Wirtschaftsstandort Deutschland: Wie kann er zukunftsfest gemacht werden? Rede beim Managerkreis Rhein-Main der Friedrich-Ebert-Stiftung

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Made in Germany – das steht für die meisten von uns für Zuverlässigkeit und Qualität. Für Spitzenforschung, hochwertige Verarbeitung und innovatives Design. Made in Germany steht aber auch für Mut und Transformationskraft.

Warum sage ich das?

Weil der Begriff gegen Ende des 19. Jahrhunderts gar nicht positiv behaftet war. Vielmehr war Made in Germany ein Ausdruck der ausländischen Konkurrenz, um auf vermeintlich billige und minderwertige Ware aus Deutschland hinzuweisen.[1]

Doch die deutsche Wirtschaft wandelte sich, zeigte Stärke und Anpassungsfähigkeit – und stieg auf zu einer der größten Volkswirtschaften der Welt. 

Diese Anpassungsfähigkeit hat sie immer wieder unter Beweis gestellt. Zu Zeiten der D-Mark etwa entstand durch die harte Währung Anpassungsdruck. Die exportorientierte Industrie musste besser und innovativer sein als die Konkurrenz, um wettbewerbsfähig zu sein. Und das war sie. Es kamen hochwertige Produkte hergestellt in Deutschland auf den Markt. 

In den heutigen Volkswirtschaften mit hoher, arbeitsteiliger Produktion genießt das Label Made in Germany weltweit hohes Ansehen. Damit das so bleibt, müssen wir den Wirtschaftsstandort Deutschland fit für die Zukunft machen.

Und das in einem herausfordernden Umfeld.

Insbesondere die Industrie leidet unter einer schwächeren Güternachfrage aus dem Ausland. Darüber hinaus sind seit der Invasion in die Ukraine die Energiepreise in Deutschland gestiegen. Diese beiden Entwicklungen treffen sowohl energieintensive Unternehmen als auch exportabhängige in besonderem Maße.

Unter anderem deswegen war 2023 ein schwieriges Jahr für die deutsche Industrie und die deutsche Wirtschaft insgesamt. Die Zahlen zur Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktion verdeutlichen dies. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland ist im vierten Quartal 2023 saison- und kalenderbereinigt um 0,3 Prozent real zurückgegangen. 

Und die Schwächephase dürfte sich im ersten Quartal dieses Jahres fortsetzen. Die deutsche Wirtschaft kommt nur langsam wieder auf die Beine. Wir rechnen für das laufende Jahr mit einem moderaten Wirtschaftswachstum. 

Trotzdem sehe ich in diesen herausfordernden Zeiten auch einige Hoffnungsschimmer. Lieferengpässe haben sich weitestgehend entspannt. Der deutsche Arbeitsmarkt steht im europäischen Vergleich gut da. Ein Blick auf die Arbeitslosigkeit zeigt: Die Arbeitslosenquote in Deutschland lag zuletzt bei 3,1 Prozent – verglichen mit 6,4 Prozent im Euroraum.[2] 

Die Teuerungsrate im Euroraum geht zurück. Im Februar fiel sie der Schnellschätzung zufolge auf 2,6 Prozent. Zur Einordnung: im Jahresdurchschnitt 2022 lag die Inflationsrate bei 8,4 Prozent.[3] Und die jüngste Prognose des EZB-Stabs sagt voraus, dass die Zielrate von zwei Prozent im kommenden Jahr wieder erreicht wird. Die geldpolitische Straffung zeigt also die gewünschte Wirkung. 

Nun kommt es darauf an, die langfristigen Wachstumskräfte zu stärken. 

2 Wirtschaftsstandort Deutschland in der Transformation

Meine Damen und Herren,

Made in Germany braucht ein Update – mit neuen Inhalten. Made in Germany muss in Zukunft auch stehen für mehr Digitales und mehr Nachhaltigkeit. Wir müssen offen sein für neue Technologien und Innovationen.

Künstliche Intelligenz, KI, wird die Welt stark verändern. Für die Wirtschaft wird KI disruptiv. Natürlich gilt es, hier die Risiken einzudämmen. Aber vor allem muss es darum gehen, die Chancen der Entwicklung und Nutzung der Künstlichen Intelligenz zu nutzen. Asien und die USA tun dies schon. 

Innovative Technologien bieten Chancen. Denken wir beispielsweise auch an die sogenannte Green Tech – also Unternehmen, die Lösungen zum klimaneutralen oder umweltfreundlichen Wirtschaften entwickeln. 

Mir begegnen solche mutigen Unternehmerinnen und Unternehmer immer wieder. Da geht es etwa um Batteriesysteme und innovative Speicherkonzepte von Wind- und Solarenergie. Oder in der KI um die frühzeitige Erkennung lebensbedrohlicher Erkrankungen.

In diesen Bereichen entstehen Wachstumsimpulse. Unternehmergeist zieht auf. Wir brauchen diesen Spirit. 

Die digitale und ökologische Transformation bietet hier auch Chancen für eine echte Weiterentwicklung unseres Wirtschaftsstandorts.

3 Internationale Wirtschaftsbeziehungen

Wenn es um die Weiterentwicklung des Standorts geht, geht es auch um internationale Wirtschaftsbeziehungen. Wir haben mit der Invasion Russlands in die Ukraine schmerzlich erfahren, wie schädlich starke Abhängigkeiten von einem Handelspartner sein können. Auch die starke Abhängigkeit einiger deutscher Unternehmen von China birgt Risiken. Es muss also darum gehen, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen deutlich vielfältiger zu gestalten – sowohl von politischer Seite als auch von Seiten der Unternehmen. 

Die politischen Bestrebungen gerade auch die Beziehungen zu anderen Staaten in Afrika, Südamerika, aber auch in Asien auszubauen, sind sehr zu begrüßen. 

Es ist in diesem Zusammenhang oft vom De-Risking die Rede. Positiv gesprochen geht es um die Diversifizierung von Chancen und Risiken unseres Standorts.

4 Demokratie und Demografie als Basis eines funktionierenden Wirtschaftsstandorts

Lassen Sie mich – hier am Römerberg, unweit der Paulskirche – zwei weitere Ds hinzufügen: unsere Demokratie und die Demografie. 

Die Demokratie ist das Fundament unserer Wirtschaft. Es muss uns gelingen, im friedlichen Miteinander möglichst alle Teile der Gesellschaft auf dem Pfad der Transformation mitzunehmen. Nur so können wir gemeinsam den gewaltigen Strukturwandel, den wir in Deutschland vor der Brust haben, meistern. 

Eine zentrale Herausforderung ist der demografische Wandel. Unsere Bevölkerung altert. Wir alle kennen die Hinweisschilder: Service-Kraft gesuchtKollegInnen gesuchteingeschränkte Öffnungszeiten mangels Personal

Arbeitskräfte sind knapp und werden zunehmend knapper. Untersuchungen legen überdies nahe, dass der demografische Wandel die Innovationstätigkeit mindert und die Verbreitung neuer Technologien hemmt.[4] Beides erschwert die erfolgreiche Transformation. Beides ist aber wichtig für einen prosperierenden Wirtschaftsstandort. 

Wir müssen hier unsere Potenziale heben. Ich sehe drei Felder, in denen wir viel für die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung tun können.

Erstens, Aus- und Fortbildung: Junge Menschen müssen gut ausgebildet und Arbeitnehmer kontinuierlich fortgebildet werden. Wie Nelson Mandela einst sagte: Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern. 

Zweitens gilt es, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu fördern. Das trifft gerade auf Mütter von jungen Kindern zu. Erhebungen des Statistischen Bundesamts legen nahe, dass nur rund jede zweite Mutter mit einem Kind unter sechs Jahren aktiv am Erwerbsleben teilnimmt.[5] Auch die Teilzeitquote bei Frauen ist hoch – zuletzt betrug sie in Deutschland 47%. Zum Vergleich: für den Euroraum lag die Quote im Durchschnitt bei 33%.[6]

Nicht nur, dass die erwerbstätigen Frauen ein großes Potenzial für die deutsche Wirtschaft darstellen. Für die Frauen selbst ist es ein großes wirtschaftliches Risiko, nicht oder nur eingeschränkt einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachzugehen. Das Risiko realisiert sich etwa durch Scheidung oder im Alter durch geringe Rentenansprüche.

Doch selbst, wenn wir die Erwerbsbeteiligung in Deutschland deutlich erhöhen, wird das nicht ausreichen. Denn bereits in den nächsten Jahren sinkt die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter.[7]Das treibt viele Arbeitgeber um – auch uns bei der Bundesbank.

Der dritte wichtige Baustein ist daher eine verstärkte, gesteuerte Zuwanderung von Arbeitskräften. Hierfür braucht es auch eine ausgeprägte Willkommenskultur. 

Denn Unternehmen benötigen einen guten Zugang zu qualifizierten Fachkräften, damit sie innovativ sein können. Das ist wichtiger denn je. In den vergangenen Jahren haben Unternehmen in Europa an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Sie fallen im internationalen Vergleich zurück.[8]

Aber wir müssen auch die positiven Entwicklungen im Blick haben. Positiv stimmen mich etwa Nachrichten, dass große IT-Unternehmen, nun verstärkt hier in Deutschland investieren.[9] Und zwar in solch wichtige Zukunftsfelder wie KI. Gerade die wirtschaftlich vernetzte Rhein-Main-Metropolregion profitiert hiervon in besonderem Maße. 

5 Bedeutung eines starken Finanzplatzes für die Transformation der deutschen Wirtschaft

Stichwort Rhein-Main. Wir sind heute hier in Frankfurt. Daher lassen Sie uns auch über den Finanzstandort Deutschland sprechen.

Der deutsche Finanzplatz hat nach dem Brexit gute Zuwächse verzeichnen können. Die jüngste wirklich gute Nachricht ist die Entscheidung, die Europäische Antigeldwäschebehörde in Frankfurt anzusiedeln. Die AMLA kommt nach Hessen. 

Hier haben die Stadt Frankfurt, das Land Hessen und der Bund hervorragend zusammengearbeitet und Großes geleistet. Es gibt Schätzungen, die von über 3.000 neuen Jobs in der Main-Metropole ausgehen. Ob dies so kommt, wird man sehen. In jedem Fall aber zeigt diese Erfolgsgeschichte: wenn alle an einem Strang ziehen, können wir in Deutschland viel, sehr viel erreichen. 

Nach den Lobeshymnen nun auch ein Wehrmutstropfen: Zuletzt haben wir leider auch gesehen, dass viel privates Geschäft im Finanzsektor nach Paris gegangen ist. Es ist also wichtig, auch den Finanzstandort Deutschland wettbewerbsfähig aufzustellen. Unsere Finanzstandorte können gestärkt werden, indem wir nicht nur an Banken und Börse denken. Vielmehr geht es darum, ein umfassendes Finanzökosystem aufzustellen mit vielfältigen Akteuren. 

Neben Banken und Börse denke ich auch an Datenanbieter, Universitäten, Analysten, Versicherer, Juristen, Steuer- und Unternehmensberater und viele andere. All diese Branchen zusammen bilden ein Finanzökosystem, einen starken Finanzplatz.[10] All diese Branchen können zusammen ausloten, wo es Wachstumschancen für die deutsche Wirtschaft gibt und wie diese finanziert werden kann. 

Sie sehen also: der Finanzplatz ist eine Infrastruktur, die wir brauchen, um die deutsche Wirtschaft zukunftsfest zu machen. 

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: die ökologische Transformation. Allein auf dem Weg zur Klimaneutralität rechnet die Europäische Kommission für die EU mit zusätzlichen Investitionsanstrengungen von über 600 Milliarden Euro jedes Jahr bis 2030.[11] Doch die staatlichen Mittel sind begrenzt. Es braucht also vor allem privates Kapital.

Gerade Frankfurt hat das Potenzial seine Rolle als zentraler Finanzplatz für ein klimaneutrales Europa weiter auszubauen. Schon heute ist der Finanzplatz Frankfurt weltweit führend, wenn es um das Platzieren von sogenannten grünen Anleihen geht. Mit diesen Anleihen werden ausschließlich nachhaltig orientierte Projekte und Unternehmen finanziert – wie zum Beispiel Solar- oder Windparks. Ich bin mir sicher, dass das Marktsegment für nachhaltige Finanzierung weiter an Bedeutung gewinnen wird. Und damit auch unser Finanzplatz.

6 Schluss

Meine Damen und Herren!

Bevor wir ins Gespräch miteinander kommen, möchte ich resümieren: 

Deutschland hatte in den vergangenen vier Jahren große Herausforderungen vor der Brust: 

  • Die Pandemie mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen. 
  • Der Krieg in der Ukraine mit viel menschlichem Leid in dem Land, aber gleichzeitig auch große Herausforderungen für Deutschland – neben der militärischen Sicherheit auch die Sicherstellung der Energieversorgung. 
  • Pandemiebedingte Lieferkettenstörungen und heute nachlassende Nachfrage aus dem Ausland. 
  • Eine sehr hohe Inflation.

Und trotz all dieser Herausforderungen: 

  • Hat Deutschland die letzten beiden Winter energietechnisch gemeistert.
  • Hat Deutschland einen sehr stabilen Arbeitsmarkt.
  • Ist Europa, ist Deutschland dabei, die Inflation zu bekämpfen.

Deutschland hat das Potenzial, eines prosperierenden, robusten Wirtschaftsstandorts. Dieses Potenzial müssen wir heben. Das muss unser Narrativ werden.

Ich freue mich auf die Diskussion! 

Fußnoten:

  1. Vgl. etwa Jack Ewing (2014), A Brief History of Made in Germany, in: Germany’s Economic Renaissance. Palgrave Macmillan, New York, S. 1-14.
  2. Angaben international standardisiert gemäß Definition der ILO (International Labour Organization). 
  3. Angaben auf Basis des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI). 
  4. Vgl. Deutsche Bundesbank (2021), Zur Verlangsamung des Produktivitätswachstums im Euroraum, Monatsbericht Januar, S. 15-47.
  5. Vgl. Statistisches Bundesamt (2022), Erwerbsbeteiligung von Eltern, Mikrozensus.
  6. Angaben gemäß Eurostat für das Jahr 2022. Teilzeitbeschäftigung als Prozentsatz der gesamten Beschäftigung im Alter von 20 bis 64 Jahren.
  7. Vgl. Deutsche Bundesbank (2023), Wirtschaftsstandort Deutschland: ausgewählte Aspekte der aktuellen Abhängigkeit und mittelfristigen Herausforderungen, Monatsbericht September, S. 15-36.
  8. Vgl. Isabel Schnabel (2024), From laggard to leader? Closing the euro area’s technology gap, Rede vom 16. Februar 2024. 
  9. Vgl. Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichem Raum (2024), Microsoft investiert 3,3 Mrd. Euro in Frankfurt am Main und NRW, Pressemitteilung vom 15. Februar 2024. 
  10. Vgl. Sabine Mauderer (2023), Wir brauchen einen starken Finanzplatz Deutschland, Gastbeitrag im Handelsblatt vom 5. Juli 2023.
  11. Vgl. European Commission (2023), 2023 Strategic Foresight Report, Communication from the Commission to the European Parliament and the Council.