Rede bei der Amtswechselfeier an der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Meine sehr verehrten Damen und Herren, 

herzlich willkommen zu dieser Amtswechselfeier in der Hauptverwaltung der Bundesbank in Sachsen und Thüringen! Schön, dass Sie so zahlreich gekommen sind. Ich nehme das als Zeichen, dass die Arbeit der Bundesbank und insbesondere von Hubert Temmeyer in den Freistaaten Sachsen und Thüringen sehr geschätzt wird. Besonders begrüße ich die Finanzministerin des Freistaates Thüringen, Heike Taubert, sowie Hartmut Vorjohann, Staatsminister der Finanzen des Freistaates Sachsen. Sie beide werden gleich sprechen; herzlichen Dank dafür!

Danken möchte ich auch dem jungen Saxophonquartett der Musikschule Leipzig, das für diese Amtswechselfeier in der Musikstadt Leipzig den Auftakt gegeben hat. Manche von denjenigen, die hier im Alter von Herrn Temmeyer oder auch mir sind, hatten bei der Melodie wohl nicht nur Glenn Miller im Ohr, sondern auch Udo Lindenberg und seinen „Sonderzug nach Pankow“. Ganz gleich, ob ihre Wurzeln im Osten oder im Westen Deutschlands liegen. Mit den vier Saxophonen haben wir gerade eines erlebt, nämlich, dass gemeinsam Großes entstehen kann. Das haben wir auch im europäischen Kontext erfahren.

Es stimmt. Das vereinigte Europa ist zunächst und vor allem ein Friedensprojekt gewesen. Und das ist es auch weiterhin. In den vergangenen beiden Jahren hat diese Friedensmission eine zuvor nicht mehr für möglich gehaltene neue Bedeutung gewonnen. Das vereinigte Europa ist aber auch ein Wohlstandsbooster. Dem europäischen Binnenmarkt gehören inzwischen 31 Länder an. Und tatsächlich haben sich diese Länder zusammen wirtschaftlich sicher viel besser entwickelt, als sie es allein für sich getan hätten. Dies ist den Fachleuten landauf landab geläufig. Und ich weise hierauf immer wieder hin, denn ich glaube, dass wir uns immer wieder bewusstmachen müssen, was wir an Europa haben. So hat der Binnenmarkt für sich genommen die Wirtschaftsleistung in der EU um etwa 3 bis 5 ½ Prozent gesteigert, seit er 1993 geschaffen wurde.[1] Das legen Untersuchungen nahe. Der Brexit, der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU, hat demgegenüber die Wirtschaftsleistung des Landes bislang um 6 Prozent geschmälert, so eine in diesem Jahr vorgelegte britische Studie.[2]

Im Vorfeld der Europawahl hätten die Vorzüge des vereinten Europas aus meiner Sicht noch deutlicher werden können. Erfreulicherweise hat eine Gruppe von Unternehmen auf die Bedeutung der europäischen Integration für Wohlstand, Wachstum und Arbeitsplätze hingewiesen und ein Zeichen für Vielfalt, Offenheit und Toleranz gesetzt. Und auch ich werbe immer wieder für diese Sicht.

Nun geht es darum, die europäische Fahne hochzuhalten und weiter für ein europäisches Miteinander einzutreten.

2 Dr. Hubert Temmeyer

Von der Offenheit und den Vorteilen der internationalen Zusammenarbeit nun zu Ihnen, lieber Herr Temmeyer. Und dies ist nur ein kleiner Schritt. Denn in internationalen Zusammenhängen zu denken und sie zu gestalten, das hat in Ihrem Berufsleben eine große Rolle gespielt. Sie stehen geradezu exemplarisch für das Arbeiten im internationalen Kontext. Aber lassen Sie mich vorn anfangen.

Aus Osnabrück stammend studierten Sie in Siegen Volkswirtschaftslehre und zogen dann weiter in den hohen Norden, um an der Universität zu Kiel wissenschaftlich zu arbeiten und zu promovieren. Nach gut zwei Jahren im Bundesministerium für Wirtschaft traten Sie vor knapp 33 Jahren in die Bundesbank ein, und zwar in die damalige Hauptabteilung „Internationale Beziehungen“. An deren Fragestellungen sollten Sie die folgenden 25 Jahre lang arbeiten, davon insgesamt 17 Jahre in Frankfurt in unserer Zentrale. Zuletzt hatten Sie die stellvertretende Leitung der Abteilung Internationale Währungsordnung inne. Drei Jahre waren Sie in Paris, waren entsandt zur OECD.

Die fünf beruflichen Jahre, die für Sie vermutlich besonders herausgehoben waren, verbrachten Sie ab 2011 in Washington beim Internationalen Währungsfonds, beim IWF, als deutscher Exekutivdirektor. Dort, aber auch schon zuvor in Frankfurt, waren Sie stark beschäftigt mit der großen Quoten- und Governance-Reform des IWF. Im Dezember 2010 war diese in den IWF-Gremien beschlossen worden, also kurz bevor Sie Exekutivdirektor wurden. In Kraft trat sie aber erst Anfang 2016. So lange brauchte es, bis die erforderliche Mehrheit von Ländern einschließlich der Vereinigten Staaten die Änderung des IWF-Abkommens und ihrer eigenen Quoten ratifiziert hatten. Es war ein zähes Ringen, was niemanden verwundern dürfte – es ging schließlich um Einfluss in der Welt. Vergleichbares merken wir auch gegenwärtig. Und nicht nur bei der Diskussion über die IWF-Governance. Ein weiteres großes Thema während Ihrer Zeit beim IWF war die Staatsschuldenkrise im Euro-Raum. Es ging darum, in der akuten Krise das Schlimmste zu verhindern. Der IWF leistete hier einen wichtigen Beitrag. Und Sie waren mit Ihrem großen ökonomischen Sachverstand und Ihrem besonderen Geschick bei der diskreten Gesprächsführung hieran beteiligt. Sie brachten die Sichtweisen der Bundesbank ein und waren ein wirkungsvoller Fürsprecher für Stabilität.

Als Fürsprecher für Stabilität und als beschlagener Ökonom waren Sie auch hier in Sachsen und Thüringen sehr geschätzt und gefragt. Acht Jahre lang haben Sie als Präsident die hiesige Hauptverwaltung der Bundesbank geleitet und die Bundesbank in der Region repräsentiert. Zu Ihren Hauptanliegen gehörte, Wissen über die häufig nicht ganz einfachen Zentralbankthemen zu vermitteln und damit Verständnis für aktuelle Entwicklungen zu schaffen. Aus Ihrer Sicht waren das Forum Bundesbank und die Bankenabende besonders geeignete Formate, um sich mit der breiten Öffentlichkeit und den Fachleuten aus Wirtschaft und Finanzwelt auszutauschen. Insgesamt 90 dieser Veranstaltungen fanden während Ihrer Amtszeit statt mit Vorträgen unserer qualifizierten Bundesbank-Beschäftigten in Leipzig, Dresden, Erfurt und Chemnitz. Sie leiteten die Debatten versiert und für alle gewinnbringend. Und ab und an waren Sie selbst der kenntnisreiche Referent. Diese Angebote waren und sind sehr beliebt und stark besucht. 

Das Thema „digitaler Euro“ stößt dabei auf besonders großes Interesse. Das freut mich persönlich. Denn das Projekt digitaler Euro ist in den kommenden Jahren das zentrale strategische Projekt der Bundesbank und des Eurosystems. Der digitale Euro würde den Menschen viele Vorteile bringen. Lassen Sie mich an dieser Stelle nur drei nennen. Er wäre erstmals ein europäisches digitales Zahlungsmittel, das im ganzen Euroraum genutzt werden könnte. Er würde die Privatsphäre der Zahlenden stärker schützen, als wir dies bei anderen digitalen Zahlungsmitteln bisher kennen. Dies ist umso wichtiger, als in Umfragen zum digitalen Euro der Schutz der Privatsphäre als zentrales Anliegen der Menschen auftaucht. Und er würde den digitalen Zahlungsverkehr im Euroraum von ausländischen Zahlungsdienstleistern unabhängig machen. Sie, lieber Herr Temmeyer, haben bei Ihren Veranstaltungen auch immer wieder betont, dass der digitale Euro Bargeld sinnvoll ergänzen und es nicht ersetzen soll. 

Auch in Zukunft wird die Bundesbank entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag dafür sorgen, dass Bargeld jederzeit und überall zuverlässig und effizient bereitsteht. Mit unserem Filialnetz setzen wir hier wichtige Rahmenbedingungen für unsere Geschäftspartner, wie Kreditinstitute, Handel oder Wertdienstleister. Allerdings müssen wir auch die in den vergangenen Jahren rückläufige Nutzung von Bargeld durch die Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen. Die Bundesbank erarbeitet zurzeit ein zukunftsfähiges Filialkonzeptmit dem die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen gewährleistet bleibt. Gleichzeitig sollen die Wirtschaftlichkeit und die Nachhaltigkeit verbessert werden. Die neue Filialstrategie zu vermitteln, wird eine wichtige Aufgabe der Präsidentinnen und Präsidenten der Hauptverwaltungen sein. 

Sich mit den Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, war Ihnen, lieber Herr Temmeyer, immer ein großes Anliegen. Kein Thema, das Ihre Kolleginnen und Kollegen besonders beschäftigte, nahmen Sie auf die leichte Schulter. Sie hatten stets ein offenes Ohr – im Dienst und jenseits des Dienstes. Beispielsweise beim Leipziger Firmenlauf, an dem Sie gern und in beeindruckend guter Verfassung teilnahmen. Sie nahmen sich stets der Themen an, die die Beschäftigten Ihrer Hauptverwaltung und Ihrer Filialen umtrieben. Ich weiß, dass Ihnen dies hier hoch angerechnet wird.

3 Konjunktur, Inflation und Geldpolitik

Meine Damen und Herren,

wenn der Bundesbankpräsident kommt, dann sollte er sicher auch über die wirtschaftliche Lage sprechen. Diese Erwartung erfülle ich gerne. Im Schlussquartal 2023 war die deutsche Wirtschaft noch geschrumpft, im ersten Quartal wuchs sie um 0,2 Prozent. Insbesondere der Bau, aber auch die Industrie und die Dienstleister legten im ersten Vierteljahr 2024 zu. Eine breit angelegte, nachhaltige Erholung der Industrie zeigte sich bislang aber noch nicht. Die Nachfrage aus dem Aus- und dem Inland blieb bisher schwach. Die verstärkte Aktivität im Bau geht wohl vor allem auf eine günstige Witterung zurück. Gestiegene Finanzierungskosten und erhöhte Unsicherheit dämpfen die Investitionen. Und Verbraucherinnen und Verbraucher konsumieren bislang nur zögerlich – im ersten Quartal gingen die privaten Konsumausgaben zurück. Gleichzeitig gibt es auch ermutigende Signale. Niedrigere Inflationsraten und kräftige Lohnzuwächse bei nach wie vor robustem Arbeitsmarkt könnten die privaten Haushalte zu mehr Konsum anregen. Und die Geschäftserwartungen der Unternehmen haben sich zuletzt deutlich verbessert. Insgesamt dürfte die Konjunktur allmählich etwas Fahrt aufnehmen. Für 2024 rechnen wir aktuell mit einem leichten Wachstum von 0,3 Prozent. 

Die Wirtschaft im Euroraum entwickelt sich besser als in Deutschland, aber es wirken dieselben Einflüsse. So erwarten die Fachleute des Eurosystems auch für den Euroraum, dass die Erholung sich vor allem über den privaten Verbrauch vollzieht. Der Arbeitsmarkt ist auch hier bemerkenswert robust: Die Arbeitslosenquote liegt im Euroraum auf einem Allzeittief.

