Zentralbankgeld im 21. Jahrhundert Rede auf der DZ Bank Capital Markets Conference 2024
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, den dritten Tag der diesjährigen DZ Bank Capital Markets Conference eröffnen zu dürfen, zumal der Tagungsort im Herzen der deutschen Hauptstadt liegt.
Der Pariser Platz hat eine bewegte Geschichte. Ursprünglich am Stadtrand erbaut, entwickelte er sich mit der Zeit zu einem der prachtvollsten Plätze in Berlin, gesäumt von imposanten Botschaftsgebäuden und dem besten Hotel der Stadt.
Im Zweiten Weltkrieg wurde er dann fast komplett zerstört. Nach dem Bau der Berliner Mauer war er Teil des sogenannten Todesstreifens, der quer durch die geteilte Stadt verlief. Im Jahr 1998 füllte er sich wieder mit Verkehr, bevor er 2002 in eine Fußgängerzone umgewandelt wurde.
Er steht also sinnbildlich für den Wandel und bietet mir damit ein gutes Stichwort, um meinen heutigen Vortrag einzuleiten. Mein Thema ist allerdings nicht der städtebauliche Wandel, sondern der Wandel im Zahlungsverkehr und die entsprechende Antwort der Zentralbank.
Als das Brandenburger Tor 1998 für den Autoverkehr freigegeben wurde, sah die Zahlungsverkehrslandschaft noch ganz anders aus als heute. Bargeld war das Mittel der Wahl, und der E-Commerce steckte noch in seinen Kinderschuhen.
Auch heute sind Banknoten und Münzen noch das bevorzugte Zahlungsmittel an der Ladenkasse. Aber gemessen am Einzelhandelsumsatz hat sich der Anteil der Barzahlungen in etwa halbiert.
Im Gegenzug gewinnen unbare Zahlungsmethoden immer mehr an Bedeutung – und dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Es wurden bereits eine Reihe neuer digitaler Zahlungslösungen umgesetzt.
Mit dem Projekt „digitaler Euro“ soll ein digitales Zentralbankgeld eingeführt werden, das allen Menschen zur Verfügung steht.
Doch bevor ich näher darauf eingehe, weshalb ich den Schritt hin zu einer digitalen Zentralbankwährung für nützlich und notwendig erachte, gestatten Sie mir einige Anmerkungen zur aktuellen Geldpolitik. Ich denke, das könnte einige von Ihnen auch interessieren.
2 Anmerkungen zur aktuellen Geldpolitik
Die Reaktion des Eurosystems auf den jüngsten Inflationsanstieg war kraftvoll und entschlossen. Seit Juli 2022 haben wir unsere Leitzinsen in zehn aufeinanderfolgenden Schritten um insgesamt 450 Basispunkte angehoben. Darüber hinaus haben wir den Ankauf von Vermögenswerten eingestellt und damit begonnen, unsere Bilanz zu verkleinern.
Die gute Nachricht ist, dass die Inflation deutlich gesunken ist. Nachdem im Herbst 2022 noch zweistellige Teuerungsraten verzeichnet wurden, lag die Rate im März 2024 bei 2,4 Prozent. Wenngleich dieser Rückgang vor allem die Folge niedrigerer Energiepreise war, trägt auch die geldpolitische Straffung nun Früchte.
Im Einklang mit den jüngsten Projektionen von Fachleuten der EZB gehen wir davon aus, dass die Inflation 2025 im Schnitt wieder zwei Prozent betragen wird. Wir sind auf einem guten Weg, aber Risiken bleiben bestehen.
Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich noch nicht gänzlich davon überzeugt, dass die Inflation tatsächlich zeitnah und nachhaltig zum Zielwert zurückkehrt. Die Kerninflation ist nach wie vor hoch. Dies gilt vor allem für den Preisauftrieb im Dienstleistungssektor, der aufgrund des anhaltend kräftigen Lohnwachstums hartnäckiger ist als die Teuerung bei Waren.
Bis Juni werden wir deutlich mehr wissen, denn dann liegen beispielsweise die Angaben zum Lohnwachstum im ersten Quartal vor. Diese Daten werden in die neuen Projektionen einfließen. Sollten sie im Ergebnis dazu beitragen, unser Vertrauen in eine zeitnahe und nachhaltige Rückkehr der Inflation zum Zielwert von zwei Prozent zu stärken, würde ich eine Leitzinssenkung im Juni befürworten.
