100 Jahre deutsche Zahlungsbilanz Ein Rückblick von 1924 bis 2024

Wir nehmen das Jubiläum zum Anlass, im Jahr 2024 öfter einen Blick zurückzuwerfen. An dieser Stelle möchten wir Sie auf eine kleine Reise mitnehmen und Ihnen zeigen, wo die Zahlungsbilanzen von 1924 und 2024 noch sehr ähnlich sind und wo sie sich (deutlich) unterscheiden.

Darüber hinaus wird es einen Monatsberichtsaufsatz geben, der die letzten 100 Jahre der Zahlungsbilanz beleuchtet.
 

Weiterentwicklung des statistischen Erhebungssystems I

Bei der effizienten Erstellung eines makroökonomischen Rechenwerks wie der Zahlungsbilanz wird laufend evaluiert, ob der aktuelle Mix aus Quellen die statistischen Ergebnisse gut und kosteneffizient generiert. Dabei wird möglichst auf bereits bestehende Informationen zurückgegriffen. Zum Teil sind diese Informationen aber auch Grundlage für eine statistische Modellierung der Ergebnisse. So wird häufig die Veränderung von Bestandsangaben als Näherung für den Saldo der Transaktionen in diesem Zeitraum verwendet. Darüber hinaus ermöglichen weiterentwickelte statistische Methoden manchmal den Verzicht auf bestimmte Informationen.

Diese Optimierung wird im statistischen Produktionsprozess laufend vorgenommen. Für den Außenstehenden sind diese Veränderungen am offensichtlichsten, wenn auf statistische Meldungen gänzlich verzichtet werden kann. 1974 und 1984 gab es Anpassungen der Außenwirtschaftsverordnung, bei denen die Erhebungsvordrucke Z 6 (Überfällige Auslandsforderungen), Z 7 (Vorauszahlungen bei Ausfuhren) und Z 9 (Meldung der Reisebüros) eingestellt wurden. Die Informationen können seitdem aus anderen Quellen bezogen werden.

 

Statistisches Beiheft 3

Die Bundesbank veröffentlicht seit ihrem Bestehen den Monatsbericht. Mit jedem Monatsbericht wurden auch umfangreiche statistische Ergebnisse veröffentlicht. Da diese den Rahmen des Monatsberichts sprengen, wurden sogenannte „Statistische Beihefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank“ etabliert. Im Beiheft 3 wurden die Ergebnisse der Zahlungsbilanz veröffentlicht. Das älteste Exemplar liegt uns vom Juni 1968 in elektronischer Form vor.

Die Beihefte wurden im April 2020 durch die sogenannten Fachreihen ersetzt, die nur noch als PDF-Dokument angeboten werden, aber ansonsten praktisch unverändert blieben. In Zukunft soll diesem klassischen Veröffentlichungsformat ein zeitgemäßeres Publikationsformat an die Seite gestellt werden.

Zahlungsbilanzstatistik – Juni 1968 Statistisches Beiheft 3 zum Monatsbericht

 

Statistische Meldungen zur Zahlungsbilanz

Die Erstellung einer großen makroökonomischen Statistik wie der Zahlungsbilanz ist immer eine Puzzle-Arbeit. Welche Quellen stehen zur Verfügung und welche Lücken sind noch zu füllen? Gerade in der Anfangszeit der Zahlungsbilanz glich jede Erstellung der Statistik eher jeweils einer eigenständigen Forschungsarbeit. 

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges konnte man in Deutschland nicht einfach Fremdwährung halten. Man musste die Devisen, die man für Auslandsgeschäfte benötigte, beantragen (Devisenbewirtschaftung). Für die Erstellung der Zahlungsbilanz war dies eine hervorragende Quelle, um grenzüberschreitende Geschäfte zu messen. Mit der Zeit wurde die Devisenbewirtschaftung aber mehr und mehr gelockert, sodass für die Erstellung der Statistik wieder auf immer mehr indirekte Quellen und Schätzungen zurückgegriffen werden musste. 

