Rede zum Amtswechsel in der Hauptverwaltung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Begrüßung
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich, Sie zur Amtswechselfeier der Hauptverwaltung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zu begrüßen. Ich tue das hier mit einem frischen „moin“ – so gut, wie mir das über meine badischen Lippen geht. Ganz besonders begrüße ich Dr. Sabine Sütterlin-Waack, Ministerin für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein. Herzlich willkommen, Frau Ministerin. Und ich begrüße herzlich Dr. Andreas Dressel, Senator der Freien und Hansestadt Hamburg und Präses der Finanzbehörde.
2 Arno Bäcker
Dank steht auch im Zentrum meiner heutigen Rede über Sie, lieber Herr Bäcker. Dank für 33 Jahre engagiertes, kenntnisreiches und profundes Wirken für die Deutsche Bundesbank, acht Jahre davon als Präsident dieser Hauptverwaltung. Sie sind ein Mensch, den komplexe Fragestellungen interessieren, und der es sich zur Aufgabe macht, für diese komplexen Fragen Antworten zu finden und umzusetzen. Damit waren Sie in der Bundesbank genau richtig! Sie haben in der Bank insbesondere an zentralen währungs- und geldpolitischen Weichenstellungen mitgewirkt. Als gelernter Bankkaufmann und vor allem als promovierter Volkswirt waren Sie hierfür bestens qualifiziert. So waren Sie vor der Einführung des Euro in die Vorarbeiten für die geldpolitische Strategie des Eurosystems eingebunden.
Neben der Freude an komplexen Themen brachten Sie zwei weitere wichtige Eigenschaften eines idealen Bundesbankers mit: Weltoffenheit und Zugänglichkeit. Weltoffenheit inhaliert man in dieser Stadt mit jeder Brise: Hamburg schmeckt nach Salz in der Luft und Freiheit im Herzen
, heißt es. Weltoffenheit brachten Sie in großem Maße mit, als Sie von der Bundesbank-Zentrale nach Hamburg kamen. Als Berater beim Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments waren sie in den 1990er Jahren in Brüssel, und ein zweites Mal in den 2000er Jahren als Sachverständiger bei der Europäischen Kommission. Dazwischen waren Sie in der Zentrale der Bundesbank in Frankfurt, aber auch in der Stadt auf den sieben Hügeln: Als Repräsentant und Finanzattaché haben sie die Bundesbank in Rom vertreten. Ihre Audienz beim Papst zusammen mit dem damaligen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer gehört vermutlich zum bunten Strauß Ihrer persönlichen Erinnerungen aus dieser Zeit. Vor allem aber bot Rom damals, im Umfeld der Einführung des Euro, viel Anschauungsmaterial für Zentralbanker, für an Wirtschaftspolitik Interessierte und für Freunde komplexer Fragestellungen. Besonders die Freude an Komplexität qualifizierte Sie später für Ihre Tätigkeit in unserem Europasekretariat, das Sie auch einige Jahre leiteten. Dort haben Sie die nicht immer gleichlaufenden Sichtweisen in unserem Haus umsichtig so zusammengeführt, dass der Bundesbankpräsident wichtige Beiträge zu den Debatten im Eurosystem leisten konnte.
Mit diesem weiten und internationalen Erfahrungshorizont kamen Sie hier in Hamburg bestens an. Und Sie haben die Arbeit der Hauptverwaltung geprägt: bei Veranstaltungen mit Vertreterinnen und Vertretern des Konsularischen Korps, die hier zumeist auch wichtige Repräsentanten der Wirtschaft sind, bei Veranstaltungen mit Studierenden der Universität Hamburg im Rahmen des Programms European Master in Law and Economics, bei Alumni-Veranstaltungen der Universitäten Oxford und Cambridge in Hamburg.
Um Antworten auf komplexe Fragestellungen ging es bei Veranstaltungen mit Kooperationspartnern wie dem Institut für Weltwirtschaft Kiel und dem Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut, bei Terminen mit Handelskammern und mit der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein sowie bei zahlreichen Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen zu geld- und stabilitätspolitischen Fragen zwischen Stettiner Haff und Flensburger Förde. Mit unübersehbarer Freude haben Sie erläutert, debattiert und Kontakte aufgebaut, gepflegt und vertieft!
