Pierre Gramegna und Joachim Nagel beim European Stability Mechanism (ESM) in Luxemburg ©Laurent Antonelli – Blitz

Joachim Nagel: „Zum jetzigen Zeitpunkt spricht nichts gegen eine weitere Reduzierung unserer Leitzinsen“

Joachim Nagel, Pierre Gramegna und Gaston Reinesch beim beim European Stability Mechanism (ESM) in Luxemburg ©Laurent Antonelli – Blitz
Von links: Joachim Nagel, Pierre Gramegna und Gaston Reinesch
Bei einer Rede beim European Stability Mechanism (ESM) in Luxemburg hat Bundesbankpräsident Joachim Nagel unter anderem über den anstehenden Zinsentscheid des EZB-Rats am 12. Dezember und die deutsche Konjunktur gesprochen. Im Publikum waren unter anderem Pierre Gramegna, Managing Director des ESM, der Gouverneur der Luxemburger Zentralbank, Gaston Reinesch, sowie Yves Mersch, früheres Direktoriumsmitglied der EZB. Zum jetzigen Zeitpunkt spricht nichts gegen eine weitere Reduzierung unserer Leitzinsen, sagte der Bundesbankpräsident in seiner Rede. Der Prozess, die Inflation zu senken, verlaufe im Großen und Ganzen wie derzeit vorhergesagt. Die Märkte hätten sich zudem auf eine weitere Zinssenkung bereits eingestellt. 

Ein endgültiges Votum behalte er sich aber vor, bis die neuen gesamtwirtschaftlichen Projektionen der Bundesbank für Dezember vorliegen und er sich ein Urteil über mögliche künftige Risiken in Bezug auf die Inflationsentwicklung gebildet habe. Auf jeden Fall warne ich davor, den Grad der geldpolitischen Straffung übereilt zu verringern, so Nagel. Die Zinssätze sollten sich langsam und in maßvollem Tempo anpassen. Aus Sicht von Nagel besteht derzeit auch kein erhebliches Risiko, dass das Inflationsziel des Eurosystems unterschritten wird, was auf kurze Sicht einen expansiven geldpolitischen Kurs des Eurosystems erforderlich machen würde. Das Inflationsziel des Eurosystems liegt bei 2 Prozent.

Der Bundesbankpräsident ging auch auf die Faktoren und insbesondere Unsicherheiten ein, die die künftigen Preisentwicklungen im Euroraum beeinflussen. In diesem Rahmen beschrieb er die Ergebnisse verschiedener Analysen von Mitarbeitenden des Eurosystems. Hierin wurden unter anderem der Einfluss von Energiepreisen auf die Inflationsaussichten hin untersucht. Diese Preise würden deshalb in den anstehenden Projektionen der Bundesbank im Rahmen verschiedener Szenarien genau untersucht.

Deutschland kann sich verändern 

Joachim Nagel bei seiner Rede beim European Stability Mechanism (ESM) in Luxemburg ©Laurent Antonelli – Blitz
In seiner Rede ging Nagel zudem auf die konjunkturelle Situation im Euroraum und insbesondere in Deutschland ein. Die Wettbewerbssituation der deutschen Industrie habe sich verschlechtert, und im Gegensatz zu früher gingen von den wachsenden Auslandsmärkten keine Wachstumsimpulse mehr aus, sagte Nagel in Luxemburg. Die Industrie stehe unter beträchtlichem Anpassungsdruck an die sich national und international wandelnden strukturellen Bedingungen. 

Um den Ausblick für die deutsche Wirtschaft ging es auch in einem aktuell mit der Financial Times geführten Interview. Hier ging Nagel darauf ein, dass sich Deutschland 2025 auf ein weiteres Jahr mit schwachem Wachstum einstellen müsse. Die Aussichten hierzulande stellten sich aktuell komplizierter dar als zu Beginn des Jahrhunderts, als die Arbeitslosigkeit deutlich höher war. Damals gab es noch keine geopolitische Fragmentierung, und der Welthandel wuchs kräftig, so Nagel. Und die aktuellen Prognosen berücksichtigten noch nicht einmal die möglicherweise bevorstehenden Entscheidungen der neuen US-Regierung: Kalkuliert man in die derzeitigen Prognosen weitreichende Zollerhöhungen ein, könnte die Wirtschaft sogar noch länger stagnieren, so Nagel.

Trotzdem äußerte sich der Bundesbankpräsident in dem Gespräch auch verhalten optimistisch. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass sich Deutschland verändert, wenn es Schmerzen spüre, sagte Nagel. Er wies darauf hin, dass die deutsche Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt deutlich gesunken sei. Die Schuldenstandsquote nähere sich der im EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Grenze von 60 Prozent. Gegenüber der FT ging Nagel auch auf eine mögliche Reform der Schuldenbremse ein, die die Bundesbank bereits seit April 2022 vorgeschlagen hat. Demnach kann bei einer Staatsverschuldung unter 60 Prozent über eine moderate und stabilitätsorientierte Änderung nachgedacht werden. In der FT betonte er, dass sich der deutsche Schuldenstand dieser Quote nähere. In dem Zusammenhang könne man zwischen staatlichen Konsumausgaben und Investitionen unterschieden, „um mehr Spielraum für strukturelle Investitionen zu bekommen."