"Geldpolitik hat sich weit in unbekanntes Terrain vorgewagt"
Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat in einer Rede eine kritische Haltung zum jüngsten Maßnahmenpaket des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) eingenommen. "Die europäische Geldpolitik hat sich weit in unbekanntes Terrain vorgewagt und das Risiko einer Vereinnahmung durch die Fiskalpolitik steigt"
, sagte er beim 2. Finance Forum Liechtenstein in Vaduz. Die Risiken der ultralockeren Geldpolitik dürften nicht unterschätzt und die Fähigkeiten der Geldpolitik nicht überschätzt werden, so Weidmann. Um die Währungsunion dauerhaft zu stabilisieren, müsse vielmehr das Gleichgewicht zwischen Handeln und Haften wiederhergestellt und die Abhängigkeit der Banken von der Solvenz der Staaten wirksam reduziert werden, sagte der Bundesbankpräsident.
Am 10. März hatte der EZB-Rat den geldpolitischen Kurs abermals gelockert. Zu den beschlossenen Maßnahmen gehörten dabei unter anderem eine weitere Senkung der Leitzinsen, neue langfristige Refinanzierungsgeschäfte zu sehr günstigen Konditionen und eine Aufstockung des Volumens der monatlichen Anleihekäufe von 60 Milliarden auf 80 Milliarden Euro.
Maßnahmenbündel nicht überzeugend
Weidmann verwies zwar darauf, dass die Kernrate der Inflation, bei der schwankungsanfällige Komponenten wie Energie- oder Nahrungsmittelpreise ausgeblendet werden, zuletzt unerwartet gesunken sei, es andererseits aber noch zu früh sei, "um mit Sicherheit festzustellen, ob dieser Rückgang der Kernrate vorübergehender oder dauerhafter Natur ist"
. Einen Beleg für eine Entankerung der Inflationserwartungen und damit für das Risiko einer sich verfestigenden zu niedrigen Inflationsrate gebe es bisher nicht.
Insgesamt sei das veränderte Prognosebild geldpolitisch durchaus herausfordernd und habe Handlungsbedarf angezeigt. In dieser Hinsicht habe auch Einigkeit im EZB-Rat bestanden. "Allerdings gingen mir die Beschlüsse in ihrer Gesamtschau zu weit und das umfassende Maßnahmenbündel hat mich nicht überzeugt"
, betonte Weidmann.
Den Kauf von Staatsanleihen hält der Bundesbankpräsident dabei trotz der jüngsten Eintrübung der Preis- und Wachstumsaussichten auch weiterhin nicht für notwendig. Denn dieses seiner Ansicht nach "reine Notfallinstrument"
führe zu einer gefährlichen Vermengung von Geld- und Fiskalpolitik. Die Geldpolitik müsse im Auge behalten, dass mit der anhaltenden Niedrigzinspolitik und den unkonventionellen Maßnahmen auch Risiken einhergehen würden. "Und sei es nur, dass sich der
EZB-Rat mit immer abwegigeren Forderungen auseinandersetzen muss, Stichwort Helikoptergeld"
, sagte Weidmann.
Risiko von Finanzmarktblasen steigt, Reformdruck sinkt
Weidmann wies darauf hin, dass das Risiko von Blasen an den Finanzmärkten wachse, weshalb einige Mitgliedstaaten der Währungsunion sogenannte makroprudenzielle Maßnahmen ergriffen hätten, zum Beispiel um Übertreibungen am Immobilienmarkt vorzubeugen. Auch wenn bei Finanzstabilitätsrisiken vor allem die makroprudenzielle Politik gefordert sei, könne eine auf längerfristige Preisstabilität angelegte Geldpolitik solche Finanzstabilitätsrisiken nicht völlig ausblenden. "Denn am Ende bedrohen Finanzstabilitätsrisiken regelmäßig auch die Preisstabilität – das hat die Finanzkrise eindrucksvoll gezeigt"
, so Weidmann.
Der Bundesbankpräsident warnte zudem davor, dass die ultralockere Geldpolitik mit ihren umfangreichen Staatsanleihekäufen den Konsolidierungs- und Reformdruck in den Mitgliedstaaten des Euroraums reduzieren könne. "Mit den Käufen werden die Geldpolitik und die Fiskalpolitik immer weiter verwoben"
, sagte er. Für einen bedeutenden Teil der Staatsschuld seien die Finanzierungskosten des Staates von den Kapitalmarktbedingungen mittlerweile entkoppelt. Die Disziplinierung durch den Markt werde dadurch geschwächt. "Die Chance für eine besonders zügige Verringerung der Haushaltsdefizite, die durch die niedrigen Zinsen entstanden ist, wurde also nicht genutzt"
, sagte Weidmann mit Blick auf die Fiskalpolitik der Euro-Länder.
Kritisch äußerte er sich zu Vorschlägen für eine größere Vergemeinschaftung von Risiken ohne gleichzeitigen Souveränitätsverzicht: Solange die Mitgliedstaaten des Euro-Raums darauf beharren würden, auf nationaler Ebene Entscheidungen zu treffen, würde eine Ausweitung der Risikoteilung im entsprechenden Politikfeld die Stabilitätsgrundlagen der Währungsunion untergraben. Konkret nannte der Bundesbankpräsident eine gemeinsame europäische Einlagensicherung. Sie käme aus seiner Sicht nicht nur zu früh, sondern würde auch Anreize setzen, Risiken ins Bankensystem zu verlagern, die dann von allen geschultert werden müssten, warnte Weidmann.