Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung – Herausforderungen aus Sicht der Bundesbank Rede zum Bundesbank-Symposium 2017, Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung in Deutschland im Jahr 2017
Es gilt das gesprochene Wort.
Lieber Herr Präsident Weidmann,
lieber Herr Mersch,
lieber Herr Otto,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir sprechen heute über die Herausforderungen im Zahlungsverkehr und in der Wertpapierabwicklung in Deutschland und darüber hinaus. Es wurde schon deutlich, Herausforderungen gibt es viele. Sie scheinen sogar quantitativ und qualitativ an Bedeutung zu gewinnen.
Jedoch bin ich hier Optimist. Mein Optimismus gründet sich auf eine langjährige Erfahrung mit der Branche der Zahlungsdienstleister und Abwickler. Auch SEPA lief letztlich reibungslos. Aber noch mehr hat mich die erfolgreiche Migration des deutschen Marktes Anfang des Jahres auf TARGET2-Securities (T2S) beeindruckt.
Gerade bei großen Herausforderungen arbeitet die Branche vertrauensvoll und professionell zusammen. Ein ganz großes Kompliment daher an alle Beteiligten.
Mein Optimismus stützt sich auch auf den gepflegten Austausch in der Branche. Miteinander reden ist der erste Schritt zu einer Verständigung und für eine gemeinsame Lösung. In diesem Sinne verstehen wir auch unser Symposium heute.
Wir wünschen uns dabei einen konstruktiv-kritischen und offenen Meinungsaustausch.
1 Herausforderung Instant Payments
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wir befinden uns mitten in der digitalen Revolution: Eine Welt ohne Smartphones und Tablets ist kaum noch vorstellbar. Diese schaffen einerseits neue Möglichkeiten für die Anbieter von Zahlungsdiensten, andererseits erhöhen sich auch die Erwartungen der Nutzer.
Gerade für die Jüngeren ist es kaum verständlich, warum noch fast 80 Prozent aller Bezahlvorgänge im Alltag mit dem Bargeld völlig analog abgewickelt werden. Wäre es mit dem Smartphone nicht schneller, praktischer und auch eleganter? Das fragen sich nicht nur unsere "Digital Natives". Auf diese Möglichkeit haben bisher vor allem die "Digital Natives" auf der Anbieterseite reagiert: die sogenannten FinTechs.
Diese überzeugen meist mit pfiffigen Ideen, viel Mut, einem sehr nutzerfreundlichen Angebot und sehr agiler IT-Infrastruktur. Allerdings besteht für FinTechs die Herausforderung, ausreichend Zahler und Zahlungsempfänger zu überzeugen, um eine kritische Marktgröße zu erreichen.
Hier treffen sich die Interessen von FinTechs und Kreditwirtschaft. Die einen bringen lang gewachsene und verlässliche Kundenbeziehungen mit, die anderen haben die Ideen, wie man für die Kunden neue zusätzliche digitale Dienste in kurzer Zeit entwickeln kann.
Die Digitalisierung schafft aber nicht nur Herausforderungen für die Wettbewerber, sondern auch für die Regulierung. Plötzlich geht es nicht nur um klassische rechtliche Themen wie etwa Haftungsregelungen, sondern um Vorgaben für die Ausgestaltung von technischen Schnittstellen. Bei der Überarbeitung der Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) nähern wir uns hier langsam der Zielgeraden. Die Regulatory Technical Standards der EBA (European Banking Authority) liegen vor.
Wie zu hören ist, sieht die EU-Kommission in einigen Aspekten wohl noch Änderungsbedarf, und zwar konkret bei den Vorgaben zur Ausgestaltung der Konto-Schnittstelle für sogenannte Drittanbieter. Dieses mittlerweile über zwei Jahre andauernde Ringen mit der Materie zeigt, wie schwierig es ist, in der neuen digitalen Welt zu ausgewogenen Lösungen zwischen Drittanbietern und Kreditinstituten zu kommen.
Doch es ist nun an der Zeit, hier die Vorgaben festzuziehen, sodass die Regelung wirklich die erhofften Anreize liefern kann, neue Angebote zu schaffen. Klare Verhältnisse und Rechtssicherheit sind nötig, damit Banken und Zahlungsinstitute ihren Kunden neue innovative Dienste auf Basis eines geregelten Zugangs zu ihren Konten anbieten können. Dabei sollten die Marktteilnehmer dann auch sicherstellen, dass die entstehenden Lösungen zumindest interoperabel sind. Denn die SEPA-Idee kann sich nur dann voll entfalten, wenn wir auch im Hinblick auf neuere Entwicklungen keine Re-Fragmentierung des europäischen Zahlungsverkehrs zulassen.
