Zur Rolle der Finanzstabilität für die Geldpolitik Vortrag im Rahmen der "Münchner Seminare" der CESifo Group und der Süddeutschen Zeitung

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Sehr geehrter Herr Professor Sinn, sehr geehrter Herr Dr. Beise,

ich danke Ihnen sehr herzlich für die Einladung, in dieser Seminarreihe zu sprechen, in der schon so viele renommierte Wissenschaftler, Politiker und Notenbanker aufgetreten sind.

Und ich danke Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, für Ihr Erscheinen, das zeigt, dass das Thema Geldpolitik derzeit auf breites Interesse stößt.

Ich möchte heute speziell "Zur Rolle der Finanzstabilität für die Geldpolitik" sprechen - ein Thema, das sich zugegebenermaßen eher nach Feinschmecker- als nach Schnellrestaurant anhört.

Anders als diese Analogie nahelegt, ist das Thema gleichwohl alles andere als leicht verdaulich. Ich will mir jedoch Mühe geben, das Thema einigermaßen bekömmlich zuzubereiten. Immerhin haben wir ja die Zeit für mehrere Gänge: Nach den "Amuses Gueules" von Professor Sinn werde ich gewissermaßen als Vorspeise einige Ausführungen zur aktuellen Geldpolitik im Euro-Raum servieren. Als Hauptgericht trage ich dann die Kernfrage auf, welchen Einfluss die Finanzstabilität auf die Geldpolitik haben sollte. Und als Dessert serviert Ihnen dann Herr Sinn eine Frage- und Antwortrunde.

Kommen wir also zur Vorspeise.

2 Geldpolitik während der Krise

Die Finanzkrise und die nachfolgende Staatsschuldenkrise im Euro-Raum haben die Geldpolitik zweifellos vor große Herausforderungen gestellt. Der Ausnahmezustand ist in der Geldpolitik mittlerweile zur Gewohnheit geworden.

Vor beinahe sechs Jahren erläuterte der damalige EZB-Präsident Trichet hier im Rahmen der Münchner Seminare die Antwort des Eurosystems auf die Finanzkrise. Damals war gerade das erste Ankaufprogramm für gedeckte Schuldverschreibungen beschlossen worden und Trichet hob hervor, dass diese und die weiteren unkonventionellen Maßnahmen der Geldpolitik - wie etwa die Vollzuteilungspolitik bei den Refinanzierungsgeschäften, zusätzliche, längerfristige Refinanzierungsgeschäften und Lockerungen am Sicherheitenrahmen - darauf abzielten, über die Wirkung massiver Zinssenkungen hinaus die Kreditvergabe der Banken anzuregen.

Ein knappes Jahr später kaufte das Eurosystem dann auch Staatsanleihen, weil die Staatsschuldenkrise, die ihren Ausgang in Griechenland nahm, nach Ansicht des EZB-Rats die Wirksamkeit der Geldpolitik beeinträchtigte. In den nachfolgenden Jahren trug die europäische Geldpolitik erheblich dazu bei, eine weitere Eskalation der Krise im Euro-Raum zu verhindern.

Der Preis dafür war nicht zuletzt, dass die Geldpolitik ihr Mandat bis aufs Äußerste gedehnt hat und insbesondere mit dem selektiven Ankauf von Staatsanleihen der Krisenländer Gefahr läuft, die Grenze zur Fiskalpolitik zu überschreiten.

Überwunden ist die Krise im Euro-Raum leider immer noch nicht, wie die jüngsten Debatten um Griechenland gezeigt haben. Aber es wurden Fortschritte erzielt. Die Wirtschaft des Euro-Raums insgesamt - einschließlich der Banken - ist heute in einer besseren Verfassung als vor drei, vier oder fünf Jahren.

Die Krisenländer haben dabei beachtliche Anpassungsfortschritte erzielt: Gemessen an den Deflatoren des Gesamtabsatzes erhöhte sich zum Beispiel die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Portugals bis Ende 2014 um 6 %, die Spaniens um 9 % und die Irlands um 12 %. Die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft stieg sogar um 14 %. Wenngleich diese Zahlen zu einem gewissen Grad der Abwertung des Euro zu verdanken sind, ist auch bei einer Betrachtung der Euro-Länder im Vergleich eine positive Entwicklung zu beobachten. Die Leistungsbilanzdefizite wurden weitgehend abgebaut und im Falle Irlands sogar in einen kräftigen Überschuss verwandelt.

Dass die Sparmaßnahmen und Strukturreformen für die Menschen in den Krisenländern mit gravierenden Härten verbunden sind, steht außer Frage und wir sollten allen Respekt vor den erbrachten Anpassungsleistungen haben. Es sollte jedoch auch klar betont werden, dass diese Anpassungen unausweichlich sind. Die finanziellen Hilfen der Partnerländer erleichtern den Krisenländern die Anpassung. Aber nur grundlegende Reformen können die wirtschaftlichen Perspektiven der Menschen in diesen Ländern nachhaltig verbessern.

Diejenigen, die nun der EZB und der europäischen Politik die Schuld an der wirtschaftlichen Schwächephase in den Krisenländern geben, verwechseln Ursache und Wirkung.

Im Übrigen beginnen die Maßnahmen auch spürbar zu wirken: Für 2015 erwartet die EU-Kommission in allen Krisenländern positive Wachstumsraten und rückläufige Arbeitslosenquoten. Es wäre insofern tragisch, wenn Griechenland im Anpassungsprozess jetzt aufgeben würde und das Erreichte verspielen würde.

Klar ist aber auch: Der wirtschaftliche Anpassungsprozess gleicht eben eher einem Marathonlauf als einem Sprint. Die zweite Hälfte ist beim Marathon bekanntlich schwieriger als die erste und das Ziel ist noch lange nicht erreicht.

