Rede anlässlich der Amtswechselfeier in der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen Rede in der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Sachsen und Thüringen  

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrter Minister Gemkow, sehr geehrter Staatssekretär Maier, lieber Herr Benedikt, lieber Herr Temmeyer, ich begrüße Sie alle herzlich in der Bundesbank Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen. Es freut mich, dass Sie so zahlreich gekommen sind, um gemeinsam mit mir Herrn Benedikt zu verabschieden und Herrn Dr. Temmeyer hier in Leipzig willkommen zu heißen.

2 Franz Josef Benedikt

Lieber Herr Benedikt, im Allgemeinen ist es zwar so, dass auf Verabschiedungen mehr gelobt wird, als während des gesamten Berufslebens, was im Übrigen einiges über unsere Führungskultur aussagt. Zwei Reden auf ein und dieselbe Person in einem sehr engen zeitlichen Abstand erscheinen gleichwohl etwas übertrieben. Das ist ja schon die zweite Rede innerhalb von zwei Arbeitstagen, die ich auf Sie halte, lieber Herr Benedikt. Nachdem ich Sie bereits am vergangenen Freitag offiziell in München als neuen Präsidenten der Hauptverwaltung in Bayern begrüßen durfte, scheiden Sie heute nach drei Jahren aus Ihrem Amt in der Hauptverwaltung hier in Leipzig aus und bekommen die nächste Rede gehalten.

Und obwohl es sich diesmal nicht einmal um einen richtigen Abschied handelt, sondern lediglich um einen Wechsel im Amt, ist all dieses Lob in Ihrem Fall durchaus angemessen. Ich sagte bereits am Freitag, dass Sie mit Ihrem Wechsel nach München sozusagen zu Ihren Wurzeln zurückkehren. Und die Zuhörer Ihrer Begrüßungsrede haben feststellen können, wie tief diese Wurzeln bei Ihnen sind.

Aber fast so eng wie Ihre Bindung an Bayern scheint mir die an die Bundesbank: Vor genau 30 Jahren nahmen Sie Ihren Dienst in der Hauptverwaltung in Bayern auf; damals war dies noch die Landeszentralbank. Nach dem Referendariat und verschiedenen Positionen in der Landeszentralbank wechselten Sie 1992 dort in die Volkswirtschaftliche Abteilung. Sie wurden deren Leiter und führten später den Stab des Präsidenten, bevor Sie 2012 zum Bereichsleiter des Innen- und Filialbetriebs – und damit zum Vertreter des HV-Präsidenten – ernannt wurden.

Zum 1. September 2013 kamen Sie schließlich nach Leipzig – als Präsident der Hauptverwaltung in den Freistaaten Sachsen und Thüringen. In dieser Funktion haben Sie sich intensiv für die Belange der Bank eingesetzt. Sie haben zahlreiche Gespräche mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geführt und mit großem Elan für unser gemeinsames Ziel geworben: Geldwertstabilität. Dass Sie, lieber Herr Benedikt, dabei offenbar immer die richtigen Worte gefunden haben, belegt die große Teilnehmerzahl bei dieser Amtswechselfeier aus meiner Sicht eindrucksvoll.  

Sie haben sich in Sachsen und Thüringen darüber hinaus auf einem Gebiet besonders engagiert, das Ihnen bereits in München sehr am Herzen lag, und das ich auch persönlich, für wesentlich halte: das Gebiet der Ökonomischen Bildung.

  • Dazu sind Sie nicht nur selbst in die Hochschulen gegangen, um Vorträge zu halten, sondern Sie haben auch die ökonomische Bildungsarbeit durch den Stab der Hauptverwaltung ausgebaut.

  • Außerdem haben Sie sich sehr für das FORUM Bundesbank eingesetzt – eine Veranstaltungsreihe, mit der die Bundesbank der Öffentlichkeit Vorträge zu aktuellen Fragen des Geldwesens und der Notenbankpolitik anbietet.

  • Und im vergangenen Jahr haben Sie und Ihr Stab den Festakt der Bundesbank zum 25. Jahrestag der deutsch-deutschen Währungsunion vorbereitet, bei dem neben Herrn Thiele auch der ehemalige Bundesfinanzminister Waigel gesprochen hat. Die Berichterstattung und die zahlreichen positiven Rückmeldungen belegen, dass die Veranstaltung ein voller Erfolg war, nicht zuletzt aufgrund Ihrer umsichtigen Vorbereitungen. Dafür gebührt Ihnen und Ihrem Team nochmals ein besonderer Dank.

Aber Sie haben die Bank nicht nur kompetent nach außen vertreten, Sie standen in Sachsen und Thüringen auch intern vor einer besonderen Herausforderung. 2015 wurde die Filiale in Dresden geschlossen – mit all den tiefen Einschnitten in die Lebensplanungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die so eine Entscheidung mit sich bringt. Ihnen, lieber Herr Benedikt, war es ein besonderes Anliegen, die Belastungen für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so gering wie möglich zu halten.

Es war Ihnen aber auch wichtig, dass die Bundesbank weiterhin in der Landeshauptstadt Dresden Präsenz zeigt, indem dort auch künftig das Forum Bundesbank angeboten wird, jetzt im Residenzschloss.

Sie haben zudem den für uns so wertvollen gegenseitigen Austausch im Rahmen der Bankenabende intensiviert. Auch diese Veranstaltungen finden weiterhin in Dresden statt.

Für die Arbeit der Bundesbank ist Verständnis für die Bedeutung stabilen Geldes sehr wichtig. Denn der Erfolg der Geldpolitik hängt entscheidend davon ab, dass eine gut informierte Öffentlichkeit unsere stabilitätsorientierte Geldpolitik mitträgt und unterstützt. Das war es, was Otmar Issing meinte, als er sagte, dass „jede Bevölkerung die Inflation bekommt, die sie auch verdient.“

Genau deshalb hat die Deutsche Bundesbank die Aktivitäten der Ökonomischen Bildung vor einigen Jahren in einem eigenen Zentralbereich gebündelt und ausgebaut. Sie bietet Lehrmaterialien und Veranstaltungen für Lehrer und Schüler an, sie betreibt ein Geldmuseum, das demnächst mit verbessertem Konzept wiedereröffnet wird, und sie ist in der Fläche mit zahlreichen Veranstaltungen präsent – wie eben auch mit dem bereits erwähnten Forum Bundesbank.

Lieber Herr Benedikt, für dieses Vertrauen der Bevölkerung in unser Tun haben Sie sich in den Freistaaten Sachsen und Thüringen in vorbildlicher Weise eingesetzt. Und ich bin sicher, die Bank kann in dieser Hinsicht auch in Bayern auf Sie zählen. Heute ist ja schon Ihr erster Arbeitstag als Präsident der Hauptverwaltung in Bayern. Auch für Ihr Wirken dort wünsche ich Ihnen nochmals eine glückliche Hand!

3 Dr. Hubert Temmeyer

Ihr Nachfolger an der Spitze der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen ist ab heute Herr Dr. Temmeyer. Auch er ist ein Bundesbanker der alten Schule, stabilitätsorientiert, vertrauenswürdig, geradlinig.

Lieber Herr Temmeyer, Sie kamen 1991 zu uns in die Bundesbank. Nach einer Promotion in Volkswirtschaftslehre an der Universität in Kiel und einem Abstecher ins Bundesministerium für Wirtschaft haben Sie Ihren Dienst in der damaligen Hauptabteilung Internationale Beziehungen angetreten.

Schon zu Beginn Ihrer Karriere hat die Bank dabei von Ihrem politischen Fingerspitzengefühl profitiert: Sie haben für die Bundesbankpräsidenten Tietmeyer und Welteke und für den damaligen Vizepräsidenten Stark Reden in einer spannenden Zeit verfasst. In Ihrer ersten Rede für Herrn Tietmeyer ging es gleich um den Austritt Großbritanniens aus dem Europäischen Währungssystem. Das Thema „Austritt“ scheint Großbritannien offenbar wieder zu beschäftigen – mit dem Unterschied, dass es heute um den Austritt aus der EU geht.

Danach führte Sie Ihr Weg zum ersten Mal ins Ausland, zur Ständigen Vertretung Deutschlands bei der OECD in Paris, wo Sie mitgeholfen haben, die deutschen Interessen innerhalb der OECD zu koordinieren. Und Sie haben dafür gesorgt, dass die Einschätzung der Bundesbank sich auch in den Beschlüssen und Veröffentlichungen der OECD wiederfand.

Nach Ihrer Rückkehr aus Paris im Jahr 1997 übten Sie verschiedene Funktionen in der Hauptabteilung Internationale Beziehungen aus, die später im neu gegründeten Zentralbereich Finanzstabilität aufging. Zuletzt waren Sie dort als stellvertretender Leiter der Abteilung Internationale Währungsordnung tätig. Das ist die Abteilung in der Bundesbank, die solche Aufgaben verantwortet, die sich aus der deutschen Mitgliedschaft im Internationalen Währungsfonds (IWF), den G20, G7, G10, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und den multilateralen Entwicklungsbanken ergeben. So lag es nahe, Sie Anfang 2011 zum deutschen Exekutivdirektor beim IWF zu ernennen.

Ihre Tätigkeit im Exekutivdirektorium des IWF fiel in eine aufregende Zeit.

  • Unter anderem erlebten Sie den Höhepunkt der Krise im Euro-Raum aus der Perspektive des IWF.

  • Und Sie haben die große Quoten- und Governance-Reform des Währungsfonds begleitet, die die Strukturen des IWF an die neuen weltwirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst und damit seine Legitimität gestärkt hat: Der Startschuss dazu fiel im Dezember 2010, kurz vor Ihrer Ankunft in Washington. Und erst zu Beginn dieses Jahres haben die Vereinigten Staaten von Amerika die Reform ratifiziert, wodurch sie in Kraft treten konnte. Das war sozusagen die Krönung Ihrer Amtszeit.

Lieber Herr Temmeyer, Sie haben die Bundesbank aber auch noch auf einem anderen Gebiet würdig vertreten: Sie waren lange Zeit ein aktives Crewmitglied auf den Booten, mit denen die Bundesbank auf der Euro-Sail angetreten ist – dem internationalen Segelwettbewerb der Notenbanken. Mehrmals haben Sie dazu beigetragen, dass ein Boot der Bundesbank als Sieger aus den Rennen hervorgegangen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus Leipzig, Sie sehen: Wir schicken Ihnen also einen erfahrenen Team-Player, der gerne Verantwortung übernimmt.

Ich bin mir sicher, Sie, lieber Herr Temmeyer, werden auch bei der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen den richtigen Kurs nicht aus dem Blick verlieren.

Für mich persönlich hat sich Herr Temmeyer übrigens immer als hervorragender Lotse bei den Frühjahrs- und Herbsttreffen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Washington erwiesen.

Anknüpfend an das IWF-Treffen von vor zwei Wochen möchte ich die Gelegenheit nutzen, kurz auf ein Thema einzugehen, dass dort besondere Aufmerksamkeit genoss: die mittelfristigen Wachstumsperspektiven der Weltwirtschaft und was getan werden kann, um das Wachstum wieder dauerhaft zu stärken.

4 Globale Wachstumsabschwächung und Reformbedarf

Meine Damen und Herren, es gibt fast schon ein Ritual auf den IWF-Treffen, nämlich regelmäßige Abwärtskorrekturen der Prognosen für das Wachstum der Weltwirtschaft. So war es auch dieses Mal. Mit fast der gleichen Regelmäßigkeit löst dies dann eine Debatte über zusätzliche konjunkturelle Stimuli der Geld- oder Fiskalpolitik aus. Und nicht das erste Mal wurde von einigen Teilnehmern die Befürchtung geäußert, dass wir uns auf eine längere Phase niedrigeren Wachstums einstellen müssen.

Die Wachstumsperspektiven einer Volkswirtschaft sind ja nicht nur für Finanzexperten relevant: Höheres Wachstum bedeutet in der Regel auch höhere Einkommen und mehr Beschäftigung. Und dies betrifft am Ende alle Bürgerinnen und Bürger – ob als Arbeitnehmer, Arbeitssuchender, Unternehmer oder Rentner.

Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage rechnen nur 21% der Menschen in den G20 Staaten damit, dass die Wirtschaft in den kommenden drei Jahren wachsen wird. In Deutschland waren es sogar nur 9%. Und wenn man die Diskussion über Notfallmaßnahmen, potenzielle Konjunkturprogramme und geldpolitische Experimente im Ohr hat, die mancherorts geführt wird, ist dieses Umfrageergebnis auch nachvollziehbar. Denn ein Signal des Vertrauens geht von diesen Debatten nicht aus.

Tatsächlich sind die Aussichten so schlecht nicht:

  • Der IWF rechnet für dieses Jahr mit einem Wachstum der Weltwirtschaft von immerhin noch 3,2%. Für nächstes Jahr erwarten die Ökonomen des Fonds eine leichte Beschleunigung auf 3,5%.
  • Für Deutschland belaufen sich die Prognosen des IWF auf 1,5% für dieses und 1,6% für nächstes Jahr.

Diese Werte liegen etwas unter unseren eigenen Prognosen vom Dezember vergangenen Jahres, die wir gerade aktualisieren.

Eines scheint aber klar zu sein: Wir dürfen das heutige globale Wachstum nicht an dem aus der Zeit vor der Krise messen. Denn damals wurden die Wachstumsraten in einigen Ländern oftmals von Übertreibungen an Vermögensmärkten und bei der Kreditvergabe befeuert. Sie waren deshalb nicht nachhaltig.

Dessen ungeachtet verzeichnen wir eine deutliche Eintrübung der globalen  Wachstumsaussichten. Vor fünf Jahren ging der IWF noch davon aus, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr um 4,7 % wachsen würde. Heute sagen die Prognosen, wie schon angemerkt, nur noch ein Wachstum von 3,2 % voraus.

Auch beim jüngsten IWF-Treffen vermuteten einige Kollegen, dass die Wachstumsaussichten abermals nach unten angepasst werden müssen, weil es der Welt schlicht an Nachfrage fehle. Und da die Zentralbanken nahe der Nulllinie die Zinsen nicht wesentlich weiter senken können, um die Wirtschaft zu stimulieren, müsse folglich der Staat einspringen und seine Ausgaben erhöhen.

Mich überzeugt das nicht. Die Hartnäckigkeit der globalen Wachstumsschwäche und die wiederholten Prognoserevisionen nach unten deuten meines Erachtens vielmehr darauf hin, dass die Wachstumsmöglichkeiten der Weltwirtschaft überschätzt werden. Dass wir es also eher mit angebotsseitigen als mit nachfrageseitigen Problemen zu tun haben:

  • Erstens sind viele Industrieländer noch mit dem Abbau der hohen Verschuldung beschäftigt, die zur Finanzkrise geführt hat. Wir wissen aus vorherigen Verschuldungskrisen, dass das Wachstum danach langsamer wieder zurückkommt, als nach „normalen“ Rezessionen.