Generell können wir Zahler uns in den kommenden Jahren auf attraktivere Angebote freuen. Instant Payments tragen mit einem echten Mehrwert für den Kunden wesentlich dazu bei. Vorausgesetzt, die Banken machen ihren Kunden attraktive Angebote. Dazu gehört für die Privatkunden auch, dass sie einfach mit einer Smartphone-App zahlen können. Die Adressierung sollte per Mobilfunknummer oder E-Mail-Adresse möglich sein, die mit der IBAN des Zahlungsempfängers verbunden sind.
Dies ist schon auf nationaler Ebene eine Herausforderung. So gibt es in Deutschland mittlerweile schon mehrere Dienste, die P2P-Zahlungen ermöglichen. Und weitere sind angekündigt. Erfahrungsgemäß werden solche Angebote nur dann ein Erfolg, wenn sie bankenübergreifend eine durchgängige Erreichbarkeit sicherstellen. Und noch größer ist die Herausforderung natürlich, wenn es um die europaweite Erreichbarkeit in SEPA geht.
Aber mit den Herausforderungen bin ich noch nicht ganz durch. Neben Digitalisierung und Harmonisierung des Zahlungsverkehrs in Europa sind es die Googles, Apples, Facebooks, Amazons und Alibabas dieser Welt. Sie könnten als mächtige Wettbewerber im Zahlungsverkehr auftreten. Sie könnten sogar den Markt für Zahlungsdienste erheblich verändern, indem der Zahlungsverkehr nur noch zu einem Dienst einer Plattform wird, die zunehmend nahezu alle Bedürfnisse erfüllen und damit die Kunden möglichst in allen Belangen an sich binden kann.
Wie sich diese Art von Angeboten langfristig mit Wettbewerb und Datenschutz verknüpfen lassen, ist eine noch ungelöste, aber drängende Frage. Denn hiervon hängt unsere Zukunft im Zahlungsverkehr ab. Für uns muss eine hohe Priorität darin bestehen, die Digitalisierung des europäischen Zahlungsverkehrsmarktes voranzubringen und nicht gegenüber anderen Regionen ins "Hintertreffen" zu geraten oder im digitalen Zeitalter von einer Lokomotive mit Zugkraft zu einem Anhänger zu werden. Dieses ist für mich eine der wesentlichen Schlüsselfragen, die von Anbietern, Nutzern und Regulatoren zu beantworten ist.
2 Herausforderung Blockchain
Neue Technologien – hier unter dem Stichwort "Digitalisierung" – können zwei verschiedene Wirkungen haben: Sie können bestehende Verfahren und Prozesse effizienter machen. Sie können aber auch neue Geschäftsfelder ermöglichen.
Das zweite vorherzusehen und sich darauf angemessen vorzubereiten, ist die ungleich größere Herausforderung. Lassen Sie mich das mit einem Zitat untermauern. Anlässlich der gegenwärtig stattfindenden Eishockey-Weltmeisterschaft möchte ich Wayne Gretzky ("The Great One"), den wohl fähigsten Eishockeyspieler in der Geschichte der National Hockey League zitieren. Gretzky sagte: "Ein guter Spieler spielt da, wo der Puck ist. Ein herausragender Spieler jedoch spielt da, wo der Puck sein wird."
Wie beim Eishockey gilt das auch im Zahlungsverkehr und in der Abwicklung. Manchmal müssen wir uns mit neuen Technologien beschäftigen allein aufgrund der vorhandenen Indizien, dass sie bestehende Prozesse verändern und möglicherweise ganz neue Strukturen ermöglichen können.
Beschäftigung mit Blockchain
Ich spreche über die Blockchain, oder: Distributed Ledger Technologie.
Um es gleich vorweg zu sagen: Die Deutsche Bundesbank möchte den Hype um diese Technik nicht befördern, aber wir beschäftigen uns seit geraumer Zeit aktiv mit den Chancen und Risiken dieser Technologie.
Als Betreiber von großen Marktinfrastrukturen müssen wir neue Basistechniken verstehen und zwar aus eigener Anschauung. Nachlesen in bunten Bulletins oder Zitieren vom Hörensagen wäre zu wenig. Wir wollen selber praktisch ausprobieren, experimentieren und dann analysieren, um eine eigene Einschätzung zu haben.