Aus geldpolitischer Sicht ist bei alledem wichtig, dass die noch immer zu hohe Inflation auf ihren Zielwert von 2 Prozent zurückgeht. Im Mai lag die Inflationsrate im Euroraum gemäß Schnellschätzung bei 2,6 Prozent. Das ist etwas höher als im April, aber deutlich niedriger als im Herbst 2022. Damals betrug die Inflation im Euroraum noch etwa 11 Prozent. Allerdings ist die Rückkehr zum Zielwert von 2 Prozent kein Selbstläufer. So legten die Dienstleistungspreise im Mai gegenüber dem Vorjahresmonat laut Schnellschätzung um 4,1 Prozent zu. Hier schlagen sich besonders die überdurchschnittlichen Lohnsteigerungen nieder. Diese sollen aus Sicht der Gewerkschaften zum Teil den Reallohnverlust während der vergangenen drei Jahre ausgleichen.

Die in der letzten Woche vorgelegte Prognose des Eurosystem-Stabs sieht die Gesamtinflation für den Euroraum im laufenden Jahr bei 2,5 Prozent und damit um 0,2 Prozentpunkte höher, als dies noch für die März-Projektion galt. Insgesamt aber sollte die Inflation in der Tendenz allmählich weiter in Richtung unseres Zwei-Prozent-Ziels sinken und gegen Ende des Jahres 2025 die zwei Prozent erreichen, so die aktuelle Prognose.

Angesichts des von mir hier nur knapp skizzierten Gesamtbildes hat der EZB-Rat die Leitzinsen am vergangenen Donnerstag gesenkt. Beginnend im Juli 2022 hatte er sie zuvor zehn Mal in Folge angehoben. Ab September 2023 dann neun Monate lang auf diesem hohen Niveau belassen. Und nun hat er den für die geldpolitische Ausrichtung derzeit maßgeblichen Zinssatz für die Einlagefazilität von 4 Prozent auf 3,75 Prozent gesenkt. Und wie geht es weiter mit den Leitzinsen? Eines steht für mich außer Frage: Wir müssen vorsichtig bleiben. Denn die Unsicherheit über die künftige Wirtschafts- und Preisentwicklung ist nach wie vor groß. Bildlich gesprochen: Ich sehe uns nicht auf einem Berggipfel, von dem es zwangsläufig nach unten geht.  Ich sehe uns eher auf einem Bergrücken, an dem wir den richtigen Punkt für den weiteren Abstieg noch finden müssen. Folglich hat der EZB-Rat in der letzten Woche erneut betont, datenabhängig und von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden.

4 Unternehmensdynamik und Produktivität

Meine Damen und Herren, in den beiden vergangenen Jahren spielte die hohe Inflation eine große Rolle bei der Frage, wie die wirtschaftliche Situation Deutschlands zu beurteilen sei. Inzwischen ist es wieder eher der mittel- bis längerfristige Ausblick, der die Debatten prägt. Von einem nötigen Ruck ist die Rede, denn um unseren Wohlstand zu sichern, müssten die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft verbessert werden. Die aktuelle Schwäche beunruhigt vor allem deshalb viele, weil unser Land, die deutsche Volkswirtschaft, vor großen längerfristigen Herausforderungen steht. Allen voran nenne ich die notwendige Dekarbonisierung der Wirtschaft und die Alterung unserer Gesellschaft. Beides geht mit erheblichen Belastungen einher. Und hinzu kommen geopolitische Spannungen, deren Entwicklung schwer einzuschätzen ist, die aber erhebliche Risiken bergen.

Umso wichtiger wäre ein solides Wachstum. Es müsste insbesondere über ein kräftiges Produktivitätswachstum erreicht werden. Denn der demografische Wandel führt bereits heute zu Engpässen auf dem Arbeitsmarkt, die auch die Wirtschaftsleistung dämpfen. Das Produktivitätswachstum ist aber seit etlichen Jahren rückläufig, und das nicht nur in Deutschland. Erst jüngst wieder haben wir in unserem Monatsbericht auf verschiedene hierfür maßgebliche Faktoren hingewiesen. So tragen die Digitalsektoren in den vergangenen Jahren erheblich weniger zur Stärkung der Produktivität bei als noch zu Beginn des Jahrhunderts.[3] Mehr digitale Kompetenzen und mehr Investitionen in Digitalisierung in der gesamten Wertschöpfungskette könnten dazu beitragen, die Produktivität hierzulande deutlich zu steigern. Ein weiterer Grund für das rückläufige Produktivitätswachstum ist die nachlassende Unternehmensdynamik.[4] Sie zeigt sich anhand der Anzahl von Unternehmen, die in den Markt eintreten und derer, die den Markt verlassen. 

In Deutschland gingen beide Werte in den letzten zwei Jahrzehnten stark zurück, sowohl die Unternehmensgründungen als auch die Unternehmensaufgaben. Weniger Unternehmensaufgaben klingt zunächst einmal nach einer positiven Nachricht. Denn mit Schließungen verbunden sind oft Härten für die Betroffenen. Eine höhere Unternehmensdynamik hat aber gesamtwirtschaftliche Vorteile. Sie ist tendenziell günstig für die Produktivitätsentwicklung und damit langfristig für das Wachstum. Bei Gründungen ist das unmittelbar einleuchtend. Sie sind ein wichtiger Baustein für Wirtschaftswachstum: Neue Ideen werden entwickelt und zur Marktreife gebracht. Das ist hier in Leipzig besonders gut zu erleben mit seiner Start-Up-Szene.[5]

Neue innovative Unternehmen verdrängen gleichzeitig weniger profitable Unternehmen vom Markt. Aber das hat auch sein Gutes. Denn die Menschen, die in diesen Unternehmen gearbeitet haben, wenden sich Unternehmen zu, die bessere Zukunftsperspektiven haben. Und auch das Kapital kann in profitablere Unternehmen fließen. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter nannte dies eine „kreative Zerstörung“. Sie führt zu Produktivitätswachstum, zu höherem Wohlstand und langfristig sogar zu mehr ökonomischer Sicherheit.

Für Deutschland lässt sich feststellen, dass es im Jahr 2023 fast ein Drittel weniger Markteintritte und -austritte gab als 2004, nämlich 30 Prozent. Dieser starke Rückgang kann die nachlassende und schwache Produktivitätsentwicklung hierzulande miterklären. Ein weiterer Punkt stärkt diese Sicht. Es gab in diesen Jahren nicht nur weniger Markteintritte und -austritte von Unternehmen. Gleichzeitig lagen die Produktivitätsniveaus zwischen Unternehmen in einem Markt zunehmend auseinander. Mit anderen Worten, der Produktivitätsrückstand gegenüber den besten Unternehmen einer Branche nahm zu. Dies deutet aus ökonomischer Sicht auf eine „abnehmende Allokationseffizienz“ hin: Demnach waren die verfügbaren Ressourcen immer weniger so verteilt, wie es für eine bestmögliche Produktivität nötig gewesen wäre. Die Umverteilung von Arbeitskräften und Kapital von ineffizienteren zu effizienteren Unternehmen ist aber ein wichtiger Treiber der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung. 

Fragen wir nun nach den Gründen für die rückläufigen Markteintritte, so wirkt zum einen das Auf und Ab der Konjunktur. In Aufschwüngen werden eher Unternehmen gegründet, während in Abschwüngen Unternehmen vermehrt geschlossen werden. Zudem drückt eine steigende Unsicherheit die Anzahl der Unternehmensgründungen nachhaltig. Tatsächlich entwickelte sich die Markteintrittsrate in Deutschland und im Euroraum in den Jahren nach der Finanz-, Wirtschafts- und anschließenden Staatsschuldenkrise auffällig schwach. Neben diesen zyklischen gibt es aber auch strukturelle Hemmnisse. So bremst insbesondere die Alterung einer Gesellschaft die Unternehmensdynamik. Für den Gründungsstandort Sachsen stellte zum Beispiel eine Studie fest, dass bei der Gründung der Start-ups 59 Prozent der Gründerinnen und Gründer zwischen 25 und 34 Jahre alt oder, besser gesagt, jung waren.[6]

Umso wichtiger ist es, dass wir die Unternehmensdynamik da stützen, wo es möglich ist. Ich nenne hier neben dem Abbau übermäßiger Bürokratie auch den verbesserten Zugang zu Finanzierungsquellen: Wie sie vermutlich wissen, liegen mir Fortschritte bei der Kapitalmarktunion in Europa besonders am Herzen. Je weiter wir auf diesen Feldern vorankommen, desto eher können sich die zuvor genannten Herausforderungen als Chancen erweisen – für mehr Innovationen, wirtschaftliche Dynamik, zukunftssichere Arbeitsplätze und höheres Wachstum.

5 Schluss

Mit diesem Ausblick möchte ich meine Rede beschließen – und mich nun wieder Ihnen zuwenden, lieber Herr Temmeyer. Ende Juli scheiden Sie aus der Bank aus. Ihren Schreibtisch werden sie dank Resturlaub schon früher räumen. Sie haben der Deutschen Bundesbank und der Stabilität des Finanzsystems 33 Jahre lang gedient – kompetent, pflichtbewusst und mehr noch: überaus engagiert und erfolgreich. Dafür danke ich Ihnen im Namen des Vorstands ganz herzlich. Die Umstellung von einem derartig engagierten Berufsleben zum Pensionärsleben dürfte nicht mit einem Wimpernschlag erfolgen. Erinnerungen an die Highlights Ihres Berufslebens gehören hoffentlich zu Ihren „favorite things“, die in dem Musikstück besungen werden, das Sie sich für den Abschluss dieser Veranstaltung ausgesucht haben. 

Sie übergeben dem neuen Präsidenten der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen, Guido Müller, eine bestens aufgestellte Hauptverwaltung. Herr Müller hat sich hier bereits eingearbeitet. Viele von Ihnen dürften ihn bereits kennengelernt haben. Er wird die Arbeit von Herr Temmeyer nahtlos fortsetzen. Zuvor hat Herr Müller in Frankfurt den Zentralbereich Bau geleitetUnd auch in der Innenbereichsleitung und gleichzeitigen Vertretung des Präsidenten der Hauptverwaltung wird es demnächst einen Wechsel geben. Ab Februar 2025 wird Susann Schwer auf Bernhard Häffner folgen, der die Bank dann altersbedingt verlassen wird. Frau Schwer ist derzeit Regionalbereichsleiterin Banken- und Finanzaufsicht für Sachsen und Thüringen. Lieber Herr Müller, ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand und gutes Gelingen bei Ihrer neuen Aufgabe hier in Sachsen und Thüringen.

Fußnoten:

  1. Felbermayr, G., J. Gröschl und I. Heiland (2022), Complex Europe: Quantifying the cost of disintegration, Journal of International Economics, Vol. 138, September 2022, Mayer, T., V. Vicard und S. Zignago (2019), The cost of non-Europe, revisited, Economic Policy, Vol. 34, April 2019. Eine Studie im Auftrag der Kommission schätzt, dass die EU-Wirtschaftsleistung dank des Binnenmarkts sogar um 8 bis 9 % höher ausfällt; siehe J. in ‘t Veld (2019), Quantifying the Economic Effects of the Single Market in a Structural Macromodel, European Commission, Discussion Paper 094, Februar 2019.
  2. Cambridge Econometrics (2024), London’s Economy After Brexit: Impacts and Implications.
  3. Deutsche Bundesbank (2023), Zur Bedeutung der Digitalisierung für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität, Monatsbericht, März 2023.
  4. Deutsche Bundesbank (2024), Dynamik im deutschen Unternehmenssektor in den letzten zwei Dekaden insgesamt rückläufig, Monatsbericht, März 2024.
  5. Vgl. Studie zum Gründungsstandort Sachsen (2022), S. 76 f.
  6. Vgl. Studie zum Gründungsstandort Sachsen (2022), S. 48 f.