Wechselkurse auf einem LED-Display ©bankoo / Fotolia

Wie die Fehlbewertung einer Währung (nicht) berechnet werden sollte Research Brief | 33. Ausgabe – Juni 2020

Welches ist der angemessene Wechselkurs, der weder inländischen noch ausländischen Anbietern einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschafft? Eine neue Studie untersucht, ob die aktuell verwendeten Schätzverfahren gut geeignet sind, um diese Frage zu beantworten. Es stellt sich heraus, dass sie es oft nicht sind.

Reisenden ist das Phänomen wohl bekannt: Man reist in ein Nachbarland und stellt fest, dass Güter des täglichen Bedarfs hinter der Grenze – umgerechnet in Euro – oft deutlich günstiger oder teurer sind als vergleichbare Produkte zu Hause. Übersteigt das allgemeine Preisniveau eines Landes das seiner Partner, kann dies für dessen Wirtschaft zum Problem werden: Urlauber aus dem Ausland ziehen möglicherweise ein anderes, die Haushaltskasse weniger belastendes Reiseziel vor. Konsumenten aus dem Inland wiederum tätigen Großeinkäufe unter Umständen bevorzugt im grenznahen Ausland oder entscheiden sich für vergleichsweise günstige Importprodukte. Die Exportwirtschaft könnte aufgrund der hohen Preise ihrer Produkte die Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten verlieren.

Insbesondere mit Blick auf die letztgenannte Problematik verfolgen Regierungen, Zentralbanken und internationale Organisationen genau, wie sich das Preisniveau im Inland, in Auslandswährung umgerechnet, relativ zum Preisniveau im Ausland entwickelt. Dieses relative Preisniveau wird auch als realer Wechselkurs bezeichnet. Kurzfristig kann ein Land eine geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft aufgrund eines hohen relativen Preisniveaus am leichtesten dadurch verbessern, dass es Maßnahmen zur (nominalen) Abwertung seiner eigenen Währung ergreift. Beispielsweise könnte es am Devisenmarkt intervenieren, das heißt fremde mit eigener Währung kaufen. Durch die dadurch ausgelöste Abwertung der eigenen Währung sinkt der Preis heimischer Güter auf den Exportmärkten. Spiegelbildlich steigt das relative Preisniveau des Auslands. Dessen preisliche Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert sich. Ein solches Vorgehen birgt daher das Risiko, sich dem politischen Vorwurf einer ungerechtfertigten Währungsmanipulation auszusetzen. Tatsächlich erstellt beispielsweise das US-amerikanische Finanzministerium halbjährlich einen Bericht, welcher die Wechselkurspolitik wichtiger Handelspartner unter diesem Aspekt beleuchtet (z. B. US Treasury, 2020).

Statistische Verfahren zur Ermittlung von Fehlbewertungen

Welches aber ist der angemessene Wechselkurs, der weder inländischen noch ausländischen Anbietern einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschafft? Weder die Wissenschaft noch Zentralbanken oder internationale Organisationen verwenden eine einheitliche Methodik, um dies zu berechnen. In meinem jüngsten Forschungspapier vergleiche ich die dabei eingesetzten statistischen Verfahren unter sonst gleichen Bedingungen (Fischer, 2019). Die Studie geht erstens der Frage nach, ob die unterschiedlichen statistischen Verfahren zu merklich unterschiedlichen Werten für die berechneten angemessenen Wechselkurse führen. Zweitens untersucht sie, ob eines der Verfahren den anderen grundsätzlich überlegen ist.

Eine wesentliche Herausforderung bei der Berechnung angemessener Wechselkurse besteht darin, dass neben dem realen Wechselkurs oft noch andere Faktoren berücksichtigt werden müssen. Weist ein Land ein hohes relatives Preisniveau auf, ist dies nicht gleichbedeutend mit fehlender preislicher Wettbewerbsfähigkeit dortiger Anbieter. Es ist beispielsweise empirisch gut belegt, dass hoch produktive Volkswirtschaften in der Regel ein hohes Preisniveau aufweisen, ohne zwangsläufig weniger wettbewerbsfähig zu sein. Ein Grund hierfür können besonders hohe Preise für Dienstleistungen sein, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen. Dazu gehören beispielsweise Mieten, Haarschnitte oder Konzertbesuche.

