Wirtschaftspolitische Herausforderungen im Jahr 2012 Jahreseröffnung der Deutsche Börse AG

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Sehr geehrter Herr Dr. Gentz,
sehr geehrter Herr Dr. Francioni,
sehr geehrte Damen und Herren,

dieser Jahresauftakt bei der Deutschen Börse ist immer ein besonderes Ereignis im Kalender des Finanzplatzes. Sie hatten immer interessante Gäste für die Keynote – eine Herausforderung also – und ich freue mich, heute zu Ihnen zu sprechen. Ihnen Herr Gentz herzlichen Dank für die freundlichen Worte zur Begrüßung.

Sie erwarten heute einen Ausblick auf das neue Jahr von mir. Lassen Sie uns Mut fassen: 2012 muss kein schlechtes Jahr werden. Auf jeden Fall ist es ein entscheidendes Jahr, ein Jahr in dem wir die Chance haben, in Europa eine Wende zum Besseren durchzusetzen. Diese Chance sollten wir nutzen. Immerhin, in den ersten Wochen ist Hoffnung aufgekeimt. Die Lage an den Finanzmärkten hat sich etwas entspannt. Fast hat es den Anschein, als sollte allmählich etwas Vertrauen zurückkehren, auch wenn die Ungewissheiten noch immer groß sind.

Aber bevor ich zur europäischen Großwetterlage komme, noch ein Wort zum Gastgeber des heutigen Abends. Ungewissheit herrscht auch für Sie. Für die Deutsche Börse wird sich in den nächsten Wochen entscheiden, ob sie grünes Licht erhalten wird für die geplante Fusion mit der NYSE Euronext. Die anstehende Entscheidung der EU-Kommission wird mit Spannung erwartet – nicht nur von Ihnen selbst, sondern auch vom Finanzplatz Frankfurt. Es geht hier um Wettbewerbsfragen – mit Konsequenzen für die Finanzmarktinfrastruktur. Unabhängig davon, wie die Entscheidung ausfällt, bin ich zuversichtlich, dass die Deutsche Börse ein zuverlässiger Partner für den Finanzplatz Frankfurt bleiben wird. Indem sie transparente und auf dem höchsten Niveau regulierte Handelsplattformen bereitstellt, leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Stabilität an den Finanzmärkten. Mit ihrem weitgefächerten Dienstleistungsangebot steht sie zudem für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Die Deutsche Börse AG spielt deshalb zu Recht in der Weltliga der Handelsplatzbetreiber, was nicht zuletzt auch auf die effiziente und stabilisierende Rolle ihres integrierten Geschäftsmodells zurückzuführen ist, das mittlerweile vielerorts zum Industriestandard gehört.

Aber lassen Sie uns über Europa sprechen, diese Fragen sind ja von vitalem Interesse für uns alle.

Manche Kommentatoren bezeichnen 2012 als das Jahr der Entscheidung über das Schicksal der Währungsunion. Das klingt dramatisch und blendet auch aus, dass sich die Krise nicht in einem geschickten Schachzug überwinden lässt, dass deren Überwindung einen langen Atem erfordert. Aber eines sollte doch 2012 gelingen: Die Weichen richtig zu stellen. Wir sollten in Europa die Chance nutzen, einen Paradigmenwechsel einzuleiten in Bezug auf den Umgang mit Schulden und Verschuldung. Das müssen wir 2012 schaffen  – nicht mehr und nicht weniger. Die Politik muss in diesem Jahr unter Beweis stellen, dass sie es ernst damit meint, die notwendigen und teils schon in die Wege geleiteten Maßnahmen zur Überwindung der Krise umzusetzen. Fünf Dinge sind dazu meines Erachtens erforderlich:

Erstens ist von den einzelnen EWU-Mitgliedstaaten ein klares und glaubwürdiges politisches Bekenntnis zu soliden Staatsfinanzen unabdingbar, und zwar in Wort und Tat. Dies betrifft insbesondere die Länder, die von Vertrauensverlusten bedroht sind.

