Zahlungsverkehr im Wandel – Was sind die Herausforderungen? DSGV – Fachtagung Girokonto und Zahlungsverkehr "Payments 2.0 – In der digitalen Welt Qualitätsführer bleiben"
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
hier, in der Mitte Berlins ist Veränderung – Neudeutsch Change – eine alltägliche Erfahrung. So entsteht nur 800 Meter von uns entfernt das Humboldtforum im wieder errichteten Berliner Schloss. An dieser Stelle erscheint die wechselhafte Geschichte Berlins und Deutschlands mit ihren vielfältigen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Facetten wie in einem Brennglas gebündelt. Gleichzeitig entsteht vor Ort auch völlig Neues. Berlin ist Innovationshauptstadt Deutschlands und Startup Hot-Spot. Das Risikokapital fließt so reichlich, dass die Investitionen fast Londoner Niveau erreichen.[1]
Und auch bei der Finanztechnologie liegt Berlin vorne. Ein Drittel der deutschen FinTechs sind in der Stadt ansässig.[2] Sie treiben als Innovatoren, Partner und gelegentlich als Wettbewerber den Wandel im Finanzsektor und speziell auch im Zahlungsverkehr voran.
Meine Damen und Herren, was sind nun die großen, strukturellen Herausforderungen im Zahlungsverkehr, denen sich Banken und Sparkassen stellen müssen?
Erstens geht es um neue Technologien. Zurzeit werden diese hauptsächlich an der Schnittstelle zum Kunden eingesetzt, um Bezahlvorgänge einfacher zu gestalten. Doch neue Technologie schafft auch neue Prozesse. Instant Payments – Echtzeitzahlungen im Massenzahlungsverkehr – könnten zu teilweise neu strukturierten Prozessen führen. Ferner könnte die Blockchain-Technologie künftig weiteres produktives Potenzial entfalten.
Zweitens nimmt der Wettbewerb zu. So wächst die Zahl konkurrierender Zahlungslösungen und -anbieter. Hier steigen Nichtbanken wie FinTechs, Händler oder große Internet-Plattformen in den Ring. Auch der Wettbewerb zwischen den etablierten Spielern wird zunehmen. Die PSD2-regulierte Öffnung von Schnittstellen zum Girokonto wird diese Entwicklung weiter fördern. Gegenläufig wirkt die Tendenz zur Monopolbildung, die u.a. für Zahlungsnetzwerke charakteristisch ist.
Drittens nehmen mit fortschreitender Digitalisierung die Menge und der Wert der gesammelten Kundendaten zu. Die Möglichkeiten des Marketings und die Sorge um den richtigen Umgang mit diesen Datenmassen werden immer wichtiger. Der Datenschutz ist besonders für Verbraucher in Deutschland ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz von Innovationen. Gleichzeitig müssen die Marktteilnehmer stärker in Cybersicherheit investieren.
2 Eine Welle neuer Technologien
In den vergangenen Jahren entstanden viele neue technische Funktionalitäten, die es ermöglichen, Zahlungen wesentlich komfortabler als bisher anzustoßen. Die Neuerungen betreffen sowohl Einkäufe im stationären Handel als auch im E- und M-Commerce sowie P2P-Zahlungen, also Person-an-Person.
Die augenfälligste Änderung im stationären Handel ist die Einführung von kontaktlosen Kartenzahlungen mittels Near Field Communication- (NFC-) Technologie. Die Vorteile für Händler und Kunden sind offensichtlich. Die Karte muss nicht aus der Hand gegeben werden, und eine Zahlung im Supermarkt dauert laut einer Messung der EURO Kartensysteme kontaktlos nur halb so lang wie bisher.[3]
Die letzten Hindernisse für eine flächendeckende Nutzung des Verfahrens werden gerade beseitigt. Alle Händler sollen bis Ende 2018 ihre Terminals auf die NFC-Technologie umgerüstet haben. Aktuell sind bereits 35 Millionen girocards kontaktlos einsetzbar. Für Ende 2019 plant die Kreditwirtschaft, dass mehr als drei Viertel der girocards –circa 75 Millionen – einen NFC-Chip haben. Genossenschaftsbanken und Sparkassen zeigen sich hier als Vorreiter. Im Ergebnis erwarte ich, dass die Kartennutzung in Deutschland in den nächsten Jahren zu Lasten des Bargeldes weiter steigen wird.