Eine Nebenwirkung der wirtschaftlichen Anpassung ist der nachlassende Preisdruck. Dass die Inflationsrate im gesamten Euro-Raum zuletzt sogar in den negativen Bereich gerutscht ist, ist freilich auf eine ganz andere Entwicklung zurückzuführen, nämlich den drastischen Rückgang der Energiepreise, insbesondere des Rohölpreises.

Im Ökonomenjargon würden wir sagen, die niedrige Inflation ist eine Folge positiver Angebotsschocks. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff "Schock" ja grundsätzlich negativ besetzt, in der Ökonomie steht er dagegen zunächst einmal wertneutral für eine unerwartete Änderung von (exogenen) Einflussgrößen - und der Ölpreis ist zweifelsohne eine zentrale Einflussgröße der Konjunktur- und Preisentwicklung.

Übrigens, einen Monat vor Jean-Claude Trichets Münchner Seminar-Rede war die Inflationsrate im Euro-Raum ebenfalls in den negativen Bereich gefallen. Der damalige EZB-Präsident führte dies ebenfalls auf einen starken Ölpreisrückgang zurück und betonte, dass es sich um eine "willkommene Entwicklung" handele, die die reale Einkommenssituation der privaten Haushalte verbessere.

Einen Grund zur Beunruhigung sah er darin jedenfalls nicht, zumal sich die langfristigen Inflationserwartungen seinerzeit stabil verankert zeigten, im Einklang mit der Stabilitätsmarke von knapp 2 %.

Dagegen sind einige Maße für langfristige Inflationserwartungen in den vergangenen Monaten spürbar gesunken. Je länger die Phase extrem niedriger Inflationsraten andauert, desto größer wird das Risiko von Zweitrundeneffekten, also sinkenden Löhnen, die wiederum weiteren Preisdruck nach unten ausüben würden. Und je länger die Geldpolitik ihr Ziel verfehlt, desto eher könnte ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel geraten. 

Vor diesem Hintergrund befand sich der EZB-Rat fraglos in einer schwierigen Lage, als er im Januar darüber beriet, ein Programm mit umfangreichen Staatsanleihekäufen zu beschließen.

Wie Sie wissen, hat der EZB-Rat mehrheitlich beschlossen, Staatsanleihen zu kaufen und vor etwa zwei Wochen haben die Käufe durch die Notenbanken des Eurosystems tatsächlich begonnen. Forderungsbesicherte Wertpapiere, sog. Asset Backed Securities, und gedeckte Schuldverschreibungen, in Deutschland besser bekannt unter dem Namen Pfandbriefe, werden bereits seit Herbst 2014 gekauft.

Das Ziel dieser Wertpapierkäufe besteht letztlich darin, die Geldpolitik expansiver auszurichten und die Inflationsraten wieder in Richtung der Definition von Preisstabilität zu bewegen - sie also steigen zu lassen.

Das mag für manchen genauso paradox klingen, wie wenn die Bundesregierung die Bevölkerung zu mehr Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung auffordern würde. Schließlich ist es doch nach landläufiger Meinung die Aufgabe der Geldpolitik, die Inflation zu bekämpfen, und nicht sie zu fördern.

Das stimmt! Die vorrangige Aufgabe des Eurosystems besteht darin, Preisstabilität zu gewährleisten.

Es gibt aber eine Reihe von guten Gründen, weshalb eine Notenbank eine geringfügig positive Inflationsrate anstrebt:

So gibt es Ungenauigkeiten in der statistischen Messung von Inflation. Höhere Preise können schließlich auch Folge von Qualitätsverbesserungen sein, die nur mit größerem Aufwand in der Preisstatistik erfasst werden können.

Darüber hinaus läuft eine Geldpolitik, die auf "Nullinflation" zielt, Gefahr, häufiger an die Nullzinsgrenze zu stoßen. So hat sie gewissermaßen "wenig Wasser unter dem Kiel", wenn sie mit einer Zinssenkung konjunkturfördernd auf einen negativen Nachfrageschock reagieren will.

Zudem besteht innerhalb der Währungsunion das Problem, dass sich die Wirtschaft in den Euro-Ländern unterschiedlich entwickelt. Die Inflation ist nicht in allen Ländern gleich. Würden wir auf eine Inflationsrate im Euro-Raum von null zielen, gäbe es praktisch immer Länder, die negative Raten aufweisen. Etwas Inflation erleichtert dagegen wirtschaftliche Anpassungsprozesse, zumal Verbesserungen der preislichen Wettbewerbsfähigkeit durch reale Lohnsenkungen ohne Inflation nur schwer möglich sind.

Der EZB-Rat definiert Preisstabilität deshalb seit dem Jahr 2003 so, dass er anstrebt, die durchschnittliche Teuerungsrate im Euro-Raum mittelfristig unter, aber nahe 2 % zu halten.

Übrigens: Auch die Bundesbank ging bei der Ableitung ihrer Geldmengenziele von einen "normativen Preisanstieg von 2 %" aus.

In der Diskussion um Staatsanleihekäufe im Rahmen eines breit angelegten Programms zur quantitativen Lockerung (QE) habe ich dennoch eine skeptische Haltung eingenommen. Die niedrige Teuerung im Euro-Raum ist nämlich primär Folge der gesunkenen Energiepreise. Diese sollten die Inflationsrate nur vorübergehend dämpfen, und sie entfalten auch einen merklichen konjunkturellen Stimulus im Euro-Gebiet, denn die Euro-Länder sind ja per saldo Nettoimporteure von Öl. Letztlich erhöht der Ölpreisrückgang die Kaufkraft der Verbraucher und senkt die Kosten der Unternehmen. Er wirkt wie ein kleines Konjunkturprogramm.

Entsprechend erwartet der EZB-Stab für dieses Jahr ein Wachstum im Euro-Raum von 1,5 % und 1,9 % im nächsten Jahr. Die Inflationsrate wird im Jahr 2015 null Prozent betragen, aber wohl im nächsten Jahr schon wieder bei 1,5 % liegen.

In dieser Projektion drücken sich natürlich zu einem Teil auch die Erwartungen an die Wirkung der beschlossenen geldpolitischen Maßnahmen aus. Ich lese aus den jüngsten Entwicklungen der Daten und der Projektion aber eher eine Bestätigung für meine zurückhaltende geldpolitische Haltung.

Trotz der leicht negativen Inflationsraten, sehen wir keine Deflationsspirale aus sinkenden Preisen und Löhnen. Die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Deflation ist nach wie vor als sehr gering einzuschätzen. So rechnet die Europäische Kommission für 2015 mit einem durchschnittlichen Anstieg der Arbeitnehmerentgelte im Euro-Raum um 1,3 %.

Hinzu kommt, dass die langfristigen Inflationserwartungen entsprechend der verfügbaren Umfragedaten immer noch verankert sind. Verglichen mit Sommer 2009, als Jean-Claude Trichet hier sprach, und die Inflationsrate kurz zuvor in den negativen Bereich gefallen war, sind sie nur geringfügig niedriger.

Und die etwas deutlicheren Rückgänge bei den marktbasierten Erwartungen sind im gegenwärtigen Umfeld nicht automatisch gleichzusetzen mit niedrigeren Inflationserwartungen. Im Übrigen sind die auf Finanzmarktdaten basierenden Inflationserwartungen in jüngerer Zeit auch in den USA zurückgegangen - trotz der dortigen Anleihekäufe, könnte man anfügen.

Mittelfristig ist mit einem Wiederanstieg der Inflationsrate zu rechnen, das zeigen nicht nur die Prognosen des EZB-Stabs.

Insgesamt wäre es aus meiner Sicht also nicht erforderlich gewesen, die Geldpolitik durch das breit angelegte Staatsanleihekaufprogramm weiter zu lockern. Das gilt umso mehr, als der Kauf von Staatsanleihen in der Währungsunion mit spezifischen Risiken einhergeht, weshalb er eben kein geldpolitisches Instrument wie jedes andere ist.

Zwar wurde in dem nun beschlossenen Ankaufprogramm für öffentliche Anleihen einigen Bedenken, die in Verbindung mit den beiden vorigen Programmen aufgekommen waren, Rechnung getragen: So unterliegt nur ein kleiner Teil des Programms der Risikoteilung zwischen den Notenbanken des Eurosystems und es gibt Obergrenzen, die sicherstellen sollen, dass sich die Staaten auch weiterhin im Wesentlichen über die Kapitalmärkte finanzieren.

Durch den weitgehenden Ausschluss der Risikoteilung wird - anders als bei den vorigen Staatsanleihekaufprogrammen - den unmittelbaren Gefahren einer Vergemeinschaftung von staatlichen Kreditrisiken immerhin entgegengewirkt oder wie Hans-Werner Sinn es kürzlich ausdrückte: "Die Risiken für die Bundesrepublik [wurden] wirksam verringert, ohne den Möglichkeitsraum für die Geldpolitik der EZB einzuschränken." Das reduziert im Übrigen auch die rechtlichen Risiken eines solchen Programms.

Das Risiko einer zunehmenden Verquickung von Geldpolitik und Fiskalpolitik, mit all ihren Folgen, bleibt jedoch (auch bei diesem Programm) bestehen. Denn am Ende der Käufe werden die Staaten einen bedeutenden Teil ihrer Schulden sehr günstig durch die Notenbank finanzieren, ohne dass diese Finanzierungskosten nach dem Risiko des jeweiligen Staates differenziert würden.

Wenn sich die Mitgliedstaaten an diese Finanzierungsbedingungen gewöhnen sollten, könnte dies dazu führen, dass ihre Motivation für weitere Konsolidierungs- oder Reformmaßnahmen abnimmt. Das könnte dann langfristig die Fähigkeit der Geldpolitik beeinträchtigen, Preisstabilität zu erreichen.

Dieses Risiko ist letztlich gegen das Risiko abzuwägen, dass eine Phase zu lange zu niedriger Inflation der Glaubwürdigkeit der Geldpolitik schadet. Und hier komme ich in der Abwägung eben zu einem anderen Ergebnis als die meisten anderen Ratsmitglieder, weil ich glaube, dass eine Geldpolitik der ruhigen Hand im Fall eines Ölpreiseinbruchs durchaus begründbar ist. So wie dies 2009 war und so wie dies zum Beispiel die amerikanische Federal Reserve oder die Bank of England auch heute machen.

Meine Damen und Herren, die Krise hat der Geldpolitik indes nicht nur schwierige Abwägungsentscheidungen abverlangt. Sie hat auch das hergebrachte geldpolitische Paradigma in Frage gestellt, also das, wovon wir glaubten, uns einig zu sein.

Und damit komme ich in der Menüfolge gewissermaßen zum Hauptgericht, nämlich dem Zusammenhang von Geldpolitik und Finanzstabilität.

3 Geldpolitik und Finanzstabilität

3.1 Geldpolitisches Paradigma in Frage gestellt

Vor der Krise verfolgten die Notenbanken der Industrieländer zwar keine einheitliche geldpolitische Strategie, es bestand jedoch weitgehend Einigkeit darin, dass die Sicherung von Preisstabilität das vorrangige Ziel der Geldpolitik sein sollte.

