Zwischen Disruption und Spekulation: Virtuelle Währungen und Blockchain-Technologie Handelsblatt-Jahrestagung Banken-Technologie

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

 

Sehr geehrter Herr Professor Bott,

sehr geehrte Damen und Herren,

"Banking smart und simple" lautet das Motto der diesjährigen Handelsblatt-Jahrestagung zur Banken-Technologie. "Leichter gesagt als getan", werden Ihnen dazu die meisten Praktiker in den Banken sagen. Denn viele Häuser verfügen einerseits über historisch gewachsene, komplexe Altsysteme, die ständig und aufwändig weiterentwickelt werden müssen. Andererseits ist das Potenzial der neuen smarten Technologien groß wie nie. Dies gilt umso mehr, da sich der technische Wandel in den vergangenen Jahren gefühlt deutlich beschleunigt hat und nun auch Wettbewerber am Markt sind, die mit ihren smarten Angeboten insbesondere bei den Kunden punkten. Die Begriffe Apps, agile Programmiertechniken, digitale Ökosysteme und offene Schnittstellen [Stichwort API – Application Programming Interface] bestimmen den Diskurs in der Finanzindustrie.

Doch darum geht es mir heute nicht. Denn diese Technologien lassen sich durchaus als Weiterentwicklungen bestehender digitaler Angebote, häufig auf Basis traditioneller Abwicklungsinfrastrukturen – wie Überweisungen, Lastschriften und Kartenzahlungen – verstehen. Mir geht es heute um die Blockchain-Technologie, die häufig als "the biggest disruptor since the Internet[1]" bezeichnet wird. Für viele ist Blockchain eine ganz neue Basistechnologie, die die dezentrale Haltung von Daten, die automatische Protokollierung jedes Vorgangs als Fortschreibung auf einer "Blockchain" und die darauf aufsetzende Programmierung automatisierter Aktionen ("Smart Contracts") ermöglicht.

Um die Möglichkeiten kennenzulernen, haben Sie gerade einem der bekanntesten "Evangelisten" für die Blockchain-Technologie zuhören dürfen. Sie werden nicht überrascht sein, dass die Sicht der Deutschen Bundesbank auf virtuelle Währungen und die Blockchain-Technologie nüchterner ist. Für eine profunde Analyse ist dies sicherlich keine schlechte Basis.

2 Virtuelle Währungen – ein Nischenprodukt

Ich vermute, viele haben so wie ich erstmals von der Blockchain-Technologie in Zusammenhang mit der virtuellen Währung Bitcoin gehört. Die Aufmerksamkeit richtete sich zunächst weniger auf die neue Technik dahinter, als vielmehr auf das Versprechen, dass man künftig für seine Bankgeschäfte keine Banken benötigt, und die Zahlung über Länder- und Währungsgrenzen hinweg schnell, kostengünstig und sicher sein würde. Viele haben sich sicherlich gefragt, ob Bitcoins nicht ein neuer Weg zum schnellen Reichtum sind. Ende 2013 explodierte der Umtauschkurs von Bitcoin innerhalb weniger Monate und lag im Dezember 2013 bei über 1.200 US-Dollar. Vor allem das erregte die Aufmerksamkeit der Medien. Bis zum Januar 2015 ist der Kurs allerdings auf unter 200 US-Dollar gefallen. Aber gerade in den vergangenen Monaten ist der Kurs erneut stark gestiegen und liegt heute bei über 750 US-Dollar.

Bitcoin wurde erfunden von Satoshi Nakamoto. Wer oder wie viele Personen hinter diesem Namen stehen, ist bis heute nicht bekannt. Unter diesem Namen jedenfalls wurde im November 2008 ein Artikel mit dem Titel "Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System" veröffentlicht.

Darin schlägt Nakamoto ein Verfahren vor, wie man digitale Transaktionen zwischen Einzelpersonen (zum Beispiel über das Internet) verschlüsseln kann, um Werte sicher zu übertragen. Gleichzeitig gewährleistet das Verfahren eine Bestandskontrolle. Es löst das sogenannte Double-Spend-Problem. Sie wollen ja bei einer Übertragung nicht nur sichergehen, dass Sie tatsächlich den Wert erhalten, sondern auch Gewissheit haben, dass der vorherige Eigentümer den Wert nicht zusätzlich an andere überträgt.

Die Bitcoin-Technik ermöglicht beides. Bitcoin ist ein Transfersystem. Zugleich hat Nakamoto eine eigene virtuelle Währung, nämlich Bitcoin, erfunden und zur Grundlage des Systems gemacht.

Wichtig für Nakamoto war, dass die Übertragung ohne Finanzintermediäre erfolgen konnte. Denn gerade während der Finanzkrise schien "Banking ohne Banken" besonders attraktiv.

In der Programmierer-Szene und bei Kritikern des bestehenden Finanzsystems fand Bitcoin schnell Anklang. Die Möglichkeit, eine Währung unabhängig von Banken zu schaffen und zu transferieren, fand eine wachsende Fangemeinde.

Die Technik funktionierte und Bitcoin entwickelte sich rasant. Die gegenwärtige Marktkapitalisierung von Bitcoin liegt laut einer einschlägigen Webseite[2] bei über 10 Mrd. US-Dollar und damit etwa bei dem Zehnfachen der nächstkleineren virtuellen Währung "Ethereum". Bitcoin ist bei weitem nicht die einzige virtuelle Währung. Virtuelle Währungssysteme sind theoretisch beliebig reproduzierbar. So liegt die Zahl der virtuellen Währungen angeblich derzeit bei gut 700[3]. Zum Vergleich: Die Liste der offiziellen Währungen[4] umfasst nur 179 Einträge.

Was ist das Besondere an der virtuellen Währung Bitcoin? Es ist ein ganz neues, dezentral organisiertes Zahlungssystem, in dem die Produktion, die Herausgabe und die Übertragung einer virtuellen Währung stattfinden. Die Besonderheit von Bitcoins besteht für mich aus drei Elementen:

  • Geld existiert nur noch digital. Geld steht – quasi stofflos – nur als Datei zur Verfügung. Und dieses Geld wird nach strikten, mathematischen Regeln – durch Algorithmen – geschaffen. Es geht zunächst an die sogenannten "Miner" oder "Schürfer", die neue Bitcoin-Transaktionen prüfen und eindeutig in einem öffentlich zugänglichen Verzeichnis, der "Blockchain" dokumentieren. Derzeit werden auf diese Weise als Gegenleistung für die Fortschreibung der Transaktionskette etwa 25 Bitcoins im Abstand von zehn Minuten zugeteilt.

  • Die Transaktionshistorie ist völlig transparent. Das Verzeichnis, die "Blockchain", ist öffentlich einsehbar. Es ist so etwas wie ein öffentliches Register, in dem alle Transaktionen nachvollziehbar sind. Dabei werden die Sender und Empfänger allerdings nicht mit eindeutig zuordenbaren Kontonummern gekennzeichnet, sondern nur durch verschlüsselte "Chiffren".

  • Bitcoins kennen keine greifbare Institution als Herausgeber. Anders als bei offiziellen Währungen, die von Zentralbanken herausgegeben werden, gibt es bei Bitcoins keinen zentralen Herausgeber. Vielmehr ist die Herausgabe "Protokoll"-gesteuert. Bitcoin ist ein sogenanntes Open-Source-Projekt. Das bedeutet, dass sich jeder interessierte Teilnehmer – vorausgesetzt, er verfügt über Programmierkenntnisse – daran beteiligen kann, das Protokoll weiterzuentwickeln. Dadurch soll Transparenz geschaffen werden.

Was bedeutet "virtuelle Währung"? Lassen Sie mich dazu etwas ausholen und über Geld an sich sprechen. Die Ökonomen sprechen von Geld, wenn es drei Funktionen erfüllt:

  • Tauschmittel: Geld wird als universales Tauschmittel im Handel genutzt.

  • Wertaufbewahrungsmittel: Man verwendet Geld zur Aufbewahrung und späteren Verwendung als Tauschmittel.

  • Recheneinheit: Der Wert von Gütern wird in Geldeinheiten angegeben.

Nach meiner Einschätzung erfüllt weder Bitcoin noch eine andere virtuelle Währung diese drei Funktionen.

Natürlich bezahlen manche mit Bitcoin. Es gibt angeblich 310 Akzeptanzstellen für Bitcoin in Deutschland.[5] Das ist recht bescheiden werden Sie zu Recht sagen. In der Tat, im Vergleich dazu gibt es nach Angaben des ADAC über 14.000 Tankstellen in Deutschland.[6] Nicht nur die geringe Anzahl an Bitcoin-Akzeptanzstellen schränkt die Eigenschaft als Tauschmittel ein, sondern auch die faktische Nutzung. Die meisten Händler, die Bitcoins akzeptieren, tauschen diese sofort wieder in Zentralbankgeld, zum Beispiel in Euro, um. Das Wechselkursrisiko für Bitcoin ist ihnen zu hoch, weil der Kurs heftig und erratisch schwankt.

Bitcoin ist als Wertaufbewahrungsmittel eher ungeeignet. Dafür spricht die recht geringe Marktkapitalisierung. Natürlich halten einige Personen einen Teil ihres Vermögens in Bitcoin. Dabei dürfte das Spekulationsmotiv eine Rolle spielen.

Und eine Recheneinheit ist Bitcoin erst recht nicht. Selbst viele Bitcoin-Enthusiasten geben den Wert ihrer Bitcoin in US-Dollar oder Euro an.

Was ist aber der entscheidende Unterschied zwischen Zentralbankgeld und virtuellen Währungen? Hinter Zentralbankgeld steht die Zentralbank eines Landes. Jeder Euro, den die Bundesbank ausgibt, wird als Verbindlichkeit in der Bilanz der Bundesbank verbucht.

Zentralbankgeld ist eine Forderung an die Zentralbank. Das vom Zentralbankgeld abgeleitete Geschäftsbankengeld wiederum ist eine Forderung an die jeweilige Geschäftsbank.

So kann man sagen, dass die offiziellen Währungen stets "Forderungsgeld" sind. Sie stellen eine Forderung gegenüber einer Geschäftsbank oder der Zentralbank dar. Und mit dem Vertrauen in die Zentralbank steigt und fällt auch der Wert dieser Währung. Daher ist Vertrauen für die Deutsche Bundesbank entscheidend. Den Auftrag der Deutschen Bundesbank Preis­stabilität zu gewährleisten, können wir nur dann erfüllen, wenn Vertrauen in die Notenbank und die Währung besteht.

Virtuelles Geld ist dagegen keine Forderung. Die Bitcoin-Blockchain beschreibt nur das Recht, Bitcoins zu transferieren, gleichsam wie ein Eigentumsregister, etwa wie beim Grundbuch. Sie können als Eigentümer eines Bitcoin anhand der Bitcoin-Blockchain nachweisen, dass Sie das Recht haben, eine bestimmte Summe an Bitcoin zu transferieren. Sie haben aber keine Forderung gegen eine Institution. Im Falle von Bitcoin wüssten Sie auch nicht gegen welche, denn die Herausgabe ist komplett dezentral. 

Es gibt also keinen zentralen Herausgeber, der für die Stabilität der virtuellen Währung garantiert. Bei offiziellen Währungen übernehmen Notenbanken die Verantwortung für die Stabilität der Währung. Ihre Tätigkeit ist gesetzlich verankert und unterliegt einer öffentlichen Rechenschaftspflicht.

Darüber hinaus sind offizielle von Zentralbanken herausgegebene Währungen in der Regel auch gesetzliches Zahlungsmittel in einem oder mehreren Staatsgebieten. Bei Bitcoins und anderen virtuellen Währungen können Sie nur hoffen, dass Sie auch morgen, übermorgen oder in ferner Zukunft jemanden finden, der die Bitcoins zur Bezahlung von Waren, Dienstleistungen oder Werten entgegennimmt.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sind die geringen Transaktionsvolumina von Bitcoin zu erklären. So werden pro Arbeitstag allein in Deutschland knapp 80 Millionen Über­wei­sungen, Lastschriften und Kartenzahlungen abgewickelt. Die weltweit aktiven Kreditkartenfirmen plus Paypal und Western Union haben rund 330 Millionen Transaktionen pro Tag. Dem stehen zurzeit pro Tag weltweit lediglich knapp 300.000 Transaktionen mit Bitcoins gegenüber.

