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Welche Rolle spielen Energiepreise für die Inflationserwartungen von Haushalten und Unternehmen? Research Brief | 62. Ausgabe – November 2023

Erwarten Haushalte und Unternehmen eine höhere Inflationsrate in der Zukunft, wenn sie selbst kürzlich höhere Energiepreise zahlen mussten? Ein neues Forschungspapier zeigt, dass Haushalte ihre Inflationserwartungen erhöhen, wenn sie höhere Energiepreise zahlen müssen. Dieser Effekt ist nur bei weniger gut informierten Haushalten vorhanden und kann bei Unternehmen in dieser Studie nicht festgestellt werden. Höhere Inflationserwartungen können individuelle Konsumentscheidungen beeinflussen und damit auch die aggregierte Nachfrage.

Die Inflation ist seit Mitte 2021 sowohl in Deutschland als auch global sehr stark gestiegen. Ein Großteil des Preisanstiegs kann in vielen europäischen Ländern durch deutlich gestiegene Energiepreise, insbesondere nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, erklärt werden. Eine neue Studie untersucht, wie Haushalte und Unternehmen ihre Erwartungen über die aggregierte Inflationsrate in einem Jahr bilden, wenn sie von gestiegene Energiepreisen betroffen sind (Wehrhöfer, 2023). Andere Forschungspapiere haben gezeigt, dass Haushalte Preise, die sie im Alltag häufig sehen, wie zum Beispiel Supermarktpreise, nutzen, um ihre Erwartungen über zukünftige Preise zu bilden (D’Acunto et al, 2021). Basierend auf dieser Erkenntnis untersucht die Studie den Effekt von Energiepreiserhöhungen auf die Inflationserwartungen von Haushalten und Unternehmen. Für die Geldpolitik ist es wichtig, die Erwartungsbildung von Haushalten und Unternehmen zu verstehen. Die Inflationserwartungen spielen sowohl für Haushalte, als auch für Unternehmen eine wichtige Rolle bei Spar- und Investitionsentscheidungen (D’Acunto et al, 2022, Coibion et al, 2023, Coibion et al, 2020a). Sie sind damit auch bedeutsam für die aggregierte Nachfrage und für die Transmission geldpolitischer Impulse in der Volkswirtschaft.

Abbildung 1: Energiepreiserhöhungen im Zeitverlauf für Haushalte und Unternehmen
Abbildung 1: Energiepreiserhöhungen im Zeitverlauf für Haushalte und Unternehmen

In der Studie werden zu diesem Zweck das Bundesbank Online Panel: Haushalte und das Bundesbank Online Panel: Firmen verwendet. In diesen Datensätzen werden Haushalte jeden Monat und Unternehmen jedes Quartal zu ihren Inflationserwartungen über die nächsten zwölf Monate befragt. Da beide Datensätze Panel sind, werden dieselben Haushalte und Unternehmen mehrfach hintereinander befragt. Des Weiteren enthalten die Datensätze auch Informationen darüber, ob ein Haushalt oder ein Unternehmen einen Energiepreisanstieg erlebt hat, wann dieser stattgefunden hat und wie groß der Preisanstieg war. Damit ist es möglich, Haushalte und Unternehmen in zwei Gruppen einzuteilen. Die erste Gruppe hatte in dem untersuchten Zeitraum langfristige Verträge mit ihren Energieversorgern und war deswegen von den Preisanstiegen abgeschirmt. Die Verträge der anderen Gruppe liefen während des Untersuchungszeitraums zwischen September 2021 und April 2022 aus und waren damit von den Energiepreisanstiegen betroffen. Die Daten zeigen, dass circa die Hälfte der Haushalte zwischen September 2021 und April 2022 keinen Preisanstieg erlebt haben (siehe Abbildung 1). Die restlichen Haushalte verteilen sich gleichmäßig über den Zeitraum mit Ausnahme des Januars, in welchem traditionell viele Verträge erneuert werden. Im Gegensatz dazu waren nur circa 30 Prozent der Unternehmen von Preisanstiegen nicht betroffen. Des Weiteren stieg der Anteil der betroffenen Unternehmen deutlich über die Zeit an (siehe Abbildung 1).

Der empirische Ansatz in dem Forschungspapier – ein sogenannter “difference-in-difference“ Ansatz – vergleicht Haushalte, die einen Preisanstieg erlebt haben, mit anderen Haushalten, die noch keinen Preisanstieg erlebt haben, über die Zeit. Dieser Ansatz erlaubt es, den Effekt der Preiserhöhungen von anderen Faktoren zu isolieren. Indem dieselben Haushalte über die Zeit verglichen werden, kann für Faktoren kontrolliert werden, die konstant über die Zeit sind. Der Vergleich mit einer nicht vom Preisanstieg betroffenen Gruppe ermöglicht es, für andere makroökonomische Entwicklungen zu kontrollieren. Der gleiche Ansatz wird für die Unternehmensdaten verwendet. 

Die Ergebnisse zeigen, dass die Inflationserwartungen von Haushalten, die einen Anstieg in ihrem Energiepreis erleben, relativ zu den Inflationserwartungen von Haushalten, die noch keinen Anstieg erlebt haben, sich deutlich erhöhen. Die Entwicklung der Inflationserwartungen vor dem Preisanstieg ist für beide Gruppen sehr ähnlich und entwickelt sich erst nach dem Preisanstieg deutlich auseinander. Dieser zeitliche Verlauf unterstützt die Annahme, dass die beiden Gruppen von Haushalten vor dem Preisanstieg vergleichbar waren. Nach dem Energiepreisanstieg steigen die Inflationserwartungen der betroffenen Haushalte sichtbar an. Dieser Effekt ist allerdings nur für große Energiepreisanstiege sichtbar. Diese Resultate implizieren, dass Haushalte ihre persönlichen Preiserfahrungen nutzen, um Erwartungen über makroökonomische Preisentwicklungen zu bilden.

Abbildung 2: Effekt von Energiepreisanstieg auf die Inflationserwartungen der Haushalte für unterschiedliche Gruppen
Abbildung 2: Effekt von Energiepreisanstieg auf die Inflationserwartungen der Haushalte für unterschiedliche Gruppen

Mit Hilfe der umfangreichen Befragungsdaten kann ebenfalls festgestellt werden, welche Bevölkerungsgruppen sich bei ihrer Erwartungsbildung am ehesten auf ihre persönlichen Erfahrungen verlassen. Abbildung 2 zeigt, dass dieses Verhalten insbesondere bei Haushalten mit niedrigem Einkommen, die einen größeren Teil ihres Einkommens für Energiekosten aufwenden, zu finden ist. Haushalte, die weniger gut über vergangene Inflation informiert sind oder der EZB wenig vertrauen, verlassen sich ebenfalls eher auf ihre persönlichen Preiserfahrungen. Dagegen spielen das Bildungsniveau der Haushalte und deren liquide Vermögenswerte keine entscheidende Rolle für die Erwartungsbildung. 

Haushalte, die sich mehr auf ihre persönlichen Erfahrungen verlassen, haben durch dieses Verhalten ungenauere Inflationserwartungen, wenn man diese mit zukünftigen Realisierungen des offiziellen Verbraucherpreisindex, mit einem individualisierten Verbraucherpreisindex, oder mit den Erwartungen von professionellen Prognostikern vergleicht. Die durch Extrapolation verzerrten Erwartungen können grundsätzlich Konsumentscheidungen und damit die aggregierte Nachfrage und auch die Lohnbildung beeinflussen (Cobion et al, 2020b). 

Die Unternehmensdaten zeigen wie Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder oder andere Entscheidungsträger in Unternehmen auf Energiepreiserhöhungen reagieren. Wie zu erwarten, geben Unternehmen einen Teil der gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiter, indem sie selbst ihre Preise erhöhen. Da Entscheidungsträger in Unternehmen regelmäßig weitreichende Entscheidungen auf Basis der zukünftig erwarteten Preise treffen, würde man vermuten, dass diese sich weniger auf ihre unternehmensspezifische Erfahrung und mehr auf allgemeine Marktkonditionen verlassen, um ihre Erwartungen zu bilden. In der Tat gibt es keinen Unterschied in der Veränderung der Inflationserwartungen von Unternehmen, die einen höheren Energiepreis zahlen müssen, relativ zu Unternehmen, die keine Preiserhöhung erlebt haben. Dieses Ergebnis impliziert, dass Entscheidungsträger in Unternehmen im Kontext dieses Forschungspapiers nicht ihre persönlichen Erfahrungen extrapolieren, sondern sich auf andere Informationsquellen verlassen.

Fazit 

Das unterliegende Forschungspapier zeigt, dass insbesondere einkommensschwache Haushalte ihre Inflationserwartungen auf Basis ihrer persönlichen Erfahrung von Energiepreiserhöhungen bilden und ihre Erwartungen dadurch weniger genau werden. Diese Haushalte sind damit von Energiepreiserhöhungen doppelt negativ betroffen: Zum einen geben sie überproportional viel Geld für Energie aus, und zum anderen werden ihre Inflationserwartungen verzerrt, was sich auf zukünftige Spar- und Konsumentscheidungen auswirken kann. Das bedeutet, das Energiepreiserhöhungen nicht nur einen direkten Effekt auf die Inflation haben, sondern auch die Inflationserwartungen und damit in einem Zweitrundeneffekt die aggregierte Nachfrage beeinflussen können.

Haftungsausschluss 
Die hier geäußerten Ansichten spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Deutschen Bundesbank oder des Eurosystems wider.

Referenzen

  • Coibion, Olivier, Yuriy Gorodnichenko, and Tiziano Ropele (2020a) “Inflation Expectations and Firm Decisions: New Causal Evidence“, Quarterly Journal of Economics 135, pp. 165-219
  • Coibion, Olivier, Yuriy Gorodnichenko, Saten Kumar, and Mathieu Pedemonte (2020b) “Inflation Expectations as a policy tool“, Journal of International Economics 124, pp. 103-297
  • Coibion, Olivier, Dimitris Georgarakos, Yuriy Gorodnichenko, and Maarten van Rooij (2023) “How Does Consumption Respond to News about Inflation? Field Evidence from a Randomized Control Trial“, American Economic Journal: Macroeconomics 15(3), pp. 109-52
  • D’Acunto, Francesco, Ulrike Malmendier, Juan Ospina, and Michael Weber (2021) “Exposure to Grocery Prices and Inflation Expectations“, Journal of Political Economy 129(5), pp. 1615-1639 
  • D’Acunto, Francesco, Daniel Hoang, and Michael Weber (2022) “Managing Households’ Expectations with Unconventional Policies“, The Review of Financial Studies 35(4), pp. 1597–1642
  • Wehrhöfer, Nils (2023) “Energy Prices and Inflation Expectations: Evidence from Households and Firms”, Bundesbank Discussion Paper 28/2023
Der Autor
Nils Wehrhöfer ©Hannes Wulf
Nils Wehrhöfer
Forschungsökonom am Forschungszentrum der Deutschen Bundesbank

Neuigkeiten aus dem Forschungszentrum

Veröffentlichungen

  • What Drives Startup Valuations?“ von Björn Imbierowicz (Deutsche Bundesbank) und Christian Rauch (American University of Sharjah) wird im Journal of Banking and Finance erscheinen.
  • Are Tax Cuts Contractionary at the Zero Lower Bound? Evidence from a Century of Data“ von James Cloyne (University of California, Davis), Nicholas Dimsdale (Oxford University) und Patrick Hürtgen (Deutsche Bundesbank) wird im Journal of Political Economy erscheinen.

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