Dabei verwenden diese Notenbanken zur Messung der Preisstabilität leicht unterschiedliche Indikatoren, zielen inzwischen aber praktisch alle auf Raten von mehr oder weniger 2 %. Keine strebt eine Nullinflation an, Notenbanken von Transformations-, Schwellen- und Entwicklungsländern zielen in der Regel auf höhere Preissteigerungsraten.

Ein weiteres Element des Vorkrisen-Konsenses ist die Unabhängigkeit. Nach einem langen und pathologischen Lernprozess wurden Notenbanken nach und nach von politischer Bevormundung oder Lenkung durch die Regierungen befreit.

Westdeutschland hatte in diesem Zusammenhang zum einen das Glück, dass die Alliierten dem Notenbanksystem ein sehr hohes Maß an Unabhängigkeit gewissermaßen in die Wiege legten - dahinter standen ja weniger geldtheoretische als vielmehr politisch-historische Gründe - und zum anderen das Glück, dass erst die Bank deutscher Länder und später die Bundesbank die ihr verliehene Unabhängigkeit für die Stabilität des Geldes zu nutzen wussten.

Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Bundesbank dies tun konnte, war der Rückhalt in der deutschen Bevölkerung, für die Geldwertstabilität stets ein hohes Gut war. Ohne die Unterstützung der Bevölkerung tut sich auch eine unabhängige Notenbank schwer, oder wie Otmar Issing gesagt hat: "Jede Gesellschaft hat letztlich die Inflationsrate, die sie will und die sie verdient."

Pathologisch war der Lernprozess insofern, als Länder mit politisch gelenkten Notenbanken insbesondere in der 1970er Jahren bei schlechterer wirtschaftlicher Performance zum Teil deutlich höhere Inflationsraten als zum Beispiel Deutschland oder die Schweiz hatten, deren Notenbank ebenfalls unabhängig war.

Die durchschnittliche Inflationsrate in den 1970er Jahren lag in Deutschland und der Schweiz zwar bei recht hohen 5 %. Länder ohne unabhängige Notenbank hatten zu jener Zeit aber noch deutlich höhere Teuerungsraten: Großbritannien zum Beispiel 13 %, Italien 14 % oder Spanien 15 % - und das wohlgemerkt als Durchschnitt über ein ganzes Jahrzehnt.

Dass Notenbanken unabhängig und vorrangig für Geldwertstabilität zuständig sein sollten, wurde auch durch bedeutende wissenschaftliche Arbeiten untermauert. Die zunehmende wissenschaftliche Durchdringung der Geldpolitik hat zudem die Erkenntnis gebracht, dass die Wirksamkeit der Geldpolitik von der Transparenz ihrer Entscheidungen positiv beeinflusst wird.

Notenbanken sind deshalb heutzutage wesentlich transparenter in ihrer Kommunikation, als sie es vor zwei oder drei Jahrzehnten noch waren.

Dass Notenbanken, wie die EZB es zum Beispiel seit ihrer Gründung regelmäßig tut, im Anschluss an geldpolitische Sitzungen Pressekonferenzen abhalten, um ihre Entscheidungen ausführlich zu erläutern, hat es früher nicht gegeben.

Die neueste Errungenschaft in diesem Zusammenhang ist die Veröffentlichung von "Accounts", ausführlichen schriftlichen Zusammenfassungen der geldpolitischen Sitzungen des EZB-Rats, in denen auch die Bandbreite der vorgebrachten Argumente zum Ausdruck kommt.

Ein weiterer Aspekt der Geldpolitik, bei dem sich Notenbanken vor der Krise im Wesentlichen einig waren, ist die Frage, wie mit Vermögenspreisblasen umzugehen ist.

Wie ich bereits erwähnte, orientieren sich die Notenbanken bei ihren Stabilitätszielen an unterschiedlichen Indikatoren. Gemeinsam ist diesen Indikatoren, dass es Verbraucherpreisindizes sind. Die Preise von Vermögensgütern wie zum Beispiel Aktien, Immobilien oder Gold werden in diesen Verbraucherpreisindizes nicht berücksichtigt.

Gleichwohl hat die Entwicklung dieser Vermögenspreise durchaus Einfluss auf die Entwicklung der Verbraucherpreise. Deutlich wird das am Beispiel "Immobilien": Steigende Immobilienpreise können auch indirekt über höhere Vermögenspreise auf den Verbraucherpreisindex wirken.

So unterschiedlich die einzelnen Vermögensgüter sein können, ist ihnen gemein, dass es auf den entsprechenden Märkten zu spekulativen Übertreibungen kommen kann, welche man gemeinhin als Blasen bezeichnet.

Zum Vorkrisen-Konsens der Geldpolitik gehört auch die Ansicht, dass die Geldpolitik gar nicht erst versuchen sollte, solche Vermögenspreisblasen anzustechen, um die Luft rauszulassen. Alan Greenspan, mit dessen Namen diese Haltung insbesondere verbunden wird, sagte zum Beispiel 2002: "Die Vorstellung, dass sich die Blase Ende der 1990er Jahre mit gut getimten schrittweisen Zinserhöhungen hätte verhindern lassen, ist sicherlich eine Illusion."

Gegen eine gezielte Steuerung von Vermögenspreisen sprach nach dieser Sichtweise nicht zuletzt, dass Notenbanken letztlich auch nicht besser als die Finanzmärkte beurteilen können, ob steigende Vermögenspreise fundamental gerechtfertigt oder als spekulative Übertreibung einzustufen sind.

Stattdessen solle sich die Geldpolitik darauf beschränken, gewissermaßen die Scherben aufzukehren, wenn es an den Finanzmärkten mal wieder "gekracht" hat. Sprich: Wenn eine Vermögenspreisblase platzte, reagierte die Geldpolitik mit massiven Zinssenkungen, um die realwirtschaftlichen Auswirkungen zu dämpfen. So zum Beispiel, als die New Economy-Blase an den Aktienmärkten platzte, und die Federal Reserve den Leitzins innerhalb des Jahres 2001 von 6 ½ % auf 1 ¾ % senkte. 

Die Geldpolitik in den Industrieländern hat sicherlich dazu beigetragen, dass in den 1980er Jahren eine Ära begann, die von Makroökonomen als "great moderation" bezeichnet wurde: eine langanhaltende Periode mit relativ geringen Konjunkturschwankungen und niedriger Inflation.

Was lange wenig Beachtung fand: Die Ära der "great moderation" war am Ende mit einem starken Anstieg der Vermögenspreise und der Verschuldung verbunden. Und im Nachhinein muss man wohl feststellen: Die Geldpolitik hat mit dazu beigetragen, weil sie offenbar der Fehleinschätzung unterlag, das Goldlöckchen-Szenario der "great moderation" in die Zukunft fortschreiben zu können. Doch offenkundig hat die Geldpolitik falsche Anreize für die Entwicklung der Vermögensmärkte gesetzt.

Die Notenbanken konnten in den Jahren vor der Krise mit relativ niedrigen Zinssätzen die Verbraucherpreisteuerung niedrig halten. Dabei half ihnen ihre selbst erarbeitete Reputation, aber auch Rückenwind durch die Globalisierung.

3.2 Spekulative Übertreibungen an Immobilienmärkten

Die günstigen Refinanzierungsbedingungen hatten indes gravierende Nebenwirkungen. Im Zusammenspiel mit einer laxen Bankenregulierung führten sie in einigen Ländern zu Überinvestitionen im Wohnungsbau und zu spekulativen Preisblasen am Immobilienmarkt.

Die alte Börsenweisheit "Die Hausse nährt die Hausse" ist eben auch am Immobilienmarkt zu beobachten. Irgendwann manifestieren sich dann aber Zweifel an der Nachhaltigkeit der hohen Preise und schon kleine Ereignisse können die Blase zum Platzen bringen.

Das ist dann ein bisschen wie im Märchen von Hans Christian Andersen, wo alle des Kaisers neue Kleider bewundern, bis ein kleines Kind feststellt: "Aber er hat ja gar nichts an!", worauf das ganze Volk feststellt: "Aber er hat ja gar nichts an!".

Vor dem Hintergrund der geplatzten Hauspreisblasen zum Beispiel in den USA, in Irland oder Spanien, sorgen sich nicht wenige, dass nun auch in Deutschland spekulative Übertreibungen am Immobilienmarkt zu beobachten seien, die irgendwann ein jähes Ende nehmen und zu einem bösen Erwachen führen könnten.

Eine Immobilienblase, die die Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährdet, ist derzeit aber nicht zu beobachten.

Die Preise für Wohnimmobilien sind in Deutschland in den vergangenen Jahren zwar deutlich gestiegen, der Preisanstieg konzentriert sich aber vor allem in den Städten, insbesondere in den großen Städten - wie zum Beispiel München.

Berechnungen der Bundesbank legen nahe, dass es in den Städten mittlerweile deutliche Überbewertungen gibt. Wir gehen davon aus, dass die Preise zwischen 10-20 % über den Werten liegen, die fundamental zu rechtfertigen wären. In den angesagten Vierteln der großen Städte dürfte die Überbewertung noch darüber hinausgehen.

Man sollte aber nicht von einzelnen In-Vierteln auf den Rest der Republik schließen. Für Deutschland als Ganzes ist nach wie vor keine substanzielle Überbewertung von Wohneigentum erkennbar. Und im vergangenen Jahr hat sich die Preisdynamik wieder merklich abgeschwächt. Hier macht sich auch die jüngste Ausweitung der Bautätigkeit bemerkbar.

Eine gefährliche Immobilienblase liegt in Deutschland aber auch deswegen nicht vor, weil zwei wichtige Zutaten fehlen: kräftiges Kreditwachstum und ein steigender Verschuldungsgrad.

Wenn spekulative Übertreibungen am Immobilienmarkt mit steigender Verschuldung der privaten Haushalte einhergehen, droht bei einem Einbruch der Preise eine Überschuldung. Und das gilt umso eher, je niedriger das Eigenkapital der Hauseigentümer ist. Aus einer Krise am Immobilienmarkt kann sich dann schnell eine Banken- und Finanzkrise entwickeln, so wie wir es in den genannten Ländern auch gesehen haben.

In Deutschland sehen wir aber erstens kein besonders dynamisches Kreditwachstum: Zwar hat sich die Jahreswachstumsrate der Wohnungsbaukredite in den letzten Jahren erhöht. Mit aktuell 2 ½ % ist sie aber nach wie vor gering - und das bei Bauzinsen, die so niedrig sind wie noch nie zuvor.

Und zweitens sind die meisten Banken bei der Kreditvergabe nach wie vor eher konservativ: Die Vergabestandards wurden nicht gelockert und die Eigenmittelanteile sind im Schnitt immer noch recht hoch.

Eine Sonderumfrage der Bundesbank, die im Winterhalbjahr 2013/14 durchgeführt wurde, zeigt allerdings einen relativ hohen Anteil an "Hochausläufern" in großen Städten. Das sind Immobilienkredite, bei denen die Kreditsumme den Beleihungswert übersteigt. Eine gewisse Anfälligkeit von Banken gegenüber einem Preiseinbruch am Immobilienmarkt ist daher durchaus gegeben.

Zusammenfassend kann man zum deutschen Immobilienmarkt sagen: Wachsamkeit ist durchaus angebracht, Alarmismus ist dagegen fehl am Platze. Kreditnehmer und Kreditgeber sind aber jedenfalls gut beraten, an konservativen Standards festzuhalten.