Dies tun wir auch im Rahmen unserer aktiven Rolle in der Zahlungsverkehrspolitik und nicht zuletzt zur Unterstützung unserer Aufgaben in der Aufsicht über Finanzmarktinfrastrukturen.
Die Blockchain ist von der Finanzindustrie aktiv aufgegriffen worden und hat sich längst von ihrer Herkunft, als Technik hinter Bitcoin, emanzipiert.
Virtuelle Währungen
Bitcoin, noch immer die dominierende virtuelle Währung, ist weiterhin ein interessantes Nischenphänomen. Ich habe wiederholt davor gewarnt, Bitcoin-Anlagen als sicher anzusehen.
Es bleibt eben eine virtuelle Währung, die keine reale Wertgrundlage hat.
Gelegentlich wird unterstellt, Zentralbanker fürchteten den Wettbewerb der Währungen und würden virtuelle Währungen ungerechtfertigt in eine "Schmuddelecke" stellen.
Meine Damen und Herren, wir Zentralbanker haben aber die Pflicht, für einen sicheren und effizienten Zahlungsverkehr zu sorgen. Im Rahmen dieses Sorgeauftrages legen wir großen Wert auf eine stabile Währung, die in sicheren und effizienten Zahlungsverkehrssystemen umläuft. Wir agieren zudem ohne kommerzielle Interessen, ohne Gewinnerzielungsabsicht.
Und im Rahmen dieses Auftrags müssen wir auch auf Schwächen anderer Zahlungsmittel hinweisen. Zentralbankgeld ist eine Verbindlichkeit der emittierenden Zentralbank. Das Vertrauen in die Zentralbank als Institution, in die handelnden Personen in der Zentralbank und nicht zuletzt in den dahinter stehenden Staat stützt die Währung.
Geschäftsbankengeld ist immer eine Forderung an eine Geschäftsbank. Aber wenn es um die finale Abwicklung zumal großer Beträge geht, dann wollen die Marktakteure normalerweise sicheres und liquides Zentralbankgeld haben.
Hinter virtuellen Währungen dagegen steht niemand. Es wird tatsächlich aus dem Nichts geschaffen von Personen, die meist nicht mit Klarnamen bekannt sind und nach Regeln, über die ein unbekanntes Gremium entscheidet.
Virtuelles Geld verbrieft keine Forderung. Manche Proponenten vergleichen es daher mit Warengeld, zum Beispiel mit Gold oder Zigaretten (nach dem Zweiten Weltkrieg). Doch auch dieser Vergleich hinkt. Waren haben einen Gebrauchs- oder Verbrauchswert als Wertbasis. Man kann sie benutzen oder konsumieren. Virtuelles Geld dagegen hat nur den Tauschwert am Markt. Wenn Ihnen keiner mehr Bitcoins abnimmt, können Sie nichts damit anfangen.
Blockchain als Technik im Finanzsektor
Viel interessanter erscheint uns als Transaktionstechnik die Blockchain bzw. die Distributed Ledger-Technologie. Als wir begannen uns mit der Blockchain zu beschäftigen, war für uns von Anfang an klar, dass wir einige der Eigenschaften der Bitcoin-Blockchain im Finanzsektor nicht anwenden können.
Wenn die Blockchain verwendet werden soll, dann muss sie an die Finanzwelt angepasst werden, nicht umgekehrt. Dazu gehören Basisprinzipien wie:
Wahrung der Vertraulichkeit, also ein striktes "Need-to-Know-Prinzip" für alle Datentransfers.
Keine anonymen oder pseudonymen Teilnehmer oder Transaktionen: Wir kämpfen auch weiterhin gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.
Transparente und klare Governance: Jedes System braucht einen verantwortlichen Betreiber.
Finalität der Transaktionen: Wir brauchen Rechtssicherheit über die getätigten Transaktionen, und zwar idealerweise schnell.
Und dazu kommen noch die nicht-funktionalen Anforderungen, die wir an heutige Systeme stellen: Effizienz, Skalierbarkeit, Sicherheit und Stabilität. Gerade im Hinblick auf Bitcoin darf man nicht außer Acht lassen, dass es zwar für den Zahler mit geringen oder überhaupt keinen Entgelten einhergeht, aufgrund der zugrundeliegenden, sehr energieintensiven Abstimmverfahren aber ganz weit von der Effizienz entfernt ist, die heute in modernen Finanzmarktinfrastrukturen als Maßstab gelten muss.
