Wie kann die Alterssicherung zukunftsfest werden? Impuls beim CDU Wirtschaftstag in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine Damen und Herren! 

Heute sprechen wir über etwas, was Sie und ich uns wünschen: Eine gute Altersvorsorge. Das Thema betrifft uns alle. Es wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Das zeigen auch die Analysen der Bundesbank.

Ich möchte auf zwei Aspekte eingehen, die miteinander verknüpft sind: Erstens, die Auswirkungen des demographischen Wandels auf den Arbeitsmarkt – und was das für die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung bedeutet. Und zweitens, die Notwendigkeit betrieblicher und privater Altersvorsorge. Denn für eine gute Altersvorsorge brauchen wir alle drei Säulen.

2 Alterssicherung: Demographie und Arbeitsmarkt

Der demographische Wandel ist im vollem Gange. Die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland nimmt weiter zu.

Gleichzeitig sinkt die Zahl derer, die im erwerbsfähigen Alter sind. Das bedeutet, immer weniger Beitragszahler stützen immer mehr Rentenempfänger. Kamen 2022 noch 2,8 Personen im erwerbsfähigen Alter auf eine Person im Rentenalter, so wird 2040 das Verhältnis nur noch gut 2:1 sein.[1]

Auf Basis des aktuellen Renteneintrittsalters wird sich – aufgrund der höheren Lebenserwartung – das Verhältnis von Erwerbszeit zu Rentenzeit nach 2031 weiter verschieben. Anders gesagt: die Bezugszeit der Rente wird sich verlängern.[2]

Eine weitere Herausforderung: Die gesunkene Geburtenrate. Sie ist nach neuesten Zahlen mit 1,36 Kindern pro Frau auf dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren.[3] Dabei ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Entscheidung von Eltern für mehrere Kinder ein Schlüsselfaktor.[4] 

Das Bild sieht meist anders aus. Es sind weiterhin oft die Frauen, die den Beruf für die Familie zurückstellen. Bei Familien mit mindestens einem Kind unter 6 Jahren arbeiten nur knapp 51 Prozent der Mütter.[5]

Zudem arbeiten immer mehr Menschen in Teilzeit. In Deutschland liegt die Teilzeitquote der Frauen bei 48 Prozent, im europäischen Vergleich sind es 33 Prozent.[6] Das ist bedauerlich, und umso mehr, wenn es sich um qualifizierte Personen mit Erfahrung im Job handelt. 

Lassen Sie mich daher auf drei Stellschrauben eingehen, die einen Einfluss darauf haben, ob oder in welchem Umfang jemand sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt.

Erstens, das Ehegattensplitting. Die Zusammenveranlagung senkt in der Regel die Steuerlast für den Haushalt. Allerdings wird der Zweitverdiener dann auch ab dem ersten Euro mit dem gemeinsamen Steuersatz besteuert. Dieser kann je nach Einkommen des Erstverdieners schon sehr hoch liegen. Laut OECD kann die Grenzbelastung des „Zuverdieners“ – oder eher doch der „Zuverdienerin“ – bis zu 56 Prozent des Einkommens betragen.[7] Mit anderen Worten: von jedem verdienten Euro behält die Zuverdienerin gegebenenfalls nur 44 Cent.

Auch wenn erst am Jahresende abgerechnet wird, schauen die meisten auf ihren monatlichen Lohnzettel. Und was sie sehen ist: zu wenig. Hier kann die diskutierte Abschaffung der Lohnsteuerklassen III und V schon etwas bringen: Damit wird der Splittingvorteil nämlich schon beim Lohnsteuerabzug auf beide Verdienenden aufgeteilt. Übrigens ist die deutsche Splitting-Besteuerung im internationalen Vergleich eher die Ausnahme.[8]

Ein zweiter Aspekt ist die Subventionierung geringfügiger Beschäftigung – Stichwort: Minijob. Durch die Reduzierung von – vor allem – Sozialabgaben und das insgesamt progressive System der Lohnsteuer.[9] Es ist attraktiv, im subventionierten Korridor zu bleiben. Mitunter kann es sogar unattraktiv sein, mehr Stunden am Arbeitsmarkt anzubieten. 

