Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Jahrespressekonferenz am 27.02.2018

Frage:

Sie erwähnten in Ihrer Rede, dass wir einen wirtschaftlichen Aufschwung haben und dass die Streuung der Wachstumsraten in der Eurozone gesunken sei. Widersprechen die wieder stark gestiegenen TARGET2-Salden dieser Aussage? Sind das nicht stärker werdende Fliehkräfte innerhalb der Eurozone? Zweite Frage: Sie weisen in Ihrem Geschäftsbericht zum Thema Staatsverschuldung darauf hin, dass es auch wachstumsfördernd sein kann oder soll, wenn man Schulden abbaut. Mich würde interessieren, wenn Sie im Kreis von Finanzministern und Notenbankern sind, wie diese darauf reagieren? 

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Bei der Einschätzung der TARGET2-Salden muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Beweggründe hinter den Entwicklungen derzeit andere sind als beispielsweise auf dem Höhepunkt der Krise. Gegenwärtig ist der Anstieg der TARGET2-Salden eher durch technische Gründe getrieben, die mit unseren Ankaufprogrammen im Zusammenhang stehen. Das liegt daran, dass viele unserer Geschäftspartner außerhalb des Währungsraums ein Konto bei der Bundesbank führen und uns daher Liquidität zufließt. Das ist ein anderer Mechanismus als die Flucht in die Sicherheit, die wir auf dem Höhepunkt der Krise gesehen haben und die Ausdruck einer Vertrauenskrise in einigen der uns umgebenden Bankensektoren war, die aber auch Spannungen am Interbankenmarkt reflektiert hat. Insofern steht die Entwicklung der TARGET-Salden nicht im Widerspruch zu dem positiven wirtschaftlichen Ausblick und zu der breit getragenen Aufwärtsbewegung.

Die Reaktion auf die Forderung, die Schuldenquoten zurückzuführen, hängt natürlich davon ab, wo Sie als Finanzminister gerade stehen. Aber die meisten Finanzminister, mit denen ich spreche, sind sich bewusst, dass ein zu hoher Schuldenstand nicht nur eine Wachstumsbremse darstellt, sondern auch mit Anfälligkeiten verbunden ist. Mit Blick nach vorne ist außerdem klar, dass durch den hohen Schuldenstand der fiskalische Handlungsspielraum im Falle von wirtschaftlichen Eintrübungen eingeschränkt wird und dass die Möglichkeiten reduziert sind, solchen Eintrübungen entgegenzusteuern. Das ist ein weiterer Grund, jetzt zu konsolidieren. Die wissenschaftliche Evidenz in Bezug auf diese Wachstumsbremse "Schuldenstand" ist relativ gut etabliert. Die Frage ist, was in der Praxis folgt.

Frage:

Herr Weidmann, ich habe zwei Fragen. Herr Thiele hat seine Ausführungen zu den Risiken in der Bilanz mit den Worten eingeleitet: "Sollten die Leitzinsen ab 2019 steigen...". Da würde mich interessieren, ob das tatsächlich Ihre Erwartung ist. Die zweite Frage dreht sich um das Ankaufsprogramm selbst: Benoît Cœuré hat in einer Rede vergangene Woche gesagt, dass mittlerweile nur noch etwa zehn Prozent der deutschen Staatsanleihen in der Hand von privaten Investoren liegen. Wie schätzen Sie die Risiken für den Markt, für die Funktionsweise des Marktes ein, und wie gedenken Sie, diese Risiken zu adressieren, wenn das Programm langsam ausläuft?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Zu Ihrer ersten Frage: Ich prognostiziere ja grundsätzlich keine Entscheidungen des EZB-Rats. Aber Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass der Markt Erwartungen gebildet hat über mögliche Veränderungen der Leitzinsen im Jahr 2019, Mitte 2019, basierend nicht nur auf dem Datenkranz, den wir derzeit beobachten, sondern auch auf unserer Kommunikation. Diese Erwartungen sind nicht komplett unrealistisch, sie erscheinen auf den ersten Blick plausibel. Ich kommentiere hier nur Markterwartungen, prognostiziere aber keine Entscheidungen des EZB-Rats. Die Äußerungen von Benoît Cœuré habe ich so verstanden, dass er gesagt hat, dass sich natürlich durch das Ankaufprogramm die Marktstrukturen verändert haben und dass das in eine Richtung wirkt, die im Falle einer Normalisierung volatilitätsdämpfend sein kann. Und dass man nicht unbedingt davon ausgehen muss, dass es bei uns zu einem "Taper Tantrum" kommt. Das war der Kontext seiner Ausführung. Sie haben das anders interpretiert, dem kann ich auch einiges abgewinnen. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass wenn die Notenbanken zum dominierenden Akteur an den Märkten für Staatsanleihen werden, der Preisbildungsmechanismus nicht mehr das freie Spiel von Angebot und Nachfrage wiedergibt. Die Risikoprämien können dann nicht mehr als Maß für die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen genommen werden und die disziplinierende Funktion der Kapitalmärkte kann beeinträchtigt werden. Das ist aus meiner Sicht einer der großen Nachteile der Staatsanleihekäufe, aber auch der Grund dafür, dass wir uns im EZB-Rat selbst Grenzen gesetzt haben, beispielsweise in Bezug auf das Volumen der Anleihen, die wir erwerben wollen. Wir wollen möglichst viel vom Marktmechanismus erhalten und vor allem nicht länderspezifisch agieren und damit womöglich die Risikoprämien einzelner Länder beeinflussen. 

Frage:

Herr Weidmann, Sie haben am Anfang eine Bemerkung zu den jüngsten Marktturbulenzen gemacht. In dem Zusammenhang haben Sie auf die Kommunikation der Notenbanken hingewiesen. Ich vermute, dass Sie die Kommunikationsmängel eher in New York verorten. Da gab es ja auch einen Wechsel des Notenbankpräsidenten. Jetzt gibt es 2019 auch in der EZB einen Wechsel des Präsidenten. Wie wichtig ist es, in so einer Phase eine Kontinuität in der Kommunikation sicherzustellen? Und dann würde ich kurz den Blick nach Lettland richten. Sie sind Mitglied des EZB-Rats. Die EZB muss sich nun den Vorwurf gefallen lassen, bei der Bank, die in Schwierigkeiten ist, wieder mit den gleichen Mitteln zu löschen, die Sie selbst vorhin kritisiert haben. Aber es gab ja auch die Korruptionsvorwürfe Ihres Kollegen im Zentralbankrat. Wie ist so etwas überhaupt möglich? Überwacht man sich da so wenig? Da blickt man ja in einen Sumpf. Lettland ist zwar ein jüngeres Euro-Mitglied, aber es ist doch fatal, dass es zu so etwas kommen konnte.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Zu den Vorwürfen der Korruption, die Sie angesprochen haben: Ich halte es für verfrüht, Schlussfolgerungen aus Ereignissen zu ziehen, die wir derzeit noch nicht bewerten können, weil uns die Fakten nicht vorliegen. Ich würde Sie bitten, abzuwarten, was die Ermittlungen ergeben. Dann können wir uns ein Urteil bilden. Dahinter steht aber die Frage, welche Rolle die Bankenaufsicht bei der Einhaltung von Geldwäsche-Richtlinien und bei der Überwachung von Geldwäsche spielt. Es ist aus meiner Sicht nicht entscheidend, dass die Aufsicht ein eigenes Mandat in diesem Bereich hat, sondern vor allem, dass der Informationsaustauch gut funktioniert. Denn bei der Beurteilung und der Bewertung von Geschäftsmodellen ist es wichtig zu wissen, dass es Vorfälle in diesem Bereich gegeben hat, was natürlich auch bankaufsichtliche Konsequenzen nach sich zieht. Jetzt müssen wir schauen, ob der Informationsaustausch funktioniert hat und wann Hinweise vorlagen. Aber auch da ist es meines Erachtens zu früh, sich ein Urteil zu bilden und Schlussfolgerungen zu ziehen.

Mein Punkt war, dass man mit Blick auf eine zukünftig anstehende geldpolitische Normalisierung damit rechnen muss, dass die Volatilität an den Märkten zunimmt. Insofern ist das, was man da gesehen hat, gar nicht so außergewöhnlich. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, durch eine verlässliche Kommunikation darauf hinzuwirken, dass die Marktvolatilität möglichst gering ausfällt. Die Diskussion, die man in diesem Kontext führen kann, ist: Welche Kommunikation ist am besten hierfür geeignet. Es spricht viel dafür, dass man relativ früh klar macht, wie die Reaktionsfunktion des EZB-Rats aussieht, und den Märkten vermittelt, dass es, wenn es dann zu einer geldpolitischen Normalisierung kommt, eine graduelle, aber eben auch stetige geldpolitische Normalisierung geben wird – natürlich abhängig von dem Datenkranz, den man dann beobachten wird. Wir legen uns nicht unabhängig von den Daten und von den Inflationsperspektiven fest, sondern reagieren auf den volkswirtschaftlichen Datenkranz. 

Zu Ihrer Frage zu den zu den jüngsten Marktturbulenzen: Ich würde die Kausalität oder die Ursache dieser Aktienmarkt-Volatilitäten nicht bei der Geldpolitik allein suchen. Von Schuldzuweisungen halte ich sowieso nichts. Wir müssen unsere Lehren daraus ziehen und als Geldpolitiker versuchen, die Volatilität möglichst gering zu halten. 

Frage:

Could you talk a little bit about ending the asset purchases in this year? Do you have a feeling if there is a change within the governing council about that idea? You deal occasionally with the members of the governing council. You may also be the President of European Central Bank. Have they spoken to you about that and how they feel? And how much support do you feel within the council if you were selected?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Es ist gut, dass die Gespräche, die wir im EZB-Rat führen, auch dort bleiben und nicht öffentlich ausgebreitet werden. Insofern muss ich Ihre Erwartung enttäuschen, dass ich über Diskussionen des EZB-Rats berichte, die Sie nicht schon aus den Protokollen kennen. Gleichzeitig bin ich der Auffassung, dass man aus den Protokollen lesen kann, dass, wenn sich die Inflationsentwicklung so darstellt wie wir im Moment erwarten, es auch wenige Gründe gibt, kein Enddatum für die Käufe anzukündigen. Es ist wichtig zu sehen, dass die Geldpolitik automatisch expansiver wird, wenn die Realzinsen beim Anstieg der Inflationsrate sinken. Und das ist nur ein mögliches Maß des geldpolitischen Expansionsgrades. Aber auch, wenn Sie den Expansionsgrad beispielsweise an der Wirtschaftsentwicklung im Sinne der Taylor-Regeln festmachen, sehen Sie, dass die geldpolitische Ausrichtung und die Wirtschaftslage weiter auseinanderdriften. Bei einer veränderten Wirtschaftslage muss die Geldpolitik angepasst werden. Das gilt insbesondere, weil in Bezug auf die Anleihekäufe der Expansionsgrad im Zusammenhang mit dem Bestand an Anleihen in unserer Bilanz steht. Dieser wächst weiterhin und wird auch nach einem Ende der Nettokäufe sehr hoch bleiben. Die Geldpolitik wird nach einem Auslaufen der Nettokäufe sehr expansiv bleiben, und das vor dem Hintergrund einer durchaus positiven Wirtschaftsentwicklung.

Es geht hier um eine Entscheidung beziehungsweise um das Ende einer Amtszeit, die im Herbst 2019 ansteht. Das ist eine ganze Weile hin und wir haben genug geldpolitische Themen, die wir im EZB-Rat diskutieren können, da müssen wir uns nicht mit Personalspekulationen befassen.

Frage:

Herr Weidmann, ich habe zwei Fragen an Sie. Die EU-Kommission will prüfen, ob Krypto-Währungen auf EU-Ebene schärfer reguliert werden müssen. Dazu würde mich Ihre Meinung interessieren und was Sie im Sinne der Verbraucher für die beste Vorgehensweise halten? Und das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheidet heute, ob Fahrverbote für Dieselautos in Städten rechtlich zulässig sind. Da würde mich interessieren, da die Automobilindustrie ein wichtiger Bestandteil unserer Wirtschaft ist, ob Sie dadurch langfristig dämpfende Effekte erwarten?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Ich würde spekulieren, dass der wirtschaftliche Effekt nicht eindeutig zu bestimmen ist. Wir haben beispielsweise relativ viele Studien in Bezug auf Naturkatastrophen. Da sehen wir immer wieder, dass negative Schocks auch kurzfristig positive Effekte haben können, weil Aufbauleistungen stattfinden müssen. Insofern ist der konjunkturelle Impuls kurzfristig positiv. Das könnte auch in diesem Fall so sein, weil eine Nachfrage entsteht, nach emissionsärmeren Kraftfahrzeugen, die Flotten schneller erneuert werden müssen. Die langfristigen Effekte sind schwieriger zu bewerten.

In Bezug auf die Krypto-Währungen tue ich mich schwer, Ihre Begrifflichkeit zu übernehmen, weil ich lieber von Krypto-Token spreche, denn ich bin der Auffassung, dass diese digitalen Token die Eigenschaften einer Währung nicht wirklich erfüllen. Die Eigenschaften, die Geld haben sollte, sind bei Krypto-Token in der Regel nicht vorhanden. Geld hat eine Wertaufbewahrungsfunktion. Angesichts der extremen Volatilität, allein beim Kurs des Bitcoin, zeigt sich, dass die Wertaufbewahrungsfunktion von den meisten Krypto-Token nicht erfüllt wird. Sie wollen auch ein Zahlungsmittel haben, das mit geringen Transaktionskosten rasche Zahlungen ermöglicht, auch das ist bei Krypto-Token nicht der Fall. Sie müssen nicht nur lange warten, bis eine Zahlung verifiziert ist, die Überprüfung ist auch relativ teuer, wenn Sie das beispielsweise an den Energiekosten festmachen. Krypto-Token stehen als Zahlungsmittel nicht unbedingt in Konkurrenz zu unserem Geld. Und die Attraktivität der Krypto-Token als Zahlungsmittel wird deutlich abnehmen, wenn Instant Payments in Geschäftsbankengeld ausgerollt werden. Viele Banken wollen in diesem Sommer Echtzeitzahlungen in Geschäftsbankengeld anbieten und wir werden unsere eigene Infrastruktur bis Ende des Jahres entsprechend ausrichten. Sie können dann Zug-um-Zug-Geschäfte in Geschäftsbankengeld durchführen, das ist im Moment nur mit Bargeld möglich. Daher handelt es sich bei Krypto-Token vor allem um spekulative Finanzinstrumente.

Ich kann mir verschiedene Aspekte vorstellen, vor deren Hintergrund wir über eine Regulierung von Krypto-Token nachdenken müssen. Das beginnt mit Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, der für mich dringendste Regulierungsgrund. Die Geldwäsche-Richtlinie wird derzeit überarbeitet, mit dem Ziel, die Identität von Nutzern und von Wallet-Adressen bei Tauschbörsen festhalten zu können. Ein weiterer Punkt ist der Verbraucherschutz. Da kommt es darauf an, dass sich die Verbraucher der Risiken, die Anlagen in hochspekulative Finanzinstrumente bergen, bewusst sind. Hier geht es um Transparenz und um die Frage, ob für solche Finanzinstrumente geworben werden sollte. Und es geht um Warnungen. Wir erklären den Verbrauchern immer wieder, dass man sein Geld verlieren kann, wenn man es in solch hochspekulative Instrumente steckt. Aber es gibt viele andere Wege, Geld schlecht anzulegen. Die würden wir auch nicht alle verbieten. Risiken für die Finanzstabilität sind ein weiterer Aspekt, der zur Regulierung führen könnte. Da Krypto-Token derzeit ein Nischenphänomen sind, sehen wir aktuell keine Finanzstabilitätsrisiken. Das Financial Stability Board ist aber beauftragt worden, zu untersuchen, wann und über welche Kanäle aus der Benutzung von Krypto-Token Finanzstabilitätsrisiken erwachsen können. Das ist ein Thema, das wir im Rahmen der G20 diskutieren werden. Der letzte Punkt wäre die geldpolitische Transmission, aber da sehe ich letztlich auch keine Auswirkungen.

Das heißt nicht, dass die Technologie, die hinter Krypto-Token steckt, uninteressant ist. Die Deutsche Bundesbank, wie viele andere Notenbanken auch, experimentiert mit der Blockchain-Technologie. Die Technologie ist in bestimmten Anwendungen vielversprechend. Es gibt allerdings auch viele Anwendungen, bei denen unser konventioneller Ansatz, nämlich einen zentralen Akteur zu haben günstiger ist.

Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:

Die Technik ist aus unserer Sicht eher im Back-Office der Kreditinstitute wichtig, aber nicht zwingend im Zahlungsverkehr. Der Zahlungsverkehr ist bei uns ein Massenprodukt, das ausgereift, stabil und wertbeständig ist. Wir haben in Deutschland allein pro Tag 70 Millionen Überweisungen und in Bitcoin haben wir weltweit etwa 350.000 Transaktionen pro Tag, sodass das aus unserer Sicht ein Nischenprodukt ist. Wenn Sie sich beispielsweise den Energieverbrauch bei Bitcoin-Transaktionen anschauen, sehen wir im Zahlungsverkehr nicht unbedingt die Zukunft dieser Technologie. In anderen Bereichen kann es aber durchaus positive Effekte geben. Deshalb haben wir einen Prototyp mit der Deutschen Börse entwickelt und prüfen jetzt, inwieweit das skalierbar ist.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Es gibt eine Zahl, die sehr eindrücklich die Transaktionskosten belegt. Eine Transaktion im Bitcoin-Netzwerk verbraucht derzeit 400 Kilowatt, während eine unserer Transaktionen ein Watt verbraucht.

Frage:

Herr Weidmann, wie würden Sie die Kandidatur von Herrn de Guindos für die Vizepräsidentschaft der EZB bewerten? 

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Wie Sie sich vorstellen können, spekuliere ich nicht darüber, was sein könnte. Ich kann nur darauf hinweisen, dass im Grundsatz der Wechsel von der Politik in die Notenbank nichts Ungewöhnliches ist. Viele meiner Vorgänger hatten vorher auch Rollen in der Verwaltung und der Regierung. Letztlich kommt es darauf an, wie sich eine Person in ihrem neuen Amt verhält. Da gibt es zwei Faktoren: Auf der einen Seite gibt es den Thomas Becket-Effekt, also den Punkt, dass eine Institution auch immer ihre Funktionsträger prägt. Auf der anderen Seite ist die Unabhängigkeit der Notenbank institutionell sehr solide verankert. Das spielt sicherlich auch eine Rolle in ihren neuen Funktionen.

Frage:

Das hört sich eher nach "wir werden sehen" als nach einer richtigen Begeisterung für die Kandidatur von Herrn de Guindos an. Und wie wird sich die Bundesbank an der Bewertung der EZB beteiligen, die noch bevorsteht?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

"Wir werden sehen" deshalb, weil ich grundsätzlich solche Dinge nicht bewerte und Ihnen deswegen allgemeine Prinzipien dargestellt habe. Ich habe Finanzminister Luis de Guindos mehrfach getroffen und ihn auch schätzen gelernt. Es ist aber nicht meine Rolle, eine Prognose darüber abzugeben, wie jemand in der Zukunft seine Aufgaben erfüllen wird. Die Aufgabe des EZB-Rats besteht darin, die fachliche Qualifikation des Bewerbers zu bewerten und das wird der EZB-Rat auch tun.

Frage:

Sie haben lange Zeit die Geldpolitik der EZB in Frage gestellt. Sie haben sich besonders stark gegen QE ausgesprochen. Jetzt sieht die wirtschaftliche Lage gut aus, die Arbeitslosigkeit sinkt, es gibt wenig Inflation, auch in Deutschland. Sie haben es auch geschafft, die Staatsanleihekäufe zu reduzieren und Sie haben Ihre Kritik etwas gemildert. Bereuen Sie, eine so harte Linie gegen QE eingenommen zu haben? Eine zweite Frage: Ihr Vorgänger Axel Weber zog sich aus dem Rennen um den EZB-Chef zurück, offenbar weil er keine Ansichten vertreten wollte, an die er nicht glaubte. Hätten Sie ähnliche Bedenken?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Ich werde niemals Ansichten vertreten, an die ich nicht glaube und von denen ich nicht überzeugt bin. Insofern kann ich Ihre zweite Frage einfach beantworten. Die Position, die Sie skizzenhaft beschrieben haben, ist in Bezug auf die Anleihekäufe etwas differenzierter zu betrachten. Zum einen sind alle geldpolitischen Entscheidungen pfadabhängig und zum anderen ist das PSPP anders ausgestaltet als die vorangegangenen Staatsanleihekaufprogramme. Dies geschah nach einer intensiven Diskussion im EZB-Rat und auch mit dem Blick darauf, die Bedenken einiger Ratsmitglieder abzumildern. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass mit dem PSPP im Wesentlichen keine Umverteilung mehr von staatlichen Solvenzrisiken verbunden ist, wie das bei den vorangegangenen Programmen der Fall war. Das zeigt sich ebenso darin, dass die Käufe nach den Kapitalanteilen stattfinden und nicht nach der Marktkapitalisierung. Es wird nicht versucht, die Risikoprämien einzelner Länder zu beeinflussen, sondern dass in dem besonderen Rahmen, den wir im Euroraum haben, ein Programm aufgestellt wird, dessen geldpolitischer Charakter eben nicht in Frage steht. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass Staatsanleihekäufe gerade im Rahmen der Währungsunion kein Instrument wie jedes andere sind. Sie bergen Risiken, die andere geldpolitischen Instrumente nicht haben. Deswegen bin ich beim Einsatz von Staatsanleihekäufen deutlich vorsichtiger und skeptischer als einige Kollegen. Zum Beispiel weil ich die Marktdisziplinierung für sehr wichtig halte, damit die Währungsunion dauerhaft als Stabilitätsunion funktioniert. Ich sorge mich auch um die Verwischung der Grenzen zwischen Geld- und Fiskalpolitik, da wir inzwischen zum größten Gläubiger der Staaten geworden sind. Dann gibt es noch eine Diskussion darüber, welche geldpolitischen Entscheidungen konkret getroffen werden. Welche spezifischen Instrumente werden eingesetzt und wie ist eigentlich der geldpolitische Kurs? Im EZB-Rat herrscht derzeit große Einigkeit, dass der wirtschaftliche Ausblick und auch die Preisperspektiven sehr positiv sind. Am Ende des Prognosezeitraums könnte unser Preisstabilitätsziel grosso modo erreicht werden, allerdings immer unter der Annahme, dass die Notenbank noch einen erheblichen monetären Impuls gibt. Eine expansive Geldpolitik ist angemessen. Wir führen jetzt eine Diskussion darüber, wie wir kommunizieren und inwieweit zum Beispiel ein klarer Endzeitpunkt hätte kommuniziert werden sollen. Dies ist keine Grundsatzdiskussion mehr und somit eine ganz andere Situation, als jene, die Sie für Axel Weber beschrieben haben.

Frage:

Die Einlagen, die negativ verzinst sind, sind gestiegen. Woran liegt diese Entwicklung? Als Geschäftsbank will man das vermutlich vermeiden. Eine weitere Frage: Die Euroguthaben ausländischer Kunden sind ebenfalls gestiegen. Wird auf diese auch der Negativzins fällig? Wird hier die Bundesbank sozusagen als "sichere Bank" im Euro-Währungsgebiet genutzt? Sie scheinen zudem mit einem Drittel der Euroeinlagen einen sehr hohen Anteil am gesamten Einlagengeschäft zu haben.

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Nur zum Grundzusammenhang: Natürlich kann jede einzelne Bank versuchen, ihre Liquidität bei uns zu reduzieren. Das Finanzsystem als Ganzes kann das nicht. Wir drücken durch die Anleihekäufe Überschussliquidität in das System hinein. Das direkte Ergebnis dieser Anleihekäufe ist eine steigende Überschussliquidität. Dieser Grundzusammenhang ist intendiert.

Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:

In der Bilanz auf Seite 45 im Geschäftsbericht sehen Sie, dass die Verbindlichkeiten in Euro aus geldpolitischen Operationen gegenüber Kreditinstituten, die Verbindlichkeiten gegenüber sonstigen Ansässigen im Euroraum und die weiteren Verbindlichkeiten in Euro gegenüber Ansässigen außerhalb des Gebietes gestiegen sind, so dass in der Summe 929 Milliarden Euro negativ zu verzinsen sind. Die Papiere, die von den Notenbanken des Eurosystems und der EZB angekauft werden, setzten Geld frei und das geht unter anderem in diese Position.

Frage:

Sie hatten in Ihren Ausführungen darauf hingewiesen, dass es bei andauerndem Aufschwung keinen Grund gebe, die Nettokäufe von Wertpapieren bis Jahresende nicht zu beenden. Das muss sorgfältig vorbereitet werden. In den bisherigen Äußerungen der EZB steht immer noch ein Passus, wonach im Notfall nochmals mit einer Aufstockung der Anleihekäufe gerechnet wird. Müsste das nicht im Vorfeld fallen? Und die zweite Frage: Es gibt immer noch die sehr starke Verknüpfung der Anleihekäufe mit der Zinsentwicklung. Müsste man da nicht auch eine Änderung vornehmen und auf ein breiteres Spektrum von Instrumenten verweisen, nicht nur auf die Anleihekäufe?

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Sie haben vollkommen Recht, der geldpolitische Expansionsgrad wird im Wesentlichen mehr durch die Bestände ausgemacht als durch die Nettokäufe. Man muss also das Zusammenwirken aller Instrumente sehen und sollte sich nicht nur auf eines fokussieren. Den Protokollen werden Sie entnommen haben, dass es durchaus eine Debatte über die zukünftige Kommunikation gibt. In dem Zusammenhang spielt der Ausblick auf eine lediglich asymmetrische Änderung der Politik, also nur in Richtung mehr Expansion, eine Rolle, und das ist sicherlich ein Punkt, den wir in den nächsten Sitzungen diskutieren werden.

Frage:

Sie haben den Inflationsausblick angesprochen, die Zuversicht, dass es in Richtung zwei Prozent geht. In den USA gibt es inzwischen die Diskussion, inwieweit man über diese zwei Prozent zumindest zeitweise hinausschießen sollte. Solche Diskussionen stehen wahrscheinlich irgendwann auch im Eurosystem an, deswegen würde ich ganz gerne wissen, wie Sie zu dem Thema "Overshooting" stehen. Sie wollen sich nicht an den Personalspekulationen im Jahr 2019 beteiligen, deswegen die theoretische Frage: Welchen Einfluss hat in Ihrer Wahrnehmung der EZB-Präsident auf die Entscheidungsfindung im Rat? Gibt der Präsident die Richtung vor oder ist er gebunden durch die Mehrheiten im EZB-Rat? 

Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Sie haben Ihre Frage im Grunde schon selbst beantwortet. Natürlich werden die Entscheidungen im EZB-Rat in der Regel im Konsens getroffen. Die Rolle des Präsidenten besteht darin, diesen Konsens herbeizuführen. Aber es ist unumstritten, dass der Präsident eine herausgehobene Rolle hat, die Agenda setzt und auch maßgeblich Einfluss auf den Verlauf der Sitzungen nehmen kann. In Bezug auf Ihre erste Frage zum "Overshooting" oder "Preislevel-Targeting": Das verfolgt der EZB-Rat nicht als geldpolitische Strategie. Wir haben die Zwei-Säulen-Strategie und unser Ziel ist es, in der mittleren Frist unsere Definition von Preisstabilität zu erreichen. Das ist was ganz anderes und bedeutet nicht, dass man ganz bewusst ein Überschreiten dieses Ziels in Kauf nimmt. Ich habe keinen Kollegen gehört, der diese Strategie im Eurosystem in Frage stellt.