Standortbestimmung: Zur Lage von Wirtschaft und Banken in Deutschland Rede mit anschließender Diskussion Verbandstag der Sparda-Banken

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

die vielen Mitwirkenden haben uns gut hineingenommen in das Thema „Renaissance und Transformation“. Ich werde in meiner Rede beide Aspekte beleuchten: Mit Blick auf die Banken die Renaissance insbesondere des Zinsgeschäfts, nach vielen Jahren des Niedrigzinses. Und mit Blick auf Wirtschaft und Gesellschaft die Transformationen, die zu meistern und zu gestalten sind – und hier spreche ich bewusst im Plural.

Ich beginne mit einer kurzen Standortbestimmung. Wo stehen wir aktuell? Wie steht es um das wirtschaftliche Umfeld?

2 Konjunktur und Preisentwicklung in Deutschland

Dass sich das konjunkturelle Bild für Deutschland eingetrübt hat, darüber wird viel geschrieben und gesprochen. Tatsächlich tritt die deutsche Wirtschaft gegenwärtig auf der Stelle. Nach einer technischen Rezession im vergangenen Winterhalbjahr stabilisierte sich die wirtschaftliche Entwicklung im zweiten Vierteljahr. Eine schwache Auslandsnachfrage lastete auf der Industrie, Chinas Konjunkturschwäche war hier ein wesentlicher Faktor. Und wegen der gestiegenen Finanzierungskosten entwickelte sich die Nachfrage nach Bauleistungen und Investitionsgütern nur verhalten. 

Aber es gab auch positive Aspekte: Die hohen Auftragspolster in Teilen der Industrie und in der Bauwirtschaft sowie nachlassende Lieferengpässe unterstützten die gesamtwirtschaftliche Produktion. Zudem fing sich der private Konsum, der noch im Winterhalbjahr deutlich zurückgegangen war. Die Löhne stiegen kräftig. Die Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurde dadurch trotz der derzeitigen Teuerung nicht weiter geschmälert. Und auch der Arbeitsmarkt zeigte sich weiter sehr robust. Zwar legte die Beschäftigung weniger stark zu, und die Arbeitslosigkeit stieg bis zur Jahresmitte moderat an. Aber noch immer gibt es auch relativ viele offene Stellen. Für das dritte Quartal gehen wir in der Bundesbank aktuell davon aus, dass die Wirtschaftsaktivität nochmals etwas zurückgeht. Und damit erwarten wir auch für das Gesamtjahr 2023 einen Rückgang im Nachkommabereich. 

Angesichts dieser Situation erscheint mir die Beschreibung Deutschlands als „kranker Mann“ übertrieben. Denn die aktuelle Wachstumsschwäche ist von Sonderfaktoren getrieben. Die verhaltene globale Konjunktur wirkt sich im exportstarken Deutschland überproportional stark aus. Der durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöste Umbau der Energieversorgung war in Deutschland besonders herausfordernd. Die Konsumausgaben des Staates gehen in Deutschland anders als in anderen Ländern des Euroraums im laufenden Jahr voraussichtlich stark zurück. Wenn wir bei diesen Sonderfaktoren das Gröbste hinter uns haben, sollte auch die Wachstumsschwäche nachlassen. Für das Jahr 2024 rechnen wir damit, dass die Wirtschaft wieder wächst.

Als Bundesbank schauen wir besonders auf die Entwicklung des Preisniveaus. Die Inflation bleibt trotz der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland hoch. Im August lag die europäisch harmonisierte Inflationsrate bei 6,4 Prozent. Das ist zwar deutlich weniger als die 11,6 Prozent beim Höhepunkt im Oktober 2022, aber weiterhin viel zu hoch und weit über dem 2-Prozent-Ziel des Eurosystems. Und auch für die kommenden zwei Jahre gehen wir in der Bundesbank für Deutschland von Werten deutlich oberhalb von 2 Prozent aus, nämlich von 3,1 Prozent im kommenden Jahr und immer noch 2,7 Prozent im Jahr 2025 gemäß unserer Prognose vom Juni. Wie hartnäckig die Teuerung hierzulande ist, zeigt ein Blick auf die Kerninflation, bei der Energie und Nahrungsmittel nicht berücksichtigt sind. Für 2023 haben wir im Juni einen Wert von 5,2 Prozent prognostiziert; damit wäre die Kerninflation sogar höher als im Vorjahr, als sie bei 3,9 Prozent lag. Erst für 2024 und 2025 rechnen wir mit einer merklich schwächeren Kerninflation.

3 Konjunktur, Preisentwicklung und Geldpolitik im Euroraum

Im Euroraum schlägt sich die Wirtschaft konjunkturell etwas besser als in Deutschland. In ihrer jüngsten Prognose gehen die EZB-Fachleute für das laufende Jahr von einem Wachstum in Höhe von + 0,7 Prozent aus. Damit haben sie ihre Prognose vom Juni gesenkt. Die Exportwirtschaft und auch der Dienstleistungssektor entwickeln sich etwas schwächer. Auf dem Arbeitsmarkt ist die Lage hingegen weiterhin gut. Damit einher geht ein kräftiger Anstieg der Löhne, weitaus stärker als in den Vorjahren; schließlich werden die Tarifabschlüsse auch an den vorherigen Reallohnverlusten gemessen. 

So ist die Preisdynamik weiter hoch. Die Inflationsrate geht auch im Euroraum nicht im gewünschten Tempo in Richtung 2 Prozent. Im August lag sie mit 5,2 Prozent nur leicht unter dem Juliwert von 5,3 Prozent. Bei der Kernrate sahen wir immerhin einen Rückgang von 5,5 Prozent im Juli auf 5,3 Prozent im August. Trotzdem liegt die Kerninflation nach wie vor hartnäckig hoch und dürfte nur allmählich sinken. Denn sie wird zunehmend durch binnenwirtschaftliche Faktoren getrieben. Die aktuelle EZB-Prognose aus der vergangenen Woche sieht die Kerninflation im Jahr 2025 bei 2,2 Prozent. 

Der EZB-Rat sieht sich also einem hartnäckigen Inflationsumfeld gegenüber. Er hat deshalb auch in seiner jüngsten Sitzung an seinem konsequenten geldpolitischen Kurs festgehalten und die Leitzinsen abermals erhöht. Seit Juli 2022 ist das der zehnte Zinsschritt in Folge. Der für die geldpolitische Ausrichtung entscheidende Zinssatz für die Einlagefazilität ist damit auf inzwischen 4 Prozent gestiegen. War es das jetzt mit den Leitzinsanstiegen? Haben wir die Hochebene erreicht? Das lässt sich noch nicht klar absehen. Noch immer ist die Inflationsrate zu hoch. Und noch immer zeigen die Prognosen nur einen langsamen Rückgang hin zum Zielwert von 2 Prozent. Die Leitzinsen werden ausreichend lange auf einem ausreichend hohen Niveau liegen müssen. Was das genau bedeutet, lässt sich jetzt noch nicht sagen: Das hängt von den Daten ab. Klar ist aber das Ziel: Dass die Inflationsrate möglichst bald auf 2 Prozent sinkt. Um der Inflation Herr zu werden, wird seit März dieses Jahres auch die Bilanz des Eurosystems reduziert. So werden im Ankaufprogramm APP seit Juli keine auslaufenden Anleihen mehr ersetzt. Mit dieser Beschlusslage wird sich die Bilanz des Eurosystems bis Sommer 2025 jeden Monat durchschnittlich um etwa 25 Milliarden Euro verkürzen. 

Bei all unseren geldpolitischen Maßnahmen geht es uns um unser Ziel: um Preisstabilität. Wir müssen verhindern, dass sich die hohe Inflationsrate verfestigt. Hierzu könnte es kommen, wenn Haushalte, Unternehmen und Tarifparteien mit dauerhaft erhöhten Inflationsraten rechnen. Und wenn sie deshalb ihr Verhalten daran ausrichten würden, zum Beispiel bei der Preissetzung oder bei den Lohnverhandlungen. Geriete die Geldpolitik hinter die Kurve, müsste sie die Zinsen schneller oder stärker erhöhen, um die Inflation wieder einzufangen. Das würde die Wirtschaft umso stärker belasten. Dieses Szenario möchte ich unbedingt vermeiden.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Die Geldpolitik bleibt weiter herausfordernd. Im EZB-Rat schauen wir insbesondere auf die Inflationsaussichten, die Dynamik der zugrundeliegenden Inflation und die Stärke der geldpolitischen Transmission. Bei der zuletzt genannten geldpolitischen Transmission spielen Sie, sehr geehrte Damen und Herren, eine wichtige Rolle. Denn in jeder Sparda-Bank werden Entscheidungen getroffen zum Zinssatz für Kredite und Einlagen. Im Folgenden werde ich daher auf die aktuelle Lage der Banken in Deutschland eingehen. 

4 Aktuelle Lage der Banken in Deutschland

Seit Juli 2022, als der EZB-Rat die Zinswende vollzog, hat sich das Umfeld für die Banken stark verändert. Zunächst einmal führte sie für die Institute zu einem deutlich verbesserten Zinsergebnis, und zwar sowohl bei den großen wie auch bei den kleineren Instituten. Denn die Kreditzinsen wurden schnell und stark angehoben. Gleichzeitig sehen wir bis heute bei sehr vielen Instituten eine Verzinsung der Sichteinlagen nahe null, so wie wir es in der zwölfjährigen Niedrigzinsphase gewöhnt waren. 

Es sind vor allem kleinere Kreditbanken, die die Zinsen auf täglich fällige Einlagen seit den ersten Leitzinserhöhungen im Juli 2022 angehoben haben. Sie geben heute knapp ein Drittel der seit Juli 2022 erfolgten Anstiege des Marktzinses weiter – teilweise sogar deutlich mehr. Angesichts der geringen Verzinsung kann es nicht überraschen, dass die Sichteinlagen insgesamt schrittweise zurückgehen. Letztlich normalisiert sich hierdurch die Portfoliostruktur. Denn Sichteinlagen wurden während des Niedrigzinsumfelds in einem Ausmaß gehalten, wie es dies in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gab. Bis 2010 überwogen hierzulande die Termineinlagen. Dann kehrte sich das Verhältnis um: Ende 2021 erreichte der Anteil der Sichteinlagen an den gesamten Einlagen von Banken einen Höchststand von knapp 70 Prozent. Und gerade für diese Sichteinlagen geben die Institute den Zinsanstieg erheblich langsamer weiter, als das aufgrund früherer Erfahrungen mit steigenden Zinsen zu erwarten wäre. 

Indem die Zinsweitergabe hier also langsamer als bisher üblich ablief, konnten die Institute ihre Ertragssituation stärken. Inzwischen aber zeigt sich ein zunehmender Wettbewerb um Einlagen. Der Markt tut seinen Dienst. Kunden können auf der Suche nach einer besseren Verzinsung ihrer Bank treu bleiben und von Sicht- in Termineinlagen umschichten. Oder aber sie wechseln zwischen Instituten. Und eines steht außer Frage: Je mehr Banken höhere Zinsen an ihre Kunden weitergeben, desto mehr geraten die anderen unter Zugzwang. So kommt die Zinswende inzwischen zunehmend auch bei den Sparerinnen und Sparern an – was spiegelbildlich die Ertragssituation der Banken unter Druck setzt. 

Diese wurde bereits im vergangenen Jahr durch die Entwicklung an den Kapitalmärkten belastet. Große wie kleine Institute mussten wegen des Zinsanstiegs und wegen Marktkorrekturen Abschreibungen auf ihre Wertpapierbestände vornehmen. Bei Sparkassen und Kreditgenossenschaften betrugen die Abschreibungen auf Wertpapiere im ersten Halbjahr 2022 rund 5,6 Prozent des harten Kernkapitals, bei den großen, systemrelevanten Banken waren es 3,7 Prozent. Im Ergebnis sind bei vielen Instituten die stillen Reserven aufgebraucht.[1] 

Im laufenden Jahr stehen nun aufgrund des eingetrübten konjunkturellen Umfelds die zunehmenden Kreditrisiken im Vordergrund. Kreditausfälle könnten zunehmen. Und die Zahl an Unternehmensinsolvenzen dürfte weiter steigen. Aktuell liegt sie allerdings noch unter dem Vor-Corona-Niveau. Zudem gehen die Kreditvolumina zurück. Die Kreditvergabe an nichtfinanzielle Unternehmen ist seit dem letzten Quartal des vergangenen Jahres schwach. Die Gründe hierfür liegen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Beispielsweise ist der Finanzierungsbedarf für gewerbliche Immobilien zurückgegangen. Leerstände und Preisrückgänge bei Gewerbeimmobilien wirken hier dämpfend. Auch bei den privaten Haushalten sehen wir ein stockendes Immobiliengeschäft. Angesichts konjunktureller Unsicherheit, hoher Inflation, der gestiegenen Finanzierungskosten und eingetrübten Aussichten auf dem Wohnimmobilienmarkt wurden Wohnungsbaukredite im letzten Quartal nur noch leicht aufgebaut. Das stockende Immobiliengeschäft dürfte kleinere Banken besonders treffen.

Die makroökonomischen Rahmenbedingungen führten gleichzeitig dazu, dass die Banken bei der Kreditvergabe im zweiten Quartal die Zügel weiter anzogen. Sie sehen verstärkt gestiegene Kreditrisiken und haben eine eher geringere Risikotoleranz. Nun lassen sich aus einem geringeren Geschäftsumfang schwieriger Erträge erwirtschaften. Insofern werden die Institute kreativ sein und margenstarke Positionen stärken müssen, um ihre Ertragssituation in der nahen Zukunft zu stabilisieren.

5 Bankenaufsicht

Wie wichtig es dabei ist, Geschäftsmodelle breit aufzustellen und sich aus verschiedenen Quellen zu refinanzieren, das zeigten die Bankenturbulenzen im März dieses Jahres. Die Federal Reserve Bank hat das Scheitern der Silicon Valley Bank (SVB) aufgearbeitet. In ihrem Bericht benennt sie sehr klar: Vorstand und Führungsebene der SVB haben versagt. Die Schieflage war auf ein mehrfach verwundbares Geschäftsmodell zurückzuführen: die Kundenbasis war stark konzentriert, gleichzeitig waren Verbindlichkeiten mehrheitlich nicht von der Einlagensicherung gedeckt. Dazu kamen schwerwiegende Defizite im Risikomanagement. Doch ebenso klar ist die Federal Reserve Bank in ihrer Selbstkritik – das ehrt sie aus meiner Sicht. Viele der Probleme der SVB, obwohl teils öffentlich bekannt, wurden von der Aufsicht nicht festgestellt. Der Aufsicht seien zwar Fehlentwicklungen im Risikomanagement und bei der Governance bekannt gewesen, gefehlt hätte es aber am entschlossenen Eingreifen und nicht zuletzt an den Eingriffsmöglichkeiten der Aufsicht. 

Ich begrüße, dass der Baseler Ausschuss die jüngsten Ereignisse im Bankensektor daraufhin analysiert, ob aufgrund der Erfahrungen regulatorische Rahmenbedingungen und deren Anwendungsbereich angepasst werden sollten. In jedem Fall sollten eventuelle Anpassungen international abgestimmt erfolgen. Dabei könnte es sinnvoll sein, sowohl Instrumente zur Krisenprävention als auch solche zur Krisenbewältigung zu analysieren. Aber schon heute kann der Bericht der Federal Reserve Bank die Aufsicht allerorten darin bestärken, die aufsichtlichen Instrumente frühzeitig und konsequent anzuwenden. Das ist im Interesse aller – auch der Banken.

Dabei gilt es, das ganze Spektrum der Risiken im Blick zu behalten: neben den von mir bereits genannten Zinsänderungs- und Kreditrisiken auch operationelle Risiken. Zunehmende Cyberangriffe und die steigende Abhängigkeit von IT-Diensten verlangen immer mehr Aufmerksamkeit im Sinne einer guten Krisenprävention. Aber auch im Fall des Falles müssen die Institute genau wissen, welche Maßnahmen nach einem Cyberangriff durchgeführt werden müssen. Als Aufsicht führen wir deshalb beispielsweise seit Jahren vermehrt Sonderprüfungen zu Cyber- und IT-Risiken durch. Damit beleuchten wir die entsprechende Belastbarkeit der Banken – sprich: die digitale operationelle Resilienz.

Ein ausgefeiltes Risikomanagement trägt dazu bei, dass Banken jederzeit wissen, wo sie stehen. So können Institute steigende Risiken und eventuelle Verluste rasch wahrnehmen und entsprechend handeln. Gleichzeitig wissen wir alle: Auch ein ausgefeiltes Risikomanagement kann mögliche Belastungen nicht vollständig verhindern. Daher ist es wichtig, dass die Institute über einen ausreichenden Kapitalpuffer verfügen, um auch im Krisenfall die Kreditvergabe aufrecht erhalten zu können. Deshalb hat die BaFin, mit der wir für die Beaufsichtigung der kleinen und mittelgroßen Banken hierzulande zuständig sind, in Abstimmung mit uns als Bundesbank den antizyklischen Kapitalpuffer im Februar 2023 erhöht. Eine spezifische Beurteilung der individuellen Zinsänderungsrisiken dieser Institute führte darüber hinaus dazu, dass zwei Drittel von ihnen zusätzliche Kapitalpuffer aufbauen mussten. Schließlich soll weiterhin gelten, was wir gegenwärtig für den deutschen Bankensektor feststellen: Er ist gut kapitalisiert und könnte Schocks auffangen. Daran haben die Regulierungsreformen in Folge der Finanzkrise einen großen Anteil. Bezogen auf die großen Institute war dies ein Ergebnis des jüngst veröffentlichten Stresstests von EBA und EZB. Selbst im besonders harten Krisenszenario einer globalen Rezession, die Deutschland besonders stark träfe, zeigten sich die deutschen Institute als robust.

Unabhängig von dieser aktuellen Beurteilung muss auf europäischer Ebene für den Fall der Fälle vorgesorgt werden, auch wenn es um kleinere Institute geht. Immerhin haben die vergangenen Jahre gezeigt: Bei Schieflagen kleinerer Banken wurde das Versprechen gegenüber den europäischen Steuerzahlern nicht immer eingehalten, keine Steuergelder mehr zur Stützung oder zur Rettung von Banken einzusetzen. Die Kommission hat Vorschläge vorgelegt, wie das EU-Rahmenwerk zum Krisenmanagement der Banken überarbeitet werden könnte. Als Bundesbank unterstützen wir das Ziel, den aktuellen europäischen Krisenmanagement-Rahmen für Banken zu stärken und zu verbessern. Ich hoffe, dass die Verhandlungen auf europäischer Ebene möglichst bald angeschlossen werden.

6 Herausforderungen

Insgesamt sind die Banken in Deutschland gut aufgestellt. Sie können ihren Beitrag dazu leisten, dass Deutschland die Herausforderungen meistert, die sich unserer Gesellschaft stellen. Dies gilt insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht: Die Energieversorgung zu sichern, Anpassungen an den Klimawandel und die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft bis zum Jahr 2045 – all das geht mit einem großen Finanzierungsbedarf einher.

Und Finanzierungsbedarf entsteht auch aus der dringend notwendigen Digitalisierung. Wir brauchen die Digitalisierung für Innovationen, für Effizienzgewinne und für das Produktivitätspotenzial unserer Wirtschaft. Die Digitalisierung ist ein entscheidender Baustein, um den Wohlstand in Deutschland zu sichern. Eigentlich sollte man denken, hierzulande würde jede und jeder diese Chancen der Digitalisierung sehen. Das scheint aber noch nicht der Fall zu sein: Gemäß einer Befragung zur Digitalisierung dachten nur 29 Prozent der Befragten an künftigen Wohlstand.[2] Dabei ist offenkundig, dass die Digitalsektoren eine große Bedeutung für den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt haben.[3]

In diesem Zusammenhang denke ich auch an digitales Zentralbankgeld, an den digitalen Euro. Unser Leben wird zunehmend digitaler, da ist es in meinen Augen nur schlüssig, dass auch die Zentralbank ein digitales Produkt anbietet. Deshalb arbeitet das Eurosystem mit Nachdruck an diesem Thema – so wie es inzwischen 93 Prozent aller Zentralbanken tun. Das stellte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in einer jüngst veröffentlichten Umfrage fest.[4] Ein digitaler Euro würde Bargeld ergänzen. Und er wäre für die Bürgerinnen und Bürger kostenlos verfügbar. Die Privatsphäre der Menschen wäre geschützt, die Souveränität Europas im digitalen Zahlungsverkehr gestützt. Denn ein digitaler Euro würde auf einer europäischen Infrastruktur aufbauen.

In der Finanzindustrie stößt ein solches Angebot zunehmend auf Zustimmung. Eine Umfrage des hiesigen Center for Financial Studies unter Fach- und Führungskräften dieses Sektors zeigt, dass die meisten Befragten die Einführung eines digitalen Euro für wünschenswert halten. Fast die Hälfte (45,9 Prozent) der Befragten äußerten sich entsprechend. 53 Prozent der Befragten meint, dass ein digitaler Euro nur über Kreditinstitute ausgegeben werden sollte. Lediglich 28 Prozent sprechen sich dafür aus, dass dies direkt über die EZB erfolgen sollte. Ein bemerkenswert hoher Anteil von 19 Prozent hat zu dieser Frage noch keine Meinung. Und mehr als ein Viertel von ihnen (etwa 26 Prozent) sieht die Gefahr einer wirtschaftlichen Schwächung des Euroraums, wenn der digitale Euro nicht kommen sollte.[5] 