  • Zweitens war es, mit Blick auf den Euro-Raum, vor der Krise in einigen Ländern zu massiven makroökonomischen Ungleichgewichten gekommen. Ich denke hier neben der stark gestiegenen privaten Verschuldung auch an die deutliche Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und an den drastischen Anstieg der Haushaltsdefizite in manchen Euro-Ländern. Der Abbau dieser Ungleichgewichte hat Anpassungsprozesse erfordert, die noch nicht überall abgeschlossen sind. Das führen uns die noch immer sehr hohen Arbeitslosenzahlen in diesen Ländern Monat für Monat vor Augen.

  • Drittens befindet sich mit China ein großes Schwellenland mitten in einer Neuausrichtung seines Wachstumsmodells. Das Land wechselt von einem stark außenwirtschaftlich und durch Investitionen getriebenen zu einem stärker konsumorientierten Wachstum, was durchaus zu begrüßen ist.

  • Und viertens verlangsamen sich wirtschaftliche Aufholprozesse üblicherweise mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen. Insofern überrascht es nicht, wenn die Schwellenländer nicht mehr mit dem gleichen Tempo wachsen, wie noch vor einigen Jahren. Zumal viele von ihnen Rohstoffexporteure sind, die unter dem Preisverfall ihrer Exportgüter leiden.

Dies alles sind tiefer liegende Gründe für die Wachstumsabschwächung, die durch eine aktive Konjunkturpolitik zwar abgemildert, aber nicht beseitigt werden können.

Es ist ein bisschen so wie mit einer schweren Erkältung: Sie dauert ohne Behandlung sieben Tage – und mit Behandlung eine Woche. Die Medikamente unterdrücken letztlich nur die Symptome. Die Erkältung geht davon nicht weg. Sie muss auskuriert werden – was üblicherweise seine Zeit braucht.

Nicht konjunkturelle Strohfeuer sind also die adäquate Lösung, sondern die nachhaltige Stärkung der Wachstumskräfte.

Ein wachstumsfreundliches Wirtschaftsumfeld stärkt im Übrigen auch die Nachfrage. Sie wird steigen, wenn es sich für Unternehmen wieder lohnt, mehr zu investieren. Eine Bundesbankuntersuchung hat gezeigt, dass im Euro-Raum gerade die Unsicherheit über die zukünftige Wirtschaftsentwicklung der wichtigste Bremsklotz für Investitionen ist – und nicht zu hohe Finanzierungskosten.[1]

Es geht zum Beispiel darum,

  • dass es einfacher wird, ein Unternehmen zu gründen, und dass Marktzutrittsbarrieren europaweit abgebaut werden;

  • dass Innovation und Produktivität gestärkt werden;

  • dass es sich rechnet, eine Beschäftigung aufzunehmen und mehr Arbeitnehmer einzustellen;

  • und dass die Systeme der Sozialen Sicherung auch bei einer alternden Bevölkerung zukunftsfest aufgestellt sind.

Darum bin ich froh, dass das Thema Strukturreformen jetzt einen prominenten Platz auf der Agenda der G20 einnimmt. Und auch der IWF hat dem Thema Strukturreformen ein ganzes Kapitel in seinem neuen World Economic Outlook, seiner Flaggschiffpublikation, gewidmet.

Zumindest auf dem Papier bekräftigen inzwischen alle die Bedeutung von Strukturreformen. Doch Papier ist leider geduldig: Der IWF hat im April den Reformfortschritt in verschiedenen Politikbereichen zusammengefasst.

  • Daraus geht hervor, dass fast alle Industrieländer im vergangenen Jahr den Empfehlungen des IWF gefolgt sind, ihre Geldpolitik weiter zu lockern.

  • Im Bereich der Fiskalpolitik wurde immerhin knapp die Hälfte aller Vorschläge umgesetzt.

  • Auffallend ist aber der Bereich der Strukturreformen: Der Anteil der vollständig umgesetzten Vereinbarungen ist hier verschwindend gering. Und auch die OECD bestätigt, dass der Reformelan in vielen Ländern nachgelassen hat.

Darum sollte bei den Strukturreformen nachgelegt werden, anstatt immer wieder danach zu rufen, die Geld- und Fiskalpolitik noch weiter zu lockern.

Genau hinschauen muss man auch bei der Forderung, Strukturreformen durch eine expansive Geld- und Fiskalpolitik zu begleiten.

  • Es stimmt zwar, dass einige Reformen zunächst dämpfend auf Preise und Löhne wirken, bevor sie zu einer steigenden Beschäftigung und höheren Nachfrage führen.

  • Aber dies gilt nur für bestimmte Reformen im Bereich des Arbeitsmarkts.

  • Für die Senkung von Markteintrittsbarrieren beispielsweise gilt dies nicht ...

  • ... und auch nicht für aufkommensneutrale Steuerstrukturreformen.

Darüber hinaus ist vor allem die Geldpolitik in vielen Ländern schon seit langem sehr expansiv. Je länger die ultra-expansive Geldpolitik andauert, desto schwächer wird letztlich ihre Wirkung und desto eher machen sich Risiken und Nebenwirkungen bemerkbar.

Im Übrigen ist auch die Wahrnehmung falsch, eine restriktive Fiskalpolitik würde derzeit die wirtschaftliche Entwicklung im Euro-Raum bremsen: Die Fiskalpolitik ist seit dem vergangenen Jahr sogar leicht expansiv. Und das, obwohl viele Mitgliedstaaten immer noch mit sehr hohen Staatsschulden kämpfen, die – wie viele Studien belegen – Wachstum dämpfen.

Eine expansive Geld- und Fiskalpolitik kann Wachstumsprobleme vorübergehend übertünchen – so wie Fieber senkende Mittel die Symptome der Erkältung mildern. Aber lockere Geldpolitik und Konjunkturprogramme können kein dauerhaftes Wachstum schaffen, so wie Schmerzmittel nicht die Krankheit selbst heilen. Gleichzeitig erscheinen Reformen dann aber möglicherweise nicht mehr so dringlich und der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik könnte später einmal schwieriger werden.

Vor dem Hintergrund des äußerst geringen und nur langsam steigenden binnenwirtschaftlichen Preisdrucks ist eine expansive Geldpolitik derzeit sicher angemessen. In Bezug auf die Geldpolitik kommt es aber entscheidend darauf an, dass die derzeitige Niedrigzinsphase nicht länger dauert, als mit Blick auf die Preisstabilität unbedingt nötig, und dass die Geldpolitik in der Zwischenzeit ihre Unabhängigkeit bewahrt und nicht zum Gefangenen der Finanzmärkte oder der Finanzpolitik wird.

5 Schluss

Meine Damen und Herren, da noch ein ganzer Reigen an Reden folgen wird, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit nicht über Gebühr strapazieren, sondern den Blick wieder auf den eigentlichen Grund lenken, aus dem wir heute zusammengekommen sind. Es ist der Wechsel im Präsidentenamt der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen.

Lieber Herr Benedikt, an dieser Stelle und auch im Namen des gesamten Vorstands der Bundesbank sage ich Ihnen meinen ausdrücklichen Dank für Ihre hervorragende Arbeit hier an der Spitze der Hauptverwaltung in Sachsen und Thüringen. Ich freue mich, dass sich diese gute Zusammenarbeit am neuen Ort fortsetzt.

Ihnen, lieber Herr Temmeyer, wünsche ich einen guten Start ins neue Amt. Bismarck hat einmal gesagt, „Mit schlechten Gesetzen und guten Beamten lässt sich immer noch regieren. Bei schlechten Beamten helfen die besten Gesetze nichts.“ Ich bin zwar der Meinung: so schlecht sind unsere Gesetze nicht. Aber ich finde auch: Es schadet nie, seine Hauptverwaltung einem guten Beamten anzuvertrauen.


[1]  Deutsche Bundesbank 2016. Zur Investitionstätigkeit im Euro-Raum. Monatsbericht Januar 2016, S. 33-52.