Deshalb korrigieren entsprechende Analysen in der Regel das relative Preisniveau um den Einfluss von Faktoren wie Produktivitätsunterschieden zwischen den Ländern. Dies geschieht, indem sie den typischen Effekt einer Variation dieser Variablen, also beispielsweise des relativen Produktivitätsniveaus, auf den realen Wechselkurs für eine Gruppe (ein Panel) von Ländern schätzen. Bei dieser Schätzung setzen sie unterschiedliche Panel-Schätzverfahren ein. In meiner Studie untersuche ich, wie sich dies auf die berechneten angemessenen Wechselkurse auswirkt.

Das am häufigsten verwendete Panel-Schätzverfahren ist die Regression mit fixen Ländereffekten. Es konzentriert sich ganz auf die Wirkung einer Variation der relativen Produktivität im Zeitverlauf auf die Entwicklung des realen Wechselkurs. Gleichzeitig unterstellt es aber, dass Unterschiede zwischen den durchschnittlichen Produktivitätsniveaus verschiedener Länder, jeweils gemittelt über die Zeit, keinen systematischen Einfluss auf den realen Wechselkurs ausüben. Andere Verfahren, wie zum Beispiel eine Kleinstquadratmethode, treffen die Annahme, dass der Einfluss auf den realen Wechselkurs unabhängig davon ist, ob man eine Variation des relativen Produktivitätsniveaus über die Zeit betrachtet oder eine Variation des durchschnittlichen Produktivitätsniveaus über verschiedene Länder hinweg. Meine Berechnungen zeigen, dass beide Annahmen in den von mir untersuchten Fällen nicht haltbar sind.

Eignung konventioneller Schätzverfahren zweifelhaft

Ich rege daher an, angemessene Wechselkurse nicht mit konventionellen Panel-Schätzverfahren zu ermitteln, sondern mit einem allgemeineren Panel-Schätzansatz. Dieser „Correlated Random Effects“- oder CRE-Ansatz wurde bereits Ende der 1970er Jahre entwickelt und ist in der Fachliteratur wohlbekannt. Er wurde aber in ökonomischen Anwendungen bisher kaum und für die hier betrachtete Fragestellung noch gar nicht genutzt. Ich zeige, dass die üblicherweise verwendeten konventionellen Panel-Schätzverfahren Wechselkursschätzungen liefern, die sich als Spezialfälle aus dem CRE-Ansatz ergeben, wenn zusätzlich bestimmte Annahmen wie die im vorhergehenden Absatz genannten getroffen werden. Da diese Annahmen für die von mir untersuchten Datensätze nicht zutreffen, ergibt sich eine Diskrepanz zwischen der konventionellen Wechselkursschätzung und derjenigen mit dem CRE-Ansatz. Weil der CRE-Ansatz die Geltung der unzutreffenden Annahmen nicht unterstellt, ist sein Schätzergebnis in einem solchen Fall dem konventionellen vorzuziehen.

Sind die sich aus den verschiedenen Verfahren ergebenden Unterschiede in der Wechselkursbewertung in ihrer Größenordnung überhaupt bedeutsam? Diese Frage habe ich unter anderem anhand eines Datensatzes untersucht, der dem ähnelt, den der Internationale Währungsfonds (IWF) für seine Berechnungen nutzt. Er umfasst Jahresdaten von 1995 bis 2015 für 40 Länder. Tatsächlich publiziert der IWF jährlich einen Bericht zu den außenwirtschaftlichen Entwicklungen der weltweit größten Volkswirtschaften. Darin werden wirtschaftspolitische Empfehlungen zum Abbau etwaiger Ungleichgewichte gegeben (zuletzt IMF, 2019). Diese Ungleichgewichte, also beispielsweise Fehlbewertungen von Währungen, identifiziert er unter anderem mithilfe der erwähnten traditionellen Panel-Schätzverfahren.

