwaltungsprozesse sollten insgesamt vereinfacht werden, zum Beispiel durch Digitalisierung, Automatisierung und Standardisierungen. Zum anderen könnten Vorgaben für die maximale Dauer bis zu einer Entscheidung zu mehr Planbarkeit für den Antragsteller führen, so Nagel. 

Nagel begrüßte, dass in den Sondierungsergebnissen wichtige Herausforderungen in einigen wesentlichen Bereichen angegangen werden sollen. Letztlich sei entscheidend, wie diese konkret umgesetzt werden. Dabei sei darauf zu achten, dass neue Verschuldungsspielräume auch nur neuen, zusätzlichen Investitionen zugutekommen, so der Bundesbankpräsident. 

Deutschland hat große Stärken: stabile politische Institutionen, finanziell solide aufgestellte Unternehmen, die veränderungsbereit und innovationsfähig sind und vor allem gut ausgebildete, kluge und tüchtige Menschen, die anpacken wollen. Um unser Land wieder voranzubringen.

Spätestens jetzt dürfte auch dem Letzten klargeworden sein, dass Europa stärker zusammenrücken müsse – auch wirtschaftlich. Europa kam immer dann entscheidend voran, wenn Deutschland und Frankreich am selben Strang zogen, sagte Nagel. Er plädierte daher dafür, gemeinsam mit Frankreich und den anderen Partnern in Europa die wirtschaftlichen Herausforderungen anzugehen.