Am Beispiel des Immobilienmarkts lässt sich anschaulich zeigen, wie die Geldpolitik die Vermögenspreisentwicklung beeinflusst. So hat eine ökonometrische Analyse der Bundesbank gezeigt, dass die Preise für Wohnimmobilien im Jahre 2014 im Schnitt um 3½ % höher lagen als in einem Szenario, in dem die Hypothekenzinsen auf dem Niveau von 2009 geblieben wären.

Vor dem Hintergrund der Stabilitätsrisiken, die von Korrekturen auf Vermögensmärkten ausgehen können, ist daher zu überdenken, wie solche Risiken, die ja auch von anderen Marktsegmenten ausgehen, zukünftig geldpolitisch berücksichtigt werden sollen.

3.3 Die Gretchenfrage der Nach-Krisen-Geldpolitik

Es ist gewissermaßen die Gretchenfrage der zukünftigen Geldpolitik: Wie hältst du's mit der Finanzstabilität?

Die Bundesbank definiert Finanzstabilität als die Fähigkeit des Finanzsystems, seine zentralen gesamtwirtschaftlichen Funktionen zu erfüllen und dies gerade auch in Stresssituationen und Umbruchphasen. Finanzstabilität ist damit konzeptionell wesentlich vielschichtiger als Preisstabilität, die sich an einem einzelnen Index messen lässt, nämlich dem Index der Verbraucherpreise.

Finanzstabilität profitiert von Preisstabilität und zugleich erleichtert Finanzstabilität die Gewährleistung von Preisstabilität. Wir haben es also mit unterschiedlichen Zielen, aber nicht mit voneinander unabhängigen Zielen zu tun.

Wer soll sich aber um die Finanzstabilität kümmern, wenn die Geldpolitik bereits den Auftrag hat, für Preisstabilität zu sorgen?

Hier gibt es ein breites Spektrum an Vorschlägen, das von der Zuweisung der Finanzstabilität an ein eigenes Politikfeld bis zur Formulierung der Finanzstabilität als eigenständiges Ziel der Geldpolitik reicht - neben der Preisstabilität, quasi als duales Mandat.

Wie die Krise klar gezeigt hat, ist es zur Sicherung der Finanzstabilität nicht ausreichend, mittels bankaufsichtlicher Methoden die Stabilität einzelner Finanzinstitute zu überwachen. Wer so die Finanzstabilität zu sichern glaubt, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, oder wie Janet Yellen es kürzlich ausdrückte: Vor der Krise schauten wir uns genau die Bäume an und nicht so genau, wie wir es hätten tun sollen, den Wald.

Finanzstabilitätspolitik muss daher den Wald in den Blick nehmen, sprich: das Finanzsystem insgesamt.

Als Konsequenz aus der Krisenerfahrung wurde daher ein Politikfeld etabliert, das es vor der Krise nicht gab. In einem Zeitungsartikel war dazu zu lesen: "Ein fürchterlicher Begriff ist in Fachkreisen seit dem Ausbruch der Finanzkrise in Mode gekommen: «makroprudenzielle Aufsicht»."

Was steckt hinter diesem "fürchterlichen Begriff", der meines Erachtens keine Modeerscheinung ist?

Das Adjektiv prudenziell, das sich vom englischen prudence oder lateinisch prudentia - die Umsicht, die Klugheit - ableitet, steht für die Regulierung und Aufsicht betreffend. In Verbindung mit der Vorsilbe makro taucht der Begriff erstmals 1986 auf, in einer Publikation der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). So richtig Karriere machte der Begriff aber erst seit der Krise.

Im Gegensatz zur mikroprudenziellen Aufsicht, die auf die individuellen Institute, also gewissermaßen auf die einzelnen Bäume schaut, hat die makroprudenzielle Aufsicht den ganzen Wald im Blick, also die Funktionsfähigkeit des gesamten Finanzsystems. Makroprudenzielle Politik zielt mithin darauf ab, die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes mit den Instrumenten der Regulierung und der Aufsicht zu sichern.

Als Reaktion auf die Finanzkrise wurde beschlossen, dass die Banken zukünftig mehr und besseres Eigenkapital vorhalten müssen. Das unter dem Namen Basel III bekannte Regelwerk beschreibt, wie viel Eigenkapital Banken in Abhängigkeit von ihren Bilanzrisiken vorhalten müssen. Je größer das Risiko, desto höher das Mindest-Eigenkapital - so die Grundregel.

Gleichzeitig wurde auch die Möglichkeit eingeführt, den Banken zusätzliche Kapitalpuffer aufzuerlegen, falls dies aus Sicht der Finanzstabilität notwendig sein sollte. Mit dem sog. antizyklischen Kapitalpuffer können Banken dazu angehalten werden, zusätzliches Eigenkapital zu bilden, wenn ein gesamtwirtschaftlich exzessives Kreditwachstum zu einem systemischen Risiko beitragen kann. Hier wird also ein Instrument der Bankenregulierung verwendet, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern.

Institutionelle Strukturen für makroprudenzielle Aufsicht wurden mittlerweile sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene geschaffen: So ist bei der EZB der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) angesiedelt, dessen zentrale Aufgabe die Früherkennung von Risiken im europäischen Finanzsystem ist.

Im Jahr 2013 trat in Deutschland das Finanzstabilitätsgesetz in Kraft, das die Aufgabe der makroprudenziellen Aufsicht dem Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) übertrug. Dem AFS gehören Vertreter der Bundesbank, des Bundesfinanzministeriums, der BaFin und der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung an; er kann Warnungen und Empfehlungen abgeben.

Der AFS beschäftigt sich zum Beispiel anhand von Bundesbankanalysen mit den Risiken, die vom Immobilienmarkt für die Finanzstabilität ausgehen. In diesem Zusammenhang prüft der AFS derzeit, welche konkreten Instrumente zusätzlich geschaffen und wie diese ausgestaltet werden sollten, um falls nötig vorbereitet zu sein.

Hier geht es zum Beispiel darum, die Rechtsgrundlage für eine Begrenzung des Fremdkapitalanteils bei Immobilienfinanzierungen zu schaffen. Der Werkzeugkasten muss also bestückt werden. Angesichts der eben geschilderten Risikoeinschätzung ist der Einsatz solcher Instrumente derzeit aber nicht erforderlich.

Als jüngster Spieler in der makroprudenziellen Aufsicht kommt nun noch die Europäische Bankenaufsicht hinzu, die sogar das Recht hat, beschlossene nationale makroprudenzielle Maßnahmen zu verschärfen. Grundsätzlich verbleibt die Verantwortung für makroprudenzielle Politik aber bei den Mitgliedstaaten.

Wenngleich die Entwicklung makroprudenzieller Instrumente noch "work in progress" ist, stellt sich die Frage, ob die Geldpolitik damit aus der Verantwortung für die Finanzstabilität entlassen werden kann.

Meine Antwort lautet: nein. Denn geldpolitische und makroprudenzielle Maßnahmen können zwar einander ergänzen, sie können aber auch in Konflikt miteinander geraten.

Der Forschungsdirektor der BIZ, Professor Hyun Song Shin, beschreibt solch einen Konflikt, wenn er sagt: "Es gibt - gelinde gesagt - eine gewisse Spannung zwischen einer expansiven Geldpolitik und einer restriktiven makroprudenziellen Politik: Die makroprudenzielle Politik wirkt, indem sie etwa die Kreditvergabe und das Eingehen von Risiken zu beschränken versucht - vor allem über die Banken. Eine expansive Geldpolitik dagegen zielt explizit auf mehr Kredit und mehr Risikobereitschaft - und hat einen breiteren Einfluss auf die Finanzmärkte."

Im Falle des Euro-Raums ist es freilich als großer Vorteil der makroprudenziellen Politik anzusehen, dass mit ihr nationalen Fehlentwicklungen, die mit der einheitlichen Geldpolitik nicht adressiert werden können, gezielt entgegengewirkt werden kann.

Egal ob Absicht oder Nebenwirkung: Geldpolitik beeinflusst den Risikoappetit der Finanzmarktteilnehmer und damit die Finanzstabilität. 

Nehmen wir den Fall einer expansiven Geldpolitik: Haben Anleger bestimmte nominale Renditeerwartungen, werden sie veranlasst, bei niedrigeren Marktzinsen ein höheres Risiko einzugehen - Stichwort "Jagd nach Rendite". Zudem beeinflusst die Geldpolitik die Risikoneigung der Finanzmarktteilnehmer, wenn sie unterschiedlich, also asymmetrisch, auf Kurssteigerungen und Kursrückgänge an den Finanzmärkten reagiert.

Eine Geldpolitik, die beim Platzen einer Blase sehr schnell und kräftig die Zinsen senkt, um die gesamtwirtschaftlichen Folgen einzugrenzen, dem Entstehen von Blasen aber nur zögerlich entgegenwirkt, weil sich der Vermögenspreisanstieg noch nicht in den Verbraucherpreisen niederschlägt, begünstigt sogenanntes moral hazard-Verhalten auf den Finanzmärkten. Die Geldpolitik wirkt dann wie eine Versicherung, die das Verlustrisiko der Marktteilnehmer begrenzt.

3.4 Das Verhältnis von Geldpolitik und makroprudenzieller Politik

Je nachdem, für wie bedeutsam man diesen Risikoneigungskanal hält, kommt man zu unterschiedlichen Sichtweisen, in welchem Verhältnis die Geldpolitik und die makroprudenzielle Politik zueinander stehen sollten.[1]

Entsprechend einer eher idealisierten Sichtweise sollten die Aufgabenbereiche der beiden Politikbereiche klar voneinander getrennt sein: getrennte Ziele, getrennte Instrumente. Diese Sicht misst dem Risikoneigungskanal eine geringe Bedeutung bei.

Auch nach einer erweiterten Sichtweise sollte die makroprudenzielle Politik gewissermaßen die erste Verteidigungslinie gegen Risiken für die Finanzstabilität sein. Da Risiken für die Finanzstabilität jedoch allein mit makroprudenziellen Instrumenten wahrscheinlich nicht beseitigt werden können, sollte die Geldpolitik ihren zeitlichen Horizont verlängern und die längerfristigen Wirkungen finanzieller Ungleichgewichte auf die Preisentwicklung in den Blick nehmen, um dauerhaft Preisstabilität garantieren zu können.

Nach einer integrierten Sichtweise schließlich ist der Risikoneigungskanal so bedeutsam, dass eine Trennung der beiden Politikbereiche nicht sinnvoll erscheint. Dieser Sicht zufolge, die sicherlich die radikalste Abkehr vom Vor-Krisen-Konsens darstellt, sollte die Geldpolitik einen intensiven präventiven Beitrag zur Sicherung der Finanzstabilität leisten und eng mit der makroprudenziellen Politik verzahnt werden.

Sowohl die erweiterte als auch die integrierte Sicht sehen also die Geldpolitik in der Mit-Verantwortung für Finanzstabilität, und in der Tat sprechen gute Argumente dafür.

Eine starke Rolle der Geldpolitik ist jedoch auch mit erheblichen Herausforderungen verbunden:

  1. fehlt es derzeit noch an Verständnis über die Wechselwirkungen von Geldpolitik und makroprudenzieller Politik, zumal schlicht noch zu wenig praktische Erfahrungen mit den neuen Instrumenten der makroprudenziellen Politik vorliegen.
  2. verfügt die Geldpolitik mit dem Zins über ein Hauptinstrument, das nur bedingt geeignet ist, regional oder sektoral auftretenden Ungleichgewichten an den Vermögensmärkten entgegenzuwirken. Zinsänderungen beeinflussen gleich das gesamte Finanz- und Wirtschaftssystem, sie wirken gewissermaßen wie ein Vorschlaghammer, wo ein Skalpell nötig wäre.
  3. birgt eine Mit-Verantwortung für die Finanzstabilität Risiken für die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik, wenn sie dadurch in Zielkonflikte gerät. Die Kommunikation geldpolitischer Entscheidungen wird dadurch noch komplexer, zumal Finanzstabilität ja bei Weitem nicht so leicht zu operationalisieren ist wie Preisstabilität.
  4. gefährdet eine Ausweitung des geldpolitischen Mandats die Unabhängigkeit der Notenbanken, die sie gerade davor bewahren soll, das Ziel der Preisstabilität aus den Augen zu verlieren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht unproblematisch, dass den Notenbanken immer mehr Verantwortung übertragen wird.

4 Schlussfolgerungen

Meine Damen und Herren,

bevor ich zum Ende meines Vortrages komme, möchte ich den Versuch eines Fazits wagen. Es sind wohlgemerkt vorläufige Schlussfolgerungen, denn die Diskussion über die angemessene Rolle der Finanzstabilität für die Geldpolitik ist noch nicht abgeschlossen.

Was man aber festhalten kann, ist Folgendes: Finanzstabilität sollte vorrangig durch makroprudenzielle Politik sichergestellt werden. Die dazu notwendigen Instrumente sollten zügig entwickelt werden, ihre Wechselwirkungen mit der Geldpolitik müssen intensiv untersucht werden.

Gleichzeitig muss die Geldpolitik die Auswirkungen von finanziellen Ungleichgewichten auf die Preisstabilität im Rahmen ihres bestehenden Mandats berücksichtigen. Und insoweit bin ich wohl ein Anhänger der erweiterten Sichtweise und habe Sympathien für den Ansatz der BIZ. Finanzstabilität sollte aber nicht zu einem gleichrangigen Endziel der Geldpolitik erklärt werden.

Die Geldpolitik sollte über den Finanzzyklus hinweg symmetrischer sein, indem sie diesen Finanzzyklus in ihren Entscheidungen berücksichtigt. Solche Finanzzyklen haben eine längere Dauer als Konjunkturzyklen, im Mittel zwischen acht und 30 Jahren.

Anders gewendet: Wenn sich die Geldpolitik ihrer Wirkung auf die Finanzstabilität und der Rückwirkung auf die Preisstabilität bewusst ist, wird sie in Aufschwungphasen tendenziell straffer sein, als es allein die kurzfristige Inflationsentwicklung erforderlich machen würde. Claudio Borio, der Chefökonom der BIZ sagt, "je mehr man sich auf eine Langfrist-Perspektive konzentriert, desto eher ergänzen sich Preisstabilität und Finanzstabilität und widersprechen sich nicht mehr".

Mit seiner Zwei-Säulen-Strategie verfügt das Eurosystem im Grundsatz über einen Analyserahmen, um Finanzmarktentwicklungen zu berücksichtigen. Die Daten zur Geldmengen- und Kreditentwicklung liefern wertvolle Hinweise auf längerfristige Risiken, die sich aus ungleichgewichtigen Finanzmarktentwicklungen für die Preisstabilität ergeben können. Allerdings sind hier weitere Anstrengungen nötig, um die Monetäre Analyse als zuverlässiges Frühwarnsystem für längerfristige Preisrisiken aus finanziellen Ungleichgewichten nutzen zu können. 

Meine Damen und Herren,

ich habe eingangs das Bild von Vorspeise und Hauptspeise verwendet. Bekanntermaßen trifft sich beides im Magen wieder und will gemeinsam verdaut werden.

Die Frage, die sich an dieser Stelle unweigerlich stellt, lautet: Wie geht die Geldpolitik mit den Risiken für die Finanzstabilität um, die von der aktuellen ultralockeren Geldpolitik ausgehen?

Nach meiner Ansicht darf die Geldpolitik nicht mit den Schultern zucken, wenn es Anzeichen für spekulative Übertreibungen auf den Vermögensmärkten gibt.

Die kräftigen und zum Teil rasanten Kurssteigerungen an den europäischen Aktien- und Anleihemärkten in den vergangenen Wochen und Monaten deuten auf einen stark gestiegenen Risikoappetit hin, den wir als Notenbanken sorgsam beobachten müssen.

Das andauernde Niedrigzinsumfeld könnte indes nicht nur auf den Vermögensmärkten Risiken für die Finanzstabilität bergen. Indem es die Ertragslage von Banken und Versicherungen belastet, je länger diese Phase anhält, steigt das Risiko von Instabilität ebenso. Umso wichtiger ist es, dass die Finanzinstitute ihre Kapitalausstattung weiter verbessern und ihre Geschäftsmodelle auf den Prüfstand stellen.

Ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und bin nun sehr gespannt, ob sich Ihre Fragen mehr auf die Vorspeise oder die Hauptspeise beziehen.

Fußnoten
1. Für eine ausführlichere Darstellung der drei Sichtweisen, die sich nicht nur hinsichtlich der Einschätzung des Risikoneigungskanals unterscheiden, vgl. Deutsche Bundesbank (2015), Die Bedeutung der makroprudenziellen Politik für die Geldpolitik, in: Monatsbericht März, S. 41-76.