Allerdings müssten diesem Schritt nicht zwangsläufig eine Reihe weiterer Zinssenkungen folgen. Angesichts der aktuellen Unsicherheit können wir uns nicht vorab auf einen bestimmten Zinspfad festlegen.
Der EZB-Rat wird weiterhin von Sitzung zu Sitzung und auf Basis der jeweils aktuellen Daten über sein weiteres Vorgehen entscheiden.
Die Menschen vertrauen darauf, dass wir bald Preisstabilität wiederherstellen. Diesem Vertrauen müssen wir gerecht werden.
3 Der digitale Euro – eine Frage des Vertrauens
Vertrauen ist auch im Zahlungsverkehr ein wichtiges Stichwort. Geld beruht auf Vertrauen
.“[1] Und in Zeiten des Wandels, wie wir ihn derzeit erleben, ist Vertrauen besonders wichtig.
Der digitale Wandel hat die Zahlungsverkehrslandschaft radikal verändert. Viele neue Akteure, etwa Start-ups aus dem FinTech-Bereich oder große Technologieunternehmen, sind erfolgreich in den Zahlungsverkehrsmarkt eingetreten und haben dort eine herausgehobene Stellung eingenommen.
Sie bieten innovative und bequeme Zahlungsmittel an und fordern damit die herkömmlichen Anbieter von Bezahllösungen heraus, auch wenn ihnen nicht das gleiche Vertrauen entgegengebracht wird.
Gleichzeitig wird Bargeld immer weniger genutzt. Es kann nicht für digitale Zahlungen verwendet werden und kommt auch im Einzelhandel weniger zum Einsatz. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Rolle die Zentralbank in Zukunft einnehmen wird.
Bargeld ist derzeit die einzige Form von Zentralbankgeld, die Nichtbanken, also auch der breiten Öffentlichkeit, bereitsteht. Bargeld ist öffentliches Geld. Alle anderen Zahlungsmittel, die den Bürgerinnen und Bürgern im Euroraum zur Verfügung stehen, werden von kommerziellen Anbietern ausgegeben.
Öffentliches Geld ist ein Eckpfeiler unseres Finanzsystems. Es ist nicht nur eine Recheneinheit. In Verbindung mit der entsprechenden Regulierung gewährleistet öffentliches Geld auch, dass ein Euro buchstäblich einem Euro entspricht, ganz egal, wer das Zahlungsmittel ausgegeben hat.
In einer digitalen Welt ist es daher nur logisch, dass Zentralbanken darüber nachdenken, eine digitale Alternative für Bargeld bereitzustellen. Nicht nur das Eurosystem, sondern auch eine ganze Reihe anderer Zentralbanken weltweit sind zurzeit mit der Sondierung der Möglichkeiten für digitales Zentralbankgeld beschäftigt.
Das Projekt „Digitaler Euro“ ist im November 2023 in die Vorbereitungsphase eingetreten. Dies bedeutet nicht, dass die Ausgabe eines digitalen Euro bereits ausgemachte Sache ist.
Der EZB-Rat kann solch eine Entscheidung erst treffen, wenn das Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene abgeschlossen ist. Die Einführung eines digitalen Euro setzt die politische Bereitschaft hierzu voraus und bedarf eines soliden rechtlichen Rahmens.
Bis zur Einführung eines digitalen Euro wird noch geraume Zeit vergehen. Möglicherweise dauert es noch vier oder fünf weitere Jahre, bevor es tatsächlich dazu kommt.
4 Vorteile eines digitalen Euro
Aber welche Vorteile hätte ein digitaler Euro für Verbraucher und Händler?
Erstens hätten die Verbraucherinnen und Verbraucher ein europäisches Zahlungsmittel zur Hand, das sicher, bequem, schnell, zuverlässig und kostenlos und zudem im gesamten Euroraum einsetzbar wäre. Zum Beispiel funktionieren deutsche Bankkarten gegenwärtig nicht immer in anderen Euro-Ländern.
Der digitale Euro könnte hingegen für alle Arten von Zahlungen verwendet werden: für den Online-Einkauf oder im stationären Handel, für Zahlungen zwischen Privatpersonen und sogar für Transaktionen mit Behörden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der digitale Euro wie vorgesehen den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels erhält.
Die meisten Menschen würden Zahlungen mit dem digitalen Euro über die schon vorhandene Onlinebanking-App ihrer Bank abwickeln. Oder sie würden die mit Basisfunktionen ausgestattete App des Eurosystems für den digitalen Euro auf ihrem Smartphone nutzen.
Doch auch Menschen ohne Smartphone sollten Zahlungen mit dem digitalen Euro vornehmen können. Eine derzeit von den Gesetzgebern diskutierte Option ist die Ausgabe physischer Karten, die auch Personen ohne Bankkonto nutzen könnten. Der digitale Euro wird ein inklusives Zahlungsmittel sein.
Darüber hinaus wollen wir auch Offline-Zahlungen ermöglichen. Diese Funktion kann dann sehr nützlich sein, wenn keine Internetverbindung (oder Stromversorgung) vorhanden ist.
Viele Menschen werden das hohe Maß an Privatsphäre zu schätzen wissen, das der digitale Euro bietet. Niemand muss sich davor fürchten, zu einem „gläsernen Kunden“ zu werden. Einige Kritiker führen an, dass der digitale Euro den Regierungen eine Überwachung ihrer Bürgerinnen und Bürger ermöglichen würde. Doch das genaue Gegenteil trifft zu.
Im Gegensatz zu vielen kommerziellen Zahlungsdienstleistern hat das Eurosystem keinerlei Interesse daran, das Zahlungsverhalten der Menschen zu überwachen. Das Eurosystem wäre nicht in der Lage, die Menschen anhand der von ihnen getätigten Zahlungen zu identifizieren. Wir würden nur sehr wenige Daten einsehen, die notwendig sind, um die Aufgaben des Eurosystems, wie etwa die Abwicklung, zu erfüllen.
Banken und andere Zahlungsdienstleister, die Zahlungen in digitalen Euro abwickeln, dürften personen- und transaktionsbezogene Daten nicht für kommerzielle Zwecke verwenden, es sei denn, die Nutzer stimmen dem ausdrücklich zu. Sie hätten allerdings einen eingeschränkten Zugriff auf diese Daten, sofern dies gemäß den Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erforderlich ist. Offline-Zahlungen wären daher auf Kleinbetragszahlungen beschränkt.
Nur Bargeld bietet ein ähnlich hohes Datenschutzniveau wie der digitale Euro. Und Bargeld wird es weiterhin geben. Der digitale Euro würde das Bargeld ergänzen, es aber keineswegs ersetzen.
Zweitens würden auch Händler von einem digitalen Euro profitieren.
Zwar müssten sie Intermediären ihre Dienstleistungen vergüten, doch sollten rechtliche Schutzmaßnahmen verhindern, dass sie übermäßig belastet werden. Das Eurosystem würde seine eigenen Kosten selbst tragen, wie es heute schon beim Bargeld der Fall ist. Den Händlern würden somit keine Gebühren in Rechnung gestellt.
Heutzutage fühlen sich Einzelhändler häufig verpflichtet, ihren Kundinnen und Kunden eine Vielzahl von zum Teil recht teuren Zahlungslösungen anzubieten. Der digitale Euro würde für mehr Wettbewerb im Zahlungsverkehr sorgen. Händler könnten mit privaten Zahlungsdienstleistern niedrigere Transaktionsgebühren aushandeln.
Ein weiterer Vorteil des digitalen Euro besteht darin, dass die Händler mittels Echtzeitabwicklung Zahlungen ohne Zeitverzug erhalten würden. Dies würde wie beim Bargeld einen gleichzeitigen Austausch von Waren und Geld ermöglichen. Es gäbe keine offenen Forderungen.
Allerdings bezweifeln manche, dass wir überhaupt einen digitalen Euro brauchen, da es doch bereits genügend Bezahlmethoden gebe – an der Ladenkasse, bei Online-Transaktionen und bei Handy-zu-Handy-Zahlungen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass sowohl Verbraucher als auch Einzelhändler die Vorteile eines einzigen – für Online- wie auch Offline-Anwendungen geeigneten – Zahlungsinstruments zu schätzen wüssten.
Dies könnte zudem auch den Banken zugutekommen. Sie hätten so die Möglichkeit, eine öffentliche europäische Infrastruktur zu nutzen, um Innovationen voranzutreiben und ihren Kundinnen und Kunden kreative neue Dienstleistungen anzubieten.
Der digitale Euro steht nicht in Konkurrenz zur European Payments Initiative (EPI), zu deren Gründungsgesellschaftern auch die DZ Bank gehört. Vielmehr ergänzen sie sich. So könnte beispielsweise die geplante „Wero“-Wallet von EPI den digitalen Euro integrieren.
Darüber hinaus kann es nur im Interesse der Banken liegen, dass Europa seine Abhängigkeit von außereuropäischen Zahlungsinfrastrukturen verringert. Europa muss unbedingt widerstandsfähiger und unabhängiger werden.
Gleichwohl haben auch die Banken ihrerseits Bedenken gegenüber dem digitalen Euro. Sie befürchten, dass der digitale Euro zu einem attraktiven Ersatz für Bankeinlagen werden könnte. Banken könnten somit eine wichtige Finanzierungsquelle verlieren. Dies wiederum hätte möglicherweise eine strukturelle Disintermediation zur Folge und würde die Fähigkeit der Banken zur Kreditvergabe beeinträchtigen.
Auch wenn Einlagen in normalen Zeiten ausreichend attraktiv bleiben, könnte ein digitaler Euro einen Ansturm auf eine Bank auslösen, wenn deren Liquidität infrage gestellt wird. Einige Kritiker befürchten sogar, dass von einem digitalen Euro Gefahren für die Finanzstabilität ausgehen würden.
Das Eurosystem ist sich der potenziellen Risiken bewusst und wird die notwendigen Vorkehrungen treffen, damit sie nicht eintreten.[2]
Zum einen hat das Eurosystem nicht die Absicht, die Bestände an digitalen Euro zu verzinsen. Und zum anderen wird es ein Haltelimit geben. Beide Maßnahmen unterstreichen, dass der digitale Euro nicht als Wertaufbewahrungsmittel gedacht ist.
Die Nutzer könnten ihre Wallet für den digitalen Euro mit ihrem Geschäftsbankkonto verknüpfen und damit auch bequem Transaktionen abwickeln, die dieses Haltelimit überschreiten. Zum Beispiel für den Kauf eines Gebrauchtwagens.
Der Höchstbetrag wird niedrig genug sein, um sicherzustellen, dass die Banken einen zusätzlichen Liquiditätsbedarf problemlos bewältigen können. Aus Analysen der Bundesbank geht hervor, dass bei der gegenwärtigen Liquiditätsausstattung und den aktuell diskutierten Haltelimits der zusätzliche Bedarf überschaubar sein dürfte.[3]
Wir würden dafür sorgen, dass die Menschen den digitalen Euro nicht als Wertaufbewahrungsmittel, sondern wie beabsichtigt als Zahlungsmittel nutzen. Seien Sie versichert, dass das Eurosystem fest entschlossen ist, das bewährte zweistufige Bankensystem im Euroraum zu erhalten.
5 Schluss
Meine Damen und Herren,
Ken Olsen, Gründer der Digital Equipment Corporation, sagte im Jahr 1977, es gebe keinen Grund dafür, dass jemand einen Computer zu Hause haben wollte. Wie falsch er damit doch lag!
Als 1998 das Brandenburger Tor für den Autoverkehr geöffnet wurde, hätte wohl kaum jemand gedacht, dass gut 25 Jahre später fast jeder ein Smartphone benutzen würde.
Ich bin sicher, dass viele damals behauptet hätten, sie bräuchten oder wollten keinen Mini-Computer in der Hosentasche. Doch die meisten änderten ihre Meinung, als sie den praktischen Nutzen erkannten. Das Gleiche ist durchaus auch beim digitalen Euro denkbar.
Der Pariser Platz hat (wie ich eingangs erwähnt habe) seit seiner Errichtung am Stadtrand von Berlin viele Veränderungen erfahren. Heute zählt er zu den am zentralsten gelegenen Orten Berlins und den meistbesuchten Wahrzeichen der Stadt.
Als Randnotiz wurde von einigen auch die Erweiterung des Zentralbankgelds um den digitalen Euro wahrgenommen. Andere befürchten sogar, dass er schaden könnte.
Ich bin jedoch davon überzeugt, dass der digitale Euro eine Erfolgsgeschichte zum Nutzen aller sein wird. Er wird einen zentralen Platz in der Zahlungsverkehrslandschaft einnehmen. So wie der Pariser Platz im Herzen Berlins.
Fußnoten:
- Carstens, A. (2023), Digital Currencies and the Soul of Money, in: A. Dombret, P. S. Kenadjian (Hrsg.), Data, Digitalization, Decentralized Finance and Central Bank Digital Currencies, Berlin/Boston.
- Vgl. Bindseil, U., P. Cipollone und J. Schaaf, Digital euro: Debunking banks’ fears about losing deposits, Der EZB-Blog, 19. Februar 2024.
- Vgl. Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2023, S. 77 und der nachfolgende Kasten.