Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2022 Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2022 mit Frau Prof. Dr. Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank und Prof. Dr. Joachim Wuermeling, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank
Frage:
Verhalten sich die Banken Ihrer Meinung nach momentan verantwortungsbewusst bei ihren Ausschüttungen? Nachdem es in der Pandemie dieses faktische Ausschüttungsverbot gab hat die EZB gesagt: na ja, vielleicht hat man doch ein bisschen übertrieben. Aber wie ist Ihre Einschätzung? Und meine zweite Frage ist zu den Wohnungsbaukrediten: Sie hatten im Frühjahr sehr intensiv gewarnt, da könnte was ganz Schlimmes passieren. Jetzt klingt das doch alles eher moderat und gar nicht so schlimm. Haben wir uns da auch wieder getäuscht wie damals in der Pandemie mit den Insolvenzen? Ich meine, die Bundesbank warnt schon seit fünf Jahren vor der Blase auf dem Immobilienmarkt.
Prof. Dr. Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank:
Also zunächst mal haben wir nie vor einer Blase gewarnt. Das war eine „Verkürzung“, darüber haben wir schon häufiger besprochen. Uns ging es immer darum zu sehen, wie entwickeln sich die Preise, wie entwickelt sich die Kreditvergabe und wie entwickeln sich die Vergabestandards. Das war für uns immer ein Dreiklang. Wir haben im Moment was die Preisentwicklung angeht, aber auch was die Kreditentwicklung angeht, aufgrund der Änderungen im makro-finanziellen Umfeld eine Abschwächung aller Trends. Und das ist zunächst mal etwas, was man konstatieren muss. Wir würden jetzt nicht sagen, da bauen sich weiter Verwundbarkeiten auf. Aber natürlich sehen wir uns das sehr genau an, unsere Daten werden zunehmend besser und von daher ist nach wie vor natürlich der Immobilienmarkt etwas, was im Fokus steht. Denn gerade das ist ein Bereich, der auch für die privaten Haushalte so wichtig ist. Wir müssen verstehen, wie sich der Schuldendienst, die Last durch Zinszahlungen auswirken und ob das makroökonomische Konsequenzen haben könnte. Aber derzeit gibt es mit dem Teil des Maßnahmenpakets, das auch diese Immobilienrisiken adressiert, keinen weiteren Handlungsbedarf. Natürlich ist das aber ein Markt, den wir uns sehr genau ansehen.
Zur Pandemie: Ich habe das ehrlich gesagt nicht so wahrgenommen, dass die EZB gesagt hat: da haben wir einen Fehler gemacht mit dem Ausschüttungsverbot. Das war, glaube ich, zu der Zeit absolut richtig. An der Wegmarke stehen wir jetzt im Moment nicht. Sie haben es ja gesagt: Für jedes einzelne Institut gibt es Druck, auszuschütten. Es ist schon wichtig, dass die Aufseher insgesamt und auch der ESRB gesagt haben, es sollen alle sehr vorsichtig damit umgehen, weil es für das System einfach gut ist, wenn Resilienz gehalten werden kann, solange das noch möglich ist.
Prof. Dr. Joachim Wuermeling, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:
In der Tat ist es so, dass in dem Moment, wo die Margen zunehmen und die Erträge steigen, die Eigentümer die Erwartung haben, dass es auch höhere Ausschüttungen gibt im Vergleich zur Niedrigzinsphase. Wir haben die Planung der deutschen SIs angeschaut, und sehen, dass 2023/24 ein erheblicher Betrag an Ausschüttungen geplant ist. Wir sehen eine Steigerung der Ausschüttung, allerdings haben wir auch eine Steigerung der Bilanzsumme. Und das Verhältnis der Ausschüttung zur Bilanzsumme verändert sich nach diesen Planungen nicht massiv, so dass eigentlich die Politik der Vergangenheit fortgesetzt wird. Es gibt allerdings einige Banken, die etwas anders planen, die ich jetzt hier nicht im Einzelnen nenne und die auch diesen Durchschnitt noch ein bisschen verzerren.