Damit spreche ich bereits die dritte Eigenschaft eines idealen Bundesbankers an: die Zugänglichkeit. Lieber Herr Bäcker, als Präsident der Hauptverwaltung waren Sie auf vielfältige Weise zugänglich. Sie waren zugänglich nach außen, als wirtschaftlich ausgewiesener Gesprächspartner für die Menschen hier im Norden, insbesondere für diejenigen aus Politik und Wirtschaft. Sie zeigten sich besonders zugänglich für die Jugend, als Sie einen Schülerbeirat ins Leben riefen. In ihm werden, wie im „richtigen“ Beirat der Hauptverwaltung, aktuelle Zentralbankthemen präsentiert und diskutiert. So kann man junge Menschen für Zentralbankthemen interessieren, denen man selten in einem kurzen Social-Media-Post gerecht wird. Zugänglich waren Sie auch nach innen: Ihnen war wichtig, alle Beschäftigten an allen Standorten einzubeziehen, egal, ob sie in der Hauptverwaltung, in Filialen oder in ausgelagerten Fachstellen der Zentrale arbeiten. Wir sind eine Bundesbank – das wird hier gelebt. Schließlich waren Sie zugänglich für die Führungskräfte in der gesamten Hauptverwaltung, zum Beispiel bei der jährlichen Führungskräftekonferenz der Hauptverwaltung.
3 Komplexe Fragestellungen, Weltoffenheit, Zugänglichkeit
Die Faszination für komplexe Fragestellungen, Weltoffenheit und Zugänglichkeit – diese Kombination zeichnet nicht nur Arno Bäcker aus. Auch im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld ist diese Kombination nötig, um überzeugende und zukunftsfeste Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu finden.
Offenheit für komplexe Fragestellungen, das ist dieser Tage besonders in der internationalen Wirtschaftspolitik vonnöten. Die meisten Konfliktlinien sind vielschichtig. Vermeintlich einfache Lösungen entpuppen sich schnell als zu kurz gesprungen; sie sind nicht nachhaltig. Beispiel Globalisierung: In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die Welt nicht zuletzt dank der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung ein enormes Wachstum des globalen Einkommens erlebt. [1] Und dabei verringerten sich die großen Einkommensunterschiede zwischen den Volkswirtschaften. Insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländer erzielten beeindruckende Fortschritte. So hat sich das inflationsbereinigte Pro-Kopf-Einkommen in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zwischen 1995 und 2023 fast verdreifacht, weltweit lag der Zuwachs bei 65 Prozent. Aber nicht alle Menschen haben profitiert. Das gilt sowohl für die Schwellenländer als auch für die entwickelten Volkswirtschaften. Beeinträchtigt sind insbesondere geringer qualifizierte Menschen, deren Arbeitsplatz beispielsweise aufgrund günstigerer Importprodukte bedroht ist. Damit diese Menschen einen neuen Arbeitsplatz in einem wachsenden Wirtschaftssektor finden, bedarf es geeigneter politischer Maßnahmen. Mit solcher Hilfe können gesamtwirtschaftliche Veränderungsprozesse von den einzelnen Menschen mitgegangen werden.
Auf die Wohlstands-mehrenden Wirkungen der Globalisierung sollten wir jedoch nicht verzichten. Wie sollte sie dann künftig gestaltet werden? Sind Zölle ein guter Weg, um die Nachteile der Globalisierung aus Sicht eines Landes zu begrenzen und von den Vorteilen des Handels bestmöglich zu profitieren? Grundsätzlich nein, mit Zollerhöhungen machen wir Konsum teurer und fachen die Inflation an. Das macht uns alle ärmer.