Zweitens muss die Politik einen konsistenten Rahmen für die Währungsunion aufzeigen und auch entschlossen umsetzen. Eine Ausweitung der Haftung kann nur erfolgen, wenn auch entsprechende Eingriffsmöglichkeiten bei Fehlentwicklungen vorhanden sind.

Drittens muss künftig vermieden werden, dass es in einzelnen Ländern zu systembedrohenden gesamtwirtschaftlichen Fehlentwicklungen kommt. Die Verhinderung gravierender Ungleichgewichte darf aber nicht in den Versuch ausarten, eine europäische Feinsteuerung der Wirtschaftsprozesse zu erreichen.

Viertens muss das gesetzlich verankerte Mandat des Eurosystems, Preisniveaustabilität zu gewährleisten, unangetastet bleiben. Die Geldpolitik darf nicht weiterem Druck ausgesetzt sein, Risiken zu übernehmen und zwischen den Mitgliedstaaten umzuverteilen.

Fünftens ist für eine nachhaltige Bewältigung der Krise entscheidend, dass die Krisenresistenz der Finanzmarktteilnehmer gestärkt wird. Hierzu ist kurzfristig die Stärkung des Eigenkapitals der Banken erforderlich, in der langen Frist bedarf es einer entschlossenen und zügigen Umsetzung der Finanzmarktreformen.

In diesen beiden Vorhaben – Bewältigung der Staatschuldenkrise und Umsetzung der Finanzmarktreformen – sehe ich die großen wirtschaftspolitischen Herausforderungen des neuen Jahres. Auf beide möchte ich in meiner Rede ausführlicher eingehen. Lassen Sie mich zuvor aber einen kurzen Blick auf die konjunkturellen Perspektiven für 2012 werfen und die Frage beleuchten, inwieweit sich die anhaltende Staatsschuldenkrise hierauf auswirken könnte. Denn eines steht fest: Sowohl die Entwicklung an den Finanzmärkten als auch der Konjunkturverlauf werden ganz entscheidend davon beeinflusst, ob eine nachhaltige Überwindung der Krise gelingt.

2 Konjunkturelle Perspektiven für 2012

Angedeutet hat sich ein konjunktureller Dämpfer bereits Ende vergangenen Jahres, als sich die deutsche Wirtschaft zunehmend externen Belastungen ausgesetzt sah. Dabei machte sich neben der generellen Abkühlung der Weltkonjunktur auch die von der Staatsschuldenkrise ausgehende Verunsicherung mehr und mehr bemerkbar. Während das reale Wirtschaftswachstum im Jahresdurchschnitt 2011 noch bei beachtlichen 3,0 % lag, ist für das Winterhalbjahr 2011/2012 im Grundsatz mit einer konjunkturellen Seitwärtsbewegung zu rechnen. Grundsätzlich jedoch befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer sehr guten Verfassung. So ist der Unternehmenssektor (von der Ertragslage und Eigenkapitalbasis her gesehen) derzeit sogar noch besser aufgestellt als vor der Finanzkrise. Überdies tragen die historisch niedrigen Arbeitslosenzahlen dazu bei, dass der Aufschwung vor allem von binnenwirtschaftlichen Wachstumskräften getragen wird. Diese wiederum könnten ein Gegengewicht zu möglicherweise schwächeren Exporten bilden.

Vor diesem Hintergrund hält die Bundesbank den wirtschaftlichen Aufschwung, den Deutschland in den vergangenen beiden Jahren erlebt hat, keineswegs für beendet. Er ist zwar vorläufig unterbrochen, doch dürfte der konjunkturelle Schwung im Verlauf des Jahres zurückkehren, sofern sich die Krise nicht weiter verschärft. Dann dürfte auch die Weltwirtschaft wieder an Dynamik gewinnen, zumal die Geldpolitik vielerorts konjunkturstützend wirkt. Unter diesen Annahmen, die auch der Bundesbankprognose zugrunde liegen, könnte das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt 2012 um 0,6 % wachsen – mit stärkerer Dynamik zum Jahresende hin. 2013 dürfte dann sogar eine Wachstumsrate von 1,8 % möglich sein. Vor diesem Hintergrund halte ich die jüngst veröffentlichten Zahlen des IWF zum Wachstum in Deutschland für zu pessimistisch. Ich möchte aber wiederholen, dass die Unsicherheit derzeit ausgesprochen hoch ist und die konjunkturelle Entwicklung ganz entscheidend vom Verlauf der Staatsschuldenkrise abhängt. Nicht zuletzt deshalb stellt die Staatsschuldenkrise auch die größte wirtschaftspolitische Herausforderung im neuen Jahr dar. Wie aber kann und sollte dieser Krise begegnet werden?

3 Herausforderung Staatsschuldenkrise

Das Jahr 2011 hat vor allem eines gezeigt: Ohne Klarheit über den Ordnungsrahmen der Währungsunion für die Zukunft laufen die kurzfristigen Krisenlösungsinitiativen weitgehend ins Leere. Allein mit immer größeren Rettungsschirmen lässt sich die Krise nicht überwinden. Finanzielle Hilfen allein ändern nichts an den eigentlichen Ursachen der Krise. Das heißt nicht, dass sie nicht ihre Berechtigung haben, aber es lässt sich eben lediglich Zeit gewinnen; Zeit, die beispielsweise von den betroffenen Ländern auch tatsächlich genutzt werden muss – zur notwendigen Konsolidierung und Durchführung struktureller Reformen. Und hier hat es bislang häufig gehapert. Möglicherweise auch, weil der Handlungsdruck in den betroffenen Staaten durch die Bereitstellung der finanziellen Hilfen tendenziell gesunken ist. Aber auch in Staaten, die nicht auf finanzielle Hilfen angewiesen waren, hielt sich der Reformeifer zum Teil in Grenzen.

Zur Überwindung der Krise führt kein Weg an einer strikten Konsolidierung und an strukturellen Reformen in den Mitgliedstaaten vorbei. Denn die Hauptursachen für die derzeit unsicheren Wirtschaftsperspektiven sind fehlendes Vertrauen in die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Dass sich Reformen auszahlen, hat im vergangenen Jahr die Entwicklung in Irland gezeigt; dort hat sich die Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessert, und auch die Industrieproduktion nimmt inzwischen wieder zu. Die Finanzmärkte haben dies mit sinkenden Renditen honoriert. Die neuen Regierungen in Spanien und Italien haben mit den angekündigten Konsolidierungs- und Reformvorhaben erste wichtige Schritte in Angriff genommen, um zu einer Stabilisierung der Lage beizutragen. Entscheidend ist nun, dass diese Schritte zügig und entschlossen umgesetzt werden, um die angekündigten Ziele zu erreichen. Weniger erfreulich ist die Entwicklung in Griechenland. Derzeit prüfen erneut Mitarbeiter der EZB, der EU-Kommission und des IWF, die sogenannte Troika, den Fortschritt der vereinbarten Anpassungsprogramme. Griechenland hat die angestrebten Konsolidierungs- und Reformziele in der Vergangenheit wiederholt verfehlt, und es bleibt abzuwarten, ob ein neues glaubwürdiges Programm vereinbart wird.

Bisweilen wird bezweifelt, dass Haushaltskonsolidierung in der jetzigen Situation tatsächlich das Richtige sei; die Länder würden sich doch „kaputtsparen“. Ich halte diesen Einwand für falsch. Es geht um das Vertrauen erweckende Einhalten von Haushaltsplanungen und gegebenen Konsolidierungsversprechen. Es ist zwar unbestritten, dass sich Haushaltskonsolidierung normalerweise, d.h. bei keinem Zweifeln an der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen, zunächst einmal dämpfend auf die Konjunktur auswirkt. In einer massiven Vertrauenskrise, ausgelöst auch durch den übermäßigen Anstieg der Staatsverschuldung, gibt es aber keine Alternative dazu. Ohne fiskalische Anpassungen würden die Risikoprämien und Zinsen immer weiter steigen. Ein weiterer Vertrauensverlust, ausgelöst durch „Nichtstun“, würde das Wachstum wohl noch stärker belasten als die Konsolidierung. Dabei gilt es aber, die Wachstumskräfte durch Strukturreformen zu mobilisieren und damit nicht nur ein zweifelhaftes konjunkturelles Strohfeuer zu erzeugen, sondern die langfristigen Auftriebskräfte zu stärken.

Ein klares Bekenntnis zu einer soliden Haushaltspolitik ist damit ein wichtiges Gebot der Stunde. Dies gilt aber nicht nur für die Länder, die unter den Druck der Märkte geraten sind, sondern auch für Deutschland. Denn auch die deutschen Staatsfinanzen wurden in der Finanz- und Wirtschaftskrise erheblich in Mitleidenschaft gezogen, die Staatsverschuldung ist auf über 80% gestiegen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass auch in diesem Jahr weitere Belastungen hinzukommen, sei es durch zusätzliche Stützungsmaßnahmen für Finanzinstitute oder die eingegangenen finanziellen Verpflichtungen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise. Für problematisch hielte ich es deswegen, wenn Deutschland in der momentanen Situation vom Konsolidierungspfad abrücken würde – wie dies international immer wieder gefordert wird. Erstens hat die Finanzkrise gezeigt, wie gefährlich es ist, die Konsolidierung auf die lange Bank zu schieben. Zweitens ist Deutschland ein wichtiger Stabilitätsanker in der Währungsunion und für den Euro. Last but not least, hat Deutschland gewissermaßen eine Vorbildfunktion. Mit der Einführung der Schuldenbremse ist es dieser Rolle gerecht geworden; diese muss allerdings ihren Praxistest noch bestehen: Bei der Anwendung der Schuldenbremse muss sich zeigen, dass es Deutschland mit der Konsolidierung ernst meint. Allerdings muss die Fiskalpolitik in Deutschland sicherlich deutlich weniger gestrafft werden als in anderen Ländern, da das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts durchaus in Schlagdistanz ist.

Ich habe eingangs gesagt, dass zur nachhaltigen Bewältigung der Krise ein langer Atem nötig ist. Diese Aussage gilt ohne Frage für die Reformen in den einzelnen Mitgliedstaaten, denn es wird einige Zeit vergehen, bis die verschiedenen Maßnahmen Früchte tragen und verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgewonnen wird. Sie gilt jedoch umso mehr für die Wiederherstellung eines konsistenten Rahmens für die Währungsunion. Hier muss es zumindest darum gehen, rasch die richtigen Signale zu senden. Dazu ist es erforderlich, Eigenverantwortung, Haftung und Kontrolle im Bereich der Finanzpolitik wieder in Einklang zu bringen und die disziplinierende Funktion der Finanzmärkte zu erhalten. Der Anfang Dezember beschlossene Fiskalpakt zielt darauf ab, die bestehenden europäischen Fiskalregeln zu stärken und zu ergänzen. So soll das Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts ein größeres Gewicht erhalten, indem Schuldenbremsen im nationalen Recht verankert werden. Zudem zielt die Vereinbarung in dem zwischenstaatlichen Vertrag auf einen stärkeren Automatismus im Stabilitäts- und Wachstumspakt. Hilfszahlungen sollen an die Regeleinhaltung geknüpft werden. Diese Maßnahmen können grundsätzlich einen Beitrag zur Überwindung der aktuellen Krise leisten. Nun kommt es jedoch entscheidend auf eine strenge und vor allem klare Ausformulierung der Regeln an, damit die Regeln nicht umgangen werden können, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Da die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Fiskalpakts noch laufen, ist es für eine endgültige Bewertung zu früh. Die Zwischenstände, die an die Öffentlichkeit dringen, lassen aber befürchten, dass die Ausgestaltung der Regeln hinter den Zielvorstellungen und politischen Ankündigungen zurückbleibt. Damit würde jedoch ein falsches Signal gesendet werden.

Und noch eines muss mit Blick auf die Ausgestaltung des Rahmenwerks klar sein. Solange die Haushaltssouveränität der Mitgliedstaaten im Kern erhalten bleibt, ist eine zunehmende Gemeinschaftshaftung oder gar die Einführung von Eurobonds nicht zu rechtfertigen. Dies gilt zweifelsohne für den Rahmen, der sich nach den Dezember-Beschlüssen abzeichnet, denn die neuen Regelungen sehen auch bei fortgesetztem fiskalischen Fehlverhalten keine Durchgriffsrechte auf die nationale Haushaltspolitik vor. Gemeinschaftliche europäische Anleihen würden in diesem Rahmen die Anreize für eine solide Finanzpolitik weiter schwächen und die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte vollends aushebeln. Bei den Hilfsmechanismen halte ich es für wesentlich, dass diese relativ transparent und nachvollziehbar bleiben. Andernfalls wird man das notwendige Vertrauen kaum zurück gewinnen. Aus meiner Sicht wäre es im Übrigen ein großer Fehler, wenn künftig die Hilfskredite weitgehend ohne Zinsaufschläge vergeben würden. Dies würde die Anreize zu solide Staatsfinanzen nachhaltig schwächen.

Viele Beobachter sehen im Eurosystem den entscheidenden Akteur in der Schuldenkrise. Von ihm erwarten sie die langfristige Garantie des Kapitalmarktzugangs krisengeplagter Euro-Länder zu niedrigen Zinsen. Das Eurosystem soll damit – so ist die Erwartung – die Handlungsdefizite der Politik ausgleichen.

Das Eurosystem kann und darf jedoch nicht den Ausputzer für Versäumnisse der Politik spielen. Entscheidender Maßstab für sein Handeln ist die Einhaltung des gesetzlich verankerten Mandats, Preisstabilität zu gewährleisten. Der Beitrag, den das Eurosystem leisten kann und auch leistet, besteht darin, Liquidität an solvente Banken gegen ausreichende Sicherheiten bereitzustellen, um die Spannungen am Geldmarkt zu mildern und Kreditangebotsrestriktionen soweit möglich zu vermeiden.

Mit unserem Mandat nicht zu vereinbaren wäre der Versuch, die Krise über die Notenpresse zu lösen. Das Einspannen der Geldpolitik für fiskalpolitische Zwecke würde die Unabhängigkeit des Eurosystems in Frage stellen und damit seine Glaubwürdigkeit gefährden. Die Glaubwürdigkeit ist jedoch das höchste Gut der Notenbanken und eine unabdingbare Voraussetzung für Preisstabilität. Der EU-Vertrag enthält deswegen auch aus gutem Grund ein Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Und eins ist gewiss: die Vertrauenskrise lässt sich mit Sicherheit nicht überwinden, wenn die Glaubwürdigkeit des Eurosystems beschädigt wird.

In einem gemeinsamen Währungsraum mit souveränen Nationalstaaten, wie es im Euroraum der Fall ist, kommt hinzu, dass die geldpolitische Akkommodierung unsolider nationaler Finanzpolitik finanzielle Lasten zwischen den Mitgliedstaaten umverteilt. Entscheidungen über Verteilungsfragen liegen jedoch klar außerhalb des Mandats des Eurosystems, dem hierzu die demokratische Legitimation fehlt. Sie können und dürfen nur von der Politik getroffen werden. Im Übrigen würden jegliche Anreize auf Seiten der Politik, die grundlegenden Probleme in Angriff zu nehmen, schwinden, sobald der vermeintlich einfache Ausweg über die Notenpresse einmal beschritten ist. Damit aber wäre solch ein Lösungsversuch von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Aus diesen Gründen hat die Bundesbank allen Vorschlägen, die auf eine monetäre Staatsfinanzierung hinauslaufen, eine klare Absage erteilt. Dies gilt auch für eine unkonditionierte Mittelbereitstellung an den IWF. Durch bilaterale Kreditlinien darf keinesfalls das Verbot der monetären Staatsfinanzierung umgangen werden. Deswegen haben wir unsere Zustimmung an klare Bedingungen geknüpft. Da die stärkere finanzielle Einbindung des IWF in Europa Implikationen für die Risiken aus dem europäischen Rettungsschirm und damit für den deutschen Steuerzahler hat, legen wir außerdem Wert darauf, dass der deutsche Bundestag die Entscheidung mit trägt.

Die Bewältigung der Finanzkrise setzt eine Stärkung des Bankensektors im Euroraum voraus. Hierzu müssen die Banken, soweit nötig, ihr Eigenkapital erhöhen, um ihre Risikotragfähigkeit zu verbessern. Primär sollte dies durch die Thesaurierung von Gewinnen, Kapitalerhöhungen oder über den Kapitalmarkt geschehen. Im Ausnahmefall können auch öffentliche Kapitalhilfen durch den jeweiligen Mitgliedstaat oder – in letzter Instanz – durch die Mitgliedstaaten über EFSF-Kredit finanziert infrage kommen.

So wichtig es auch ist, die akute Krise einzudämmen, zufriedengeben dürfen wir uns damit nicht. Zusätzlich muss auch das Finanzsystem widerstandsfähiger gemacht werden – die Auswirkungen der Staatsschuldenkrise auf den Bankensektor zeigen, wie wichtig das ist.

4 Herausforderung Finanzmarktregulierung

In der Umsetzung der auf der G20-Ebene vereinbarten Reformen zur Finanzmarktregulierung liegt somit die weitere große Herausforderung für 2012. Der Reformprozess muss wichtige Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen und das Finanzsystem krisenresistenter machen.

Dabei stellen die Maßnahmen zu Recht auf zwei Ebenen ab. Erstens benötigen wir eine angemessene und möglichst lückenlose Regulierung und Aufsicht auf der Ebene der einzelnen Institute, also eine bessere mikroprudenzielle Aufsicht. Zweitens müssen wir das Finanzsystem stärker als Ganzes in den Blick nehmen, und zwar im Rahmen der sogenannten makroprudenziellen Aufsicht. Schließlich muss gewährleistet sein, dass die Ergebnisse der Stabilitätsanalysen auf der makroprudenziellen Ebene über die laufende Bankenaufsicht und Regulierung auch Eingang in das Verhalten der Finanzmarktteilnehmer finden. Lassen Sie mich zunächst einen Blick auf Fortschritte und Herausforderungen im Bereich der mikroprudenziellen Aufsicht werfen, bevor ich auf die makroprudenzielle Aufsicht zu sprechen komme.

In diesem Jahr steht weiterhin die konkrete Umsetzung der „Basel III-Regeln“ in nationales Recht im Mittelpunkt. Allen voran müssen die verschärften Eigenkapitalanforderungen für Banken in nationales Recht umgesetzt werden, damit das 2010 verabschiedete Regelwerk wie geplant im nächsten Jahr in Kraft treten kann. In Europa ist die Umsetzung mit den Kommissionsvorschlägen zur sogenannten CRR und CRD IV mit Aufsichtsanforderungen an Institute bereits weit vorangeschritten. Diese Vorschläge werden derzeit im Rat und im Europäischen Parlament verhandelt mit dem Ziel einer Finalisierung im Sommer dieses Jahres. Einer fristgerechten nationalen Umsetzung bis Anfang 2013 steht in der EU somit nichts im Wege. Um ein „Level playing field zu gewährleisten, ist es wichtig, dass auch andere Länder, allen voran die USA, gleichziehen und sich an die Vereinbarung der G20 halten, Basel III bis Anfang 2013 umzusetzen.

Auch mit Blick auf den Umgang mit systemischen Risiken im Finanzsystem wurden bereits erste wichtige Ergebnisse erzielt, an die es 2012 anzuknüpfen gilt. Systemische Risiken sind Risiken, die von einer begrenzten Quelle ausgehend die Stabilität des gesamten Finanzsystems bedrohen können. Sie können ihren Ursprung sowohl bei den systemrelevanten Finanzinstituten als auch bei sogenannten Schattenbanken haben.

Mit dem Ziel Risiken einzudämmen, die von besonders großen oder vernetzten Finanzinstituten – sogenannten SIFIs (also systemically important financial institutions) – ausgehen, haben die G20 im November letzen Jahres ein Rahmenwerk verabschiedet, das spezielle Regulierungsvorschriften für systemrelevante Institute vorsieht. Die beiden zentralen Pfeiler, auf die sich diese Regulierung stützt, sind erstens Eigenkapitalzuschläge, um die Verlusttragfähigkeit der systemrelevanten Institute zu verbessern und zweitens die Implementierung von Sanierungs- und Abwicklungsverfahren, um eine Restrukturierung oder marktschonende Abwicklung zu ermöglichen. 2012 werden die Standards für Abwicklungsregime in nationales Recht umgesetzt. Dies erfordert teils umfangreiche Gesetzesänderungen, auch in Deutschland. Darüber hinaus müssen die bislang nur für globale systemrelevante Finanzinstitute ausgestalteten Regeln ergänzt werden. Zum einen sind sie auf nationale systemrelevante Institute auszuweiten. Dabei kommt es entscheidend auf eine international konsistente Ausgestaltung an, um faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten. Zum anderen müssen Regeln für Finanzmarktteilnehmer aus dem Nichtbankenbereich, wie zum Beispiel Versicherer oder Finanzmarktinfrastrukturen, hinzukommen, insofern von diesen systemische Risiken ausgehen.

Zudem müssen wir uns Gedanken darüber machen, welche Lehren speziell aus der Staatsschuldenkrise für die Finanzmarktregulierung gezogen werden können. Denn die Brisanz der Krise resultiert vor allem aus der Gefahr von Ansteckungseffekten, also daraus, dass das Finanzsystem mögliche Verluste aus Staatsanleihen der Peripherieländer nur schwer verkraften kann. Vor diesem Hintergrund müssen wir vor allem die gängige Praxis überdenken, dass Staatsanleihen grundsätzlich nicht mit Eigenkapital zu unterlegen sind.

Der Finanzstabilität ist allerdings nicht gedient, wenn eine immer strengere Regulierung im Bankenbereich zu Verschiebungen der Geschäftstätigkeiten in den Bereich des Schattenbankensystems führt. Unter Schattenbankensystem versteht man den Teil des Finanzsystems, in dem bankähnliche Funktionen wahrgenommen werden, ohne dass die Akteure der herkömmlichen Regulierung für Kreditinstitute unterliegen. Hiervon können vor allem dann systemische Risiken ausgehen, wenn diese Bereiche des Finanzsystems, schwächer oder überhaupt nicht von Regulierungsvorschriften erfasst sind, Banken also einen großen Anreiz haben, ihre Risiken dorthin auszulagern. Denn dadurch verschwinden die Risiken keineswegs. Vielmehr können sich, wie die Finanzkrise gezeigt hat, Risiken im Schattenbankensektor aufbauen und über die Rückwirkungen auf die Banken zu einer Gefahr für das ganze Finanzsystem auswachsen. Deswegen haben sich die G20 auch die Regulierung des Schattenbankensystems zum Ziel gesetzt. Nachdem der Fokus bislang auf der Identifikation und Abgrenzung des Schattenbankensektors lag, wird 2012 verstärkt die konkrete Regulierung im Vordergrund stehen. Derzeit werden hierzu Empfehlungen vom Financial Stability Board ausgearbeitet. Dabei geht es sowohl um die indirekte Regulierung des Schattenbankensystems über Interaktionen mit dem Bankensektor als auch um die direkte Regulierung von Akteuren oder Aktivitäten.

Damit möchte ich mich der letzten großen Baustelle für 2012 im Bereich der Finanzmarktregulierung zuwenden: der makroprudenziellen Aufsicht. Vor die größte Schwierigkeit stellt uns dabei die Frage „Wie lässt sich eine effiziente markoprudenzielle Aufsicht ausgestalten?“. Nach wie vor ist unser Verständnis lückenhaft, wenn es um die wechselseitige Abhängigkeit zwischen der Realwirtschaft und dem Finanzsystem geht. Aber auch die Fragen nach der korrekten Erfassung systemischer Risiken und potenzieller Ansteckungskanäle sind noch nicht zufriedenstellend beantwortet. Damit habe ich nur einige Baustellen genannt, auf denen im neuen Jahr gearbeitet werden muss.

Organisatorisch geht es vor allem um die Frage „Wer macht was?“. Es müssen also Zuständigkeiten festgelegt und der Handlungsrahmen abgesteckt werden. Und hier sind wir schon einen Schritt weiter. Auf der europäischen Ebene wurden mit der Errichtung des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) bereits sichtbare Fortschritte erzielt. Der ESRB, der seine Arbeit vor einem Jahr aufgenommen hat, kann seither u.a. Warnungen zur Finanzstabilitätslage aussprechen und hat dieses Instrument auch bereits genutzt. 2012 wird zudem die Formulierung nationaler makroprudenzieller Mandate voranschreiten. Um eine effiziente und international abgestimmte makroprudenzielle Überwachung zu gewährleisten, hat der ESRB jüngst Empfehlungen zur Ausgestaltung der nationalen makroprudenziellen Mandate veröffentlicht. Für Deutschland wird in diesem Jahr eine Gesetzesvorlage zur Verabschiedung eines makroprudenziellen Mandats erwartet und ich begrüße ausdrücklich, dass dabei die Bundesbank ein makroprudenzielles Mandat erhalten soll.

5 Schluss

Meine Damen und Herren,

die Herausforderungen für 2012 sind alles andere als gering. Nehmen wir sie an und nutzen wir die Chance, die Dinge zum Besseren zu wenden. Im Bereich der Finanzmarktregulierung liegt eine klare Agenda vor uns. Die Anstrengungen dürfen jetzt nicht nachlassen. Es gilt die Agenda Punkt für Punkt abzuarbeiten und die getroffenen Regelungen in nationales Recht umzusetzen.

Mit Blick auf die Bewältigung der Staatsschuldenkrise müssen sich die Staaten der Währungsunion unumkehrbar auf eine neue gemeinsame Stabilitätskultur verpflichten. Verloren gegangenes Vertrauen kann wiedergewonnen werden, aber das ist ein mühevoller Prozess. Auf dem Dezember-Gipfel haben die europäischen Staats- und Regierungschefs erkennen lassen, dass dieser Wille grundsätzlich vorhanden ist. In diesem Jahr wird es entscheidend darauf ankommen, dass den Vereinbarungen Taten folgen. Denn die erfolgreiche Bewältigung der Krise ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Vertrauen an den Finanzmärkten zurückkehrt, sie wird auch die konjunkturelle Entwicklung 2012 entscheidend prägen.

Damit bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen ein gutes und erfolgreiches Jahr 2012.