Frage:
Zum Immobilienmarkt und der Entwicklung dort: Sie hatten in den vergangenen Jahren immer wieder die Überbewertungen beziffert, die Sie gesehen haben. Ich glaube, 15 bis 40 Prozent war die Zahl, für das Jahr 2021. Jetzt sagen Sie, es gebe keine großen Anzeichen, dass die Überbewertungen zurückgegangen sind. Wie ist aktuell der Stand? Liegen wir noch bei 15 bis 40 Prozent oder hat sich das doch etwas abgeschwächt? Und die zweite Frage: Das Thema Insolvenzen — insbesondere Unternehmensinsolvenzen — ist ein wichtiger Faktor für Finanzstabilität. Wie sieht es da gemäß Ihren aktuellen Daten aus? Zeichnet sich eine größere Zahl an Insolvenzen ab? Und sollte das der Fall sein, ist es eine starke Steigerung oder entwickelt sich das eher gemächlich nach oben?
Prof. Dr. Claudia Buch:
Zunächst zu den Überbewertungen am Immobilienmarkt: Dazu habe ich keine neuen Zahlen, wir haben das nicht neu gerechnet. Die Zahlen, die Sie zitiert haben, also 15 bis 40 Prozent, sind vom Februar. Und das hängt davon ab, ob man auf Stadt oder Land schaut. Wir sehen nach wie vor, dass die Dynamik bei den Immobilienpreisen zurückgeht. Aber nach wie vor haben wir eine Preissteigerung von gut 8 Prozent. Das heißt, die Preise steigen nach wie vor. Und wenn man überlegt, was die wesentlichen Fundamentaldaten sind und wie die sich geändert haben – Realeinkommen sind zurückgegangen, Zinsen sind gestiegen – dann kann man überlegen, dass es keine große Änderung bei den Überbewertungen gibt. Aber ich möchte den Kollegen, die das ordentlich ausrechnen, nicht vorgreifen.
Zu den Insolvenzen haben wir im Bericht keine Prognose gemacht. Das hängt natürlich sehr stark davon ab, wie wirtschaftspolitisch reagiert wird, wie die Fiskalmaßnahmen greifen, die jetzt diskutiert werden. Aber ich glaube, man kann sich kaum vorstellen, dass der Strukturwandel vonstattengeht, ohne dass wir auch steigende Unternehmens-insolvenzen sehen würden. Wir haben die letzten 20 Jahre einen Rückgang gehabt. Vielleicht erinnern Sie sich an die Grafik vom vergangenen Jahr. Da hatten wir eine Korrelation gezeigt. Wie sieht es typischerweise aus in einer Rezession? Was passiert typischerweise mit den Unternehmensinsolvenzen? Und wie war das in den letzten beiden Rezessionen, also der globalen Finanzkrise und der Pandemie? In den letzten beiden Rezessionen gab es ein ganz untypisches Muster. Das ist jetzt kein hartes, ausgerechnetes Modell, aber ich denke es gibt doch eine große Wahrscheinlichkeit, dass es auch in dem Bereich zur Anpassung kommen wird. Das sind dann auch die gestiegenen Kreditrisiken, von denen wir gesprochen haben.