Der nächste Schritt – von der kontaktlosen Karte zum kontaktlosen Bezahlen mit dem Mobiltelefon – kommt damit in Reichweite. In Deutschland besitzen 43 Millionen Menschen ein Smartphone.[4] Viele haben es rund um die Uhr bei sich, es steht oft im Zentrum ihres täglichen Handelns. Warum sollte es dann nicht häufiger zum Bezahlen eingesetzt werden und so vielleicht die Geldbörse ersetzen?
Konsequenterweise arbeitet die Kreditwirtschaft daran, die girocard ins Smartphone zu integrieren. Laut einer Umfrage des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation will schon heute ein Drittel der Bevölkerung auf diese Weise im Laden bezahlen.[5] Das Pilotprojekt dazu wurde erfolgreich abgeschlossen. Sparkassen und Genossenschaftsbanken wollen mobile girocard-Zahlungen ab Mitte 2018 flächendeckend ermöglichen. Zusätzliche Änderungen an der Terminalinfrastruktur sind dafür nicht mehr notwendig. Eine Hürde ist allerdings noch nicht überwunden: Ein bekannter Smartphone-Hersteller öffnet bislang seine NFC-Schnittstelle nicht für Dritte, da er dem Vernehmen nach seine eigene Lösung am deutschen Markt etablieren will. In anderen Ländern treten Banken bzw. Verbraucherschützer aktiv für die Öffnung ein, bislang jedoch erfolglos.[6]
Der Charme von Smartphone-Zahlungslösungen liegt unter anderem darin, dass verschiedene Technologien miteinander verknüpft werden können. So können Transaktionsdaten mithilfe von NFC, aber auch per QR-Code oder Bar Code übertragen werden. In digitalen Wallets können verschiedenste Zahlungsquellen, etwa Karten- oder Bankdaten, hinterlegt werden. Und für die Autorisierung der Zahlung lassen sich biometrische Mechanismen – wie der Fingerabdruck – oder auch Zahlungscodes nutzen. Aber es ist offenkundig, dass mobile Zahlverfahren kein Selbstläufer" sind. Sie müssen nicht nur auf dem Papier überzeugen, sondern dem Kunden einen Zusatznutzen gegenüber etablierten Zahlverfahren bieten. Sonst wird man die Verbraucher kaum zu ihrer Nutzung bewegen können.
Grundsätzlich wäre so das Smartphone gleichermaßen für den Einsatz am stationären Point of Sale wie für mobile Internet-Zahlungen sowie P2P-Transaktionen gerüstet. Dabei verschmelzen die bisher getrennten Kanäle. Dies lässt sich gut beim Übergang vom E- zum M-Commerce beobachten.
Wünschenswert wäre aus meiner Sicht auch, wenn die Smartphone-Technologie dazu genutzt werden könnte, um bestehende Lücken auf "Akzeptanzseite" – besonders bei den in Deutschland stark vertretenen kleineren Gewerbetreibenden – zu verringern. Denn in vielen Geschäften ist Kartenzahlung leider immer noch nicht möglich.
Im Onlinehandel haben sich spezifische Bezahlverfahren, die einen bequemen Zugang zu bekannten Zahlungsinstrumenten schaffen, schon etabliert. Mehr als ein Viertel aller Bestellungen werden aktuell per PayPal, giropay oder Sofortüberweisung bezahlt.[7]
Die deutschen Banken und Sparkassen haben mit paydirekt ein eigenes Verfahren auf die Beine gestellt. Damit sich paydirekt noch etablieren kann, gilt es, keine Zeit zu verlieren. Schnelles, gemeinsames Handeln ist gefragt. Denn in dem ohnehin hart umkämpften Markt gehen immer wieder neue, sprintstarke Mitbewerber an den Start: So soll "pay with google" nun auch Onlinehändlern angeboten werden.