In meiner Studie zeige ich, dass unterschiedliche Panel-Schätzverfahren im Rahmen des IWF-Ansatzes in der Regel zu sehr stark voneinander abweichenden Einschätzungen von Wechselkurs-Fehlbewertungen führen. Gehen wir zur Illustration vom fiktiven Fall aus, dass der CRE-Ansatz, der mit weniger restriktiven Annahmen auskommt, für eine bestimmte Währung eine angemessene Bewertung berechne. Verwendet man statt des CRE-Ansatzes das derzeit gebräuchlichste Schätzverfahren, eine Regression mit fixen Ländereffekten, ergibt sich dann im Durchschnitt über Länder und die Zeit hinweg allein aufgrund der Verletzung einer Annahme fälschlicherweise eine erhebliche Über- oder Unterbewertung dieser Währung von mehr als zwölf Prozent (der IWF setzt allerdings auch ein anderes Panel-Schätzverfahren ein, bei dem die Abweichungen zum CRE-Ansatz im Durchschnitt deutlich geringer ausfallen; vgl. Mano et al., 2019). Dabei werden für einzelne Länder aufgrund der unzutreffenden Restriktionen auch Unter- statt Überbewertungen ermittelt und umgekehrt. So weist eine allgemeine CRE-Schätzung beispielsweise für die USA 2015 eine Unterbewertung von 1 % aus, wohingegen die oft angewandte Regression mit fixen Ländereffekten für den gleichen Datensatz fälschlicherweise auf eine Überbewertung von 11½ % kommt.

Fazit

Schätzwerte angemessener Wechselkurse spielen in der wissenschaftsgeleiteten Politikberatung, beispielsweise in Diskussionen über Leistungsbilanzungleichgewichte, eine wichtige Rolle. Meine Studie zeigt, dass die herkömmlichen Panel-Schätzverfahren zur Berechnung angemessener Wechselkurse oft nur mit merklichen Abstrichen für diesen Zweck geeignet sind; ein CRE-Ansatz, der auf weniger restriktiven Annahmen aufbaut, wäre vorzuziehen.

Haftungsausschluss

Die hier geäußerten Ansichten spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Deutschen Bundesbank oder des Eurosystems wider.

Literatur

  • Fischer, Christoph, 2019, Equilibrium real exchange rate estimates across time and space, Deutsche Bundesbank Discussion Paper 14/2019.
  • International Monetary Fund, 2019, External Sector Report – The Dynamics of External Adjustment, Washington, D. C.
  • Mano, Rui C., Carolina Osorio-Buitron, Luca A. Ricci, and Mauricio Vargas (2019), The Level REER model in the External Balance Assessment (EBA) Methodology, IMF Working Paper 19/192.
  • US Department of the Treasury, 2020, Office of International Affairs, Macroeconomic and foreign exchange policies of major trading partners of the United States.

Der Autor

Christoph Fischer ©Deutsche Bundesbank
Christoph Fischer
Forschungsökonom im Forschungszentrum der Deutschen Bundesbank

Neuigkeiten aus dem Forschungszentrum

Veröffentlichungen

  • What Drives Startup Valuations?“ von Björn Imbierowicz (Deutsche Bundesbank) und Christian Rauch (American University of Sharjah) wird im Journal of Banking and Finance erscheinen.
  • Are Tax Cuts Contractionary at the Zero Lower Bound? Evidence from a Century of Data“ von James Cloyne (University of California, Davis), Nicholas Dimsdale (Oxford University) und Patrick Hürtgen (Deutsche Bundesbank) wird im Journal of Political Economy erscheinen.

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