Weltoffen zu sein ist dabei eine ganz wesentliche Haltung, die uns hilft, die Realität wahrzunehmen und vorurteilsfrei anzunehmen. Aus ökonomischer Sicht heißt das unter anderem, alles Nötige in die Wege zu leiten, damit wir in Deutschland in den nächsten 20 Jahren klimaneutral werden. Denn wer mit offenen Augen auf die Welt schaut, sieht den Ernst des Klimawandels. Weltoffen sein heißt auch, den demografischen Wandel in Deutschland zur Kenntnis zu nehmen: Wir werden weniger. Uns fehlen Arbeitskräfte, auch und gerade qualifizierte und hochqualifizierte mit ihren Talenten, neuen Ideen und ihrem Elan. Indem wir uns öffnen, bereichern wir uns und helfen, unseren Wohlstand aufrecht zu halten. Und weltoffen sein heißt schließlich, die atemberaubenden Fortschritte durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz zur Kenntnis zu nehmen. In Estland haben 99 Prozent der Menschen seit 2001 eine elektronische Identität, die Verwaltung ist dort digital, vernetzt und nutzerfreundlich. Wir im föderalen Deutschland arbeiten diesbezüglich an der sogenannten Registermodernisierung, damit öffentliche Verwaltungsleistungen schnell, einfach und digital erledigt werden können.[2] Das ist ein elementarer Schritt auf dem Weg zur dringend nötigen Digitalrepublik Deutschland.
Das dritte Element der Kombination wünschenswerter Eigenschaften – Zugänglichkeit – verbinde ich mit dem Willen und der Bereitschaft, sich abzustimmen, Kompromisse zu suchen, sich an internationale Regeln und Normen zu halten. Diese Bereitschaft benötigen wir in der Politik in Deutschland, wir benötigen sie zwischen Politik und Wirtschaft, und wir benötigen sie auch im globalen Spiel der Kräfte. Es erscheint mir nicht ganz unpassend, am Vorabend einer wichtigen Wahl auf die Bereitschaft zu setzen, offen aufeinander zuzugehen. Denn die ist nötig, damit die komplexen Herausforderungen unserer Zeit gemeistert werden – im weltweiten Interesse, im europäischen Interesse, im deutschen Interesse und für den Norden hier, für die Region der Hauptverwaltung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.
4 Schluss
Ich bin sicher, lieber Herr Bäcker, dass Sie diese Themen weiter mit viel Sachverstand und Empathie verfolgen und diskutieren werden. Künftig wird dies für Sie zur Kür gehören. Und nicht mehr zur täglichen, zumeist wohl sehr gern erfüllten Pflicht. In Ihren 33 Dienstjahren bei der Deutschen Bundesbank haben Sie die stabilitätspolitische Linie der Bundesbank im In- und Ausland kenntnisreich und diplomatisch vertreten. Dafür und für Ihren großen, unermüdlichen Einsatz danke ich Ihnen ganz herzlich – auch im Namen des gesamten, seit wenigen Tagen wieder vollständigen Vorstands. Für die bevorstehende große Umstellung wünsche ich Ihnen alles Gute.
Ihrem Nachfolger, Uwe Nebgen, übergeben Sie ein wohlbestelltes Haus. Unter seiner Leitung dürfen Sie alle, meine Damen und Herren, weiter mit einer weltoffenen und gleichzeitig regional verwurzelten Hauptverwaltung der Bundesbank rechnen. Auch Herr Nebgen hat einen weiten internationalen Horizont, und er hat zudem seine Wurzeln hier in der Region. Gebürtig ist er aus Schleswig-Holstein. In Hamburg hat er eine kaufmännische Ausbildung absolviert und studiert – vielleicht stammt aus dieser Zeit seine Sympathie für den FC St. Pauli. Hier ist er vor 34 Jahren in die Deutsche Bundesbank eingetreten. Er hat in der damaligen hiesigen Landeszentralbank das Referendariat durchlaufen – und ist dann auf Wanderschaft gegangen. Er war in der Bundesbank-Zentrale in Frankfurt in den Zentralbereichen Volkswirtschaft, Internationales und Finanzstabilität tätig, unter anderem zu Immobilienmärkten. Er hat in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU in Brüssel gearbeitet. Und zwischen 2006 und 2010 sowie seit 2019 hat er in Tokio gewirkt, als Leiter der dortigen Repräsentanz der Bundesbank. Wir kennen uns bereits einige Jahre. Ich bin sicher, lieber Uwe: Mit diesem breiten Erfahrungsschatz wirst Du die hiesige Hauptverwaltung kenntnisreich, besonnen und lösungsorientiert führen – in der bekanntermaßen schönsten Stadt der Welt
. Für Dein neues Amt wünsche ich Dir gutes Gelingen.
Fußnoten: