Wettbewerb und Stabilität im Finanzsektor in Zeiten technologischen Wandels

Es gilt das gesprochene Wort.

1. Einleitung

„Strukturwandel“ ist ein Schlagwort, das viele wirtschaftspolitische Debatten beherrscht. Digitalisierung, Globalisierung und demografischer Wandel haben weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft. Ein funktionierendes Finanzsystem ist dabei ein wichtiger Katalysator – es finanziert Innovationen, unterstützt den Wettbewerb, hilft Risiken abzusichern und stellt – ganz grundlegend – den Zahlungsverkehr sicher.

Dabei wird oft übersehen, dass das Finanzsystem selbst vom Strukturwandel betroffen ist. Digitalisierung und technologischer Wandel betreffen Kernfunktionen von Finanzintermediären – Informationen zu gewinnen, aufzubereiten und letztlich Wachstum und Stabilität zu fördern. Gleichzeitig ändern sich die Wettbewerbsbedingungen im Finanzsystem selbst. Neue Anbieter treten auf den Markt, bestehende Geschäftsmodelle werden in Frage gestellt oder ganz obsolet.

Mehr Wettbewerb kann dabei letztlich zu einer größeren Effizienz führen. Aber mehr Wettbewerb im Finanzsektor kann auch Nebenwirkungen haben und die Märkte destabilisieren. Auf der diesjährigen Notenbankenkonferenz in Jackson Hole wurde daher diskutiert, wie die Regulierung den Wettbewerb im Bankensektor flankieren sollte – durch ausreichende Anforderungen an das Eigenkapital von Instituten und die Sicherung angemessener Corporate-Governance-Strukturen im Finanzsektor (Corbae und Levine 2018).

Strukturwandel im Bankensektor wirft eine Reihe von Fragen auf: Hat die Marktkonzentration zugenommen und ist der Wettbewerb zurückgegangen? Welchen Einfluss hat dies auf die Finanzstabilität? Werden diese Trends durch die Regulierung beeinflusst? Scheiden nicht wettbewerbsfähige Banken aus dem Markt aus? Wie wirksam ist die makroprudenzielle Politik? Wie kann die Politik den Strukturwandel im Finanzsystem, etwa im Bankensektor, unterstützen, ohne die Effizienz und Stabilität des Finanzsystems zu gefährden? Was bedeuten die neuen Technologien für den Zielkonflikt zwischen Effizienz und Stabilität?

Auf viele dieser Fragen haben wir keine abschließenden Antworten – nicht zuletzt brauchen wir gute theoretische und empirische Forschung, um diese Zusammenhänge besser zu verstehen. Ich möchte mich heute daher auf drei Fragen beschränken und mögliche Antworten skizzieren:

  • Was bedeutet „Strukturwandel“ im Bankensektor?

  • Welche Rolle spielen neue Finanzintermediäre für das deutsche Finanzsystem?

  • Welche Herausforderungen gibt es aktuell für die Finanzstabilität in Deutschland?

2. Strukturwandel im Bankensektor

Phasen der Regulierung und Deregulierung

Eine Kernaufgabe des Finanzsystems ist es, die Entwicklung und den Wandel in der Realwirtschaft zu unterstützen. Zugleich unterliegt das Finanzsystem selbst einem Strukturwandel: Phasen der Öffnung von Märkten und der Deregulierung folgten in der Vergangenheit immer wieder Phasen, in denen die Märkte durch Kapitalverkehrskontrollen und andere Regulierungen geschützt und so der Wettbewerb beschränkt wurde (Rajan und Zingales 2003). Oft wurden Phasen der Abschottung von Finanzkrisen und den damit verbundenen Rezessionen ausgelöst (Kaminsky und Reinhart 1999).

Phasen der Abschottung werfen lange Schatten: Erst in den 1980er Jahren wurden die zuvor stark regulierten Bankensysteme in den USA und in Europa schrittweise geöffnet und liberalisiert. Beschränkungen der regionalen Tätigkeit wurden abgeschafft; grenzüberschreitende Geschäfte ermöglicht. In Europa wurde es Banken durch die erste Bankenrichtlinie im Jahr 1977 gestattet, Zweigstellen in anderen Mitgliedstaaten zu errichten. Mit der zweiten Bankenrichtlinie wurden 1989 die Kapitalmärkte in europäischen Ländern geöffnet.

