Monatsbericht: Strukturelle Probleme bremsen Schwellenländer
Eingetrübte Aussichten für die Schwellenländer: Die gesamtwirtschaftliche Dynamik wird in diesen Staaten in den nächsten Jahren vermutlich gedämpft ausfallen, wie aus dem jüngsten Monatsbericht der Bundesbank hervorgeht. Schon jetzt hat sich der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Schwellenländern deutlich abgeschwächt. So erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) für das Jahr 2015 gemäß seiner aktuellen Prognose nur eine Expansion von 4 ¼ Prozent. Im Jahr 2010 dagegen lag die Zuwachsrate noch bei durchschnittlich 7 ½ Prozent.
Das voraussichtlich anhaltend gedämpfte Wachstum in den Schwellenländern hat auch Folgen für die Industrieländer: Das Grundtempo ihrer Exporte dürfte "auf absehbare Zeit"
niedriger ausfallen als in der Vergangenheit, schreiben die Bundesbank-Ökonomen. Zudem bestünden noch erhebliche Abwärtsrisiken für den Wachstumsausblick der Schwellenländer: So könnte sich die Krisenanfälligkeit einiger Schwellenländer erhöht haben, zum Beispiel durch eine starke Ausweitung ihrer Verschuldung. Auch könnte weniger Kapital in die Schwellenländer fließen, wenn sich die Geldpolitik in den USA normalisiert und damit weniger Liquidität für Investitionen bereitsteht.
Positive Effekte von Reformen laufen aus
In ihrer Analyse kommen die Bundesbank-Ökonomen zu dem Schluss, dass hauptsächlich strukturelle Faktoren und weniger kurzfristig wirkende konjunkturelle Effekte das Wachstum der Schwellenländer zurückhielten. Dabei nehmen sie Entwicklungen in China, in den rohstoffexportierenden Schwellenländern wie Brasilien und in Osteuropa unter die Lupe.
Die Bundesbank-Ökonomen argumentieren, dass das schwächere Wachstum in China mit einem geringeren Anstieg der dortigen Arbeitsproduktivität zusammenhänge. So sei die Migration von Arbeitskräften aus dem ländlichen Agrarsektor in die Städte ein wesentlicher Antriebsfaktor für den chinesischen Produktivitätsanstieg. Diese Wanderungsbewegung habe sich aber zuletzt abgeschwächt. Noch wichtiger sei, dass die Produktivität in den einzelnen Wirtschaftssektoren langsamer steige. Dies wiederum liege daran, dass die positiven Effekte von vorangegangen Strukturreformen auslaufen würden. Als Beispiele für solche Reformen nennen die Volkswirte die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation im Jahr 2001 sowie die Umstrukturierung und Privatisierung von Staatsunternehmen. Diese hätten in der Folgezeit zu "erheblichen Effizienzgewinnen" geführt. Daneben machen die Bundesbank-Ökonomen Fehlinvestitionen und nachlassende ausländische Direktinvestitionen für das gedrosselte Wachstum verantwortlich. Eine Ursache für die geringeren Investitionen aus dem Ausland sehen sie dabei in den erheblich gestiegenen Lohnkosten, durch die der Produktionsstandort China unattraktiver geworden sei.
Ende des Rohstoffbooms
Bei den rohstoffexportierenden Schwellenländern wirkt sich aus Sicht der Bundesbank-Ökonomen dagegen aus, dass die lange und überaus kräftige Aufwärtsbewegung der Rohstoffpreise zu Ende gegangen sei. Diese Entwicklung führen sie auch auf die weniger stark steigende Nachfrage aus China zurück, das ein wichtiger Importeur von Metallen oder Rohöl ist. Dass das Wachstum in den Rohstoffexportländern ohne den Rückenwind der Rohstoffmärkte nur verhalten ausfalle, hänge auch mit einer vergleichsweise schwachen Wettbewerbsfähigkeit dieser Volkswirtschaften zusammen. So sei etwa in Lateinamerika die Infrastruktur rückständig und die Steuer- und Abgabenbelastung hoch.
In Osteuropa sei ähnlich wie bei den rohstoffexportierenden Ländern der vorangegangene kräftige Aufschwung durch günstige externe Faktoren beflügelt worden. Erhebliche Kapitalzuflüsse hätten die Konsumnachfrage und die Investitionstätigkeit angetrieben. Dies blieb nicht ohne Folgen: "In einigen Ländern kam es dabei zum Aufbau von enormen Leistungsbilanzdefiziten, einer massiven Zunahme privater Verschuldung sowie Übertreibungen an den Immobilienmärkten"
, heißt es im Bericht. Die globale Finanz und Wirtschaftskrise habe in vielen osteuropäischen Ländern dann einem "schmerzhaften Anpassungsprozess" ausgelöst. Derzeit litten einige Volkswirtschaften noch an den Spätfolgen der Krise sowie daran, dass der marktwirtschaftliche Kurs zuletzt nicht mehr mit Nachdruck verfolgt worden sei.
Die Bundesbank-Ökonomen ziehen aus ihrer Analyse den Schluss, dass ein schwungvoller Aufholprozess der Schwellenländer kein "Selbstläufer" sei. "Um das Wachstum wieder auf einen höheren Trendpfad zu heben, benötigen die Schwellenländer dringend neue Reformimpulse"
, heißt es im Monatsbericht.