Außerdem werden Internetkäufe zunehmend nicht mehr per PC oder Laptop erledigt, sondern über mobile Geräte. Bereits heute gehen ein Viertel der Bestellungen über Smartphone und Tablet ein. Niemand möchte auf einem 5x9 cm großen Bildschirm eine IBAN oder die Kreditkartendaten eintippen. Selbst die Eingabe von Benutzerkennung und Passwort können zu mühsam sein. Da greifen Nutzer gern auf voreingestellte Zahlungswege und 1-Click Payment zurück. Das könnte Monopolisierungstendenzen anheizen.
Denn haben sich Käufer erst einmal daran gewöhnt, mit einer bequemen Zahlungslösung beispielsweise im M-Commerce zu zahlen, werden sie diese Erfahrung auch bereitwilliger im Handels- oder P2P-Kontext wiederholen wollen. Darin liegt das Kalkül der Expansion zum Beispiel von PayPal auf weitere Kanäle ebenso wie die Erweiterung des Angebots von paydirekt um P2P-Zahlungen. Diese Zusatzfunktion könnte zwar die Attraktivität und Bekanntheit erhöhen, aber die Konkurrenz ist groß. Privatpersonen können schon heute zum Beispiel mit ihrer Banking-App Geld direkt von einem ihrer Kontakte anfordern oder an ihn senden – so einfach wie eine SMS zu schreiben.
Allerdings sind das bislang größtenteils noch Insellösungen. Für den durchgreifenden Erfolg ist eine breite Erreichbarkeit entscheidend, so dass auch Nutzer anderer Anwendungen adressiert werden können. Um das SEPA-weit zu erreichen, wird seit einiger Zeit im Auftrag des European Retail Payment Boards an einem Konzept für ein pan-europäisches Proxy-Verzeichnis gearbeitet. Dabei würde die IBAN zum Beispiel mit der Telefonnummer verlinkt. In Verbindung mit einfachen, sicheren, eventuell biometrischen Authentifizierungsverfahren und leicht bedienbaren Apps könnte mobilen Zahlungen der Durchbruch gelingen.
Die Herausforderung für die Anbieter liegt also darin, auf Basis der neuen technischen Möglichkeiten nutzerfreundliche Anwendungen bereitzustellen, die Zahler und Zahlungsempfänger überzeugen. Hier ist Kreativität gefragt. Lösungen müssen interoperabel sein, um möglichst schnell eine kritische Masse an Nutzern zu gewinnen. Dafür gilt es, die Kräfte zu bündeln und, soweit wie möglich, an einem Strang zu ziehen.
Im Idealfall profitieren die Konsumenten von einem universellen Werkzeug, mit dem sie im Laden, online, mobil und P2P bezahlen können.
3 Neue Wege mit Instant Payments und Blockchain
Meine Damen und Herren, bislang beziehen sich die Neuerungen auf den Zugang zu einem bekannten Zahlungsinstrument, also Karte, Lastschrift oder Überweisung. Doch egal, welcher Weg heute für eine Zahlung genutzt wird – eine App, ein Zahlungsauslösedienst oder ein P2P-Payment – immer vergehen zwischen Initiierung und Buchung zumindest mehrere Stunden. Zwar gibt es einige Dienste, die das Geld sofort zur Verfügung stellen, aber dies funktioniert bisher nur in geschlossenen Kreisläufen oder mit Garantiekonstruktionen.
Instant Payments sollen diese Lücke schließen. Sie eröffnen neue Chancen im Liquiditätsmanagement. Zulieferer etwa könnten Liquiditätsreserven besser ausschöpfen und das "Just-in-time"-Prinzip würde in der gesamten Wertschöpfungskette verankert. Zahlungen würden sich reibungsloser in den Kauf- bzw. Lieferprozess einfügen. In vielen Bereichen des privaten wie geschäftlichen Lebens ist Echtzeit inzwischen der Maßstab. E-Mails aus Berlin erreichen Buenos Aires, Peking oder Sydney innerhalb von Sekunden. Eine Überweisung dauert ungleich länger, selbst innerhalb Europas.