Ohne Zweifel ist die Nutzung von Bitcoin in der jüngeren Vergangenheit gestiegen. Im Jahr 2015 waren es durchschnittlich 125.000 Transaktionen pro Tag, im Jahr 2016 waren es rund 280.000 Transaktionen. Dazu mag ein allgemeines, vages Gefühl der Unsicherheit in der heutigen Welt beitragen; die Angst, künftig bei Bankensanierungen als Einleger mithaften zu müssen; oder die Hoffnung, sich durch Bitcoin besser gegen mögliche Ein­schränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit absichern zu können.

Dennoch ist es ein Anstieg auf sehr niedrigem Niveau. Ich bin überzeugt, dass Bitcoin nicht aus seiner Nische herauskommen wird, weil es keinen vertrauenswürdigen Herausgeber hat, sehr anfällig für Spekulationen ist und sich aufgrund seiner hohen Wertschwankung nicht als Wertaufbewahrungsmittel eignet. Da­mit entfällt für mich auch die Basis, dass Bitcoin zum Beispiel im Zahlungsverkehr eine größere Verbreitung findet. Und auch wenn sie mit Bitcoin keine Gebühren zahlen: Kostenlos ist der Transfer nicht. Im Gegenteil ist die gesamte Abwicklung sehr energie­intensiv und teuer. 

3 Chancen und Risiken der Blockchain-Technologie

Doch Bitcoin war durchaus richtungweisend. Für uns als Zentralbank war daher klar, dass wir uns mit diesem Phänomen befassen müssen. Und zwar nicht nur wegen des Währungsaspektes. Diese virtuelle Währung hat gezeigt, dass Blockchain-Technologie in der Praxis in einer Basisversion einsetzbar ist. Was macht diese neue Technologie genau aus?

Die Blockchain bietet potenziell eine Reihe von Vorteilen. Wenn die Daten über alle Transaktionen bei allen oder vielen Teilnehmern gespeichert werden, gibt es eine höhere Absicherung gegen Datenverlust. Man sagt, das System sei im höheren Maße widerstandsfähig, weil es keinen sogenannten Single Point of Failure aufweise.

Weiterhin gilt als Vorteil, dass alle Beteiligten in arbeitsteiligen Prozessen auf einer einheitlichen Datenbasis arbeiten. Dadurch entfallen Übermittlungsfehler und nachträgliche Abstimmungsrunden. Schon diese können sehr aufwändig sein. Ganz sicher aufwändig ist die Tatsache, dass jeder der Beteiligten ein eigenes Buchführungssystem benötigt. Wenn alle einen gemeinsamen, konsistenten Datenbestand in dezentraler Weise nutzen könnten, würden die Back-Offices in der Finanzindustrie deutlich schlanker aussehen.

Da alle Transaktionen grundsätzlich einsehbar sind, ergibt sich ein relativer Schutz vor nachträglicher Änderung. Nicht zuletzt gilt als Vorteil, dass mit einer Blockchain eine sofortige oder zumindest schnelle Abwicklung möglich ist.

Zusammengefasst geht es um das Versprechen von Sicherheit, Effizienz und Transparenz.

Es gibt aber auch Nachteile der Blockchain-Technologie. Erfahrungsgemäß ist der Weg vom Versprechen zur Wirklichkeit nicht einfach. Und so weist auch die Blockchain-Technologie heute noch eine Reihe von Hürden auf, die sie überwinden muss. Es gibt in der Basisversion der Blockchain nach dem Bitcoin-Modell keine zentrale Institution, die das System überwacht. Das heißt, man arbeitet zunächst mit einer geringen Vertrauensbasis.

Weiterhin erreicht man auf der Basisversion nur einen recht niedrigen Transaktionsdurchsatz, obwohl sie mit sehr hohem Energieaufwand betrieben wird und deshalb teuer ist. Es ist unklar, ob sie sich jemals für die Anwendung in der Massenabwicklung eignen wird.

Zudem sind die bisherigen Verfahren hinsichtlich ihrer Benutzerfreundlichkeit nicht gerade massentauglich. Die Blockchain-Community arbeitet daran, auch diese Nutzungsschwellen zu senken. Allerdings bedeutet jede vorgeschaltete Benutzeroberfläche wieder eine neue Angriffsmöglichkeit für potenzielle Betrüger.

Weiterhin bestehen Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Systeme gegen Cyberrisiken und hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre.

Die Institute im Finanzsektor haben grundsätzlich Interesse an der Blockchain, verbunden mit der Hoffnung, die Abwicklungskosten von Finanzgeschäften senken zu können. Zugleich ist aber zu berücksichtigen, dass gerade in der Finanzindustrie ein hoher Standard zu erfüllen ist. Denn es geht darum, Risiken finanzieller, technischer, rechtlicher und systemischer Art zu vermeiden. Nicht ohne Grund gehört die Finanzindustrie zu einem der am stärksten regulierten Bereiche.

Deshalb eignet sich die Bitcoin-Blockchain nicht für die Abwicklung von Finanztransaktionen. Vielmehr muss das Konzept an die speziellen Bedingungen im Finanzsektor angepasst werden.

Ich nenne Ihnen die aus meiner Sicht wichtigsten Anpassungen im Vergleich zur Bitcoin-Blockchain:

a)   Für Finanztransaktionen eignen sich tendenziell nur geschlossene Blockchains oder auf Englisch "permissioned blockchains". Bei diesen ist die Identität aller Teilnehmer bekannt und der Zugang zur Blockchain erfolgt kontrolliert.

b)   Für eine Blockchain, die Finanztransaktionen abwickelt, muss es eine klare Governance geben. Eine anarchische Struktur ist aus Gründen der Stabilität und der unklaren oder fehlenden regulatorischen Verantwortlichkeit nicht hinnehmbar.

c)    Die Daten auf der Blockchain dürfen nicht offen einsehbar gespeichert werden. Wie überall im Finanzsektor muss Vertraulichkeit gewahrt sein. Das sogenannte "need-to-know" Prinzip muss seine Geltung behalten.

d)   Wir benötigen eine schnelle Abwicklung mit einer definierten Endgültigkeit der Transaktion. Bisher läuft die Bestätigung einer Transaktion in der Bitcoin-Blockchain als Abstimmungsprozess ab, und es gibt nur eine relative Rechtssicherheit nach einer relativ langen Zeitspanne. Wir brauchen aber in der finanzwirtschaftlichen Realität verbindliche Rechtssicherheit. Wenn zwei Parteien eine Transaktion getätigt haben, sollen andere nicht noch über deren Gültigkeit abstimmen dürfen.

e)   Nicht zuletzt benötigt man ein sicheres Zahlungsmittel zum Geldausgleich. Eine Kryptowährung dürfte diese Bedingung nicht erfüllen. 

4 Eigene Erfahrungen

Diese Analysen der Blockchain-Technologie kann man inzwischen in vielen Veröffentlichungen nachlesen. Sie legen den Schluss nahe, dass sich die Technologie am besten für solche Anwendungsfälle eignet, bei denen viele Akteure in komplexen Strukturen beteiligt sind, aber der Durchsatz an Transaktionen nicht besonders hoch ist.

Damit kommt zum Beispiel der Zahlungsverkehr einer Notenbank als ein erstes Anwendungsfeld kaum in Frage, denn hier – insbesondere im Massenzahlungsverkehr – geht es um die Abwicklung hoher Stückzahlen. Der Handel von Wertpapieren und die zusammenhängenden nachgelagerten Aktivitäten dagegen weisen eine deutlich größere Komplexität aus: es sind die mit dem Handel befassten Einheiten sowie Clearinghäuser, Settlement-Systeme, Zentralverwahrer sowie vielfach noch weitere Depotbanken.

Und das erklärt auch unser besonderes Interesse als Notenbank an Blockchain. Denn wir sind nicht nur Regulator oder Geldpolitiker, sondern stellen auch operative Services bereit. So ist die Deutsche Bundesbank im Eurosystem beispielsweise maßgeblich in den Betrieb der großen Marktinfrastrukturservices TARGET2 und TARGET2-Securities eingebunden. Deshalb haben wir uns für unsere eigenen Studien das Wertpapiergeschäft ausgesucht. Hierbei haben wir uns mit der Deutschen Börse zusammengeschlossen. Unsere beiden Häuser verbindet ein hohes Interesse an der Blockchain-Technologie. Gleichzeitig haben wir komplementäre Expertise im Bereich der Geld- bzw. Wertpapierabwicklung. Auch die Börse ist Betreiber wichtiger Finanzmarktinfrastrukturen, und wir beschäftigen uns in vielen nationalen und internationalen Gremien mit der Weiterentwicklung von Systemen für die Abwicklung von Wertpapier­geschäften.

Dazu haben wir eine erste Konzeptstudie  erstellt. Die Konzeptstudie ist nur ein erster Schritt und von der praktischen Anwendung noch weit entfernt. Aber wir haben festgestellt, dass die Blockchain grundsätzlich für diese Art von Transaktionen eingesetzt werden kann.

Mit unserem Prototyp haben wir die Abwicklung eines Wertpapiergeschäftes auf der Blockchain getestet. Der Prototyp zeichnet sich vor allem durch folgende Funktionalitäten aus:

  • Er wickelt Blockchain-basiert Zahlungen ab,

  • er transferiert Wertpapiere,

  • er kann einfache Delivery-versus-Payment Transaktionen ausführen, bei denen Wertpapierkäufe gegen gleichzeitige Zahlungen abgewickelt werden,

  • und er kann einfache Corporate Actions, also Zins­zahlungen für Wertpapiere und Rückzahlungen bei Fälligkeit eines Wertpapieres ausführen.

     

Für den Prototyp war uns wichtig, dass die Blockchain nicht nur prinzipiell funktionieren soll, sondern dass sie die Bedürfnisse des Finanzsektors sowie regulatorische Anforderungen berücksichtigt. Unsere Annahme war die Konzeption eines Systems, welches sich möglichst ohne Anpassung des aktuellen Rechtsrahmens nutzen ließe. Bei der Konzeption haben wir uns an den gegebenen regulatorischen Anforderungen orientiert. Und Vertrauen in die ordnungsgemäße Abwicklung muss ebenso gewährleistet sein wie das Know-Your-Customer-Prinzip und die Geldwäschebekämpfung.

Entsprechend handelt es sich bei unserer Konzeption um ein geschlossenes Netzwerk, also eine sogenannte "permissioned blockchain". Nur zugelassene Nutzer können auf unserer Blockchain aktiv werden.

Zudem glauben wir, dass Finanztransaktionen auch in Zukunft den heutigen Maßstäben, soweit es Vertraulichkeit und Übernahme der Verantwortung für getätigte Transaktionen betrifft, unterliegen werden. Daher werden nicht nur die Identitäten der handelnden Parteien, sondern jede einzelne Transaktion verschlüsselt. Somit wird Vertraulichkeitsschutz über das Need-to-know-Prinzip technisch gewährleistet. Verantwortung für die Richtigkeit der Transaktionen über­nehmen die handelnden Parteien mittels digitaler Signaturen.

Als nächsten Schritt wollen wir die Konzeptstudie funktional erweitern. Auf dieser Basis könnte dann ein technisch ausgereifterer Prototyp entwickelt werden. Erst dann sind Aussagen zur technischen Performanz und zur Wirtschaftlichkeit der Blockchain möglich.

5 Anwendungen der Blockchain im Finanzsektor

Aber es sind nicht nur Zentralbanken und Marktinfrastrukturen, die sich mit Blockchain-basierten Technologien beschäftigen. Sehr viele Banken und zahlreiche neue und bestehende Dienstleister im Zahlungsverkehr testen derzeit die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten der Technologie. Aus meiner Sicht sind es zwischenzeitlich sogar in der Mehrheit etablierte Dienstleister, die die Entwicklung der Blockchain-Technologie vorantreiben.

Ein positiver Effekt, der sich bereits eingestellt hat, ist die branchenweite Zusammenarbeit. In der Entwicklung von Blockchain-Anwendungen kommt es vielfach zu Kooperationen. Börse und Bundesbank sind in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Der Dialog ist wichtig, nicht zuletzt da die Finanzindustrie eine Netzwerkindustrie darstellt. Im Klartext: eine neue Technologie braucht eine kritische Masse an Nutzern, um überhaupt erfolgreich zu sein. Der Dialog verschiedener Marktteilnehmer zu künftigen Marktentwicklungen kann deshalb die notwendige Harmonisierung und Standardisierung von Prozessen begünstigen.

Der Antriebsfaktor für diese Aktivitäten ist fast immer die Erhöhung der Prozesseffizienz. Das gilt zum Beispiel für die Handelsfinanzierung. Dies ist nach wie vor mit einer Vielzahl manueller Abwicklungsschritte und vielen zu übermittelnden Dokumenten verbunden. Hier ist es denkbar, eine gemeinsame Dokumentationsbasis zu schaffen und durch Digitalisierung den Gesamtprozess erheblich zu automatisieren, zu beschleunigen und die Kosten deutlich zu verringern.

Ein interessantes Anwendungsgebiet im Finanzsektor ist auch die Stammdatenverwaltung. In vielen Prozessen wird auf Referenzdaten zurückgegriffen, zum Beispiel auf Stammdaten von Kunden. Bislang müssen alle Beteiligten ihre eigenen Stammdatensysteme führen, pflegen und verifizieren. Es würde eine große Kostenersparnis bedeuten, wenn ein bestätigtes verlässliches Register vorläge, auf das Kreditinstitute beispielsweise zur Identifikation von Kunden zurückgreifen könnten. Hier könnte für die Blockchain ein attraktives Einsatzfeld bestehen.

Nicht zuletzt könnte die Blockchain-Technologie dazu beitragen, die nachgelagerten internen Revisionsprozesse sowie die stetig zunehmenden Anforderungen des regulatorischen Berichtswesens mit vermindertem Aufwand zu erfüllen. Und vielleicht ermöglicht es auch dem Regulator, die Aufsichtstätigkeit nicht mehr nur durch Meldungen, sondern durch direkte Einsichtnahme in die Blockchain transparenter, schneller und qualitativ besser zu gestalten. 

6  Der Ruf nach digitalem Zentralbankgeld

Die ersten Gehversuche einiger Finanzmarktakteure haben gezeigt, dass es kompliziert und riskant wird, wenn die "Geldseite von Transaktionen" abgebildet werden soll, und dafür noch eine virtuelle Währungseinheit genutzt werden muss. Aus Gründen der Risikominimierung ist für die Abwicklung größerer Beträge Zentralbankgeld besser geeignet.

Das ist auch im regulatorischen Rahmenwerk mittlerweile anerkannt. So fordern zum Beispiel die Prinzipien für Finanzmarktinfrastrukturen, dass zum Geldausgleich – soweit zweckmäßig und verfügbar – Zentralbankgeld eingesetzt werden muss. Denn Zentralbankgeld ist ein hochsicheres und hochliquides Aktivum und kann damit helfen, Kredit- und Liquiditätsrisiken zu vermindern, die bei einer Abwicklung in Geschäftsbankengeld entstehen.

Denn bei Geschäftsbankengeld erfolgt der Ausgleich zwischen den Beteiligten durch eine Erhöhung bzw. Verminderung von Forderungen gegen eine Geschäftsbank, die den Geldausgleich zum Beispiel für Wertpapiergeschäfte oder im Zahlungsverkehr vornimmt. Bei Zentralbankgeld erfolgt der Geldausgleich durch eine Erhöhung bzw. Verminderung von Forderungen gegen die Zentralbank.

Vor diesem Hintergrund ist für mich klar, dass gut funktionierende Blockchain-Anwendungen im Finanzsektor eine einheitliche stabile digitale Währung benötigen. Und das müsste längerfristig Zentralbankgeld sein, wenn Sie sich zum Beispiel vor Augen führen, dass wir im Eurosystem im Durchschnitt in TARGET2 1.800 Mrd. Euro und in TARGET2-Securities über 500 Mrd. Euro Umsatz abwickeln – und zwar pro Tag.

Dieser Gedanke ist bei so gut wie allen Zentralbanken inzwischen angekommen und sie nähern sich dem Thema mehr oder weniger offensiv. Dabei spielen unterschiedliche Erwägungen eine Rolle. Denn es ist ein Unterschied, ob man digitale Werteinheiten – wie in unserem Prototyp – im Zusammenhang mit der Abwicklung von Transaktionen in Finanzmarktinfrastrukturen betrachtet, oder – wie die schwedische Zentralbank – als mögliche Ergänzung oder moderne Form von Bargeld.

Allerdings stellen sich unabhängig davon viele Fragen, auf die wir noch keine Antworten haben. Noch haben wir Zeit, denn auch die Entwicklung der Blockchain als Technik steckt noch in den Kinderschuhen.

7  Szenarien

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

lassen Sie mich zum Abschluss den Blick über den Finanzsektor hinaus wagen. Anders als die Visionäre der Blockchain wie Don und Alex Tapscott bin ich mir nicht sicher, ob die Blockchain alles verändern wird. Das wird auch davon abhängen, ob uns gelingt, die Nachteile der Blockchain auszugleichen und die Probleme zu lösen, ohne gleichzeitig die Vorteile einzubüßen.

Ich möchte Ihnen vier Szenarien vorstellen, die sich aus den Antworten auf zwei Fragen ergeben: Erstens, kommt es zu einer funktional breiten Anwendung der Blockchain in der Wirtschaft? Und zweitens, welchen Einfluss wird die Blockchain auf die Wirtschaftsstruktur haben?

In meinem ersten Szenario – ich nenne es "Blockchain in Nischen" – bleibt die Blockchain auf wenige funktionale Bereiche beschränkt. Sie wird zur Verbesserung von einigen traditionellen Prozessen genutzt, meist aber nur branchen- oder unternehmensspezifisch.

Szenario zwei heißt "Mainstream Blockchain". Auch hier dürfte die Wirtschaftsstruktur weitgehend unverändert bleiben. Aber die Wirtschaft wird gekennzeichnet sein durch den Einsatz vieler miteinander verbundener Blockchain-Anwendungen.

Szenario drei: "Selektive Disruption". Einzelne heute gültige Wertschöpfungsketten werden aufgebrochen, teilweise entstehen neue Geschäftsfelder.

Schließlich Szenario vier: Die "Peer-to-Peer Gesellschaft". In ihr kommt es zur umfassenden Anwendung der Blockchain, auch durch Privatpersonen. Sinkende Transaktionskosten führen zu neuen Formen der Arbeitsteilung und insgesamt zur Disaggregation großer Unternehmen.

Das alles ist denkbar. Sicher auch Mischformen oder ganz andere Szenarien. Ich bin kein Prophet. Und vieles kann anders kommen als es die besten Experten heute vorhersehen.

Lassen Sie uns bei den Diskussionen nicht ver­gessen: Das Geld ist das Geld der Bürger und der Unternehmen. Sie wollen stabiles, sicheres Geld, das sie auch als Wertaufbewahrungsmittel nutzen können. Zudem wollen sie einfach, sicher und schnell bezahlen – heute und in der Zukunft – und vor allem jetzt in der Zeit vor Weihnachten.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Fußnoten:

[1] Oliver Bussmann: Is Blockchain going mainstream? You bet!, https://www.linkedin.com/pulse/blockchain-going-mainstream-you-can-bet-oliver-bussmann vom 19. Juli 2016

[2] https://coinmarketcap.com/all/views/all/

[3] https://coinmarketcap.com/all/views/all/

[4] Die Liste der gegenwärtig aktiv verwendeten Währungscodes nach ISO 4217.

[5] Vgl. http://bitcoin-einfach.de/akzeptanzstellen

[6] Vgl. https://www.adac.de/infotestrat/tanken-kraftstoffe-und-antrieb/probleme-tankstelle/anzahl-tankstellen-markenverteilung/.