Empirische Untersuchungen für die USA geben Aufschluss darüber, wie diese Veränderungen die Risiken im Bankensektor beeinflusst haben: Im Zeitraum der Jahre 1970 bis 1985 waren die Franchise-Werte von US-Banken gering; Markt- und Buchwerte liefen relativ parallel, implizite Staatsgarantien waren niedrig (Atkeson, d’Avernas, Eisfeldt und Weill 2018).[1] Diese Muster wandelten sich zwischen 1996 und 2007 recht entscheidend: die Bewertungen von Banken an den Märkten stiegen stark an, Banken wurden risikofreudiger, und der Wert implizierter staatlicher Garantien erhöhte sich.

Dies zeigt, dass die Profitabilität von Banken nur bedingt Aufschluss über die Stabilität eines Finanzsystems gibt: Eine geringe oder sinkende Eigenkapitalrentabilität kann etwa Ausdruck eines intensiven Wettbewerbs sein, der bei fehlenden Marktaustritten von schwächeren Banken dazu beiträgt, dass insgesamt zu hohe Risiken eingegangen werden. Eine geringe Profitabilität kann aber auch Ausdruck einer hohen Eigenkapitalausstattung von Instituten sein. Je nachdem, welcher dieser Treiber dominiert, können sich die Implikationen für Wettbewerb und Stabilität unterscheiden.

In den vergangenen Jahrzehnten änderte sich die Effizienz der Banken kaum (Phillipon 2015). In den USA sind die Kosten der Finanzintermediation in den vergangenen 130 Jahren mit rund 1,5 bis 2% weitgehend konstant geblieben. Ähnlich in Europa: in der Zeit zwischen 1950 und 2007 sind die Kosten der Intermediation in der Regel nicht gesunken (Bazot 2017).

Die seit den 1980er Jahren beschleunigte Deregulierung hat zwar einerseits den Banken die Möglichkeit eröffnet, neue Märkte und Geschäftsfelder zu erschließen. Andererseits könnte sich die Deregulierung teilweise als Bumerang erwiesen haben. Dass negative Konsequenzen für die Finanzstabilität entstehen könnten, wurde unterschätzt. Schlagworte wie „systemische Risiken“ oder „makroprudenzielle Politik“ spielten bis zur Finanzkrise in der wirtschaftspolitischen Diskussion kaum eine Rolle, obwohl die wissenschaftliche Diskussion durchaus auf diese Mechanismen aufmerksam gemacht hatte (Hellwig 1998).

Ursachen und Folgen der Finanzkrise

Die Entwicklung des Finanzsektors seit der Krise ist geprägt von Wechselwirkungen zwischen den bestehenden Rahmenbedingungen, langfristigen Trends im Finanzsystem, makroökonomischen und finanziellen Schocks und nicht zuletzt politischen Reaktionen darauf.

Letztlich wurden mit der Finanzkrise Sollbruchstellen im internationalen Finanzsystem offen gelegt (Rajan 2011); implizite staatliche Garantien wurden schlagend. Allein in Deutschland waren die Ausgaben für Stützungsmaßnahmen der Banken höher als Ausgaben für europäische Rettungsprogramme – gemessen an den Schuldenstandseffekten (Bundesministerium der Finanzen 2012). Schnell wurde deutlich, dass die Finanzkrise nicht nur eine Liquiditätskrise war, sondern dass viele Banken und Finanzsysteme strukturell betroffen waren und mit Solvenzproblemen zu kämpfen hatten.

Auf makroökonomischer Ebene wirkten in der Krise mehrere Schocks zusammen und lösten eine gesamtwirtschaftliche Krise aus, die zu einem Rückgang der Kreditnachfrage und in einigen Regionen zu einer Staatschuldenkrise führte (Sachverständigenrat 2011, Shambaugh 2012).

Die Strukturen und die Wettbewerbsintensität im Finanzsystem haben dabei einen entscheidenden Einfluss darauf, wie sich die Banken an das neue Umfeld anpassen. Einige Bankensysteme zeigten bereits vor der Krise Schwächen in Bezug auf ihre Ausstattung mit Eigenkapital und ihre Profitabilität. Ein Rückgang der Margen deutscher Banken war beispielsweise bereits vor der Finanzkrise zu beobachten (Abbildung 1, Hellwig 2018). Die Anpassungen nach der Krise verliefen somit recht unterschiedlich.[2] Viele Banken konsolidierten nach der Krise ihr internationales Geschäft. Andere waren von den krisenhaften Entwicklungen weniger stark betroffen, hatten ausreichend hohe Kapitalpuffer und ergriffen die Chance, in neue Märkte zu expandieren.[3] Marktanteile haben sich von schwächeren zu stärkeren Banken verschoben.

Die Reaktionen der Politik waren geprägt von dem akuten Handlungsdruck in der Krise einerseits und den institutionellen Möglichkeiten zum Umgang mit Banken in Schieflage andererseits. Einige politische Entscheidungsträger griffen frühzeitig ein, um das Eigenkapital der Finanzinstitute zu stärken (Borio 2016). Andere gingen vorsichtiger vor, möglicherweise in der Hoffnung, dass sich die Lage der Banken im Zuge der gesamtwirtschaftlichen Erholung mit der Zeit wieder verbessern würde. Unabhängig davon, welchen Weg die Politik im Einzelnen ging: Noch heute prägen die damaligen Entscheidungen die Wettbewerbsstruktur im Bankensektor.

Reformen der G20

Auf internationaler Ebene beschlossen die Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten im Jahr 2009 ein umfassendes Reformpaket mit dem Ziel, das Finanzsystem widerstandsfähiger zu machen: unter anderem müssen Banken mehr Eigenkapital aufweisen und damit krisenfester sein. Mit der neu etablierten makroprudenziellen Politik ist die Sicherung der Finanzstabilität als Regulierungsziel ins Zentrum gerückt – in Deutschland übernimmt die Bundesbank dabei eine maßgebliche Rolle.

Letztlich wirken viele der beschlossenen und umgesetzten Reformen – direkt oder indirekt auf die Wettbewerbssituation im Finanzsystem: Höhere Anforderungen an das Eigenkapital von Kreditinstituten beispielweise verschieben Marktanteile hin zu gut kapitalisierten Instituten. Reformen, die Fehlanreize bei großen Banken reduzieren, wirken ebenfalls auf die Wettbewerbsstrukturen. Weniger implizite staatliche Garantieren für große Banken und zusätzliche Eigenkapitalanforderungen für systemrelevante Institute beseitigen bestehende Wettbewerbsverzerrungen.

Damit diese Maßnahmen wirken können, müssen letztlich Marktaustritte, auch größerer Institute, möglich sein, so wie in jedem anderen Sektor auch. Daher ist die Schaffung von Abwicklungsregimen für Banken ein wesentlicher Bestandteil der von der G20 initiierten Reformen. In Europa wurde dieses mit der Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD) umgesetzt; auf dieser baut der Einheitliche Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism SRM) im Rahmen der Bankenunion auf.

Ein weiteres Ziel der Reformen – die Umwandlung des Schattenbankensystems in ein widerstandsfähiges, marktbasiertes Finanzierungssystem – verändert zudem den Wettbewerb durch Nichtbanken.

Globale Entwicklungen verschärfen den Anpassungsdruck: Der technologische Wandel und die Konkurrenz durch „FinTechs“ und „BigTechs“ wirken sich auf die Geschäftsmodelle nicht nur der Banken aus. Die Frage, wie sich Änderungen auf den internationalen Märkten, globale Wertschöpfungsketten oder auch protektionistische Maßnahmen auf die Tätigkeit und Stabilität von Banken auswirken, ist noch weitgehend offen. Und für die künftigen Strukturen des Finanzsystems, spielt die Entwicklung der makroökonomischen Rahmenbedingungen eine Rolle. Nicht zuletzt die Normalisierung der Geldpolitik hat Implikationen für die Finanzinstitute.

3. Strukturwandel und neue Technologien im deutschen Bankensektor

Der deutsche Finanzsektor ist stark durch die Banken geprägt.[4] Gleichzeitig ist die Anzahl der Banken in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten gesunken (Abbildung 3). Die Konzentration des deutschen Bankensektors ist damit zwar über die Zeit hinweg angestiegen; gleichwohl ist der deutsche Bankensektor stärker fragmentiert als die Bankensysteme in anderen G7-Ländern (Abbildung 5).