Drittens, die Familienmitversicherung. Die beitragsfreie Mitversicherung bei keiner oder geringfügiger Beschäftigung bietet keinen Anreiz, mehr Stunden zu arbeiten. Denn ein höherer Verdienst zieht eine eigene Versicherungspflicht mit entsprechenden Abgaben nach sich.[10]  

Einen Lichtblick gibt es jedoch: Die Erwerbstätigenquote von Frauen liegt hierzulande bei fast 80 Prozent.[11] Das ist im europäischen Vergleich recht hoch – und somit ein guter Ansatzpunkt für eine Ausweitung des Arbeitsvolumens der Frauen.[12] Die noch stärkere Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt ist eine Win-win-Situation: Es stärkt die Beitragsleistungen in die gesetzliche Rentenversicherung einerseits. Gleichzeitig sorgen Frauen für ihr Alter selbst vor. Das ist gerade mit Blick auf die hohen Scheidungsquoten wichtig und es beugt einer etwaigen Altersarmut vor.

Jetzt haben wir viel über Frauen gesprochen, lassen Sie uns auch das Potenzial der Jugend anschauen. Ende 2023 gab es in Deutschland 626.000 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren, die sich weder in Ausbildung noch in Beschäftigung befanden. Auch hier besteht Potenzial, die Anzahl an Beschäftigten und Beitragszahlern zu erhöhen. 

Doch selbst bei höherer Beschäftigungsquote der Jugend, der Frauen oder weniger Teilzeit: All das wird nicht ausreichen.

Aufgrund des steigenden Bedarfs an neuen Arbeitskräften wird man sich weiterhin mit einer gesteuerten Zuwanderung auseinandersetzen müssen. Die Ausweitung des Arbeitskräfteangebots würde einzahlen, auf den Arbeitsmarkt und die gesetzliche Rentenversicherung.

Aber eins ist dennoch klar: Die demographische Entwicklung ist – Status Quo – eine finanzielle Herausforderung für die gesetzliche Rentenversicherung. Gleichzeitig werden die öffentlichen Mittel auch für andere Herausforderungen gebraucht. Die geopolitische Lage erfordert zusätzliche Sicherheitsausgaben und auch die digitale und ökologische Transformation unserer Wirtschaft wird Mittel beanspruchen. 

Eine gute Altersvorsorge muss daher heute umso mehr breit aufgestellt sein und alle drei Säulen nutzen.

3 Private und betriebliche Säule einbinden / mögliche Vorbilder

Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang einen Blick auf verschiedene Alterssicherungsmodelle in Europa und der Welt werfen. Da sind gute Lösungen dabei!

In vielen Ländern ist die umlagefinanzierte Rente nur ein Baustein zur Alterssicherung. Die betriebliche und private Vorsorge sind häufig feste, teils obligatorische Bestandteile.

Die Niederlande sind beispielsweise für die „Cappuccino Rente“ bekannt. Grundlage – und damit der „Kaffee“ – ist eine umlagefinanzierte Grundrente für jeden. Die betriebliche Vorsorge ist die „Milch“. Die Betriebsrente ist in den Niederlanden obligatorisch. Den „Kakao“ bilden dann die privaten und kapitalgedeckten Vorsorgeprodukte.[13] 

Und was springt am Ende eines Erwerbslebens raus? Mit der Grundrente und der betrieblichen Rente können unsere Nachbarn etwa 70 Prozent des letzten Einkommens erhalten.[14] 

In den USA gibt es für die betriebliche Altersvorsorge ein steuerbegünstigtes Modell. Ein Teil des Bruttogehalts kann steuerfrei am Kapitalmarkt investiert werden. In kostengünstige Standardprodukte (Geldmarktfonds, Anleihen oder Aktien). Der Anreiz ist hoch und auch die Beteiligung. Zumal man das System bewusst abwählen muss („Opt-Out“). Zudem fällt die Besteuerung erst in der Auszahlungsphase an. Und in der Regel ist da der Steuersatz niedriger als während der Erwerbsphase.

Das Stichwort Kapitalmarkt ist bereits gefallen und bringt mich zur dritten Säule, die private Altersvorsorge. Aus Japan kennen wir das Modell eines Vorsorgekontos, das vor allem mit Aktien und Fonds „bespart“ wird und das jede Bürgerin und jeder Bürger erhält. Und das relativ abgabenarm und damit attraktiv ist. So abgabenarm wie möglich, um Menschen ins Investieren zu bringen, statt nur zu „sparen“. Gekoppelt zum Beispiel mit einer Verdienst-Höchstgrenze, die für soziale Gerechtigkeit sorgt. Das ergibt in Japan einen starken Anreiz zur privaten Vorsorge. 

Großbritannien hat ein ähnliches Programm. Dort sollen zusätzliche steuerliche Vorteile künftig sogar gezielt an Aktieninvestments im Inland geknüpft werden.

4 Schluss

Meine Damen und Herren. Die Menschen wollen auch nach dem Ende ihrer Erwerbszeit über einen angemessenen Lebensstandard verfügen. Das heißt, sie müssen sich über die gesetzliche, betriebliche und private Altersvorsorge diesen Standard leisten können. Dafür müssen alle drei Säulen regelmäßig auf den Prüfstand.

  1. Eigene Berechnungen der Bundesbank auf Basis von Statistisches Bundesamt (2022), 15. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden. 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung - Statistisches Bundesamt (destatis.de), Abgerufen am 10. Juni 2024
  2. Vgl. das öffentliche Dokument: Häufig gestellte Fragen zum Thema Rentenversicherung in Monatsberichten der Deutschen Bundesbank
  3. Die Geburtenrate fiel von 1,57 Kindern pro Frau in 2021 auf rund 1,36 im Herbst 2023. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. BiB – Pressemitteilungen – Geburtenrate fällt auf den tiefsten Stand seit 2009 (bund.de), Abgerufen am 10. Juni 2024
  4. Samira Beringer, Neue Entwicklungen bei Geburtenraten und ideale Kinderzahl in Deutschland, in: Gynäkologische Endokrinologie, Band 22, 2024, S. 58-63./ Neue Entwicklungen bei Geburtenraten und ideale Kinderzahl in Deutschland | Gynäkologische Endokrinologie (springer.com) Abgerufen am 10. Juni 2024.
  5. Erwerbsbeteiligung von Eltern - Statistisches Bundesamt (destatis.de) Abgerufen am 10. Juni 2024. 
  6. Aktuell arbeiten rund 16,4 Millionen Menschen in Teilzeit. Siehe IAB-Arbeitszeitrechnung - IAB - Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung , abgerufen am 10. Juni 2024. Die Vollzeitbeschäftigung steigt im Trend ebenfalls, allerdings langsamer als die Teilzeitbeschäftigung und sie ging aufgrund der aktuellen konjunkturellen Schwäche in den letzten Quartalen geringfügig zurück. Die Teilzeitquote der Frauen in Deutschland liegt bei 48%; im europäischen Vergleich sind es 33% (Durchschnitt im Euroraum; Angaben gemäß Eurostat für das Jahr 2022. Teilzeitbeschäftigung als Prozentsatz der gesamten Beschäftigung im Alter von 20 bis 64 Jahren.)
  7. Bundesbank: Geringe Arbeitsanreize für Zweitverdiener (18.02.2015), S. 2-4. Aufgrund von Zahlen der OECD. Taxing Wages 2023 : Indexation of Labour Taxation and Benefits in OECD Countries | OECD iLibrary (oecd-ilibrary.org) 
  8. Bundesbank: Geringe Arbeitsanreize für Zweitverdiener (18.02.2015), S. 6.
  9. Bundesbank: Geringe Arbeitsanreize für Zweitverdiener (18.02.2015), S. 4-5 (damals mit der Mini-Job-Grenze bei 450 €)
  10. Zu den Hintergründen beispielhaft: Familienversicherung in der Krankenkasse: Wer kostenlos mit rein kommt | Verbraucherzentrale.de, Abgerufen am 10. Juni 2024.
  11. Eurostat-Datenbank, 20-64 Jahre, 2023. 
  12. Eurostat-Datenbank, 20-64 Jahre, 2023: 74,9%. 
  13. Die individuellen Wahlmöglichkeiten bei Einzahlung, Anlage und Auszahlung sind begrenzt. Eine Leistungszusage (defined benefit) wurde abgeschafft. / Vgl. OECD-Bericht «Pensions at a glance» 2023, vor allem S. 16f., 40, 46f. 678055dd-en.pdf (oecd-ilibrary.org) / Eine weitere Quelle zur Alterssicherung in den Niederlanden: https://www.bundestag.de/content/820386, Beides abgerufen am 10. Juni 2024.
  14. Nach 40 Jahren Beschäftigung soll nach den meisten beitragsorientierten Vereinbarungen im Alter als Gesamtversorgung aus Grundrente der AOW und Betriebsrente etwa 70 bis 75 Prozent des letzten oder des lebensdurchschnittlichen mittleren Verdienstes gezahlt werden. Hierzu werden in jedem Jahr der Betriebszugehörigkeit 1,75 Prozent der Gesamtversorgung aufgebaut. Siehe Alterssicherung in den Niederlanden, Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, 2021, WD-6-106-20-pdf.pdf (bundestag.de), Abgerufen am 10. Juni 2024.