Weidmann: Klares Ende der Nettokäufe wäre angezeigt gewesen

Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat bei einer Rede in Paris Stellung zu den jüngstengeldpolitischen Beschlüssen des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) bezogen. Dieser hatte am 26. Oktober entschieden, die Anleihenkäufe des Eurosystems ab Januar 2018 auf monatlich 30 Milliarden Euro zu halbieren. Das Ankaufprogramm soll in diesem Rahmen vorläufig bis mindestens September 2018 fortgeführt werden. Zugleich entschied sich der Rat gegen ein Signal für ein endgültiges Auslaufen der Ankäufe. "Aus meiner Sicht wäre ein klares Ende der Nettokäufe angezeigt gewesen", sagte Weidmann. Insbesondere weil er Staatsanleihekäufe in der Währungsunion besonders kritisch sehe. "Solche Käufe verwischen nämlich die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik", so der Bundesbankpräsident.

Wirtschaft könnte dynamischer wachsen als erwartet

Angesichts des eher gedämpften Preisauftriebs sei eine expansive Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum nach wie vor angemessen. "Darüber, wie stark allerdings geldpolitisch Gas gegeben werden muss und welche Instrumente dabei genutzt werden sollten, kann man freilich unterschiedlicher Auffassung sein", erklärte Weidmann. Seiner Meinung nach werde die Geldpolitik des Eurosystems selbst nach einem Auslaufen der Nettokäufe im Rahmen des Anleihekaufprogramms weiterhin sehr expansiv bleiben. Für die Wirkung des Kaufprogramms komme es nämlich zum einen nicht so sehr auf die Höhe der monatlichen Zukäufe an, sondern vor allem auf das Gesamtvolumen der Anleihen in den Büchern der Notenbanken des Eurosystems. Zudem werde der vom Eurosystem gehaltene Bestand auch bei einem Auslaufen der Nettokäufe auf einem sehr hohen Niveau bleiben, so der Bundesbankpräsident. Schließlich habe der EZB-Rat den Beschluss gefasst, die Erlöse aus den fällig werdenden Anleihen wieder zu reinvestieren.

Zum anderen habe der Rat entschieden, eine Anhebung der Zinsen erst nach dem Auslaufen der Nettokäufe vorzunehmen. "Wir sprechen geldpolitisch nicht über eine Vollbremsung, sondern darüber, das Gaspedal nicht noch weiter durchzutreten", fasste Weidmann zusammen. Dies sei seines Erachtens vor dem Hintergrund des anhaltenden, zunehmend breiter getragenen konjunkturellen Aufschwungs auch nicht nötig.

Private Risikoteilung für Stabilität von Währungsräumen bedeutsamer als Fiskalunion

Weidmann wies im Weiteren darauf hin, dass in anderen großen Wirtschaftsräumen wie den USA oder Kanada weniger fiskalische, sondern zuallererst private Formen der Risikoteilung seien, die es ermöglichten, die Lasten wirtschaftlicher Schocks auf andere Bundesstaaten zu verteilen. Indem sich zum Beispiel Gewinne und Verluste von Firmen auf den gesamten Währungsraum verteilten, würden wirtschaftliche Schocks aufgefangen.

Um im Euroraum die private Risikoteilung zu stärken, sei unter anderem eine Vereinheitlichung der nationalen Insolvenzrechte nötig. Investoren bräuchten überall die gleichen verlässlichen Rahmenbedingungen. "Das stärkt nicht nur die Risikoteilung, sondern sorgt auch dafür, dass weniger Kapital in weniger produktive Unternehmen fließt und mehr Kapital in produktivere", sagte Weidmann. So erhöhe sich auch die wirtschaftliche Dynamik. Weidmann sprach sich zudem für ein Ende der steuerlichen Vorzugsbehandlung von Fremdkapital über Eigenkapital aus. Zinsausgaben könnten steuerlich geltend gemacht werden, Eigenkapitalkosten hingegen nicht. "Die Beseitigung dieser Verzerrung würde Unternehmen dazu ermutigen, sich stärker über Eigenkapital zu finanzieren", sagte der Bundesbankpräsident. Dies ermögliche eine stärkere private Risikoteilung und reduziere gleichzeitig die Verschuldungsneigung.

Hingegen seien dauerhafte fiskalische Transfers "für einen funktionierenden Währungsraum nicht erforderlich", sagte Weidmann. Die Aufspaltung in Transfergeber und Transferempfänger berge vielmehr die Gefahr von Fehlanreizen und könne zudem die Akzeptanz der Währungsunion in den einzelnen Mitgliedstaaten untergraben. Die Kredite, die im Rahmen des Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) vergeben würden, seien bereits ein bedeutender Transfers an Staaten, die Hilfe benötigen.

Die Bundesbank schlage in diesem Rahmen vor, die Anleihebedingungen für neu begebene Staatsanleihen im Euroraum dahingehend zu ändern, dass automatisch eine dreijährige Laufzeitenverlängerung für alle Anleihen in Kraft tritt, sobald ein Staat ein ESM-Programm beantrage. Die automatische Laufzeitenverlängerung verschaffe somit einen Zeitgewinn, der es erlaube,  zwischen Illiquidität und Insolvenz eines Staats zu unterscheiden, ohne dass die Investoren aus der Haftung entlassen würden und der Steuerzahler die Risiken übernehme. "So ließe sich der Finanzierungsbedarf eines ESM-Programms deutlich verringern und die Spannweite des Rettungsschirms würde kräftig vergrößert", sagte Weidmann.

Ein starkes Frankreich

Weidmann ging zudem auf die die Arbeitsmarktreformen in der Währungsunion ein. "Die in den Mitgliedstaaten durchgeführten Reformen am Arbeitsmarkt wirken", sagte er. Sie sorgten dafür, dass mehr Menschen als vor der Krise arbeiten könnten. Wenngleich die Arbeitslosenquote im Euroraum heute noch ein Stück höher sei als vor der Krise, liege die Beschäftigungsquote über der im Jahr 2007, erklärte Weidmann. Auch die von der französischen Regierung angestoßenen Reformen seien ein Muster erfolgreicher Arbeitsmarktreformen. Dies seien gute Nachrichten für den gesamten Währungsraum. "Denn Europa hat ein Interesse an einem wirtschaftlich starken Frankreich", so der Bundesbankpräsident.