Für die Erstellung der Zahlungsbilanz ist das Jahr 1961 ein Meilenstein. In diesem Jahr wurde die Außenwirtschaftsverordnung mit Meldepflichten für die Zahlungsbilanz erlassen. Sie legt fest, dass sowohl Bestände als auch Zahlungen mit Ausländern direkt an die Bundesbank zu melden sind. Damit hat die Zahlungsbilanz ihr eigenes Erhebungswerkzeug erhalten. Dies hat den Prozess der Erstellung wesentlich verstetigt und ist eine wichtige Grundlage, um qualitativ hochwertige, über den Zeitablauf vergleichbare Zahlen zu produzieren. Das Erhebungssystem wird zwar ständig an die veränderte Welt angepasst, es wurde damals aber mit so viel Weitblick erstellt, dass das Grundsystem bis heute besteht. 

Verordnung zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes 31.08.1961 | Bundesgesetzblatt – Teil I, Nr. 69

Das Zahlungsbilanzhandbuch – Auflage 3

Balance of Payments Manual 1961

Elf Jahre nach der 2. Auflage überarbeitet der IWF das Zahlungsbilanzhandbuch erneut. Die Änderung hat zwei Schwerpunkte:

Zum einen werden die Prinzipien der Zahlungsbilanz ausführlicher dargestellt. Das Handbuch verschiebt damit den Fokus des Handbuchs von einer reinen Beschreibung von statistischen Anforderungen hin zu einer Einführung in die Außenwirtschaft an sich. Auch wenn diese Einführung in den nächsten Auflagen immer weiter ausgebaut wird, so ist das Handbuch am Ende aber bis heute kein Lehrbuch zur Außenwirtschaft, sondern primär ein Nachschlagewerk für Expert:innen.

Zum anderen wurden kleine Änderungen an den Tabellen vorgenommen, um die Ergebnisse der Zahlungsbilanz mit weiteren Wirtschaftsstatistiken, die erst nach dem 2. Weltkrieg entstanden sind, vergleichbarer zu machen. Auch dieses Ziel wird die Entwicklung der kommenden Auflagen der Handbücher immer begleiten. Somit wird die autark entstandene Zahlungsbilanz immer weiter an (neue) Statistiken angepasst, um die wirtschaftspolitischen Analysen weiter zu fördern.

The Balance of Payments Manual – 3rd Edition 01.01.1961 | 19 MB, PDF

Das Zahlungsbilanzhandbuch – Auflage 2

Balance of Payments Manual 1950

Die Datenlage bei den einzelnen Ländern war sehr heterogen. Die Zusammenstellung vergleichbarer Länderergebnisse für das Zahlungsbilanzjahrbuch war sehr schwierig. Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit haben dazu geführt, dass bereits nach zwei Jahre das Zahlungsbilanzhandbuch weiter überarbeitet wurde. 

Zusätzlich zu der eigentlichen Tabelle zur Zahlungsbilanz wurden weitere Tabellen hinzugefügt, aus denen sich die Haupttabelle ableiten lässt. Mit den detaillierteren Informationen wollte der IWF ein besseres Verständnis für die Unterschiede erhalten und somit besser abzuschätzen, wie gut die Daten zwischen Ländern vergleichbar sind.

Für die Staatsverschuldung wurde dafür eine sehr detaillierte Aufstellung eingeführt, die den Bestand zum Anfang und zum Ende der Periode, sowie den Gründen für die Bestandsveränderung enthielt. Dieses Schema wird bis zur 7. Auflage zum vollintegrierten Auslandsvermögensstatus weiterentwickelt werden.

Neben diesen Maßnahmen zur Verbesserung der Vergleichbarkeit gab es auch eine große konzeptionelle Änderung. Nichtausgeschüttete Gewinne wurden nun in der Zahlungsbilanz so berücksichtigt, dass sie fiktiv ausgeschüttet werden und gleichzeitig neu im Unternehmen angelegt werden. Diese Verbuchung erfolgt auch noch heute unter „Reinvestierte Gewinne“.

The Balance of Payments Manual – 2nd Edition 01.01.1950 | 10 MB, PDF

Das Zahlungsbilanzhandbuch – Auflage 1

Balance of Payments Manual 1948

Nach Ende des 2. Weltkrieges übernahmen die Vereinten Nationen die Aufgaben des Völkerbundes. Die Aufgabe der Standardsetzung und Veröffentlichung von Zahlungsbilanzen wurde dem neu gegründeten Internationalen Währungsfonds (IWF) übertragen. Eine zentrale Aufgabe des IWFs ist bis heute die Vergabe von Finanzhilfen an Länder mit gravierenden Zahlungsbilanzproblemen.

Das Zahlungsbilanzhandbuch der 1. Auflage basiert grundlegend auf den Entwicklungen des Völkerbundes. In einer Fachkonferenz im September 1947 mit Vertretern aus etwa 30 Ländern und Internationalen Organisationen wurde eine vorläufige Form des Handbuchs verabschiedet. Die Struktur ist dabei den „Anforderungsschreiben“ des Völkerbunds sehr ähnlich. Eine große Neuerung stellt aber dar, dass neben umfangreichen Tabellen gleich am Anfang zentral die konzeptionellen Grundlagen der Zahlungsbilanz dargestellt werden.

The Balance of Payments Manual – 1st Edition 01.01.1948 | 4 MB, PDF

Weiterentwicklung der Konzepte

Die Konzepte der Zahlungsbilanz wurden laufend weiterentwickelt und verfeinert. Dafür wurde 1938 bei dem Völkerbund ein Subkomitee eingerichtet, das aber durch den Ausbruch des 2. Weltkriegs seine Arbeit nicht aufnahm. Es wurde 1945 erneut einberufen und die Mitglieder verschickten bereits im Dezember 1945 einen relativ kurzen Bericht. Obwohl der Bericht kurz ist sollte er die Entwicklung der Zahlungsbilanz für die nächsten 30 Jahre bestimmen. Die Empfehlung den Begriff der Zahlungsbilanz in „International Transaction Account“ umzubenennen wurde (leider?) nicht umgesetzt.

League of Nations – Concepts of the balance of payments

Die ersten internationalen Vorgaben zur Zahlungsbilanz

Der Völkerbund verschickte regelmäßig leere Tabellenrahmen und Erläuterungen an die Länder, um die Ergebnisse der nationalen Zahlungsbilanzen zusammenzutragen. Die Erläuterungen umfassten etwa 12 Seiten und sollen sicherstellen, dass die Ergebnisse der einzelnen Länder möglichst vergleichbar sind. Man kann sie somit als die ersten internationalen Vorgaben zur Zahlungsbilanz betrachten. Vieles erinnert dabei schon sehr an die heutigen konzeptionellen Vorgaben des Internationalen Währungsfonds:

  • Es ist bereits festgelegt, dass Importe mit dem Wert an der Grenze des exportierenden Landes (sogenannte c.i.f.-Bewertung) erfasst werden sollen. Auch die Auswirkungen auf das Transportkonto werden bereits erläutert. Die c.i.f.-Bewertung der Importe wird in der neuen Auflage des Zahlungsbilanzhandbuchs kritisch hinterfragt werden, aber bis auf Weiteres unverändert bleiben.
  • Außerdem werden im Warenhandel schon grundsätzlich notwendige Anpassungen des Außenhandels erläutert, die auch heute noch so durchgeführt werden.
  • Die aufgeführten Dienstleistungen umfassen schon sehr genau die aktuelle Dienstleistungsbilanz mit Ausnahme von IT-Dienstleistungen.
  • Sehr umfangreich wurde die Behandlung von Effekten der Migration auf die Zahlungsbilanz behandelt. Diese Effekte werden seit 2009 grundsätzlich anders behandelt (keine Transaktion).
  • In der Kapitalbilanz wurde in kurz- und langfristigen Transaktionen gedacht. Die heutigen Funktionalkategorien standen nicht im Fokus. Klargestellt wurde aber schon damals, dass bei Rückzahlungen zwischen Zinszahlungen und Tilgung zu unterscheiden ist und dass Wertschwankungen nicht Teil der Zahlungsbilanz sind.

Archiv der Vereinten Nationen in Genf

Request for a statement of the balance of payments Circular letter 220, December 1937

Der Anfang der offiziellen deutschen Zahlungsbilanz

Die deutsche Zahlungsbilanz 1930

Am 15. Juli 1926 wurde eine Arbeitsgruppe in Deutschland beauftragt, eine Zahlungsbilanz im Sinne des Völkerbundes zu stellen. 1930 veröffentlicht die Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse beginnend mit dem Berichtsjahr 1924. Es wird dabei weitgehend das Schema des Völkerbunds verwendet. An einigen Stellen werden die Untergliederungen erweitert, wo es für Deutschland Besonderheiten gibt, ohne dadurch die Vergleichbarkeit mit anderen Ländern zu gefährden. Dies ist ein Vorgehen, das auch heute noch üblich ist.

Die aktuellen Standards versuchen die Vergleichbarkeit sicherzustellen, in dem Erweiterungen der „Kernzahlungsbilanz“ bereits als mögliche zusätzliche Bestandteile enthalten sind. Bei der Behandlung von Banknoten ging Deutschland damals aber einen eigenen Weg, da die Arbeitsgruppe die Natur von Banknoten näher bei einem Kredit als beim (Währungs-)Gold sah. Eine Interpretation, die sich später auch international durchgesetzt hat. Heute werden Banknoten und kurzfristige Kredite in der Zahlungsbilanz gemeinsam ausgewiesen (Position: Währung und Einlagen). 

Die deutsche Zahlungsbilanz 1930

„Memorandum on Balance of Payments and foreign trade balances”

Bezugnehmend auf die Resolution von 1922 versendete der Völkerbund leere Tabellenrahmen einschließlich Ausfüllanweisungen an die Länder, mit der Bitte, diesen ausgefüllt zurückzuschicken. 

Wir sehen diese Ausfüllanweisungen als die erste internationale Empfehlung für die Erstellung der Zahlungsbilanz an, auch wenn anfangs wohl nur sehr wenige Länder diesen Ausfüllanweisungen folgten, sondern die Ergebnisse nach ihren nationalen Konzepten sendeten. Die Lieferungen wurden vom Völkerbund so gut es ging in die gewünschten Konzepte umgerechnet. 

1924 wurde der erste Bericht mit den Ergebnissen von 13 Ländern veröffentlicht. Deutschland ist in diesen Berichten erstmals 1926 mit Ergebnissen ab 1924 vertreten.

Archiv der Vereinten Nationen in Genf

MEMORANDUM ON BALANCES OF PAYMENTS AND FOREIGN TRADE BALANCES

Example response DE 1933

Resolution des Völkerbunds

Der Begriff „Zahlungsbilanz“ wurde bereits im 14. Jahrhundert verwendet, die erste Verwendung in der heutigen Bedeutung geht vermutlich auf Sir James Steuart im Jahre 1767 zurück.

Die ersten Versuche, Zahlungsbilanzen zu erstellen, wurden im 19. Jahrhundert in Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika unternommen.

Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Wirtschaftsordnung grundlegend und es kam zu starken wirtschaftlichen Verwerfungen zwischen den Ländern. Aus diesem Grund hat der Völkerbund in seiner 3. Versammlung am 28. September 1922 unter anderem die Sammlung und Veröffentlichung von nationalen Zahlungsbilanzen in Auftrag gegeben.

„Sie hofft, dass die Untersuchungen von verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Stabilisierung von Währungen und besonders des Handelsbilanzsaldos und der Zahlungsbilanz verschiedener Länder, was ein grundlegendes Element des Problems darstellt, aktiv vorangetrieben wird, so dass es zur Veröffentlichung von Berichten kommt, die diese Frage beleuchten, die von dringender Wichtigkeit ist.“

Resolution der 3. Vollversammlung, 1922 
Völkerbund

Dies kann als Startschuss für die systematische internationale Entwicklung der Konzepte und Methoden der Zahlungsbilanzen angesehen werden.

Archiv der Vereinten Nationen in Genf

United Nations Archives at Geneva Resolutions of the Third Assembly, 1922

Die erste deutsche Zahlungsbilanz

100 Jahre Zahlungsbilanz

Für das Jahr 1924 wurde die erste umfangreiche Zahlungsbilanz für Deutschland aufgestellt. Die hohen Reparationszahlungen, die Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs leisten musste, haben zu Verwerfungen im internationalen wirtschaftlichen Austausch geführt. Dies machte es notwendig, den internationalen wirtschaftlichen Austausch auch jenseits des Warenhandels zu beleuchten.