Finanzstabilitätsbericht 2022: Deutsches Finanzsystem könnte erheblich unter Druck geraten

Das makrofinanzielle Umfeld hat sich im Laufe des Jahres 2022 substanziell verschlechtert. Gedämpfte Wachstumsaussichten, hohe Inflationsraten sowie steigende Zinsen und Risikoprämien prägen die Lage. Banken, Versicherer und Investmentfonds haben bereits Verluste auf Grund von Marktkorrekturen verzeichnet. Stark gestiegene und extrem volatile Börsenpreise für Energieprodukte haben die Anforderungen an Sicherheiten von zentralen Gegenparteien bei Derivateverträgen stark erhöht. Liquiditätsengpässe bei Unternehmen im Energiesektor konnten allerdings durch staatliche Maßnahmen abgefedert werden. Insgesamt hat die Kreditversorgung der Wirtschaft bisher jedoch gut funktioniert.

Es bestehen weiterhin hohe Abwärtsrisiken, die eine ausreichende Resilienz erfordern. Eine sich verschärfende Energiekrise, ein starker wirtschaftlicher Einbruch und abrupt steigende Marktzinsen könnten das deutsche Finanzsystem erheblich unter Druck setzen. Steigende Kosten engen die finanziellen Spielräume von Haushalten und Unternehmen ein. Künftige Kreditrisiken steigen somit. Damit ein potenzieller Stress nicht über das Finanzsystem verstärkt wird, müssen die Finanzinstitute aus eigener Kraft ausreichend resilient sein, sagte Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2022.

Deutsches Finanzsystem verwundbar gegenüber adversen Entwicklungen

Im deutschen Finanzsystem haben sich über mehrere Jahre Verwundbarkeiten im Bestand der Kredite aufgebaut. Niedrige Zinsen sowie dynamisch steigende Kredite und Vermögenspreise haben hierzu beigetragen. Die Insolvenzen im Unternehmenssektor und damit Kreditrisiken waren in den vergangenen Jahren rückläufig. Banken schätzen ihre Kreditrisiken weiterhin als eher gering ein. Viele der Annahmen, die bei der Vergabe von Krediten in der Vergangenheit getroffen wurden, dürften sich aber als zu optimistisch herausstellen.

Makroökonomische Risiken erfordern ausreichende Resilienz des Finanzsystems

Der Bericht verdeutlicht, dass angesichts der bestehenden makrofinanziellen Risiken eine ausreichende Resilienz im Finanzsystem erforderlich ist. Hier ist nicht nur die Aufsicht gefordert, sondern ebenso die Finanzmarktakteure. Die Finanzinstitute sollten die Auswirkungen adverser Szenarien prüfen. Angesichts einer hohen Unsicherheit sollten sie umsichtig Risikovorsorge betreiben und nur vorsichtig Gewinne ausschütten, betonte Joachim Wuermeling, das für Bankenaufsicht zuständige Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank.

Um die Resilienz des Finanzsystems zu stärken, wurde Anfang 2022 von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein makroprudenzielles Maßnahmenpaket verkündet. Der antizyklische Kapitalpuffer wurde erhöht und ein sektoraler Systemrisikopuffer eingeführt. Bei Bedarf kann die BaFin die makroprudenziellen Puffer freigeben – aktuell gibt es jedoch keinen Anlass hierfür. Makroprudenzielle Politik ist keine Konjunkturpolitik, so Vizepräsidentin Buch. Eine Freigabe wäre insbesondere angebracht, wenn signifikante Verluste im Finanzsystem eintreten oder sich diese klar andeuten und deshalb eine übermäßige Einschränkung der Kreditvergabe im Bankensystem droht

Eine ausreichende Resilienz ist auch aufgrund des strukturellen Anpassungsdrucks in der deutschen Wirtschaft wichtig, der sich durch geopolitische Faktoren und die Klimakrise verschärft hat.

Der Bericht enthält zwei Sonderkapitel. Ein Kapitel beschreibt die stabilisierende Rolle des zentralen Clearings beim Handel mit Derivaten. Das zweite betrachtet die Relevanz von Gewerbeimmobilien für das Finanzsystem, unter anderem mit Hinblick auf deren globale Vernetzung