Auf den ersten Blick deutet die rückläufige Anzahl der Banken in Deutschland auf eine hohe Marktdynamik: Während Anfang der 1990er Jahre noch rund 4000 Banken von der monatlichen Bilanzstatistik der Bundesbank erfasst wurden, hat sich diese Zahl seitdem in etwa halbiert. Allerdings erfolgten Marktaustritte hauptsächlich in Form von Fusionen (Abbildung 4), insbesondere im Sparkassen- und Genossenschaftssektor. Die Auswirkungen auf die Kapazitäten im Bankensektor waren damit eher gering.

Die Zahl der Markteintritte von Banken lag in der Vergangenheit relativ konstant im unteren zweistelligen Bereich. Mit einem Anteil von über 60% erfolgten zahlenmäßig die meisten Markteintritte durch Auslandsbanken. Diese Markteintritte hatten aber kaum Einfluss auf die Kapazitäten – mit Marktanteilen von rund 5% spielen Auslandsbanken in Deutschland nur eine geringe Rolle (CGFS 2017).

Wettbewerb und Strukturwandel werden nicht nur durch Marktein- und -austritte auf dem Inlandsmarkt beeinflusst. Gerade die Margen der stark im internationalen Geschäft tätigen Banken sind in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken (Abbildung 1). Zuletzt gerieten die Margen zudem auf Grund niedriger Zinsen unter Druck, weil die Banken faktisch keine negativen Zinsen auf Kundeneinlagen erheben („Nullzins-Grenze“), um den Rückgang der Kreditzinsen auszugleichen.

FinTechs“ könnten den Wettbewerb in Teilen des Finanzsystems erhöhen und damit die Margen senken, zum Beispiel bei der direkten Vergabe von Krediten durch plattformbasierte Kreditvermittlung (Crowdlending) oder bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung durch Robo Advisors (Abbildung 6). Ebenso könnten aber auch „BigTechs“ – wie Google, Amazon oder Facebook – aufbauend auf ihren eigenen Technologieplattformen Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die im direkten Wettbewerb zu den traditionellen Anbietern im Finanzsystem stehen. Dabei dürfte die bestehende Kundenbasis ein wichtiger Wettbewerbsfaktor der „BigTech“ sein, insbesondere die Informationen, die sie über ihre Kunden bereits gesammelt haben. Die Entwicklung des Wettbewerbs im deutschen Bankensektor wird entscheidend davon geprägt werden, wie gut es neuen Technologien und Wettbewerbern gelingt, im Finanzsystem Fuß zu fassen und wie schnell die traditionellen Akteure im Finanzsystem neuen Technologien adaptieren können.[5] Rahmenbedingungen im Bereich des Datenschutzes und des Wettbewerbsrechts werden hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Positive Effekte könne sich ergeben, wenn Innovationskraft, Effizienz und Transparenz verbessert, Kosten gesenkt, Märkte vervollständigt und Risiken stärker diversifiziert werden. Mit FinTechs ist ein höherer Grad an Automatisierung verbunden, der Such- und Transaktionskosten senkt. Von diesen Kostensenkungen können etablierte Intermediäre wie Banken profitieren. Neue Zugangskanäle zu Finanzdienstleistungen – etwa über Mobiltelefone – und eine stärkerer Rückgriff auf Daten können die Transparenz im Finanzsystem erhöhen und Informationsasymmetrien senken. Neben Auswirkungen auf Wettbewerb und Innovation können FinTechs Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben (Deutsche Bundesbank 2016, Abbildung 7). Sie können dazu beitragen, das Finanzsystem stabiler zu machen, indem sie die Kreditvergabe und die Streuung von Risiken verbessern.

Eine stärkere Automatisierung durch Robo Advisors bei der Anlageentscheidung kann aber auch die Prozyklizität erhöhen und Herdenverhalten befördern, wenn zum Beispiel ähnliche Risikopositionen eingegangen werden. Hinzu kommen Risiken, die sich aus den ökonomischen Funktionen von FinTechs ergeben. Gehen diese über reine Vermittlungs- und Schnittstellenfunktionen zu traditionellen Intermediären hinaus, sind es vor allem typische Risiken bankähnlicher Geschäfte die systemische Risiken hervorrufen können. Hierzu zählen Risiken, die sich aus Finanzierungen mit einem hohen Fremdkapitaleinsatz ergeben oder auf ein hohes Maß an Liquiditäts- und Fristentransformation zurückgehen. Durch die zunehmende Bedeutung neuer Technologien können nicht zuletzt operationelle Risiken steigen. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn es zu einem technisch bedingten Ausfall entsprechender Dienstleister kommt.[6]

Potenzielle Auswirkungen auf die Struktur des Finanzsystems sind aufgrund der frühen Phase der Innovationen, endogener Anpassungsprozesse etablierter Finanzintermediäre und einer unzureichenden Datenlage derzeit kaum abzuschätzen. Aus makroprudenzieller Sicht ist eine frühzeitige Überwachung notwendig, um mögliche Veränderungen von Anreizstrukturen, Risikoverlagerungen und Ansteckungsrisiken zu erkennen, bevor FinTechs eine systemisch relevante Größe erreicht haben. Darauf aufbauend sollte fortlaufend überprüft werden, ob der Regulierungsrahmen angemessen ist (Minto, Voelkerling, Wulff 2017). 

4. Aktuelle Herausforderungen für die Finanzstabilität in Deutschland

Technologische Neuerungen, das Angebot von Finanzdienstleistungen durch FinTech, aber auch durch BigTech Firmen, bedeuten Strukturwandel für den Finanzsektor. Bestehende Geschäftsmodelle können in Frage gestellt werden. Gemessen an der Größe sind die Haupttakteure im deutschen Finanzsystem aber eher traditionelle Akteure wie Banken und Versicherer (Abbildung 2). Sie stehen damit nach wie vor im Fokus der makroprudenziellen Politik.

Strukturwandel und Wettbewerb kann zu Risiken für die Finanzstabilität führen, wenn Finanzinstitute keine ausreichenden Eigenkapitalpuffer haben, um Schocks aufzufangen. Dabei greift der isolierte Blick auf einen Teilsektor des Finanzsystems zu kurz, um Risiken für die Finanzstabilität zu identifizieren. Es braucht einen makroprudenziellen, einen systemweiten, Blick auf das gesamte Finanzsystem. Sowohl große Banken, die Fehlanreizen ausgesetzt sind und zu hohe Risiken eingehen (too big to fail), als auch viele kleinere Banken, die gleichzeitig ähnlichen Risiken ausgesetzt sind (too many to fail), können das System in Schieflage bringen.

Das für die Finanzstabilität zuständige Gremium in Deutschland ist der Ausschuss für Finanzstabilität, der sich aus Vertretern des Bundesfinanzministeriums, das den Vorsitz inne hat, der Bundesbank und der BaFin zusammensetzt. Der Ausschuss hat im Juni 2018 seinen aktuellen Bericht an den Bundestag vorgelegt (Ausschuss für Finanzstabilität 2018).

Ausgangspunkt der Betrachtung von Stabilitätsrisiken in diesem Bericht ist das aktuell günstige wirtschaftliche Umfeld in Deutschland: Die deutsche Wirtschaft wächst bereits im neunten Jahr in Folge. Das ist der längste Aufschwung seit der Wiedervereinigung. Aktuellen Prognosen der Bundesbank zufolge hält die Hochkonjunktur weiter an. So soll das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2 Prozent und im kommenden um 1,9 Prozent steigen (Deutsche Bundesbank 2018).

Die gute wirtschaftliche Lage in Deutschland und Europa begünstigt ein steigendes Zinsniveau. Das heißt: Sollte sich die Wirtschaft so entwickeln wie erwartet, dürften Risiken für die Finanzstabilität begrenzt sein.

Aber ein widerstandsfähiges Finanzsystem sollte auch gegen negative Szenarien gewappnet sein: Wenn sich die wirtschaftliche Lage unerwartet verschlechtert, wenn die realwirtschaftliche Dynamik unerwartet nachlässt und die Zinsen noch länger niedrig – und nahe Null – bleiben, oder wenn die Risikoprämien an den Finanzmärkten schlagartig ansteigen, können unerwartete Risiken entstehen.

Je länger Boomphasen andauern, desto größer ist allerdings die Neigung, diese in die Zukunft fortzuschreiben. Investoren können auf der „Suche nach Rendite“ Risiken unterschätzen, zu positive Erwartungen über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung bilden, und zu schlecht auf mögliche Korrekturen der Vermögenspreise vorbereitet sein. Gerade angesichts der aktuell guten Lage besteht die Gefahr, dass die Marktteilnehmer nicht ausreichend mit Eigenkapital für künftige Verluste vorsorgen. Ein plötzlicher Konjunktureinbruch würde in einer solchen Situation viele Akteure unvorbereitet und damit umso stärker treffen.

Seit der Finanzkrise haben die deutschen Banken ihre Widerstandsfähigkeit verbessert und Eigenkapital aufgebaut. Im günstigen wirtschaftlichen Umfeld gleichen sich aber auch die Erwartungen der Marktteilnehmer an. Außerdem könnten Banken Szenarien mit hohen Verlusten ausblenden, etwa einen abrupten Zinsanstieg. In den letzten Jahren haben die Banken beispielsweise den Anteil neu vergebener Kredite mit langen Zinsbindungsfristen stark ausgeweitet. Viele Banken sind auf ähnliche Weise gegenüber einem solchen Szenario anfällig; die Zinsänderungsrisiken sind hoch. Zudem umfassen die Risikomodelle größerer, potenziell systemgefährdender Banken derzeit nur in begrenztem Umfang Krisenperioden mit konjunkturellen Abschwüngen und entsprechend höheren Kreditausfallraten. Analysen der Bundesbank legen nahe, dass bei diesen Banken Verluste aus einem Extremereignis – etwa einem unerwarteten Konjunktureinbruch – nicht ausreichend durch Eigenkapital abgedeckt sein könnten. Und schließlich könnte der Wert von Kreditsicherheiten bei der Finanzierung von Immobilien überschätzt werden. So könnten Kreditnehmer und -geber die Überbewertungen am Wohnimmobilienmarkt nicht ausreichend berücksichtigen, wenn sie die Beleihungswerte von Immobiliensicherheiten ermitteln. Wird der Wert von Kreditsicherheiten überschätzt, steigt das Risiko, dass es bei Darlehensausfällen zu Verlusten bei den Banken kommt.

Zudem wird die Einschätzung der Risikolage an den Immobilienmärkten nach wie vor erheblich dadurch erschwert, dass keine systematischen Daten vorliegen: Wie Immobilienkredite besichert werden, wie riskant Finanzierungsmodelle sind, und wie sich die Vergabestandards der deutschen Banken in der Breite entwickeln, lässt sich aus den verfügbaren amtlichen Statistiken nicht ablesen.

5. Fazit

Wettbewerb im Finanzsektor kann positive Auswirkungen auf die Effizienz haben. Gleichzeitig können Banken erhöhte Risiken eingehen und so die Stabilität des Systems gefährden. Die theoretische und empirische Literatur trifft keine klare Aussage, ob die Korrelation zwischen Wettbewerb und Finanzstabilität positiv oder negativ ist (Freixas und Ma 2014). Aktuelle Arbeiten deuten darauf hin, dass mehr Wettbewerb destabilisierend wirken kann und deshalb eine angemessene Regulierung erforderlich ist (Corbae und Levine 2018). Aus Sicht der Finanzstabilität sollte die Diskussion nicht als Plädoyer für weniger Wettbewerb missverstanden werden: Vielmehr geht es darum, die Ursachen systemischer Risiken zu identifizieren, die sich insbesondere im intensiven Wettbewerb deutlicher zeigen können.

Technologischer Wandel ist ein wichtiger Treiber von Wettbewerb und Stabilität. Es ist aus heutiger Sicht nicht klar, wie das technologisch veränderte Finanzsystem der Zukunft aussieht, noch ist es klar, ob darin FinTech und BigTech eine wichtige Rolle spielen. Im deutschen Finanzsystem dominieren bislang traditionelle Finanzintermediäre wie Banken, Versicherer und Investmentfonds. Wettbewerbsprozesse könnten aber disruptiv sein. Zudem führen die Finanzmarktreformen der vergangenen Jahre zu Verschiebungen in der Wettbewerbsstruktur. Banken, die bisher von (impliziten) staatlichen Garantien profitiert haben, dürften Marktanteile verlieren. Institute ohne nachhaltiges Geschäftsmodell müssen, wie jedes andere Unternehmen auch, letztlich aus dem Markt ausscheiden.

Umso wichtiger ist es, dass der Bankensektor insgesamt robust gegenüber negativen Entwicklungen ist. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass er ausreichend gut kapitalisiert ist: Mehr Eigenkapital bringt Wettbewerbsvorteile, denn es ermöglicht die Finanzierung von Investitionen und Innovationen, und es dient gleichzeitig als Schutz gegenüber Risiken. Aktuell geht es der deutschen Wirtschaft konjunkturell gut. Gerade in diesen guten Zeiten sollte sich das Finanzsystem wappnen, damit es in schlechten Zeiten, etwa einem künftigen Konjunkturabschwung, seine zentralen volkswirtschaftlichen Funktionen weiterhin wahrnehmen kann. Letztlich können ökonomische Modelle zukünftige globale Risiken, Konjunkturrisiken, technologische Änderungen und deren Auswirkungen auf den Finanzsektor nicht vollumfänglich abschätzen. Dieser Modellunsicherheit müssen wir bei der Beurteilung der Finanzstabilität Rechnung tragen.

