Eigenverantwortung in der Währungsunion stärken

Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat davor gewarnt, die Gemeinschaftshaftung in der Währungsunion auszuweiten und damit das Prinzip der Eigenverantwortung zu schwächen. Bei einer Veranstaltung des Internationalen Clubs Frankfurter Wirtschaftsjournalisten kritisierte Weidmann in seiner Rede vor rund 50 Mitgliedern, dass die fiskalischen Rettungsmaßnahmen zwar eine Eskalation der Krise verhindert, die Währungsunion aber nicht dauerhaft krisenfest gemacht hätten: "Der Euroraum ist nach wie vor nicht nachhaltig stabilisiert", sagte der Bundesbankpräsident.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um institutionelle Reformen der Währungsunion ist für Weidmann entscheidend, dass Handeln und Haften wieder ins Gleichgewicht gebracht würden. Risikoübernahme müsse mit Entscheidungsbefugnis einhergehen. "Das ist für mich das entscheidende Beurteilungskriterium für Reformvorschläge zur Fortentwicklung der Währungsunion", sagte Weidmann mit Blick auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron oder der Europäischen Kommission.

Macrons Vorschläge gingen weit über die Stabilisierung der Währungsunion hinaus, etwa die Vergemeinschaftung weiterer Politikbereiche wie der Verteidigung, der Migration oder dem Klimaschutz, sagte Weidmann. In der Tat könne bei bestimmten Politikfeldern ein gemeinsamer Ansatz sinnvoller sein als ein nationaler, so der Bundesbankpräsident. Wenn Ziele besser auf gemeinschaftlicher Ebene erreicht werden könnten, sei die gemeinsame Aufgabenerfüllung auch mit dem im Maastricht-Vertrag verankerten Subsidiaritätsprinzip vereinbar.

Zweifel an Umgestaltung des ESM

Die von Macron und der Europäischen Kommission vorgeschlagene Stabilisierungsfazilität zur Abfederung asymmetrischer Schocks im Euroraum hält Weidmann dagegen für "unnötig und nicht zielführend". Der Europäische Stabilisierungsmechanismus ESM stünde für den Fall bereit, dass ein Land im Krisenfall den Zugang zum Kapitalmarkt verlöre. "Dessen Fiskalhilfen wären mit Auflagen verknüpft, die die öffentlichen Finanzen solider und das Land wettbewerbsfähiger machen sollen", sagte Weidmann. Die Idee, den ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) umzugestalten, sei kritisch zu hinterfragen. Das gelte insbesondere dann, wenn ein EWF für ein Mitgliedsland einspringen soll, um beispielsweise Lasten einer Bankenabwicklung zu übernehmen. Das könne nur funktionieren, wenn die Banken im Euroraum zuerst ihre Bestände an notleidenden Krediten verringert hätten.

Der Bundesbankpräsident sieht indes gegenwärtig keine Bereitschaft der Politik, substanzielle Entscheidungsbefugnisse an die europäische Ebene abzugeben. In diesem Fall bleibe "nur ein Weg, um Handeln und Haften miteinander in Einklang zu bringen: die nationale Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten zu stärken". Dafür müsse aber die Bindungswirkung der europäischen Fiskalregeln erhöht und die disziplinierende Funktion der Finanzmärkte gestärkt werden. Weidmann plädierte dafür, dass eine unabhängige Institution die Haushaltsüberwachung anstelle der Europäischen Kommission übernehme. "Dann würde zumindest klar, wo die unvoreingenommene Analyse endet und wo das politische Zugeständnis beginnt", so Weidmann. Er erinnerte daran, dass die Bundesbank bereits einen Vorschlag zur Stärkung der Rolle des ESM bei der Haushaltsüberwachung gemacht habe.

Damit Regeln zur Tragfähigkeit der Staatsfinanzen funktionieren, müsse der Markt seine disziplinierende Wirkung entfalten können. Dazu müsse die "No Bailout"-Regel glaubwürdiger werden. "Anlegern muss klar sein, dass Staatsanleihen mit einem Ausfallrisiko verbunden sind, wenn sie Anleihen von unsolide haushaltenden Staaten kaufen", sagte Weidmann. Eine Restrukturierung von Staatsschulden, zum Beispiel durch einen Schuldenschnitt, müsse eine realistische Option und für das Finanzsystem verkraftbar sein. Voraussetzung hierfür sei aber, dass die enge Verknüpfung von Banken und Staaten aufgelöst werde. Weidmann forderte zudem ein Ende der regulatorischen Vorzugsbehandlung von Staatsanleihen. "Wenn Banken nur begrenzt in Staatsanleihen investieren dürften und diese mit ausreichend Eigenkapital unterlegen müssten, könnten sie im Fall der Fälle einen Schuldenschnitt besser verkraften", sagte der Bundesbankpräsident.

Für eine raschere Beendigung der Nettokäufe von Wertpapieren

Weidmann ging in seiner Rede auch auf die aktuelle Geldpolitik des EZB-Rats ein. Dieser hatte im Oktober entschieden, die monatlichen Käufe von Wertpapieren ab Januar 2018 von 60 auf dann 30 Milliarden Euro zu halbieren. Gleichzeitig wurde beschlossen, die Käufe bis mindestens September 2018 fortzusetzen. Im EZB-Rat herrsche dahingehend Einigkeit, dass angesichts des nur allmählich zunehmenden Preisdrucks im Euroraum eine expansive Geldpolitik im Grundsatz weiterhin angemessen sei, sagte Weidmann. Der Bundesbankpräsident verwies aber darauf, dass die Prognosen einen immer robuster werdenden wirtschaftlichen Aufschwung im Euroraum zeigen würden, so dass auch der binnenwirtschaftliche Preisdruck allmählich zunehme. Denn die Tarifabschlüsse im Euroraum dürften wieder stärker anziehen. Vor diesem Hintergrund bekräftige Weidmann seine Haltung, dass eine raschere Beendigung der Nettokäufe von Wertpapieren mit einem klar kommunizierten Endzeitpunkt gut vertretbar gewesen wäre. "Das sage ich auch, weil Staatsanleihenkäufe in einer Währungsunion mit besonderen Risiken und Nebenwirkungen verbunden sind", so Weidmann.