Prof. Dr. Joachim Wuermeling:
Wenn es zu einer Abkühlung auf dem Immobilienmarkt kommt und auch zu Korrekturen der Preise nach unten, dann bestätigt das unsere frühere Analyse von den Über-bewertungen. Wie weit das gehen wird, kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr schlecht vorhersehen, weil gleichzeitig das Angebot sinkt und die Nachfrage. Wie das sich dann unterm Strich auf die Preisentwicklung auswirkt, das wird man sehen. Was sich aber wahrscheinlich nicht ändern wird, ist, dass es mehr Nachfrage als Angebot gibt. Was die Kursentwicklung angeht, möchte ich das nicht weiter kommentieren und spekulieren. Aber eines kann man sagen, und das sehen wir auch im tagtäglichen Bankgeschäft, dass der Finanzierungsbedarf bei den Unternehmen enorm gestiegen ist. Das sehen wir an den erhöhten Auslagen im Firmenkundengeschäft. Und wir können das auch sehr gut zurückführen auf die wirtschaftlichen Umstände. Die Inflation führt schlicht zu höheren Kosten. Die Problematik führt zu mehr Lagerhaltung, was Kapital bindet. Und außerdem sind die Unternehmen selber sehr vorsichtig was das nächste Jahr angeht und ziehen zunehmend Linien ein. Das heißt, es gibt eine Finanzierungslücke bei den Unternehmen. Bisher ist es aber dem deutschen Bankensystem gelungen, diese durch Kredite zu füllen.
Frage:
Täusche ich mich oder ist der Tenor, was Kreditrisiken und Anfälligkeiten angeht, etwas schärfer geworden im Vergleich zu der LSI-Pressekonferenz? Ist die Aufsicht etwas vorsichtiger geworden oder liegt das daran, dass wir hier nicht über Aufsicht reden, sondern über Finanzstabilität? Ich meine heute wahrzunehmen, dass es etwas kritischer gesehen wird als noch bei der Pressekonferenz zum Stresstest. Das wäre die eine Frage. Die zweite Frage: Frau Buch, Sie sagten, stille Reserven sind weitgehend aufgebraucht. Wie definieren Sie in diesem Zusammenhang die stillen Reserven und woraus rührt diese Erkenntnis? Gab es eine aktuelle Umfrage bei den Banken oder ist das eine Analyse aus dem vorliegenden Zahlenwerk? Und dritte Frage zum Immobilienmarkt: Können Sie mit ein paar Sätzen das Kapitel Gewerbeimmobilien zusammenfassen?
Prof. Dr. Joachim Wuermeling:
Wir versuchen immer, unsere Formulierungen ein bisschen abzuwandeln, damit sie nicht langweilig werden. Aber das Sentiment hat sich in den letzten sechs Wochen nicht maßgeblich verändert. Die Unsicherheit ist nicht geringer geworden, im Gegenteil. Die Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung laufen immer mehr auseinander, sodass Sie hier keine Exegese betreiben sollten von den Begriffen, die wir verwenden. Eines ist aber nach wie vor so: Die Kreditrisiken und auch Kreditausfälle werden 2023 ständiger Begleiter sein. Und das ist auch der Grund, warum wir entsprechende Warnungen abgeben.
Prof. Dr. Claudia Buch:
Dann übernehme ich die Frage zu den stillen Bewertungsreserven. Das sind die normalen betriebswirtschaftlichen Definitionen.
Prof. Dr. Joachim Wuermeling:
Entschuldigung, das hatte ich unterschlagen. Nach dem KWG gibt es die Verpflichtung der Banken, eine Anzeige zu machen, wenn 5 Prozent des Eigenkapitals durch Verluste aufgezehrt werden. Hier sehen wir eine Reihe von Anzeigen, die nicht nötig wären, wenn stille Reserven zur Verfügung stünden. Wir haben auch eine Vorstellung von den stillen Reserven. Und wir haben eine Vorstellung davon, wie hoch die Abschreibungen insbesondere auf die Anleihen sind. Insofern ist es ein Ergebnis einer groben Analyse, dass die stillen Reserven im Großen und Ganzen im Aggregat aufgebraucht sein müssen. Das können natürlich auch stille Reserven auf ganz alte Anleihen sein, die noch höher verzinslich sind. Die können im Anlagenbuch sein oder im Handelsbuch – die können überall verborgen sein.