Auf Initiative der Bundesbank haben wir zusammen mit der Deutschen Börse einen Prototypen gebaut, mit dem wir Wertpapiertransaktionen und Zahlungen blockchainbasiert abwickeln können. Dabei sind die von mir gerade erwähnten Prinzipien strikt eingehalten.
Mehr noch, der Prototyp ist so gebaut, dass er prinzipiell die geltenden Regularien für Finanzstransaktionen erfüllen könnte. Das war uns sehr wichtig.
Wir haben gelernt, dass dies auch mit einer Blockchain funktionieren kann. Noch sind die Basisblockchains, in unserem Fall: Hyperledger Fabric, selbst in der Entwicklungsphase. Aber wir sind überzeugt, dass unsere funktionalen Anforderungen prinzipiell erfüllbar sind.
In der derzeit laufenden Phase unseres Prototypen gehen wir dazu über, auch die nicht-funktionalen Anforderungen zu testen. Wir bauen ihn so um, dass wir realitätsnahe Last- und Performanztests durchführen können.
Dann werden wir sehen, wie es um die Skalierbarkeit bestellt ist, wie effizient die Technik sein kann, wie stabil die Abwicklung auch bei großen Stückzahlen läuft und möglicherweise auch, wie teuer die Abwicklung in der Realität werden könnte. Die Benchmark bilden natürlich unsere gegenwärtigen Systeme und Finanzmarktinfrastrukturen, die ich insgesamt für sehr leistungsfähig und effizient halte.
Neben den eigenen Entwicklungsarbeiten verfolgen wir natürlich die Marktentwicklungen genau. Wir stehen im laufenden Austausch mit führenden Blockchain-Anbietern und einschlägig tätigen Finanzinstituten.
Nicht zuletzt gibt es zu praktisch allen Facetten der Technik Arbeitsgruppen, in denen sich Vertreter der Zentralbanken austauschen. Da geht es dann nicht mehr allein um die Technik, sondern auch um weiterführende Fragen, etwa die nach der Emission digitalen Zentralbankgeldes.
Dazu heute nur so viel: Wir wissen um den Wunsch vieler Marktteilnehmer, auch mit stabilem digitalem Geld auf der Blockchain bezahlen zu können. Die Auswirkungen auf den geldpolitischen Transmissionsprozess, auf die Geldnachfrage, auf die Geschäftsmodelle der Banken und auf die Finanzstabilität sind jedoch noch zu wenig erforscht. Daher tun wir gut daran, nicht vorschnell zu handeln. Unser Kerninteresse ist derzeit ein Erkenntnisinteresse.
Möglicherweise hört sich das für den ein oder anderen sehr skeptisch an. Hört man doch sonst die Rede von der "disruptiven" Technik, die eine ganz neue Wirtschaftsstruktur ermöglichen könnte.
Wir als Zentralbank verfolgen eine ausgewogene Herangehensweise. Wir sind aufgeschlossen für neue Ideen und wollen aktiv etwas über die Chancen und Risiken neuer Techniken lernen. Wir betreiben das allerdings mit dem Realismus einer operativ tätigen großen Notenbank.
3 Schluss
Meine Damen und Herren,
ich habe im Kern zwei Herausforderungen unserer Branche erörtert. Zwei, die mir derzeit besonders am Herzen liegen: Instant Payments und Blockchain. Es gibt ungleich mehr Herausforderungen.
Denken Sie dabei zum Beispiel an den zunehmenden Wettbewerb durch globale Technologiekonzerne. Damit meine ich nicht nur die Internet-Giganten Google, Apple, Facebook, Amazon. Nein, auch die großen drei Anbieter aus China – Baidu, Alibaba und Tencent – sollten nicht unterschätzt werden. Allein die monatlichen Nutzerzahlen sind erstaunlich: Mit Baidu durchsuchen fast 700 Millionen Chinesen das Internet von ihrem Smartphone aus,[1] mit Alibaba’s Alipay zahlen über 400 Millionen Käufer mobil, und über 800 Millionen Mobilfunknutzer erhalten und senden Geld über Tencent’s WeChat, ein Messaging Dienst mit integrierter P2P-Zahlungsfunktion.[2]
Ich freue mich nun auf Ihre Beiträge und Ihre Sicht der Dinge. Um noch einmal Wayne Gretzky zu bemühen: Sagen Sie uns: Wo sehen Sie den Puck in naher Zukunft? Wo wird der Puck sein?
Fußnote: