Stellungnahme von Professor Dr. Axel A. Weber, Präsident der Deutschen Bundesbank anlässlich der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags zu dem Entwurf für ein Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus
Die Entwicklung an den Märkten für Staatsanleihen von einigen Ländern der Währungsunion hatte sich in der ersten Maiwoche zunehmend und in diesem Ausmaß unerwartet zugespitzt. Es drohten gravierende Ansteckungseffekte für andere Mitgliedstaaten des gemeinsamen Währungsraums und darüber hinaus. Dies hätte auch ein erhebliches Risiko für die Weltwirtschaft bedeutet. Vor diesem Hintergrund eines dringlichen kurzfristigen Handlungsbedarfs hat der Ecofin-Rat am 10. Mai mit dem Beschluss eines umfangreichen Maßnahmenpakets reagiert. Dies ist in seiner Gesamtheit angesichts der akuten Gefährdungssituation vertretbar. Diese Einschätzung erfolgt unter der besonderen Berücksichtigung der getroffenen Vereinbarungen über eine umfassende Konsolidierung der Staatsfinanzen und umgehend zu ergreifende Maßnahmen in besonders gefährdeten Ländern. Mit den Beschlüssen wird gleichwohl das institutionelle Fundament der Währungsunion stark belastet. Um den damit verbundenen zusätzlichen Risiken für die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in den Mitgliedsländern zukünftig wirksam zu begegnen, ist es unverzichtbar und dringend geboten, das fiskalische Regelwerk zu härten. Dies gilt umso mehr, wenn keine weitreichende, demokratisch legitimierte politische Union angestrebt wird und die Mitgliedstaaten letztlich die Entscheidungsgewaltüber ihre nationale Finanz- und Wirtschaftspolitik behalten sollen. Reformen zur Härtung des Regelwerks müssen auf zahlreichen Feldern ansetzen. Diesbezüglich sind zuletzt zahlreiche Ansatzpunkte in die Diskussion eingebracht worden. Neben einer Stärkung der bereits im geltenden Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Verfahrensschritte wurde beispielsweise die Einführung einer staatlichen Insolvenzordnung als ein wesentliches Element eines reformierten Rahmenwerks vorgeschlagen. Vor dem Hintergrund der jüngsten Beschlüsse wäre eine Umsetzung dieser Vorschläge ein wichtiger Beitrag, um die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft auch unter veränderten Rahmenbedingungen zu sichern.
Ende April hatte sich die verschlechterte Haushalts- und Wirtschaftslage Griechenlands zu einer Vertrauenskrise ausgewachsen, aus der sich das Land nicht mehr aus eigener Kraft befreien konnte. Vorausgegangen waren viele Jahre, in denen Griechenland massiv und unverantwortlich gegen die europäischen Vereinbarungen und Vorgaben verstoßen hatte. Rückblickend stand die Haushalts- und Wirtschaftspolitik in eklatantem Gegensatz zu den Stabilitätserfordernissen eines gemeinsamen Währungsraums. Als sich das volle Ausmaß dieser Versäumnisse offenbarte, wurde von Finanzmarktteilnehmern die Fähigkeit des griechischen Staates, ohne eine umfassende finanz- und wirtschaftspolitische Kurskorrektur auch künftig seinen Zins- und Tilgungsverpflichtungen nachkommen zu können, grundsätzlich infrage gestellt und daher der Kapitalmarktzugang nahezu abgeschnitten. Ein Zahlungsausfall Griechenlands hätte in der sehr fragilen Lage ein erhebliches Ansteckungsrisiko für andere Mitgliedsländer der Währungsunion darstellen können. Deshalb hatten die Finanzminister des Euroraums an strikte Auflagen gebundene finanzielle Hilfen an Griechenland beschlossen, und die diesbezügliche Umsetzung durch Deutschland wurde am 7. Mai durch den Bundestag gebilligt. Bedenken grundsätzlicher Natur zurückstellend und trotz der hohen Risiken bei der Umsetzung, hielt die Bundesbank in der Stellungnahme zu dem entsprechenden Gesetz eine Beteiligung Deutschlands an dem Hilfspaket in dieser außergewöhnlichen Situation für vertretbar.
Noch bevor das Paket endgültig beschlossen worden war, hatte sich die Lage an den Kapitalmärkten indes weiter verschärft. Das Ziel, die von Griechenland drohenden Ansteckungseffekte zu begrenzen, wurde nicht erreicht. Trotz der erfolgten Beschlüsse drohte zunehmend eine unkontrollierte Eigendynamik, die die Stabilität der Europäischen Währungsunion hätte beeinträchtigen können und zudem mit erheblichen Konsequenzen für die gesamte Weltwirtschaft hätte verbunden sein können. Zu dieser Einschätzung kamen am vorletzten Wochenende übereinstimmend zahlreiche internationale Institutionen und die wichtigsten Notenbanken– so auch die Deutsche Bundesbank. Vor diesem Hintergrund einer dringlichen kurzfristigen Gefährdungslage haben die Finanzminister der EU am 10. Mai eine Reihe von Stabilisierungsmaßnahmen beschlossen. Dabei wurde die bereits zuvor vereinbarte Unterstützung für Griechenland finalisiert. Zudem wurde der Wille bekräftigt, die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu beschleunigen, das fiskalische Regelwerk zu reformieren und einen Europäischen Finanziellen Stabilisierungsmechanismus in Aussicht zu stellen. Letzterer soll erstens die Möglichkeit schaffen, EU-Mitgliedstaaten finanziellen Beistand der Union zu gewähren, wenn sie durch außergewöhnliche Ereignisse, die sich ihrer Kontrolle entziehen, von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht sind. Zweitens ist für den Fall, dass die hierfür vorgesehenen Mittel nicht ausreichen, die auf drei Jahre befristete Einrichtung eines Hilfsfonds geplant, der Mitgliedsländern der Währungsunion Kredite gewähren kann. Die dazu erforderlichen Mittel werden am Kapitalmarkt aufgenommen und anteilig durch die übrigen Länder der Währungsunion garantiert. Der Europäische Finanzielle Stabilisierungsmechanismus soll durch Kreditlinien des Internationalen Währungsfonds ergänzt werden.
In Bezug auf den vorgesehenen Europäischen Stabilisierungsmechanismus ist es wichtig, dass eine etwaige Inanspruchnahme von Krediten an strenge wirtschafts- und finanzpolitische Auflagen geknüpft wird. Deshalb ist die beabsichtigte finanzielle und inhaltliche Beteiligung des Internationalen Währungsfonds an den zu vereinbarenden Hilfsprogrammen wie im Präzedenzfall von Griechenland folgerichtig. Wichtig ist ferner, dass die Gewährung der Hilfsmaßnahmen Einvernehmen mit den Garantiegebern voraussetzt – insbesondere mit Deutschland, das den größten Anteil trägt. Die Zinskonditionen müssen so ausgestaltet werden, dass ein spürbarer Anreiz besteht, das Vertrauen potenzieller Kapitalgeber möglichst schnell zurückzuerlangen und zur Finanzierung über den Kapitalmarkt zurückzukehren. Die Konditionen bei der Unterstützung für Griechenland sind dafür ein geeigneter Anhaltspunkt. Wichtig ist auch, dass der Hilfsfonds, der den zweiten Teil des europäischen Stabilisierungsmechanismus bildet, zeitlich befristet ist. Der erste Teil ist dagegen unbefristet und stellt damit einen - vom Umfang her begrenzten – Einstieg in einen permanenten Mechanismus dar, der durch eine Kreditaufnahme der EU finanziert wird. Eine solche dauerhafte Auffanglösung für von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Staaten strapaziert das Grundprinzip der Währungsunion, dass die Mitgliedstaaten für ihre öffentlichen Finanzen eigenverantwortlich sind; sie ist daher problematischer als die nur unter sehr speziellen Voraussetzungen und fallweise gewährten Hilfen für Griechenland oder der zeitlich befristete Fonds. Damit werden sowohl für die Regierungen als auch für die Gläubiger von Staatsanleihen problematische Anreize gesetzt. Diese können dadurch eingedämmt werden, dass die Inanspruchnahme an enge Voraussetzungen und strikte Auflagen geknüpft wird und der entsprechende Mitgliedstaat bei Missachtung dieser Bedingungen weitreichende Folgen zu tragen hat. So sollte der Mechanismus nur dann aktiviert werden können, wenn die Finanzstabilität im gesamten Euroraum gefährdet ist. Keinesfalls darf es das Ziel sein, fallweise Finanzierungsengpässe eines Mitgliedstaates zu mildern. Im Gegenteil, durch strikte finanz- und wirtschaftspolitische Auflagen ist darauf hinzuwirken, dass der Mitgliedstaat zügig zu einer soliden Haushaltsposition zurückkehrt und sich wiederüber den Kapitalmarkt finanzieren kann.
Alles in allem sind die am 10. Mai von den Finanzministern der EU gefassten Beschlüsse angesichts der Risken für die Stabilität der Europäischen Währungsunion und die Entwicklung der Weltwirtschaft vertretbar. Die Beschlüsse strapazieren allerdings die Fundamente der Währungsunion in ganz erheblicher Weise. Es muss deshalb rasch und entschlossen darum gehen, die angegriffenen Grundlagen der Währungsunion zu stabilisieren und zu stärken, damit zukünftig eine ähnliche Zuspitzung vermieden werden kann. Geboten ist in diesem Zusammenhang vor allem die Rettungsmaßnahmen wie vorgesehen mit Ansätzen zur Verbesserung der statistischen Grundlagen und vor allem zur Härtung der bestehenden Fiskalregeln zu verbinden. Von großer Bedeutung ist es, dem Schuldenkriterium zukünftig mehr Gewicht beizumessen. Für Schuldenquoten über 60 % sollte festgelegt werden, wie schnell sie reduziert werden müssen und welche Sanktionen anderenfalls drohen. Das Defizitkriterium kann gestärkt werden, indem mit der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts gelockerte Ausnahmebestimmungen wieder enger gefasst werden und schon im vorbeugenden Teil des Pakts größerer Druck erzeugt wird, falls die Vorgaben nicht eingehalten werden. Insgesamt bedarf es einer schnelleren Reaktion auf Fehlentwicklungen und damit einer Beschleunigung des bisherigen Verfahrens. Zentral ist es, die bislang oft unzureichende Umsetzung der Regeln zu verbessern, indem beispielsweise das Verhängen von Sanktionen weniger dem politischen Verhandlungsprozess unterliegt, sondern stärker regelgebunden erfolgt. Auch eine Verpflichtung zur stärkeren Verankerung der europäischen Fiskalregeln – und insbesondere der mittelfristigen Haushaltsziele – im nationalen Haushaltsrecht, wie etwa mit der deutschen Schuldenbremse, sind zielführend. Im Falle offensichtlicher gravierender Fehlentwicklungen ist sicherlich auch eine verstärkte makro-ökonomische Überwachung auf europäischer Ebene erforderlich. Allerdings ist dabei neben der Unabhängigkeit der Geldpolitik im bestehenden Rahmen das Subsidiaritätsprinzip zu beachten, und eine grundsätzliche Tendenz zur Zentralisierung und Feinsteuerung ist durchaus bedenklich. So muss beispielsweise kritisch hinterfragt werden, ob die wenig differenzierte Ausweitung der Defizite und Schulden im Rahmen des „European Economic Recovery Programme“ nicht in einigen Ländern zur Verschärfung der aktuellen Problemlage beigetragen hat. In jüngster Zeit aufgekommene Vorhaltungen, Deutschland müsse eine expansivere Finanzpolitik und Lohnsteigerungen vornehmen, lassen ebenfalls daran zweifeln, dass eine stärkere Koordinierung zwangsläufig dazu führen würde, die tatsächlichen Ursachen der Krise anzugehen.
Wenn in Reaktion auf die durch die Schuldenkrise in einigen Mitgliedsländern notwendigen Unterstützungsmaßnahmen perspektivisch keine weitreichende, demokratisch legitimierte politische Union angestrebt wird und die Mitgliedstaaten letztlich die Entscheidungsgewaltüber ihre nationale Finanz- und Wirtschaftspolitik behalten sollen, dann erfordert eine künftige Absicherung der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft zusätzliche Reformschritte über die Härtung des bestehenden Regelwerks hinaus. Diesbezüglich sind zuletzt zahlreiche Ansatzpunkte in die Diskussion eingebracht worden. Neben einer Stärkung der bereits im geltenden Stabilitäts- und Wachstumspakt enthaltenen Verfahrensschritte wurde beispielsweise die Einführung einer staatlichen Insolvenzordnung als ein wesentliches Element eines reformierten Rahmenwerks vorgeschlagen. Darüber hinaus sollten weitergehende Sanktionsmechanismen für den Fall in Erwägung gezogen werden, dass ein Mitgliedsland bei Nutzung eines Unterstützungsprogramms die zur Sicherung der Stabilität notwendigen Maßnahmen nicht umsetzt und dadurch bewusst eine Gefahr für den Bestand der Union in Kauf nimmt. Vor dem Hintergrund der jüngsten Beschlüsse wäre eine Umsetzung dieser Vorschläge ein wichtiger Beitrag, um die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft auch unter veränderten Rahmenbedingungen zu sichern.
Das Eurosystem wird auch künftig im Rahmen der gemeinsamen Geldpolitik dem Ziel verpflichtet sein, stabile Preise in der Währungsunion zu gewährleisten. Es ist Aufgabe der Finanzpolitik, mit soliden Staatsfinanzen und einem geeigneten institutionellen Rahmenwerk für eine angemessene Flankierung der Geldpolitik in einer auf Stabilität fußenden Währungsunion zu sorgen. Die jüngsten Entwicklungen haben Schwachstellen des bisherigen finanzpolitischen Regelwerks offengelegt und die wirtschaftlichen Konsequenzen langjährig divergierender Wettbewerbspositionen in der Währungsunion zutage treten lassen. Für die langfristige Solidität der Währungsunion wird es entscheidend darauf ankommen, das bestehende schmale Zeitfenster für Reformen nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.