Bei der Beurteilung eines digitalen Euro ist die Frage von besonderem Interesse, wer ihn ausgeben würde. Aus meiner Sicht spricht einiges dafür, an den bewährten Rollen von Zentralbank und Geschäftsbanken festzuhalten, dass nämlich die Banken und andere Zahlungsdienstleister der Kontaktpunkt für Bürgerinnen und Bürger sind, nicht die Zentralbank. In jedem Falle wird auch der Gesetzgeber eine wichtige Rolle spielen bei der Frage, ob ein digitaler Euro eingeführt wird. Ob aber bald in einer Vorbereitungsphase weiter am Projekt digitaler Euro gearbeitet werden soll, darüber wird der EZB-Rat in den nächsten Wochen entscheiden.

Neben der grünen und der digitalen Transformation ist die Neugestaltung der internationalen Lieferketten eine weitere große Herausforderung. Die Vorteile einer internationalen Arbeitsteilung sollten dabei nicht aufgegeben werden. Aber angesichts der offenkundig gewordenen Brüchigkeit der Lieferketten sollten sie robuster gestaltet werden. Stärkere Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern wie zum Beispiel Vietnam, Australien oder Grönland könnten uns von anderen Ländern wie China unabhängiger machen. Auch diese Neugestaltung geht mit einem Kapitalbedarf einher. Und hier kommen die Banken ebenfalls stärker ins Blickfeld. Denn hierzulande läuft die Fremdfinanzierung der kleineren Unternehmen größtenteils über die Banken. Dabei freue ich mich, dass der französische und der deutsche Finanzminister jüngst den Vorbereitungen für eine europäische Kapitalmarktunion neuen Schwung verliehen haben – ausdrücklich auch mit Blick auf die Finanzierung der grünen und der digitalen Transformation.[6]

Schließlich möchte ich den Arbeitskräftemangel angesichts der demografischen Entwicklung als weitere große Herausforderung für dieses Land nennen. Er ist in der Wirtschaft allerorten spürbar. Und nebenbei bemerkt: Auch wir in der Bundesbank spüren, dass es immer schwieriger wird, Nachwuchskräfte zu gewinnen. Der Arbeitskräftemangel wiegt schwer auf dem mittelfristigen Wirtschaftswachstum hierzulande. Er dämpft bereits in dieser Dekade das Potenzialwachstum. 

Viele Akteure müssen ihren Teil dazu beitragen, damit unserer Wirtschaft auch in den kommenden Jahren genügend geeignete Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Politik und Verwaltung könnten die Fachkräftezuwanderung vereinfachen, Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und Pflegebedürftige stärken und das gesetzliche Rentenalter angesichts der gestiegenen Lebenserwartung nachjustieren. Schulen und Ausbildungsstätten können ihren Teil dazu beitragen, dass weniger Menschen ohne Abschluss ihr Leben bestreiten müssen. Viele Maßnahmen sind dringend geboten – auch wenn sie die Wucht der demografischen Entwicklung nur werden abmildern können. So werden Arbeitgeber sich wohl stärker darauf einstellen müssen, dass der Arbeitsmarkt immer weniger ein Arbeitgebermarkt ist – die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben eine zunehmend stärkere Position. 

Ja, der Wandel muss zum Teil so grundlegend sein, dass es angemessen ist, von Transformationen zu sprechen – so wie Sie es für Ihre Veranstaltung vorgesehen haben. Transformationen laufen selten gradlinig. Denn sie sind mit Lernprozessen verbunden, mit Versuch und Irrtum. Je schneller wir uns darauf einlassen, umso eher kommen wir voran.
 

Fußnoten:

  1. Bundesbank-Vize: "Deutsche Bankenaufsicht gut gerüstet" - WDR 5 Profit aktuell - WDR 5 - Podcasts und Audios - Mediathek - WDR
  2. European Center for Digital Competitiveness (2023), Digitalreport 2023, S. 28.
  3. Deutsche Bundesbank (2023), Zur Bedeutung der Digitalisierung für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität, Monatsbericht März 2023.
  4. Kosse, A., I. Mattei (2023), Making headwayResults of the 2022 BIS survey on central bank digital currencies and crypto, BIS Papers No 136, July 2023, S. 1.
  5. Center for Financial Studies (2023), CFS-Umfrage zur Notwendigkeit eines „digitalen Euro“, 24.8.2023
  6. Le Maire, B. / Lindner, C. (2023), We must close the EU capital markets gap, in: Financial Times, 13.9.2023