Prof. Dr. Claudia Buch:
Vielleicht noch als Ergänzung dazu: Im Bericht werden adverse Szenarien betrachtet, in denen geschaut wird, was bei den Banken, bei den Versicherungen, bei den Fonds passiert. Es wird auch betrachtet, wenn dieser Schock, den ich geschildert habe, auf das System trifft. Das ist dann letztlich ein Simulationsergebnis, das auf dem aufsetzt, was wir aus den bankaufsichtlichen Informationen wissen.
Dann die Kurzversion des Kapitels Gewerbeimmobilien. Ich kann das nicht in der ganzen Breite abbilden, daher würde ich Ihnen allen sehr raten, das Kapitel zu lesen. Aber die wichtigsten Punkte sind, dass der Gewerbeimmobilienmarkt relativ zum BIP bedeutend ist. Es sind ungefähr 15 Prozent des BIP, wenn man den gesamten Markt nimmt, und 7 Prozent machen die Kredite der Banken aus, die in diesen Bereich laufen. Das sind gesamtwirtschaftlich relevante Größen. Es ist international sehr stark in der Diskussion, ob Risiken aus dem Gewerbeimmobilienmarkt schlagend werden können wegen Überbewertung, wegen der stärkeren finanziellen Belastung der Unternehmen. Eine wesentliche Botschaft aus dem Kapitel ist, dass wir durchaus einige stabilisierende Faktoren im deutschen Gewerbeimmobilienmarkt haben und dass sich die internationale Diskussion deswegen nicht eins zu eins übertragen lässt. Da der antizyklische Kapitalpuffer auf allgemeine Makro-Risiken geht, deckt er auch Risiken in diesem Bereich ab – wie der Systemrisikopuffer, wenn es um Kredite geht, die für gewerbliches Wohnen aufgenommen worden sind. Es gibt durchaus Dinge, die jetzt mit dem Maßnahmenpaket adressiert sind, aber wir haben zusätzlich bestimmte stabilisierende Elemente gehabt. Die Loan-to-Value-Raten sind nicht ganz so hoch wie bei den Wohnimmobilien. Aber wir haben eine sehr starke internationale Vernetzung in diesem Bereich, viele internationale Investoren sind hier aktiv. Es ist viel weniger ein nationaler Markt als der Wohnimmobilienmarkt. Von daher müssen wir auch immer über internationale Ansteckung nachdenken, über prozyklische Effekte. Das ist nach wie vor in unserem Fokus. Der Markt ist sehr viel uneinheitlicher und heterogener als bei den Wohnimmobilien, was die Risikoeinschätzung nicht leichter macht.
Frage:
Herr Wuermeling, ist die Quote „Ausschüttung zu Bilanzsumme“ der entscheidende Indikator, der aussagt, ob etwas vorsichtig ausgeschüttet wird oder nicht? Oder gibt es noch andere? In der zweiten Frage geht es um Cyberrisiken. Heute wurde bekannt, dass der russische Geheimdienst mutmaßlich das Europaparlament gehackt hat. Könnten Sie das unterfüttern mit dem, was die Banken Ihnen mitteilen, damit man ein Gefühl bekommt, wie ernst das ist?
Prof. Dr. Joachim Wuermeling:
Für das Maßhalten in der Ausschüttungspolitik kann man sehr viele Kriterien heranziehen. Sie können das Verhältnis der Ausschüttung zur Bilanzsumme nehmen, sie können aber auch das Verhältnis der Ausschüttung zum Gewinn nehmen. Sie können alle möglichen Performanceindikatoren nehmen aus dem vergangenen Geschäftsjahr. Wenn man den Indikator zur Bilanzsumme nimmt und das was geplant ist, dann sehen wir jedenfalls keinen exzessiven Anstieg bei den Planungen für die Ausschüttung. Insgesamt ist unsere Intention: Wir wollen so viel Kapital im System halten wie möglich, damit es für mögliche Verluste zur Verfügung steht. Und insofern raten wir zur Vorsicht, egal welche Quote Sie da nehmen.
Uns wundert im Moment ein bisschen, dass so wenig zusätzliche Risikovorsorge gebildet wird. Wir haben uns die Zahlen für das erste Halbjahr angeschaut und tatsächlich ist es so, dass die Bestände in der Risikovorsorge eher gesunken sind, obwohl die Risiken steigen. Im Aggregat haben die HGB-Institute sogar noch eher Risiken aufgelöst, aus Corona allerdings. IFRS weniger, weil sie die Bewertungsverluste gleich verarbeiten mussten. Und sie hatten, wir haben es eben in der Grafik, die Frau Buch gezeigt hat, gesehen: Wir hatten 2004 Kreditrisikovorsorgebestände mit etwa 3 Prozent des Bruttobuchkreditvolumens und das ist jetzt nur noch 1,2 Prozent. Wir sehen schon Raum für weitere Risikovorsorge. Die Banken sollten hier konsequent den Management-Spielraum nutzen, auch wenn die Modelle und tatsächlichen Ausfälle es jetzt nicht erzwingen. Die bestehenden Rechnungslegungsvorschriften würden jedenfalls den weiteren Aufbau von Risikovorsorge erlauben.
Zu den Cyberrisiken: Wir sehen eine gestiegene Aktivität der Banken, sich gegen Cyberrisiken zu schützen. Wir haben im letzten halben Jahr keinen signifikanten Anstieg von Meldungen, von Vorfällen gesehen. Es ist nach wie vor so, dass eigentlich die internen Bugs das größere Problem sind als die Cyberrisiken von außen. Aber wir sehen, dass bestimmte Korrelationen zwischen politischen Ereignissen und Angriffen erkennbar sind, sodass man sich darauf einstellen muss, dass auf einmal scharf geschossen wird.
Prof. Dr. Claudia Buch:
Noch zwei Sätze dazu. Einmal zu den Cyberrisiken: Da gibt es die G7-Principles zum Umgang mit Cyberrisiken. Es ist wichtig, dass man sich auf G7-Ebene auf allgemeine Prinzipien geeinigt hat, und das wird jetzt auf allen Ebenen umgesetzt, auch in der Aufsicht und in unseren Diskussionen.
Und noch einen Satz zu den Ausschüttungen. Es sind unsere Prognosen zitiert worden, die wir im Jahr 2020 zu den Insolvenzrisiken gemacht hatten. Die sind ein ganz schönes Beispiel dafür, dass alle Modelle Daten aus der Vergangenheit nutzen. Diese Modelle neigen dazu, nach vorne gerichtet die Wahrscheinlichkeit von adversen Entwicklungen zu unterschätzen, weil wir in den vergangenen Jahren niedrige Kreditrisiken und niedrige Insolvenzen hatten. Im Prinzip hat sich das von der Entwicklung des BIP entkoppelt. All diese Informationen der Vergangenheit stecken in den Modellen. Deswegen muss man den Banken sagen, dass sie in ihren eigenen Modellen, in ihren Daten schauen müssen und besonders adverse Entwicklungen dort auch zugrunde legen. Daraus folgt dann all das, was Herr Wuermeling gesagt hat, was die Ausschüttungen und die Rückstellungen angeht.
Frage:
Eine Frage zum Energiemarkt. Sie hatten festgestellt, dass die Finanzindustrie sich nicht darauf verlassen sollte, gerettet zu werden. Das Problem ging in diesem Fall vom Energiemarkt aus. Und wenn man den retten muss, müsste man Ihrer Meinung nach nicht den ganzen Sektor für systemrelevant erklären? Mit Abwicklungsplänen und Abwicklungsbehörde oben drüber? Oder andererseits den Banken, die dann die Margenvorschüsse vorstrecken müssen, für solche Geschäfte höhere Eigenkapitalvorgaben verpassen? Es kann nicht sein, dass wir hier wieder stehen und erzählen, wie für Uniper erst mal 8 Milliarden, dann 25 Milliarden Euro an Steuergelder rausgehen. Und gleichzeitig seit 15 Jahren die Erkenntnis haben, dass man systemrelevante Bereiche entsprechend ausstatten muss.
Prof. Dr. Claudia Buch:
Ich hatte gesagt, dass das den Banken indirekt zugutegekommen ist. Man hat bei den Energieunternehmen angesetzt und indirekt haben die fiskalischen Maßnahmen, wie auch schon in der Pandemie, letztlich den Finanzsektor mit gestützt. Grundsätzlich ist es richtig gewesen, zentrale Gegenparteien zu haben. Aber Sie haben völlig recht. Wenn man zentrale Gegenparteien schafft, hat man dadurch auch einen zentralen Hub geschaffen, der wieder in sich selbst systemrelevant sein kann. Darum gibt es einige Initiativen, sich diesen Markt genauer anzusehen. In der Summe ist es besser gewesen. Wie es ausgesehen hätte, wenn wir die zentralen Gegenparteien nicht hätten, wenn alles „over the counter“ gewesen wäre und plötzlich eine große Nervosität in einem sehr dezentralen Markt gewesen wäre – das wissen wir nicht. Deswegen muss es ja immer mit der hypothetischen kontrafaktischen Situation vergleichen. Aber jetzt schaut man sich sehr genau an: Was muss man möglicherweise ändern an diesem Sicherheitenrahmen? Wie kann man die Anforderungen weniger prozyklisch machen? Muss man mehr Puffer im System haben? Das Thema Abwicklung von CCPs ist schon in der Evaluierung des Financial Stability Board zu „Too big to fail“ ein Thema gewesen. Da ist eine Bestandsaufnahme gemacht worden: Haben wir es geschafft, mit Systemrisiken so umzugehen, dass es das Too-big-to-fail-Thema nicht mehr gibt? Da wird klar gesagt, es gibt noch ein Gap, wenn es um diese zentralen Gegenparteien gibt. Es gibt im Moment sehr viel Arbeit daran, aber ich würde nicht grundsätzlich sagen, die zentralen Gegenparteien und das Marktdesign sind das Problem. Aber man muss gerade an solchen Erfahrungen spiegeln, was man tun muss, um die Regulierung zu verbessern, Prozyklizität zu reduzieren, Transparenz zu erhöhen.
Prof. Dr. Joachim Wuermeling:
Vielleicht noch ein Hinweis im Hinblick auf die Betroffenheit von Banken. Bei den Energie-CCP leiten die Banken die Risiken nur durch und auch die Margin-Anforderungen werden nur durchgeleitet. Die Banken selbst haben kein Risiko durch die Teilnahme an diesem Energie-CCP, anders als bei anderen.
Frage:
Mich würde interessieren, wie die Wohnimmobilien auf die Zinswende reagieren. Herr Nagel hatte neulich hervorgehoben, dass die Zinsen lange niedrig waren und ein plötzlicher Zinsanstieg durchaus erhebliche Auswirkungen auf den Immobilienmarkt haben kann. Wenn ich das richtig verstanden habe, waren die Preisübertreibungen von bis zu 40 Prozent, die die Bundesbank in der Vergangenheit genannt hat, in erheblichem Maße auf die Niedrigzinsphase zurückzuführen. Ist das Risikoszenario, dass diese Luft aus den Preisen entweicht und dass diese Übertreibungen zurückgehen auf die Fundamentaldaten?
Prof. Dr. Claudia Buch:
Wir haben nicht die Aussage getroffen, dass die hohen Immobilienpreise nur etwas mit der Zinsentwicklung zu tun haben. Das war grundsätzlich auch die Suche nach einer real werthaltigen Anlage. Es gibt viele, die nicht nur darauf spekulieren, schnell wieder verkaufen zu müssen. Dann würde ein solcher Effekt möglicherweise eintreten. Die Überbewertung war eine Gemengelage von vielen Faktoren, die hier zusammengespielt haben, und das war auch sehr stark von Krediten getrieben. Es war korreliert mit einem sehr starken Anstieg der Kredite in diesem Bereich und auch der Erwartung. Vor ein, zwei Jahren hatten wir Umfragedaten gesehen, wonach viele Befragte glaubten, dass die Preise weiter steigen. Viele haben das Risiko gesehen, dass die Bewertungen hoch sind. Man verschuldet sich, man hofft, dass die Preise weiter steigen und dass sich das aus sich selbst heraus finanziert. Hier hat sich die Erwartungshaltung geändert. Jetzt geht ein größerer Anteil der Personen, die man befragt, davon aus, dass die Preise nicht weiter steigen. Dieser Effekt ist also rausgenommen. Außerdem sehen wir eine sehr starke Reaktion gerade bei den privaten Haushalten auf die gestiegenen Zinsen, weil diese jetzt anders rechnen. Potenziell höhere Zinskosten, steigende Energiekosten – dadurch hat sich die Nachfrage nach hohen Immobilienkrediten sehr stark abgeschwächt. Mit Blick auf die Kreditvergabestandards zeigt sich ein gemischtes Bild. Die Loan-to-Value-ratios sind zurückgegangen. Bei den Schuldenindikatoren – also Zinszahlungen relativ zum Einkommen, Schuldenlast relativ zum Einkommen – sieht man zum Teil einen Anstieg, was mit den gestiegenen Zinsen zu tun hat. Ein anderer Aspekt: Ungefähr 50 Prozent der Wohnimmobilienkredite in Deutschland haben eine Laufzeit von mehr als zehn Jahren und gerade im privaten Wohnimmobilien-Bereich eine feste Zinsbindung. Also von daher schlagen die kurzfristig steigenden Zinsen hier gar nicht so zu Buche. Das ist etwas, was sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Es gibt eine interessante Grafik im Bericht, die die unterschiedlichen Kreditjahrgänge durchgeht und betrachtet, wann diese Zinsänderungsrisiken schlagend werden würden.
Frage:
Herr Wuermeling, Sie haben sich erstaunt gezeigt, dass so wenig Risikovorsorge gemacht wird. Wenn man die Banken fragt „Warum ist das denn so?“
, erhält man gern die Antwort „Ja, wir können ja gar nicht“
. Die Wirtschaftsprüfer würden dafür sorgen, dass man im Rahmen bleibt. Wie ist es denn nun? Ist das eine vorgeschobene Behauptung? Oder sind die Wirtschaftsprüfer anderer Meinung als Sie?
Prof. Dr. Joachim Wuermeling:
Wir sind im unmittelbaren Gespräch mit den Wirtschaftsprüfern. Die Regeln für Bildung von Managementpuffern sind in der Vergangenheit noch erleichtert worden, so dass wir im Moment von den Rechnungslegungsvorschriften her gesehen Raum für weitere Risikovorsorge sehen. Das Gespräch mit dem Wirtschaftsprüfer sollte man suchen, wenn man mehr Risikovorsorge bilden will. Auch die Wirtschaftsprüfer haben ein großes Interesse daran, dass Risikovorsorge gebildet wird, wenn hohe Unsicherheiten für die kommende Zeit vor der Tür stehen.
Frage:
Ich würde gerne darauf eingehen, was die Zinsentwicklung für Banken bedeutet. Der Zinsanstieg ist mittel- bis langfristig gut, weil die Erträge dadurch steigen. Aber jetzt haben die Banken viele Kredite in ihren Büchern mit sehr niedrigen Zinsen, die mit einer sehr langen Zinsbindung festgeschrieben worden sind. Wie stark können die Zinsen steigen, bis das für Banken ein großes Risiko wird, vielleicht sogar ein existenzielles Risiko? Wo ist die Grenze beim Zinsanstieg?
Prof. Dr. Claudia Buch:
Wo genau die Grenze ist, das kann ich hier nicht beantworten, das kann niemand beantworten. Zunächst einmal muss man zwei Dinge unterscheiden. Grundsätzlich ist ein langsamer, den Erwartungen entsprechender Zinsanstieg ein stabilisierendes Element für den gesamten Sektor. Wir sprechen zwar in Deutschland immer sehr viel von den Banken, weil die so wichtig sind für die Finanzierung. Im Bericht schauen wir die Banken, die Versicherer, die Fonds an – sie alle haben bei den niedrigen Zinsen nach Rendite gesucht und sind möglicherweise Risiken eingegangen. Aber alles, was jetzt in Richtung Zinsanstieg geht, ist erst mal positiv. Wir sind ja nicht in der geldpolitischen Diskussion und letztlich relevant ist für alle Institute, wie sich die Marktzinsen entwickeln. Wenn wir in eine Risikosituation kommen, auch international, wo es plötzlich auf den Märkten zu einer abrupten Korrektur kommt – das ist für die Finanzstabilität nie gut, weil dann sehr plötzlich Neubewertungen vorgenommen werden müssen. Das hat man in vergangenen Finanzkrisen gesehen, dass wir genau dann Probleme und Spannungen im System kriegen. Dass jetzt das Energie-Szenario trotzdem da ist, daran kann man sehen, dass von Bewertungsänderungen unterschiedliche Teile des Finanzsystems unterschiedlich betroffen sein können.
Versicherungen haben ein anderes Geschäftsmodell als die Banken und die Fonds, die auch wieder eine gewisse stabilisierende Rolle spielen können. Aber grundsätzlich muss man sagen, es gibt keinen Schwellenwert, weil einfach die Geschäftsmodelle unterschiedlich sind, weil auch die Weitergabe von Zinsen sehr davon abhängt, wie die Marktmacht in einzelnen Bereichen ist. Ein Zinsanstieg ist grundsätzlich etwas Stabilisierendes, ein sehr abrupter Zinsanstieg ist problematisch. Wir haben bei den Versicherungen immer betont, dass es Schwellenwerte geben kann, wo plötzlich die Rückkäufe von Lebensversicherungen wieder attraktiv werden können. All das ist drin im Bericht, aber eben keine Zahl. Ich vermute, dass auch Herr Wuermeling keine Zahl hat.
Prof. Dr. Joachim Wuermeling:
Es gibt allerdings einen Anhaltspunkt, und das ist der Baseler Zinsschock. Das ist das, was wir berechnen. Das sind 200 Basispunkte innerhalb von einem Jahr. Die hatten wir allerdings jetzt innerhalb von vier Monaten, und die Entwicklung geht augenscheinlich noch weiter. Insofern haben wir schon eine sehr starke Veränderung des Zinsumfeldes. In der Tat ist es mittel- und langfristig für die Banken gut, weil die Zinsmarge steigt. Aber die Banken haben noch die schlecht verzinsten Engagements in den Portfolios, die nicht so hohe Kupons oder Zinsen abwerfen. Wir schauen uns das als Aufsicht sehr genau an, auch in der Vergangenheit. Wir identifizieren die Banken, die ein erhöhtes Zinsänderungsrisiko haben. Und entsprechend werden Kapitalaufschläge gegeben, damit die Banken dieses Zinsänderungsrisiko besser stemmen können. Im Moment gibt es nicht die eine Entwicklung, die auf die Banksteuerung wirkt. Wir haben durch die schnellen Zinsänderungen die Abwertung von den Anleihen, und wir haben aus ganz anderen Gründen – wegen Inflation, wegen Rezession usw. – auch ein gestiegenes Zinsänderungsrisiko. Das heißt, viele Faktoren wirken auf die Banksteuerung ein und machen es sehr schwer, für 2023 eine Prognose zu geben. Das ist der Grund, warum wir sagen, Banken sollten auch 2023 gut kapitalisiert sein, und zwar auch nach den Ausschüttungen.