Quellenverzeichnis

  • Atkeson, Andrew G, Adrien d'Avernas, Andrea L. Eisfeldt and Pierre-Olivier Weill (2018). Government Guarantees and the Valuation of American Banks. National Bureau of Economic Research, June 2018, Cambridge, MA.

  • Ausschuss für Finanzstabilität (2018). Fünfter Bericht an den Deutschen Bundestag zur Finanzstabilität in Deutschland. Juni 2018.

  • Bazot, Guillaume (2017). Financial Consumption and the Cost of Finance: Measuring Financial Efficiency in Europe (1950–2007). Journal of the European Economic Association 16(1): 123–160.

  • Borio, Claudio, Lombardi, Marco und Fabrizio Zampolli (2016). Fiscal Sustainability and the Financial Cycle. BIS Working Papers No 552, März 2016. Bank for International Settlements, Basel.

  • Buch, Claudia M., and Linda Goldberg (2017). Cross-Border Prudential Policy Spillovers: How Much? How Important? Evidence from the International Banking Research Network. International Journal of Central Banking 13(1): 505-558.

  • Bundesministerium der Finanzen (2012). Monatsbericht. April 2012.

  • Committee on the Global Financial System (CGFS) (2017). Structural changes in banking after the crisis. Bank for International Settlements. CGFS Paper 60. Basel.

  • Corbae, Dean und Ross Levine (2018). Competition, Stability, and Efficiency in Financial Markets. August 2018. Mimeo.

  • Deutsche Bundesbank (2016). Finanzstabilitätsbericht. November. Frankfurt.

  • Deutsche Bundesbank (2017). Finanzstabilitätsbericht. November. Frankfurt.

  • Deutsche Bundesbank (2018). Monatsbericht, Juni 2018. Frankfurt.

  • Financial Stability Board (FSB) (2017). Financial Stability Implications from FinTech. Basel.

  • Freixas, Xavier und Kebin Ma (2014). Banking Competition and Stability: The Role of Leverage. CEPR Discussion Papers No 10121, August 2014. Centre for Economic Policy Research, London.

  • Hellwig, Martin (1998). Banks, Markets, and the Allocation of Risks. Journal of Economic Theory 67: 299-326.

  • Hellwig, Martin (2018). Germany and the Financial Crises 2007-2017. Annual Macroprudential Conference, Juni 2018. Sveriges Riksbank, Stockholm.

  • Kaminsky, Graciela L. and Carmen M. Reinhart (1999). The Twin Crises: The Causes of Banking and Balance-Of-Payments Problems. American Economic Review, 89(3): 473-500.

  • Minto, Andrea, Moritz Voelkerling and Melanie Wulff (2017). Separating Apples From Oranges: Identifying Threats to Financial Stability Originating from FinTech. Capital Markets Law Journal, 12(4): 428-465.


Fußnoten:

  1. Entsprechende Untersuchungen für die deutschen Banken sind dadurch beschränkt, dass nur ein vergleichsweise kleiner Teil der deutschen Banken an den Aktienmärkten notiert ist.

  2. Für eine ausführliche Diskussion der strukturellen Anpassungen der Banken weltweit vgl. den Bericht des Committee for the Global Financial System (CGFS) der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ): https://www.bis.org/publ/cgfs60.htm

  3. Vgl. Buch und Goldberg (2017).

  4. Hierin enthalten sind Zentralbanken, Banken, Bausparkassen und Geldmarktfonds.

  5. Die folgenden Ausführungen beruhen auf dem Finanzstabilitätsbericht der Deutschen Bundesbank (Deutsche Bundesbank 2017). Sie basieren zudem auf den Ergebnissen einer Arbeitsgruppe des Financial Stability Board (FSB 2017).

  6. Nähere Informationen zu den G7 Fundamental Elements sind abrufbar unter: https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Themen/2016/2016_10_11_cybersicherheit.html

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