Nun sind die Vorbereitungen für ein europäisches Echtzeitzahlungssystem in vollem Gange. Die Spielregeln für Instant Payments unter den Banken sind bereits geklärt. Um die 1.000 Zahlungsdienstleister aus acht europäischen Ländern, darunter Deutschland, Spanien, Italien und die Niederlande, haben das Regelwerk für Echtzeitzahlungen des European Payments Council unterzeichnet. Sie können somit Instant Payments für ihre Kunden zumindest empfangen. Dies reicht natürlich nicht aus. Ziel muss sein, dass alle Zahlungsdienstleister im gemeinsamen Euro-Zahlungsverkehrsraum Instant Payments unterstützen. Dies sollte spätestens bis 2019 erreichbar sein.
Instant Payments werden zu tiefgreifenden strukturellen Änderungen führen. Banken und Sparkassen müssen die frühere Batch-Logik überwinden und auf Echtzeitverarbeitung umschwenken. Dazu müssen alle Prozesse noch einmal auf den Prüfstand, und die IT muss den neuen Anforderungen gerecht werden. Systeme müssen rund um die Uhr bereit stehen und überwacht werden. Gleichzeitig müssen gesetzliche Vorgaben eingehalten und das Risiko- und Liquiditätsmanagement angepasst werden. Die Herausforderung ist gewaltig. Aber jene Häuser, die hier schnell, gute Anwendungen bereitstellen und aktiv Instant Payments anbieten, werden diesen neuen Markt für sich gewinnen. Sie können von einer engeren Kundenbeziehung profitieren und das Konto als Dreh- und Angelpunkt derselben deutlich aufwerten.
Auch das Eurosystem arbeitet an einem durchgängigen Settlement-Service, der ab November 2018 täglich rund um die Uhr laufen soll, um die geldliche Abwicklung von Echtzeitzahlungen zu unterstützen. TARGET Instant Payment Settlement Service (TIPS) soll das Angebot der privatwirtschaftlichen, größtenteils national aufgestellten Clearinghäuser ergänzen und dabei helfen, Instant Payments eine europaweite Reichweite zu verschaffen. TIPS ermöglicht die sofortige Abwicklung in Zentralbankgeld und damit einhergehend Ausfallsicherheit und sofortige Finalität der Transaktion.
Mit Instant Payments tritt der Zahlungsverkehr in eine neue Dimension. Dabei ist klar, dass es eine gewisse Zeit dauern wird, bis sie sich etablieren. Denn die Durchdringung von technischen Innovationen folgt gewöhnlich einem S-förmigen Verlauf, mit einem steilen Anstieg in der Nutzung nach einer gewissen Einführungsphase.
Es wird schon an attraktiven Kundenangeboten gearbeitet. Und auch auf Seiten der Nachfrager – wie etwa im Handel – sind Ideen entstanden, was man mithilfe von Instant Payments machen könnte. Dies zeigt im Übrigen auch, wie wichtig der Dialog zwischen den verschiedenen Marktseiten im Zahlungsverkehr ist, wie wir ihn zum Beispiel in Deutschland mit dem Forum Zahlungsverkehr unter Vorsitz der Bundesbank etabliert haben.
Im Gegensatz dazu sind die Perspektiven für die Nutzung der Blockchain-Technologie noch recht vage.
Um sie für den Zahlungsverkehr einzusetzen, muss zunächst einmal sichergestellt werden, dass bei Transaktionen auf einer Blockchain wesentliche Prinzipien eingehalten werden können, nämlich:
Wahrung der Vertraulichkeit, also ein striktes "Need-to-Know-Prinzip" für alle Datentransfers,
Keine anonymen oder pseudonymen Teilnehmer oder Transaktionen: Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu verhindern, ist weiterhin Pflicht.
Transparente und klare Governance: Jedes System braucht einen verantwortlichen Betreiber.
Finalität der Transaktionen: Wir brauchen Rechtssicherheit über die getätigten Transaktionen, und zwar idealerweise schnell.
Im Prinzip ist das wohl möglich. Dazu kommen aber noch nicht-funktionale Anforderungen, die wir an heutige Systeme stellen: Effizienz, Skalierbarkeit, Sicherheit und Stabilität. Seit einiger Zeit wird die Blockchain-Technologie in dieser Hinsicht von Marktteilnehmern und Zentralbanken getestet. So hat auch die Bundesbank gemeinsam mit der Deutschen Börse einen Prototyp erstellt.
Erst, wenn die Erprobungsphase weiter voran geschritten ist, wird sich zeigen, wie es um die Skalierbarkeit bestellt ist, wie effizient die Technik sein kann, wie stabil die Abwicklung auch bei großen Stückzahlen läuft und möglicherweise auch, wie teuer die Abwicklung in der Realität werden könnte. Die Benchmark bilden dabei die gegenwärtigen Systeme und Finanzmarktinfrastrukturen, die ich insgesamt für sehr leistungsfähig und effizient halte.
Darüber hinaus, stellen sich weitere Fragen, etwa die nach der Emission digitalen Zentralbankgeldes. Dazu heute nur so viel: Wir wissen um den Wunsch einiger Marktteilnehmer, auch mit stabilem digitalem Geld auf der Blockchain bezahlen zu können. Dies betrifft aber vor allem Geschäftsbanken, die sich eine zusätzliche Kategorie der Abrechnung in unseren Systemen wünschen.
Darüber hinaus aber gibt es den Ansatz der schwedischen Zentralbank, digitales Bargeld – sie sprechen von eKrona – einführen zu wollen. Dies fußt auf der schwedischen Erfahrung, dass echtes Bargeld in Form der schwedischen Krone kaum noch akzeptiert wird. Diese Erfahrung machen wir in Deutschland und auch im Euroraum nicht. Zudem könnten von digitalem Bargeld erhebliche Konsequenzen für das Finanzsystem und die Finanzstabilität ausgehen, die aus heutiger Sicht nicht abschätzbar sind. Deshalb ist die Emission digitalen Zentralbankgeldes aus unserer Sicht in einem vorhersehbaren Zeitraum keine realistische Option.
Ich glaube, dass die Vielfalt neuer Technologien – vom kontaktlosen, mobilen Bezahlen über Instant Payments bis hin zur Blockchain – zwar kurzfristig herausfordernd für die Marktteilnehmer ist. Aber sie eröffnet mittel- und langfristig neue Chancen im Wettbewerb. Statt Abwehrkämpfe zu führen, gilt es daher umso mehr, die Vorteile aktueller Entwicklungen jenseits kurzfristiger Hypes zu erkennen und zu nutzen.
4 Wettbewerb zwischen Fragmentierung und Monopolbildung
Um besser zu verstehen, wo diese Chancen und Vorteile liegen könnten, hilft es, sich die Kräfte vor Augen zu führen, die den Wettbewerb im Markt für Zahlungsdienste treiben.
Skalen- und Netzwerkeffekte sowie die Zweiseitigkeit des Marktes sorgen für hohe Eintrittsbarrieren. Anbieter müssen eine kritische Masse auf beiden Marktseiten überzeugen, um eine neue Zahlungslösung zu etablieren. Auf diese Herausforderung im Zusammenhang mit der Etablierung neuer Technologien habe ich schon hingewiesen. Die Größe des Netzwerkes entscheidet über den Erfolg des neuen Zahlungsmittels. Je ausgedehnter das Netzwerk bereits ist, desto leichter lassen sich neue Nutzer gewinnen – die Konzentration auf Anbieterseite nimmt zu. Das Prinzip "the winner takes it all" gilt auch hier. M-Commerce verstärkt diese Tendenz.
Das Wirken dieser Kräfte lässt sich gut an den großen Internet-Plattformen beobachten. So hatte Google zuletzt einen Marktanteil von 96 Prozent weltweit bei Internetrecherchen von mobilen Geräten aus.[8] Alibaba vereint 75 Prozent des chinesischen M-Commerce-Umsatzes auf sich.[9] Der Zahlungsableger Alipay ist in China so erfolgreich, dass eine Expansion in andere Märkte möglich wurde. Inzwischen können chinesische Touristen in vielen deutschen Geschäften, zum Beispiel in Kaufhäusern und Drogeriemärkten, mit der App von Alipay zahlen.
Gerade diese Beispiele zeigen eindrücklich, dass es nicht nur um die vollständige Digitalisierung von Bezahlvorgängen oder Prozessen innerhalb der Kreditwirtschaft geht, sondern auch um gänzlich neue Geschäftsmodelle, bei denen der Bezahlvorgang nur Teil eines größeren "Ökosystems" von finanziellen und nicht finanziellen Dienstleistungen ist.
Demgegenüber stehen Faktoren, die potenziell helfen, die Markteintrittshürden zu senken. So sind sehr leistungsfähige IT-Komponenten inzwischen günstig zu haben. Cloud und Shared Software Services senken die Investitions- und laufenden Kosten. Eine neue App lässt sich recht schnell entwickeln und die dahinterliegenden Prozesse als White Label-Lösung einkaufen. Die Mobile Bank N26 ist so gestartet. N26 ist ein gutes Beispiel für eine neue Anbieterkategorie – die sogenannten Smartphone-Banks – die durch konsequente Ausrichtung auf digitale Kundenbedürfnisse und ohne komplexe und teure "Altinfrastrukturen" mit hoher Kosteneffizienz in den Markt drängen.
Diese setzen stark auf die Nutzung offener Schnittstellen, APIs, durch die sich problemlos immer neue Services integrieren lassen. So kann der Anbieter schnell auf sich verändernde Kundenbedürfnisse reagieren und seine Plattform ausbauen. Mit der zweiten Zahlungsdienstrichtlinie, PSD2, wird Open Banking zum neuen Standard im Zahlungsverkehr. So sollen zum Beispiel künftig Zahlungsauslöse- und Kontoinformationsdienste über eine standardisierte API auf die für den Dienst notwendigen Kontodaten des Zahlers beim kontoführenden Institut zugreifen können. Die Berlin Group hat kürzlich einen Standard für eine solche Schnittstelle zur Konsultation gestellt.
Ferner suchen Wagniskapitalgeber laufend nach lohnenden Anlagezielen, was die Vermarktung neuer Ideen erheblich erleichtert. Von sinkenden Markteintrittsbarrieren haben bislang viele FinTechs, auch hier in Berlin, profitiert. Sie überzeugen meist mit pfiffigen Ideen, einem einfachen, nutzerfreundlichen Angebot und agiler IT-Infrastruktur. Aktuell sind es laut Ernst & Young um die 300, eine comdirect-Studie spricht von knapp 700 FinTechs, davon ist ein nicht unerheblicher Teil im Zahlungsverkehr unterwegs.[10] Doch auch sie stehen nicht außerhalb der beschriebenen Marktmechanismen.
Hier treffen sich die Interessen von FinTechs und Kreditwirtschaft. Die einen bringen gewachsene und verlässliche Kundenbeziehungen mit, die anderen haben die Ideen, wie man für die Kunden zusätzliche digitale Services in kurzer Zeit entwickeln kann.
Banken und Sparkassen sind nicht die einzigen, die eine große Anzahl von Kunden in die Waagschale werfen können. Das tun die wichtigsten Internet-Plattformen ebenfalls. Zum Vergleich: Alle deutschen Kreditinstitute zusammen führen 63 Millionen Online-Girokonten.[11] PayPal verwaltet allein 218 Millionen aktive Konten, Amazon führt gut 300 Millionen Kundenkonten, weltweit.[12] Auch wenn erst wenige Käufer in Deutschland die von Internet-Plattformen heute schon angebotenen Zahlungsdienste nutzen, der Wettbewerbsdruck wird steigen.
Mit der Verbreitung integrierter Zahlungen, zum Beispiel über Facebook, und Voice Commerce, wie bei Alexa, kann sich diese Entwicklung beschleunigen.
Für die Kreditwirtschaft besteht die Herausforderung darin, gemeinsam die Grundlagen und Standards für wettbewerbsfähige Bezahlverfahren festzulegen. Abgesicherte Zugänge von Konto-zu-Konto über APIs in Verbindung mit einer bequem zu bedienenden Oberfläche könnten die durchgängig digitale Abwicklung von Geschäftsprozessen erleichtern. Neuartige, gegebenenfalls biometrische Authentifizierungsmechanismen könnten die Sicherheit im Zahlungsverkehr erhöhen.
Die Integration von Instant Payments bietet die Chance, sich von "alten Zöpfen
" zu trennen sowie IT-Strukturen und Prozesse neu zu gestalten. Zahlungen würden rasant beschleunigt. So könnte der Wandel im Zahlungsverkehr gelingen und alle Beteiligten – Unternehmen und Händler, Kunden und Kreditwirtschaft würden profitieren.
Die Kreditwirtschaft kann dabei darauf bauen, dass die Kunden ihr – im Vergleich zu anderen Zahlungsanbietern – weiterhin viel Vertrauen entgegen bringen. So hat eine Umfrage kürzlich ergeben, dass Verbraucher am meisten ihrer Bank bzw. Sparkasse vertrauen, wenn es darum geht, mobile Zahlverfahren anzubieten, die sicher ablaufen und nur wenige Daten sammeln.[13] Womit wir beim letzten Punkt wären.
5 Datenschutz und Cybersicherheit
Daten gelten als die Rohdiamanten des digitalen Zeitalters. Große Mengen werden laufend gesammelt und analysiert, um Prozesse zu optimieren und Leistungen zu personalisieren. Wir alle kennen diese Mechanismen von Amazon, Google, Facebook, aber auch von Alibaba mit Alipay oder Tencent mit WeChat. Gerade in Deutschland wird der Schutz von Daten ein wichtiger Faktor für die zukünftige Akzeptanz von Innovationen.
Bei vielen Menschen nimmt die Verunsicherung darüber zu, wer persönliche Daten von ihnen besitzt, analysiert und weitergibt. Verbraucher wollen Kontrolle über die Sammlung und Verwendung ihrer Transaktionsdaten. Gleichzeitig wollen sie – wie sie dies vom Bargeld im Portemonnaie gewohnt sind – Kontrolle über ihre Ausgaben. Und Kunden wollen mehrheitlich ihre Zahlungen selbst freigeben – und dies nicht einem Programm überlassen.[14]
Der Schutz der persönlichen Daten ist eng mit der Sicherheit im virtuellen Raum verknüpft. Verbraucher und Unternehmen müssen mehr als bisher in die Cybersicherheit investieren.
Bitkom und das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzen, dass mehr als der Hälfte der deutschen Unternehmen in den vergangenen beiden Jahren Schäden in Höhe von 55 Milliarden Euro pro Jahr entstanden sind. Dabei wurden sensible digitale Daten wie E-Mails, Kunden- oder Finanzdaten gestohlen. Auch Patente, Informationen aus Forschung und Entwicklung und über Mitarbeiter fielen in die Hände von Kriminellen.[15]
Die überwiegende Mehrheit der Verbraucher ist der Ansicht, dass die Bedrohung durch Internetkriminalität immer größer wird. Zwar benutzen die meisten ein Sicherheitsprogramm oder ähnliches. Aber nur jeder Dritte fühlt sich ausreichend vor Angriffen durch Cyberkriminelle geschützt.[16]
Hier sehe ich ein noch nicht ausreichend bestelltes Feld für die Kreditwirtschaft und andere Zahlungsdienstleister. Dafür sind gemeinsame Anstrengungen aller Akteure erforderlich. Denn aufgrund der vielfältigen Abhängigkeiten ist das Gesamtsystem nur so sicher, wie sein schwächstes Glied. Auch der Verbraucher muss seinen Beitrag leisten. Mit geeigneter Aufklärung und adäquaten Maßnahmen lassen sich das Bewusstsein und das Vertrauen in die digitalen Dienste sicherlich stärken.
6 Schluss
Meine Damen und Herren, die Herausforderungen sind klar: Neuartige Technologien für einfache, sichere gegebenenfalls mobile Zahlungen, Instant Payments, offene Schnittstellen, dynamische Newcomer, Daten- und IT-Sicherheit sind die Parameter, denen sich Marktteilnehmer künftig stellen müssen. Die Gleise sind gelegt, die Weichen in die digitale Zukunft des Zahlungsverkehrs gestellt. Nun kommt es auf Sie, die Anbieter von Zahlungsdiensten an, die richtigen Züge – sprich Anwendungen, Apps und andere geeignete Lösungen – auf den Weg zu bringen.
Die Vorteile entschlossenen Handelns liegen auf der Hand: Banken und Sparkassen könnten über das Konto wieder näher an die Kunden rücken. Unternehmen können Liquidität flexibler steuern und wiederum ihren Kunden eigene Echtzeit-Angebote unterbreiten. Beim Einkaufen kann der Bezahlvorgang beschleunigt werden, das Geld ist direkt für den Händler verfügbar. Durch die sofortige Ausführung der Zahlung verbunden mit einer geeigneten Anzeige auf dem Mobiltelefon können Käufer wieder mehr Kontrolle darüber erlangen, über wie viel Geld sie noch verfügen. Dabei bevorzugen sie beim Bezahlen mehrheitlich flächendeckende, einheitliche Lösungen.[17]
Wer will schon acht verschiedene Bezahl-Apps auf seinem Handy? Hier könnte zum Beispiel die girocard mobile punkten.
Im Fußball würde es jetzt heißen: "Ein guter Spieler spielt da, wo der Ball ist. Ein exzellenter Spieler jedoch spielt da, wo der Ball sein wird.
" In diesem Sinne, meine Damen und Herren, gilt es jetzt die vorhandenen Bausteine zusammen zu fügen, den Wandel im Zahlungsverkehr zu gestalten und sich für die Zukunft zu rüsten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Im 1. Halbjahr. 2017 flossen 1,5 Mrd. Euro in Berliner Startups, 1,7 Mrd. Euro nach London.
EY, Startup-Barometer Europa, Oktober 2017Comdirect Fintech-Studie, Pressemitteilung vom 06.11.2017
Messungen der EURO Kartensysteme präsentiert auf der DK Infoveranstaltung, 12.06.2017;
Dauer des Bezahlvorgangs im Ø: girocard kontaktlos 11s, girocard mit PIN 23s, bar 24s, ELV 27s.Statista nach IfD Allensbach Umfrage (ACTA 2016). Das entspricht 62 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahre.
Umfrage des Fraunhofer IAO für die der EURO Kartensysteme im Rahmen einer Ergonomie-Studie zum kontaktlosen Bezahlen, präsentiert auf der DK Infoveranstaltung, 28.06.2017.
Antrag von vier australischen Banken an die Australian Competition and Consumer Commission (ACCC), gemeinschaftlich die Konditionen für Apple Pay zu verhandeln, wurde abgelehnt (A91546 & A91547).
Schweizer Stiftung für Konsumentenschutz geht bei der Wettbewerbskommission gegen Apple Pay vor. (Tagesanzeiger, 06.07.2016)bevh, Interaktiver Handel in Deutschland, 2016
Statista, September 2017, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/222849/umfrage/marktanteile-der-suchmaschinen-weltweit/
Statista, Q2 2017, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/560819/umfrage/marktanteil-von-mobile-commerce-anbietern-in-china/
EY, Germany FinTech Landscape, Sept. 2017.
Deutsche Bundesbank, Zahlungsverkehrs- und Wertpapierabwicklungsstatistiken in Deutschland 2012 – 2016; September 2017
Statista, Q3 2017 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/300180/umfrage/aktive-accounts-bei-paypal-weltweit-quartalszahlen/) und 2015 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/297615/umfrage/anzahl-weltweit-aktiver-kunden-accounts-von-amazon/)
PWC, Mobile Payment Report, 2017
Präsentation Worldpay, Digital Payments Konferenz, Frankfurt School, 24.10.2017
Bitkom, repräsentative Umfrage unter 1.069 Geschäftsführern und Sicherheitsverantwortlichen verschiedener Branchen, Juli 2017
Bitkom, repräsentative Umfrage unter 1.017 Internetnutzern >14 Jahren, September 2017
PWC, Mobile Payment Report, 2017