Die Erwartungen der privaten Haushalte und unbeabsichtigte Folgen der Ankündigung wirtschaftspolitischer Maßnahmen Research Brief | 34. Ausgabe – November 2020
Durch die Ankündigung wirtschaftspolitischer Maßnahmen können die Erwartungen der privaten Haushalte bezüglich der künftigen Entwicklung ihrer persönlichen wie auch der gesamtwirtschaftlichen Lage beeinflusst werden. Im vorliegenden Research Brief zeigen wir, dass die Privathaushalte ihre Erwartungen mit Blick auf die wirtschaftliche Situation nach unten angepasst haben und die wirtschaftliche Unsicherheit in der Anfangsphase der Covid-19-Pandemie gestiegen ist. Darüber hinaus wird dargelegt, dass private Haushalte ihr künftiges Einkommen und das Wirtschaftswachstum erstaunlicherweise pessimistischer einschätzen, wenn sie über die stabilisierenden geld- und finanzpolitischen Maßnahmen informiert wurden.
Stabilisierungsmaßnahmen dienen dazu, die Wirtschaft nach einem Abschwung wieder auf Kurs zu bringen. Eine sorgsam ausgestaltete Kommunikationsstrategie spielt dabei eine wichtige Rolle, da es bislang keine klaren Erkenntnisse darüber gibt, ob und inwieweit Privathaushalte auf die Ankündigung wirtschaftspolitischer Maßnahmen reagieren. In diesem Research Brief untersuchen wir, welche Auswirkungen verschiedene politische Ankündigungen zu Beginn der Covid-19-bedingten Rezession auf die Erwartungen der privaten Haushalte hatten. Die dafür verwendeten Daten stammen aus der neuen Umfrage der Bundesbank zu den Erwartungen der privaten Haushalte.
Die Befragung wird in Form eines monatlichen Online-Panels durchgeführt und soll politischen Entscheidungsträgern Erkenntnisse zur wirtschaftlichen Lage und Stimmung der deutschen Haushalte sowie zu den Erwartungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinsichtlich ihrer künftigen persönlichen aber auch gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse liefern. Konkret geben die Befragten Auskunft über ihr Haushaltseinkommen, ihren Arbeitsmarktstatus und andere grundlegende soziodemografische Gegebenheiten. Außerdem werden die Erwartungen in Bezug auf das künftige Wirtschaftswachstum, die Inflation, die Vermögenspreise und die Entwicklung des persönlichen Einkommens durch eine Reihe von Fragen zur künftigen Verteilung und durchschnittlichen Realisierung dieser Variablen extrahiert. Dank der Struktur der Befragung ist es möglich, bei jeder monatlichen Welle weitere Fragen mit aktuellem Bezug hinzuzufügen. Eine eingehende Beschreibung des Umfrage-Projekts findet sich in Beckmann und Schmidt (2020).
Die Deutsche Bundesbank verfolgt mit der Befragung das Ziel, die Auswirkungen geld- und finanzpolitischer Maßnahmen auf die Erwartungen der privaten Haushalte genauer zu ergründen. In diesem Sinne wurde im Rahmen der Umfrage vom April 2020 ein Experiment durchgeführt, mit dessen Hilfe die Reaktionen der Privathaushalte auf die Ankündigung verschiedener wirtschaftspolitischer Maßnahmen zu Beginn der aktuellen Rezession beleuchtet werden konnten.
Covid-19 verursacht Uneinigkeit, Pessimismus und Unsicherheit über die künftigen Entwicklungen
In Abbildung 1a wird die Verteilung der von den Privathaushalten im Mai 2020 erwarteten Inflationsraten mit der Verteilung ein Jahr zuvor verglichen. Die durchschnittlichen Inflationserwartungen haben sich zwar kaum verändert, doch sind die Unterschiede zwischen den individuellen Prognosen deutlich gestiegen. Für die kommenden zwölf Monate erwarten nicht nur mehr Haushalte eine hohe Inflationsrate, sondern auch mehr Haushalte eine geringe oder sogar negative Inflationsrate. Dies bedeutet, dass sich die Einschätzungen der Privathaushalte bezüglich der künftigen Inflation stärker voneinander unterscheiden.
Auch das eigene Einkommen wird pessimistisch gesehen. Befragte in einem Beschäftigungsverhältnis erwarten im Schnitt, dass ihr Nettoeinkommen im kommenden Jahr um monatlich 115 Euro sinken wird. Hinter diesem Durchschnitt verbergen sich allerdings signifikante Unterschiede. Wie Abbildung 1b zeigt, gehen 19,3 Prozent der Befragten von einem Rückgang ihres Einkommens um weniger als 250 Euro aus, 12 Prozent von einer Verringerung um 250 bis 500 Euro und 9,2 Prozent erwarten sogar, dass es noch stärker sinkt.
Die Ankündigung expansiver politischer Maßnahmen stimmt Privathaushalte pessimistischer
Um zu verstehen, wie sich die Erwartungen der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer infolge der Ankündigung politischer Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie verändern, wurden die Befragten zufällig in vier Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe erhielt wirtschaftlich irrelevante Informationen (eine Placebo-Behandlung) über einen EU Aktionsplan zu Menschenrechten und Demokratieförderung. Den Mitgliedern der anderen drei Gruppen wurde eine gekürzte Fassung der tatsächlichen Ankündigung von Maßnahmen der jüngsten Zeit vorgelegt. In Zeile 1 von Tabelle 1 werden die Ergebnisse für die Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB) bezüglich des Ankaufs von Anleihen im Umfang von bis zu 750 Milliarden Euro ausgewiesen. Zeile 2 enthält die Resultate für die Ankündigung der Bundesregierung über die Einführung eines Hilfspakets in Höhe von 750 Milliarden Euro für Arbeitnehmer, Selbstständige und Unternehmen. In Zeile 3 schließlich sind die Ergebnisse für die Ankündigung des deutschen Wirtschaftsministers hinsichtlich der Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie dargestellt. Die in den einzelnen Spalten angegebenen Zahlen bilden die geschätzten Informationseffekte („Treatment Effects“) der politischen Ankündigungen in Bezug auf eine bestimmte Variable ab. Vereinfacht ausgedrückt, geben die Zahlen darüber Auskunft, wie die Befragten im Vergleich zu den Personen in der „Placebo-Gruppe“ ihre Einschätzung der wirtschaftlichen Ergebnisse geändert haben, nachdem sie Informationen über die verschiedenen Politikmaßnahmen zur Krisenbewältigung erhalten haben. Anhand dieses Aufbaus lässt sich untersuchen, inwieweit die einzelnen Maßnahmen die Erwartungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kausal beeinflussen.
Da die drei genannten Maßnahmen expansiv ausgerichtet sind, sollten sie die privaten Haushalte zu einer optimistischeren Einschätzung der zukünftigen Entwicklung bewegen. Das Experiment liefert jedoch keine Hinweise darauf, dass eine der drei Ankündigungen signifikante Auswirkungen auf die Einkommenserwartungen hatte (Spalte 1). Zudem fallen die Schätzungen zum künftigen Wirtschaftswachstum bei Befragten, die Informationen zu den Maßnahmen erhalten haben, geringer aus (Spalte 2). Obwohl alle drei Maßnahmen also einer Stimulierung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) dienen, nehmen die Haushalte, die darüber informiert werden, eine pessimistischere Haltung ein als die Haushalte, denen diese Informationen vorenthalten bleiben. Beispielsweise erwarten diejenigen, die über die fiskalischen Maßnahmen (Zeile 2) informiert wurden, einen knapp zwei Prozentpunkte niedrigeren BIP-Anstieg im kommenden Jahr als die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Placebo-Behandlung.
Darüber hinaus nimmt auch die Unsicherheit der Privathaushalte zu, nachdem sie Informationen zu den Politikmaßnahmen erhalten haben. Die Unsicherheit wird hier gemessen, indem die Befragten die Wahrscheinlichkeit benennen sollen, mit der das BIP (beziehungsweise das künftige Nettoeinkommen der privaten Haushalte) um einen bestimmten Betrag steigen oder sinken wird. Je unsicherer die Haushalte sind, desto größer ist die Streubreite ihrer Antworten. Die Untersuchung zeigt, dass Privathaushalte, die über die Stützungsmaßnahmen informiert wurden, sowohl hinsichtlich ihres erwarteten Einkommens (Spalte 3) als auch des künftigen BIP-Wachstums (Spalte 4) eine erhöhte Unsicherheit aufweisen. Spalte 5 veranschaulicht, dass diese negativen Auswirkungen auf die Einschätzung der künftigen Entwicklung die Privathaushalte im Falle der fiskalischen Maßnahmen (Zeile 2) dazu veranlassen, eine deutlich geringere Bereitschaft zur Tätigung größerer Anschaffungen zu zeigen.
Womit lassen sich diese unerwarteten Effekte erklären?
Eine Erklärung könnte sein, dass die politischen Maßnahmen den privaten Haushalten bereits vor dem Experiment bekannt waren. Bei der Umfrage gibt es Fragen dazu, wie gut die Befragten über die Wirtschaftspolitik informiert sind. Im Rahmen des Experiments wurden keine Unterschiede bezüglich Erwartungsanpassungen zwischen sachkundigen und weniger sachkundigen Personen beobachtet. Möglich ist auch, dass die privaten Haushalte die Auswirkungen der politischen Maßnahmen nicht vollständig erfassen. Allerdings sind die Effekte auch bei den am Einfachsten zu verstehenden Ankündigungen festzustellen.
Aus den politischen Ankündigungen könnte unter Umständen auch hervorgehen, dass die Wirtschaft in einem schwächeren Zustand ist, als dies von den privaten Haushalten angenommen wurde. Diese könnten also zu der Vermutung gelangen, dass die Lage schlechter als gedacht sein muss, wenn die EZB oder die Bundesregierung solche Maßnahmen verkünden. Dies wird mitunter als „Signalwirkung“ oder „Informationseffekt“ bezeichnet (siehe Melosi, 2017, Nakamura und Steinsson, 2018, Kerssenfischer, 2019). Es ergeben sich zwar keine harten Belege dafür, dass die vorliegenden Ergebnisse von einer solchen Signalwirkung beeinflusst werden, sie passen aber dennoch in dieses Bild. Coibion et al. (2020) kommen in einer aktuellen Umfrage unter US-Haushalten zu einem ähnlichen Ergebnis.
Im weiteren Verlauf werden die verschiedenen Reaktionen der privaten Haushalte auf die wirtschaftspolitischen Ankündigungen näher untersucht. Wird zwischen kreditbeschränkten und nicht kreditbeschränkten Privathaushalten unterschieden (wobei die Einstufung auf einer Selbsteinschätzung des Kreditzugangs basiert), so ist festzustellen, dass Erstere optimistischer hinsichtlich ihres künftigen Einkommens und des erwarteten BIP-Wachstums sind. Dagegen schätzen die nicht kreditbeschränkten privaten Haushalte die erwarteten Ergebnisse zunehmend pessimistisch ein.
In Abbildung 2 ist beispielhaft dargestellt, welche Auswirkungen die Ankündigung der EZB-Maßnahmen haben. Haushalte mit Kreditbeschränkungen, die Informationen über die Stützungsmaßnahmen der EZB erhalten haben, erwarten ein um durchschnittlich 330 Euro höheres zukünftiges Einkommen als Haushalte, die nicht über diese Informationen verfügen (siehe linke Grafik in Schaubild 2; die vertikale Linie bildet das Signifikanzniveau von 90 Prozent ab). Im Gegensatz dazu geht aus dem rechten Panel hervor, dass die nicht kreditbeschränkten privaten Haushalte, die diese Informationen erhalten haben, verglichen mit jenen, die sie nicht erhalten haben, mit einem durchschnittlich 90 Euro niedrigeren Einkommen rechnen.
Die Ergebnisse für das erwartete BIP-Wachstum zeigen, dass sich durch den unterschiedlichen Informationsstand ein großer und statistisch signifikanter positiver Effekt auf die kreditbeschränkten Haushalte ergibt. Im Schnitt gehen diese Haushalte von einem um 4,5 Prozentpunkte höheren künftigen BIP-Wachstum aus, wenn sie von den Ankündigungen erfahren. Bei nicht kreditbeschränkten Haushalten führt die Ankündigung der Maßnahmen zu einer um 1,8 Prozentpunkte niedrigeren Prognose für das BIP-Wachstum.
Die Ergebnisse deuten somit darauf hin, dass eine negative Signalwirkung nur bei den nicht kreditbeschränkten Haushalten auftritt, während die kreditbeschränkten Haushalte ihre Erwartungen nach wirtschaftspolitischen Ankündigungen tendenziell nach oben revidieren.
Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass kreditbeschränkte Haushalte die aktuelle Wirtschaftsentwicklung aufmerksamer verfolgen, da sie von etwaigen Veränderungen stärker betroffen sind. Denkbar ist auch, dass private Haushalte kreditbeschränkt sind, weil sich die wirtschaftlichen Bedingungen aufgrund der Corona-Pandemie verschlechtert haben und sie die Lage daher bereits als sehr negativ wahrnehmen. In diesem Fall führt jede Ankündigung expansiver politischer Maßnahmen dazu, dass sie ihre Erwartungen über die Zukunft nach oben korrigieren.
Fazit
Die Analyse lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass die privaten Haushalte die vorgeschlagenen politischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie oder deren Wirksamkeit kritisch sehen. Vielmehr deutet sie darauf hin, dass Ankündigungen umfangreicher Maßnahmen in unsicheren Zeiten unerwartete Auswirkungen auf die Einschätzung der privaten Haushalte hinsichtlich der künftigen Wirtschaftslage haben können. Aus der Studie lässt sich indes ableiten, dass Ankündigungen politischer Maßnahmen sorgsam ausgestaltet und gut kommuniziert werden müssen.
Haftungsausschluss |
Die hier geäußerten Ansichten spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Deutschen Bundesbank oder des Eurosystems wider. |
Literatur
- Beckmann, E. und T. Schmidt, Bundesbank-Pilotstudie zu Erwartungen privater Haushalte, Technical Paper der Deutschen Bundesbank 01/2020.
- Coibion, O., Y. Gorodnichenko und M. Weber, Does Policy Communication during Covid Work?, unveröffentlichtes Manuskript, Juni 2020.
- Kerssenfischer, M. (2019), Information Effects of Euro Area Monetary Policy: New Evidence from High-Frequency Futures Data, Diskussionspapier der Deutschen Bundesbank, Nr. 07/2019.
- Melosi L. (2017), Signalling effects of monetary policy, The Review of Economic Studies 84.2, S. 853-884.
- Nakamura, E. und J. Steinsson (2018), High-frequency identification of monetary non-neutrality: the information effect, The Quarterly Journal of Economics 133.3, S. 1283-1330.
Die Autoren | ||
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Olga Goldfayn-Frank Forschungsökonomin, Forschungszentrum der Deutschen Bundesbank | Georgi Kocharkov Forschungsökonom, orschungszentrum der Deutschen Bundesbank | Michael Weber Associate Professor of Finance, University of Chicago |
Neuigkeiten aus dem Forschungszentrum
Veröffentlichungen
- „What Drives Startup Valuations?“ von Björn Imbierowicz (Deutsche Bundesbank) und Christian Rauch (American University of Sharjah) wird im Journal of Banking and Finance erscheinen.
- „Are Tax Cuts Contractionary at the Zero Lower Bound? Evidence from a Century of Data“ von James Cloyne (University of California, Davis), Nicholas Dimsdale (Oxford University) und Patrick Hürtgen (Deutsche Bundesbank) wird im Journal of Political Economy erscheinen.
Veranstaltungen
- Research Workshop on Numerical Methods in Macroeconomics
22. – 23.10.2024 | Frankfurt am Main
gemeinsam mit The Institute of Monetary and Financial Stability der Goethe Universität
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Weiterführende Informationen
in englischer Sprache