Strukturveränderungen an den Euro-Finanzmärkten vor dem Hintergrund der Finanzkrise – Wie sollte das Eurosystem zukünftig (re-)agieren? Rede beim AEFMA-Fachkongress

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine Damen und Herren,

So wie es war, wird es nie wieder sein. Das wissen wir alle. Und wie sie sein wird, die neue Normalität, das wissen nur die Propheten unter uns. Gleichwohl ist es an uns, den Wandel zum Besten mitzugestalten, und auf die unübersehbaren Entwicklungen an den Märkten einzugehen – auch und gerade mit der künftigen Geldpolitik.

Der derzeitige rapide und tiefgreifende Wandel in den Strukturen der Finanzmärkte hat viele verschiedene Ursachen. Im Fokus der öffentlichen Diskussion steht aber die Geldpolitik, genauer die außerordentlichen geldpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre. Der kommunikative Vorteil für manchen bei diesem Teildiskurs ist: Es gibt mit den Zentralbanken scheinbar eindeutig Schuldige. Aber so einfach ist die Sache natürlich nicht.  Als Zentralbanken haben wir teilweise das Regime auf den Märkten übernommen – und inzwischen vom Geldmarkt aus weit in die Kapitalmärkte hinein ausgeweitet – weil in der akuten Krise andere, insbesondere die politischen Akteure, nicht oder nicht hinreichend gehandelt haben. Die Maßnahmen der Zentralbanken waren nötig, um in der Krise das Schlimmste zu verhindern. Aber es kann nicht bei einer solchen interventionistischen Struktur bleiben. Wir müssen hin zu einer neuen Normalität im Finanzsystem. Dabei ergeben sich vielfältige Fragestellungen: Wie kommen wir aus der aktuellen Situation heraus und wie stellen wir uns die neue Normalität vor? Wann und wie schaffen wir den Umstieg?

Ich kann diese Fragen hier und heute natürlich nicht beantworten. Aber ich möchte den Vortrag nutzen, um Ihnen unsere Beobachtungen und Einschätzungen mitzuteilen. In der Bundesbank beobachten wir die Entwicklungen kritisch und unterziehen sie natürlich auch einer Bewertung, geldpolitisch wie ordnungspolitisch. Manche Entwicklungen auf den Finanzmärkten begrüßen wir, bei anderen sind wir skeptisch. Unsere Bewertung wird sich im einen oder anderen Punkt von der Ihren unterscheiden. Aber, wie der vielzitierte Satz des griechische Philosophen Heraklit lehrt: Der Gegensatz, die Kontroverse ist der Vater aller Dinge.   

2 Marktveränderungen durch die Finanzkrise

Und wenn wir gerade bei Heraklit sind: Bei ihm als einem der Väter abendländischen Denkens habe ich mir auch das Leitbild meines heutigen Vortrages entliehen: Panta rhei / cuncta fluunt – alles ist im Fluss.

Diese vielzitierte Phrase hat etwas von einer Allerweltsweisheit, dass nämlich alle Dinge einem Wandel unterliegen. Das bekannteste der "Fluss-Fragmente" Heraklits lautet: Du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Und warum nicht? Weil, wie Heraklit lehrte, der Fluss dann ein anderer geworden ist. Aber auch: Weil gleichzeitig der Mensch, der in den Fluss steigt, ein anderer geworden ist.

In diesem Sinne gilt: In den vergangenen Jahren haben sich die Finanzmärkte strukturell massiv geändert, aber auch ihre Akteure. Die Marktteilnehmer sind deutlich risikoaverser geworden. So haben deutsche Kreditinstitute als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise zum Beispiel ihre Auslandspositionen abgebaut. In der Krise sah sich das Eurosystem – EZB und die nationalen Zentralbanken des Euro-Raums – veranlasst, neben Leitzinssenkungen auch zu geldpolitischen Sondermaßnahmen zu greifen. Diese haben sowohl die Rolle und Bedeutung des Eurosystems verändert, als auch an den Finanzmärkten einen tiefgreifenden Wandel ausgelöst.

Lassen wir diese Maßnahmen Revue passieren: Vollzuteilungspolitik in Offenmarktgeschäften, zusätzliche und gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte, reduzierte Anforderungen an geldpolitische Sicherheiten, reduzierter Mindestreservesatz, Securities Markets Programme (SMP), Outright Monetary Transactions (OMT), und massive geldpolitische Ankäufe im expanded Asset Purchase Programme (APP) von Pfandbriefen (CBPP1-3), Staatsanleihen (PSPP), Unternehmensanleihen (CSPP) und Asset-Backed Securities (ABSPP). Die APP-Ankäufe beliefen sich Ende Februar auf 1.698 Mrd Euro. Und sie laufen noch bis mindestens Dezember 2017 weiter, bis Ende März mit monatlich 80 Mrd Euro, danach mit 60 Mrd Euro. Insgesamt wird das Eurosystem dann mindestens 2.300 Mrd Euro an Wertpapieren erworben haben. Um die Dimension dieser Ankäufe zu verdeutlichen, ist ein Vergleich mit der jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung interessant. Die APP-Ankäufe des gesamten Eurosystems werden rund 75 % des deutschen Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Das belief sich im Jahr 2016 auf 3.100 Mrd Euro. Das Eurosystem ist durch die genannten Sondermaßnahmen zum Groß-Intermediär und bedeutendsten Käufer an den Finanzmärkten geworden, und es ist inzwischen größter Halter von Euro-Staatsanleihen. An den emittierten Bundesanleihen hält das Eurosystem zum Beispiel bereits mehr als ein Fünftel.

Auch die Regulierer sahen sich gezwungen, auf die Finanzkrise zu reagieren. Ihre Regulierungsmaßnahmen haben die Widerstandsfähigkeit des Bankensektors erhöht. Sie haben aber auch das Verhalten der Marktteilnehmer verändert: Die Liquiditätsregulierung fördert gewisse Laufzeitbänder für Interbank-Geschäfte. Sie begünstigen High Quality Liquid Assets (HQLA).Die Leverage Ratio (LR) beschränkt in der Tendenz das Market-Making der Banken.

3 Marktveränderungen durch Digitalisierung

Diese drei strukturell tiefgreifenden Veränderungen – die gestiegene Risikoaversion, die expansive Geldpolitik und die verschärfte Regulierung – sind Reaktionen auf die Finanzkrise.

Hinzu gekommen ist der rapide technische Fortschritt im IT-Bereich: wir können  immer mehr Transaktionen immer schneller abwickeln. Das hat die Marktusancen verändert, vorhandene Infrastrukturen sind gewachsen, und neue entstanden. Im einheitlichen Zahlungsraum SEPA dürfen beleglose Kundenüberweisungen nicht länger als einen Tag Laufzeit beanspruchen. Ab November 2017 sollen Instant Payments möglich sein. Dieser beschleunigte Kundenzahlungsverkehr zwingt die Banken, Liquidität immer kurzfristiger zu disponieren. Hinzu kommt mit der Fortentwicklung von TARGET2 ein leistungsfähiges Großbetragszahlungssystem des Eurosystems, bei dem die Bundesbank auch die Mitbetreiberrolle innehat. Hier erlaubt ein Limitsystem ein genaues Liquiditätsmanagement.

Alle diese Entwicklungen gehen weiter. Sie gestalten die Finanzmärkte im Allgemeinen und bestimmen das Handeln der Zentralbanken im Speziellen. Es gilt, die Entwicklungen und ihre Wirkungen zu erfassen und im Blick behalten.

4 Der Geldmarkt vor und nach der Finanzkrise

Bis zur Finanzkrise wurde die Zentralbankliquidität zwischen den Banken grenzüberschreitend über den Interbankenmarkt verteilt. Das Eurosystem musste nur dafür sorgen, dass im Aggregat ausreichend Zentralbankliquidität zur Verfügung stand. Die Zentralbanken prognostizierten den Liquiditätsbedarf und teilten das Volumen per Zinstender zu. Die Überschussliquidität betrug damals in der Spitze wenige Milliarden Euro. Banken mit Liquiditätsüberschüssen gaben diesen über den Geldmarkt an Banken weiter, denen zu wenig Liquidität zugeteilt worden war oder die nicht an den Tenderoperationen teilgenommen hatten.

In der Krise stotterte diese Umverteilung über den Markt. Marktteilnehmer mieden zunehmend Risiken und zogen sich vom Geldmarkt zurück. Das Eurosystem sah sich gezwungen, die schwindende Funktionalität des Geldmarktes über faktisch unbegrenzte Liquiditätsbereitstellung zu kompensieren. Mit der Folge, dass im Verlauf der Krise das Eurosystem an den Geldmärkten die Rolle eines dominierenden Intermediärs übernahm.

Seit Oktober 2008 hat eine Vollzuteilungspolitik die bis dato begrenzten Zinstender mit Mindestbietungssatz ersetzt. Später ließen auch die Ankaufprogramme des Eurosystems die Überschussliquidität immer weiter steigen: statt der vor der Krise üblichen wenigen Milliarden wird sie im Verlauf der nächsten Woche erstmals 1.500 Mrd Euro übersteigen. Die Intermediation durch Vollzuteilung der Offenmarktgeschäfte hatte im Juni 2012 ihren Höhepunkt erreicht: Das ausstehende Refinanzierungsvolumen war auf 1.260 Mrd Euro gestiegen – vor allem wegen der Drei-Jahres-LTROs (1.000 Mrd Euro). Heute, im März 2017 und nach Zuteilung des letzten gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfts (TLTRO-II) in Höhe von 233 Mrd Euro, liegt die gesamte geldpolitische Refinanzierung noch bei rund 800 Mrd Euro.

Das hohe Zuteilungsvolumen von 233 Mrd Euro beim letzten TLTRO-II in dieser Woche ist aus meiner Sicht wenig überraschend. Es reflektiert die überaus günstigen Zinskonditionen für ein Refinanzierungsgeschäft mit einer Laufzeit von vier Jahren. Daher haben wohl auch 276 Geschäftspartner der Bundesbank, also Ihre Häuser, an diesem Tendergeschäft teilgenommen.  Dies kann auch als Unterstützung des Bankensektors gesehen werden, die sich bis zum Ende der Laufzeit im Jahr 2021 auszahlen wird.

Die Lage am verbliebenen Interbankenmarkt hat sich deutlich entspannt. Dennoch ist das Eurosystem nicht nur wichtiger Intermediär geblieben, sondern hat auch durch die hohe Überschussliquidität den Geldmarkthandel ersetzt. In Zahlen: der EONIA-Umsatz ist von täglich ca. 50 Mrd Euro im 1. Quartal 2008 auf nur noch ca. 9 Mrd Euro im ersten Quartal 2017 gesunken. Das ist ein Rückgang von über 80 %. Am Geldmarkt sind aber nicht nur die Handelsvolumina gesunken, auch seine Struktur hat sich verändert: Das Geschäft hat sich signifikant vom unbesicherten auf den besicherten Geldmarkt verlagert – auch das ist Ausdruck der gestiegenen Risikoaversion.

5 Die Geldmarktstrukturen im technischen Wandel

Möglich und beschleunigt wurde dieses Wachstum des besicherten Geldmarktes durch die rapide technische Entwicklung bei finanziellen Transaktionen, sowohl in Zentralbankgeld als auch in Wertpapieren.

Die technischen Dienstleistungen der Wertpapierabwickler im Euro-Raum halfen die Fragmentierung der Märkte zu überbrücken. Sie erleichterten die grenzüberschreitende Nutzung von Papieren. TARGET2-Securities (T2S) bringt als EU-weite Plattform weitere Fortschritte für die Wertpapierabwicklung: Banken können Wertpapiere auf einer einheitlichen Plattform halten und disponieren. Der Effizienzgewinn in der Abwicklung ist offensichtlich. Zudem bieten Zentralverwahrer Systeme an, über die Papiere (rechts-)sicher und schnell übertragen werden können. Hinzu kommen Triparty-Systeme: Papiere werden bei einem Triparty-Provider gehalten und können flexibel für verschiedene Zwecke eingesetzt werden, etwa um Zentralbankkredite zu besichern, oder via Zentrale Gegenpartei für Repo-Geschäfte genutzt werden. Auch Margins lassen sich darüber stellen.

6 Veränderungen am Kapitalmarkt

Soviel zu den Veränderungen in Gestalt und Infrastruktur des Geldmarktes. Doch auch an den Kapitalmärkten ist das Eurosystem zum dominanten Akteur geworden. Ursächlich dafür sind die geldpolitischen Ankaufprogramme – für gedeckte Bankschuldverschreibungen, für Asset-Backed Securities, und für Staats- und Unternehmensanleihen. Das Gesamtvolumen des APP belief sich Ende Februar 2017 auf 1.698 Mrd Euro. Das verteilte sich (Stand 28. Februar 2017) zu 82 % auf Staatsanleihen aus dem PSPP (1.394 Mrd Euro), zu 13 % auf gedeckte Schuldverschreibungen im CBPP3 (213 Mrd Euro), zu 4 % auf Unternehmensanleihen (67 Mrd Euro), sowie zu 1 % auf ABS aus dem ABSPP (23 Mrd Euro).

Seit Juni 2016 kauft das Eurosystem Unternehmensanleihen. Das unterstützt die Emission dieser Wertpapiere, verstärkt aber indirekt den allgemeinen Trend zur Disintermediaton bei den traditionellen Banken. 2016 betrug der Anteil von Schuldverschreibungen 16 % an der gesamten Finanzmittelaufnahme von nicht-finanziellen Unternehmen im Euro-Raum. 2008 lag dieser Wert noch bei 9 %. Im selben Zeitraum hat sich der Anteil von Bankkrediten von 60 % auf nunmehr 46 % reduziert. Im Vergleich etwa zu den USA finanzieren sich Europas Industrieunternehmen vorwiegend über Bankkredite. Für größere Unternehmen wird es nun attraktiver, sich statt über Banken direkt über die Kapitalmärkte zu finanzieren. Sie können einen breiteren Investorenkreis ansprechen, der seinerseits nicht durch regulatorische Mindestanforderungen gebunden ist.

Gegen eine stärkere Kapitalmarktfinanzierung ist grundsätzlich wenig einzuwenden: Eine breitere Finanzierungsbasis stärkt das Passivprofil realwirtschaftlicher Unternehmen. Und sie erleichtert wichtige Anschlussfinanzierungen, weil ja der Kreis der Investoren größer ist.

7 Der Einfluss der Regulatorik

Zugleich sind die regulatorische Anforderungen für das Bankgeschäft gestiegen. Sie spiegeln jetzt reales Risiko besser wider, stellen aber höhere Anforderungen an die Liquiditätsvorsorge. In diesem Umfeld steigt die Nachfrage nach High-Quality Liquid Assets (HQLA), darunter insbesondere Staatsanleihen.

Die aufsichtliche Mindestliquiditätsquote (LCR) soll durch HQLA sicherstellen, dass eine Bank eine 30-tägige Stressperiode mit entsprechenden Liquiditätsabflüssen aushält. Zugleich dienen HQLA aber auch im besicherten Geldmarkt als Sicherheiten. Das Eurosystem reduziert durch seine Ankäufe zwar nicht die HQLA der Banken, denn es stellt ja im Gegenzug Zentralbankliquidität bereit, die per se die höchsten Bonitäts- und Liquiditätsanforderungen erfüllt. Wenn sie aus Eigenbeständen verkaufen, tauschen die Banken allerdings bei ihren Aktiva Wertpapiere gegen Zentralbankeinlagen. Je nach verkauftem Asset – etwa bei Unternehmensanleihen, ABS oder Pfandbriefen – kann die verkaufende Bank ihre aufsichtlichen Quoten verbessern. Denn auf diese Assets wird – im Gegensatz zu Zentralbankliquidität – in der HQLA-Berechnung ein Haircut abgezogen. Außerdem entfällt mangels Ausfallrisiko bei Zentralbankliquidität eine Risikogewichtung in der Kapitalquotenberechnung.

Die wachsende Nachfrage nach High-Quality Liquid Assets zwingt die Banken zu einem besseren Sicherheiten-Management. Sie müssen die regulatorischen Kennziffern immer in Blick behalten, wenn sie Wertpapiertransaktionen und Geldmarktgeschäfte durchführen. Unter Umständen müssen sie daher auch Geschäfte eingehen, die unter Ertragsgesichtspunkten eher unattraktiv sind.

8 CCP und die Nachfrage nach HQLA

Die Neustrukturierung bei der Wertpapierabwicklung hilft den Banken, Papiere zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle verfügbar zu haben. Bis zur Krise wurde ein Großteil der Finanzmarktgeschäfte außerbörslich bilateral verrechnet. Seither haben Marktteilnehmer für ihre Geschäfte zunehmend zentrale Gegenparteien genutzt. So hat sich am besicherten Geldmarkt der Anteil des Over-The-Counter-Handels (OTC) zwischen 2009 und 2014 von ca. 50 % aller Transaktionen auf 25 % halbiert.

Mittlerweile unterstützen die Zentralen Gegenparteien die Marktteilnehmer bei ihrer Risikosteuerung. Die zentrale Geschäftsabwicklung über eine Central Counterparty (CCP) steigert für die Banken die Effizienz im Nachhandel. Das CCP-Geschäft konzentriert sich auf sehr wenige spezialisierte Gegenparteien. CCP gelten deshalb zu Recht als systemrelevant und unterliegen einer strengen Regulierung – mit der Folge, dass Geschäftspartner als Sicherheiten Wertpapiere oder Zentralbankliquidität hinterlegen müssen. Das bindet High-Quality Liquid Assets der Banken zusätzlich. 

Als die Banken noch bilateral handelten, musste jede Bank für jeden Handelspartner ein Limit festsetzen. Für jeden Handelspartner war eine Bonitätsprüfung durchzuführen. Und für alle Positionen mit den verschiedenen Geschäftspartnern war spezifische Risikovorsorge zu treffen. Fiel ein Geschäftspartner aus, wirkte sich das auf die gesamte Position des betroffenen Kontrahenten aus. Die Zwischenschaltung einer CCP vereinfacht die Risikodisposition: Jeder Geschäftspartner hat nur noch eine einzige, saldierte Position gegenüber der CCP. Bonitätseinschätzung, Limitierung oder technische Abwicklung übernimmt die CCP.

Im Zuge der Krise wurde mit der European Market Infrastructure Regulation (EMIR) eine Clearing-Pflicht für verschiedene Derivate-Transaktionen eingeführt. Die Regulatorik bevorzugt Geschäfte, die über CCPs gesettelt werden. CCPs sind dann besonders wirkungsvoll, wenn sie groß sind. Je mehr verschiedene und verschiedenartige Geschäfte saldiert werden können, umso weniger Sicherheiten sind zur Stellung von Margins nötig. Damit sie trotz dieser Größe Risikomanager bleiben und nicht zu Risikofaktoren werden, reguliert die EMIR sie sehr streng. Für ihre Geschäfte mit einer CCP muss eine Bank eine Reihe Sicherheiten mit Zweckbindungen stellen: Default Fund, Initial Margin, Variation Margins. Als Sicherheiten dienen HQLA – oder Cash. Erhält eine CCP Margins in Cash, kann sie die ihrerseits nur in HQLA anlegen.

Nun wirft der bevorstehende Brexit einige Fragen zum künftigen Clearing auf. Das Clearing ist ein wesentliches Element der Finanzmarktinfrastruktur. Es sollte deshalb nicht in der Masse außerhalb des eigenen Währungsraumes erfolgen. Wichtig bleibt ein verlässlicher Zugang zu Liquidität, um Risiken für die Währung vorzubeugen. Im Euro-Raum wäre es sicherlich wesentlich einfacher möglich, dies überzeugend auszugestalten und zuverlässig zu gewährleisten.

Ein ungehinderter Austausch von Finanzdienstleistungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU setzt die Übernahme von EU-Recht voraus, oder zumindest äquivalente Regelungen, auch beim Clearing. Ob europäische Banken Clearinggeschäfte weiterhin von London aus werden tätigen können, ist angesichts des von Premierministerin May angekündigten "Hard Brexit" und der komplexen Verhandlungslage alles andere als sicher.

9 Herausforderungen durch FinTech

Du steigst nie zweimal in denselben Fluss, auch weil der Fluss inzwischen anders durch die Landschaft geführt wird: Auch im Zahlungsverkehr verändert der technische Fortschritt die Marktstrukturen und das klassische Bankgeschäft. Hier sind es FinTech-Unternehmen, die juristisch zumeist als Nicht-Banken gelten. Mobiles Zahlen und Instant Payments machen den Zahlungsverkehr weniger kalkulierbar. Das zwingt die Banken, analog zum Sicherheitenmanagement ein dynamisches Liquiditätsmanagement aufzubauen.

FinTechs schalten sich zwischen Bank und Kunde. Künftig müssen Banken Dritten den Zugang zu Konten und Daten ihrer Kunden gewähren. Ein Nicht-Banken-Anbieter kann dann für einen Kunden mehrere seiner Konten disponieren und optimieren. Anbieter wie Paypal führen ihrerseits Kundenkonten, über die Zahlungen abgewickelt werden. Dann gelangt das Geld gar nicht mehr auf traditionelle Girokonten bei der Bank. Die Bedeutung der klassischen Bank im täglichen Kleinverkehr schwindet, obwohl sie für größere Zahlungen wahrscheinlich weiterhin genutzt werden wird.

Heute kontrollieren die Banken die Daten ihrer Kunden. Nach Inkrafttreten der Payment Services Directive 2 (PSD 2) werden in Europa vermutlich FinTechs mehr über die Bankkunden wissen als die Einzelbank, weil bei ihnen Daten der verschiedenen Konten zusammenlaufen. FinTechs können aus dieser Position, und unter Nutzung der genannten Transaktionsinnovationen, erfolgreiche neue Produkte entwickeln, von denen die Bank nur noch eine Kontobewegung registriert.

Hinzu kommen Instant Payments: Wenn Echtzeit-Zahlungen rund um die Uhr möglich sind, muss auch rund um die Uhr eine Verrechnung stattfinden. Dazu müssen Guthaben und Sicherheiten bereitstehen. Kritisch sind dabei die Wochenenden, für die ausreichende Puffer vorgesehen werden müssen.

Banken werden versuchen (müssen), ähnliche Angebote wie FinTechs zu entwickeln. Es ist zu vermuten, dass dies auch die Unternehmensstruktur im Bankensektor verändern wird. Das Verhältnis der Banken untereinander hat sich durch die Besicherung und durch die Beschleunigung der Wertpapierabwicklung bereits stark verändert.

10 Veränderungen der Teilnehmer am Geldmarkt

Auch am Geldmarkt verändern sich die Geschäftsmodelle und die Rollen der Marktteilnehmer; auch hier gewinnen Nicht-Banken an Gewicht zu Lasten der traditionellen Banken. Zusehends geben Banken wegen der steigenden Überschussliquidität Negativzinsen, die sie auf ihre Einlagen bei der Zentralbank zahlen, an große Kunden weiter, vor allem an Firmenkunden. Manche Bank tut das indirekt über steigende Kontoführungsgebühren, andere geben die Kosten direkt an ihre Kunden weiter. Bei großen Firmenkundeneinlagen liegen die Zinsen teilweise sogar noch unter dem Satz der Einlagefazilität von aktuell -0,40 %.

Industrieunternehmen ist es im Gegensatz zu Banken verwehrt, ihre Liquidität bei der Zentralbank unterzubringen. Statt bei den Banken eine Negativverzinsung hinnehmen zu müssen, die nicht unterhalb des Einlagesatzes liegt, versuchen sie ihrerseits, ihre Liquidität selbst kurzfristig und direkt über die etwas attraktiveren Geldmärkte zu verleihen. Sie werden hier von Geschäftspartnern zu Konkurrenten traditioneller Banken.

11 Bewertung der Strukturveränderungen

Wir sehen, die gesamte Flusslandschaft ist im Umbau, ebenso wie sich die Schwimmer, Taucher und das Wasser verändern. Wie sind diese Entwicklungen zu bewerten?

In der Krise haben wir erlebt, wie der besicherte Geldmarkt den unbesicherten ersetzte. Daraus wird deutlich, dass der besicherte Geldmarkt jetzt eine höhere Bedeutung für die Finanzmärkte insgesamt hat. Seine Funktionsfähigkeit und Effizienz ist deshalb heute und für künftige Schocks ein Resilienzfaktor. Gefährliche Kettenreaktionen, etwa wie wir sie bei Lehman Brothers erlebt haben, werden so etwas eingeschränkt. Die Tendenz zur Besicherung ist mithin positiv.

Die regulatorischen Initiativen  haben ihrerseits den Bankensektor gegen Schocks deutlich widerstandsfähiger gemacht, etwa durch höhere Kapitalanforderungen, die Liquiditätsregulierung oder die einheitliche Abwicklungsrichtlinie. Die Finanzkrise hatte Probleme im alten Regulierungsrahmenwerk aufgezeigt,  die Aufsicht hat diese weitgehend beseitigt,  etwa falsche Anreize in der Risikobewertung von Asset-Backed Securities (ABS). Die einheitliche Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Finanzinstituten (BRRD[1]) schafft durch eine feste Haftungskaskade Klarheit für Investoren. Sie soll vermeiden, dass zukünftig wieder Steuergeld für die Stabilisierung des Bankensystems eingesetzt wird. Das alles ist ebenfalls sehr positiv.

Aus meiner Sicht ist hier eine neuerliche Deregulierung zu vermeiden. Die Finanzmärkte haben sich ja bereits auf die gestiegenen bankaufsichtlichen Anforderungen eingestellt. Bankaufsichtliche Kosten sind weitestgehend eingepreist. Eine Abkehr vom erreichten Stand durch erneute Deregulierung, würde die internationalen Fortschritte der Regulierung wieder zunichtemachen. Um die Wirkungen der umfassenden Regulierungsmaßnahmen im Finanzsektor beurteilen zu können, wurde bei dem G20-Treffen in Baden-Baden in der vergangenen Woche vereinbart, diese strukturiert zu bewerten. Das bedeutet aber kein Zurückdrehen der Regulierung. Vielmehr wurden die bisherigen Regulierungsbemühungen in diesem Rahmen noch einmal bekräftigt.

Innovative Treiber wie FinTechs, effizientere Technologien und stärkerer Wettbewerb sind volkswirtschaftlich wohlfahrtssteigernd. Laufend schnellere und effizientere Wertpapier- wie Zahlungsverkehrstransaktionen, von Banken und von Nicht-Banken forciert, werden sich auch auf die Beziehungen zwischen den Akteuren auswirken: auf das Verhältnis zwischen Kunde und Bank sowie die Beziehungen der Banken untereinander.

Panta rhei: Darauf müssen wir uns alle einstellen.

12 Herausforderungen im Euro-Raum

Es ist offensichtlich: Die Euro-Finanzmärkte haben sich in der vergangenen Dekade nachhaltig verändert. Wie sollte das Eurosystem auf diese Veränderungen reagieren? Was kann das Eurosystem tun, um die Entwicklungen in eine Richtung zu beeinflussen, die effizienten Marktprozessen möglichst bald wieder mehr Raum geben?

Es gilt, die Strukturveränderungen an den Finanzmärkten zu beobachten, aktiv zu begleiten, und vor allem in der eigenen strategische Ausrichtung zu berücksichtigen.  Das ist entscheidend, wenn das New Normal geldpolitisch zu gestalten sein wird. Übergeordnetes Ziel sollte dabei sein, Rolle und Gewicht der Zentralbank an den Märkten auf dasjenige Maß zurückzufahren, das es braucht, damit es seine Aufgaben erfüllen kann. Marktkräfte dürfen nicht verdrängt werden, die Markteffizienz im Finanzsystem ist zu fördern. Je länger die Sondermaßnahmen des Eurosystems andauern, desto stärker verlieren die Marktakteure Marktkompetenz: Wissen und Erfahrung, Personal und Infrastrukturen.

Zur Erinnerung: Seit dem Ende der "alten Normalität" 2007/2008 sind nun rund zehn Jahre vergangen. Rund ein Viertel der damals aktiven Bank-Beschäftigten sind inzwischen in den Ruhestand gegangen. Ihr Wissen und ihre Erfahrungen haben sie mitgenommen. Wie agiert man in einem Umfeld ohne Liquiditätsüberschuss? Wie nimmt man an einem Zinstender teil? Wie baut man dann wieder nötige Infrastruktur auf und nutzt diese? Der jüngsten Personalgeneration in den Banken sind diese Dinge im Geschäftsleben noch nicht begegnet. Die Rückkehr zu effizienten Marktprozessen wird so immer schwerer.

Das Eurosystem sollte sich daher jetzt damit beschäftigen, auf welche Weise es sich aus seiner aktuellen marktdominierenden Rolle zurückziehen kann. Und dann sind auch Sie, die Finanzmarktakteure selbst gefordert. Sie müssen sich rechtzeitig auf ein geldpolitisches New Normal einstellen. Wenn das Eurosystem seine Marktdominanz zurückfährt, müssen Sie personell ebenso wie technisch darauf vorbereitet sein. Es wird Ihnen obliegen, den entstehenden Freiraum wieder mit Leben zu füllen.

Die Inflation ist im Euro-Raum wieder gestiegen, auf zuletzt 2,0 %. Auch die Konjunktur erholt sich. Deshalb diskutiert die Öffentlichkeit bereits über einen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann diese Woche erneut betont hat, lassen mit zunehmender Dauer die beabsichtigten Wirkungen der ultra-lockeren Geldpolitik nach. Die unerwünschten Nebenwirkungen werden dagegen immer sichtbarer.

Wann und wie der Ausstieg aus dieser Geldpolitik beginnt, das entscheidet der  EZB-Rat. Heute stellt sich deshalb die Frage, welche operativ-technischen Optionen das Eurosystem vorhält, wenn der EZB-Rat den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg für gekommen hält. Die gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte laufen bis 2021. Die Forward Guidance des EZB-Rates unterstellt heute, dass derzeit mit Zinserhöhungen frühestens nach Ende der geldpolitischen Nettoankäufe zu rechnen ist. Aber auch hier gilt: Alles ist im Fluss.

Angekaufte Wertpapiere werden zwar noch lange  – bis zu dreißig Jahre – in der Eurosystem-Bilanz bleiben. Trotzdem ist das Eurosystem jederzeit handlungsfähig: Auch Liquiditätsabsorptionen sind jederzeit möglich. Ganz grundsätzlich gilt: Eine operativ oder technisch zwingende Reihenfolge für die Rücknahme der diversen Maßnahmen gibt es a priori nicht. Denn die einzelnen Bausteine wirken ultra-expansiv in ihrer Kumulation. Bei dem Verzicht auf ein expansives Element fällt zunächst nur dessen singuläre Wirkung weg.

Einige EZB-Ratsmitglieder haben jüngst sogar offen gelassen, ob bei einem Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik zunächst die massiven Anleihekäufe beendet oder die Zinsen angehoben werden sollen, oder ob der EZB-Rat den Einlagezins nicht früher erhöhen könnte als den Hauptrefinanzierungssatz. Auch dies zeigt: Alles ist im Fluss.

Klar ist: Irgendwann wird der EZB-Rat seine Politik bei veränderten Gegebenheiten neu ausrichten. Dafür sind viele Szenarien und viele Varianten denkbar. Ich meine, dass wir darauf operativ bestmöglich vorbereitet sein müssen. Wir, in der Bundesbank und in den anderen nationalen Zentralbanken, müssen solche Entscheidungen dann schnell, effizient und glaubwürdig umsetzen können. Deshalb sollte man sich mit dieser Thematik vorausschauend beschäftigen und alternative Handlungsoptionen umfassend erarbeiten.

Es gilt, den weiterentwickelten Euro-Finanzmärkten sobald wie möglich wieder mehr Raum zu geben und sie damit nachhaltig zu stärken, auch im Wettbewerb mit anderen internationalen Finanzmärkten.

Fußnote:

  1. Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD)