Preisstabilität – Selbstläufer oder Daueraufgabe? Vortrag beim Symposium Preis- und Finanzstabilität: Der Primat der Politik, der rechtliche Rahmen und das "ökonomische Gesetz"

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Lieber Herr Professor Remsperger, lieber Herr Dr. Friedmann,
sehr geehrter Herr Professor Möllers, lieber Herr Ziebarth,
sehr geehrte Damen und Herren,

auch ich begrüße Sie alle sehr herzlich hier in der Bundesbank.

Anlass für das heutige Symposium sind die Wechsel an der Spitze der Stiftung Geld und Währung. Herr Dr. Friedmann hat den Staffelstab als Vorsitzender des Stiftungsvorstandes an Herrn Ziebarth übergeben und Herr Professor Remsperger den des Vorsitzenden des Stiftungsrates an Herrn Professor Möllers.

Bevor ich den Herren Remsperger und Friedmann Worte des Dankes ausspreche und Herrn Ziebarth und Herrn Möllers für ihre neuen Aufgaben alles Gute wünsche, möchte ich ein paar Worte zum Thema Preisstabilität sagen.

Die Stiftung Geld und Währung wurde 2001 ins Leben gerufen, um das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Bedeutung stabilen Geldes zu erhalten und zu fördern – so steht es in der Satzung der Stiftung.

Preisstabilität ist kein Selbstzweck. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität. Das hat die Erfahrung der Bundesrepublik Deutschland gezeigt. Und das zeigen auch viele Forschungsarbeiten.[1] [2]

Stabile Preise mussten in der Vergangenheit immer wieder hart erarbeitet und verteidigt werden. Das liegt auch daran, dass die Vorteile der Preisstabilität zwar der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen. Sie sind für den Einzelnen aber schwerer zu beziffern als der Vorteil eines sichereren Arbeitsplatzes, eines höheren Lohnes oder einer geringeren Steuerbelastung. Deshalb befinden sich Zentralbanken in der ständigen Gefahr, unter Druck zu geraten, die Preisstabilität zu Gunsten anderer wirtschaftspolitischer Ziele zurückzustellen.

Helmut Schmidt sagte einst, er habe "lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit". Sieht man einmal davon ab, dass eine Arbeitslosenquote von 5 % für die Wirtschaftspolitik heute nicht mehr das Schreckgespenst ist, das es in den 1970er Jahren war, hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass es diesen vermeintlichen Zielkonflikt zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit in der langen Frist nicht gibt. Gleichwohl gab es auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Bestrebungen, die Geldpolitik für andere wirtschaftspolitische Ziele einzuspannen –  etwa mit der Forderung, das Eurosystem müsse der "Kreditgeber der letzten Instanz" für die Euro-Staaten sein.

In der Geschichte der Bundesbank hieß für Preisstabilität zu kämpfen zumeist, die Inflation im Zaum zu halten. Wenn, dann war die Preisstabilität vor allem von zu hoher Inflation bedroht. Dabei fallen vor allem die hohen Inflationsraten im Zuge der beiden Ölpreisschocks in den 1970er Jahren und der Preisdruck im Kontext der deutsch-deutschen Vereinigung Anfang der 1990er Jahre ins Auge.

In jüngster Zeit ist die Inflation dagegen sehr niedrig – trotz historisch tiefer Zinsen. Zuletzt waren die Preise sogar wieder rückläufig. Die Projektionen des Eurosystems sagen voraus, dass die Preise im Prognosezeitraum nur allmählich wieder stärker zunehmen werden.

Ist die Preisstabilität im Euro-Raum damit dauerhaft gesichert? Ist sie also praktisch ein Selbstläufer? Und ist die Stiftung Geld und Währung daher überflüssig geworden? Oder wird die Preisstabilität womöglich dauerhaft "von unten" gefährdet sein – und müsste sich die Stiftung dann nicht konsequenterweise vor allem den Gefahren einer zu niedrigen Inflationsrate widmen?

Über diese Fragen werde ich in den kommenden 20 Minuten etwas ausführlicher sprechen.

Beginnen möchte ich aber mit der Bedeutung der Forschung für die Geldpolitik. Denn die Stiftung Geld und Währung kommt ihrem Zweck nach, indem sie die wirtschafts- und rechtswissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet des Geld- und Währungswesens fördert. Damit trägt sie dazu bei, dass die für Geldpolitik und Finanzstabilität Verantwortlichen fundierte Entscheidungen treffen können. Darauf sind wir Notenbanker immer angewiesen. Und allein deshalb wird die Arbeit der Stiftung immer aktuell bleiben.

2 Forschung

Meine Damen und Herren,

Gerhard Schröder hat einmal gesagt: "Zum Regieren brauche ich nur Bild, BamS und Glotze". Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung in Berlin, dass es ganz so einfach natürlich nicht ist. Und auch Gerhard Schröder hat das Zitat später zwar bestätigt, aber eingeräumt, dass es zu guter Politik doch noch etwas mehr bedürfe.

Für die Geldpolitik lässt sich ziemlich klar benennen, was dieses Etwas ist: Transparenz und Rechenschaftspflicht sind für das Eurosystem das unabdingbare Pendant zur Unabhängigkeit. Und Rechenschaft legt man vor allem dann überzeugend ab, wenn Entscheidungen analytisch und empirisch begründet werden. Und das liefert vor allem die ökonomische Forschung.

Die Notwendigkeit, die Forschung zum Geldwesen voranzutreiben, ergibt sich für die Geldpolitik vor allem aus der Komplexität der wirtschaftlichen Zusammenhänge und daraus, dass sich das Umfeld für die Geldpolitik ständig verändert. So haben die Finanzmärkte für die Geldpolitik in den vergangenen Jahrzehnten deutlich an Bedeutung gewonnen.

Bei sich kontinuierlich ändernden Rahmenbedingungen bedarf es einer ständigen Überprüfung, wie die Geldpolitik wirkt, welche Erkenntnisse Bestand haben, und welche vielleicht einer Aktualisierung bedürfen. Bei aller Unsicherheit gibt es aber auch grundlegende Einsichten, die sich nicht verändern. Eine davon besagt zum Beispiel, dass unabhängige Notenbanken besser für Preisstabilität sorgen als abhängige.

Es gibt noch einen weiteren Grund, aus dem die Bundesbank nicht auf Forschung verzichten kann: Um im EZB-Rat und den vorbereitenden Ausschüssen zu überzeugen, müssen unsere Argumente dort verfangen. Und das fällt umso leichter, je fundierter sie sind.

Darum hat die Bundesbank ihre Forschungs­aktivitäten in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut. Noch in den 1990er Jahren wurde die Forschungsarbeit von Mitarbeitern unseres Zentralbereichs Volkswirtschaft so zusagen "nebenbei" geleistet, indem die Kollegen vorübergehend in die Forschungsgruppe abgeordnet wurden. Inzwischen ist daraus ein ganzes Forschungszentrum mit 34 Mitarbeitern geworden.

"Geldpolitische Entscheidungen kann man aber nicht auf der Basis enger Modelle allein treffen", so hat es Otmar Issing kürzlich formuliert – und ich stimme ihm ausdrücklich zu.

Modelle helfen natürlich, zum Beispiel die Auswirkungen unserer geldpolitischen Maßnahmen abzuschätzen. Aber Praxisrelevanz ist das Produkt aus theoretischer Fundierung, empirischer Überprüfung und langjähriger institutioneller Erfahrung. Insofern sollten auch Fallstudien, Analysen der Wirtschaftsgeschichte oder institutionelle Rahmenbedingungen ausreichend Berücksichtigung finden. Denn nur das sichert die Robustheit der Erkenntnisse.

Exemplarisch kann dieser Punkt an den Effekten des Staatsanleihekaufprogramms illustriert werden. Modellanalysen spannen – je nach zugrunde gelegten Annahmen – eine enorme Bandbreite für die Effekte auf die Inflationsrate auf, die von 0,1 Prozentpunkten bis 1 Prozentpunkt reicht. Wobei die Frage noch nicht beantwortet ist, ob die Wirkungen überhaupt statistisch signifikant sind, weil zur Modellunsicherheit und der Parameterunsicherheit noch die Möglichkeit hinzukommt, dass sich die Zusammenhänge im Zeitablauf geändert haben. Wenn Sie dieses Thema interessiert: Der am kommenden Montag erscheinende Monatsbericht wird sich den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der quantitativen Lockerung im Euro-Raum widmen.

Insgesamt ist es wichtig, dass die Stiftung Geld und Währung viele Projekte unterstützt, die in ihrer Gesamtheit ein breites Methodenspektrum abdecken – von ökonomischen zu juristischen Herangehensweisen und von modernen Makromodellen zu Arbeiten über Institutionen wie den Stabilitätsrat oder über Regeln wie die Schuldenbremse.

Nennen möchte ich in diesem Zusammenhang auch das von der Stiftung Geld und Währung geförderte "Kompetenzzentrum Geld, Währung und Finanzstabilität" an der Goethe-Universität hier in Frankfurt. Das Kompetenzzentrum führt durch die Organisation von Konferenzen, Vorlesungen und Working Lunches regelmäßig Wissenschaft und Praxis zusammen – dieser Austausch ist auch für viele Mitarbeiter der Bundesbank eine immer wieder gerne in Anspruch genommene Möglichkeit, ihr theoretisches und empirisches Wissen à jour zu halten.

Und von einem weiteren wichtigen Projekt, nämlich dem Verhältnis von Geldpolitik und Bankenaufsicht, wird uns später ja Frau Professor Schnabel berichten.

3 Die Bedeutung der Preisstabilität

Meine Damen und Herren,

die Stiftung Geld und Währung finanziert die Forschungsförderung bekanntlich mit einem Stiftungsvermögen, das aus den Einnahmen des Verkaufs der ersten und bis dahin einzigen Goldmünze der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2001 stammt. Die Münze soll die besondere Verantwortung der Bundesbank für die Preisstabilität würdigen.

Preisstabilität ist das oberste Ziel der Bundesbank. Dafür setzen wir uns ein und dies wird offensichtlich auch von der Öffentlichkeit geschätzt. Das ist jedenfalls der Eindruck, den ich erhalte, wenn ich mit Bürgern ins Gespräch komme.

Andererseits wird stabiles Geld von der Bevölkerung aktuell nicht als große Herausforderung wahrgenommen. In Deutschland zählen laut dem Eurobarometer derzeit nur 10 % der Befragten steigende Preise zu den wichtigsten ökonomischen Problemen ihres Landes. Im Frühjahr 2012 waren es noch mehr als 20 %. In der EU liegt der Durchschnittswert aktuell bei 14 %.

Da die Inflationsrate seit dem Jahr 2012 rückläufig ist und seit 18 Monaten rund um die Nulllinie schwankt, ist es wenig überraschend, dass Einwanderung, Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Lage für die befragten Europäer derzeit drängendere Probleme darstellen. Danach, ob die Europäer nun womöglich einen dauerhaften Rückgang der Preise fürchten, fragt das Euro-Barometer im Übrigen nicht.

Aber was bedeutet das gegenwärtige Niedriginflationsumfeld nun konkret für das Ziel der Preisstabilität?

3.1 Definition von Preisstabilität

Meine Damen und Herren, liebe Kollegen,

viele von Ihnen dürften die Definition von Preisstabilität des Eurosystems im Schlaf herunterbeten können.

Das Eurosystem definiert "Preisstabilität als Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex für das Euro-Währungsgebiet von mittelfristig unter 2 % gegenüber dem Vorjahr". Im Rahmen seiner Strategieüberprüfung im Jahr 2003 hat der EZB-Rat zusätzlich klargestellt, dass er bestrebt ist, die Teuerungsrate im Euro-Gebiet mittelfristig unter, aber nahe 2 % zu halten.

Ich halte diese Zielsetzung weiterhin für angemessen. Sie versucht, die gesamtwirtschaftlichen Kosten einer zu hohen Inflation gegen die Kosten einer zu niedrigen Inflation abzuwägen.

Dabei ist es gerade in Deutschland immer sehr einfach, die Kosten einer zu hohen Inflation zu illustrieren. Die Erfahrung der Hyperinflation von 1923 hat weit mehr als eine Generation geprägt.

Man muss sich aber nicht bereits in einer Hyperinflation befinden, damit Inflation gesamtwirtschaftliche Kosten verursacht. Eine umfassende empirische Literatur aus den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zeigt, dass auch vergleichsweise moderate Inflationsraten mit Wachstumseinbußen einhergehen. Das hat im Übrigen dazu beigetragen, dass das Eurosystem auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität verpflichtet wurde.

Aber auch eine zu niedrige Inflationsrate ist schädlich: Ein Argument besteht darin, dass leicht positive Preissteigerungsraten einen gewissen Sicherheitsabstand zur Zinsuntergrenze verschaffen.

Diese liegt zwar – wie wir mittlerweile wissen – nicht exakt bei null, aber auch nicht deutlich darunter. Der Spielraum der Notenbank, mit konventionellen Instrumenten stimulierend auf die Wirtschaft einzuwirken, kann bei einem zu niedrigen Inflationsziel schnell erschöpft sein. Und unkonventionelle Instrumente, auf die dann ausgewichen wird, sind mit teils schwerwiegenderen Markteingriffen und Nebenwirkungen verbunden.

Nullinflation ist aber auch deswegen nicht anzustreben, weil Branchen oder ganze Volkswirtschaften, die einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit aufholen müssen, nicht reale, sondern sogar nominale Lohnkürzungen erreichen müssten. Das ist aber schwierig durchzusetzen, denn Menschen denken eher in nominalen als in realen Größen.

Im Euro-Raum kommt als Argument hinzu, dass ein Durchschnitt nahe 2 % Inflationsdifferenzen innerhalb des Währungsraums zulässt, ohne dass einzelne Länder – womöglich sogar für einen längeren Zeitraum – Preisrückgänge aufweisen müssen.

Solange es keinen synchronen Konjunkturverlauf in den Mitgliedsländern gibt, sind unterschiedliche Teuerungsraten der Normalfall. Würde die Geldpolitik einen Durchschnitt von 0 % anstreben, wären immer einzelne Länder im negativen Bereich.

Daneben gibt es auch einen weiteren Grund, warum eine niedrige, aber positive Inflationsrate angestrebt werden sollte: statistische Messprobleme.

Inflation lässt sich zwar recht genau, aber eben nicht ganz genau messen. Es besteht immer die Gefahr, Messfehler zu begehen. Die Verzerrungen in der Preisstatistik führen dazu, dass die amtliche Inflationsrate die tatsächliche Geldentwertung eher überschätzt, weil etwa das Wägungsschema und der Warenkorb der Statistiker dem realen Konsumentenverhalten immer etwas hinterherhinken.

Auch wenn hier in den vergangenen Jahren, insbesondere durch die hedonische Qualitätsbereinigung der Preise und kürzere Intervalle zwischen den Aktualisierungen des Warenkorbes, klare Fortschritte erzielt wurden, dürften die statistischen Messfehler noch immer ein paar Zehntelprozentpunkte ausmachen.

Es wird allerdings von renommierten Wissenschaftlern wie dem amerikanischen Ökonomen Martin Feldstein die These vertreten, dass wegen der Digitalisierung und der Internet-Revolution dieser Messfehler zuletzt sogar wieder zugenommen hätte. Denn die Preisstatistik würde den dämpfenden Effekt der vielen über das Internet unentgeltlich bereitgestellten Leistungen nicht hinreichend berücksichtigen.

Hier sehe ich allerdings noch Forschungsbedarf, um die Größenordnung dieser Effekte abzuschätzen.

3.2 Preisstabilität: Wo stehen wir?

Gemessen an der offiziellen Definition von Preisstabilität ist die Inflation im Augenblick also eher zu niedrig als zu hoch.

Unsere mittelfristige Definition von Preisstabilität erlaubt es uns aber derzeit abzuwarten, wie die unkonventionellen Maßnahmen wirken. Natürlich kann ein zu langes Unterschreiten der angestrebten Inflationsrate von knapp unter 2 % dazu führen, dass die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik sinkt. Damit würde dann auch die Gefahr von Zweitrundeneffekten steigen.

Einen solchen Vertrauensverlust sehe ich gegenwärtig aber nicht. Die langfristigen marktbasierten Inflationserwartungen scheinen sich bei 1 ½ % stabilisiert zu haben, die umfragebasierten langfristigen Inflationserwartungen liegen ohnehin dicht bei der angestrebten Preissteigerungsrate.

Und auch der Lohnanstieg im Euro-Raum liefert aus meiner Sicht keinen Grund, die Alarmglocke schrillen zu lassen. Zwar ist das Lohnwachstum recht verhalten, aber das ist angesichts noch bestehender Nachteile bei der Wettbewerbsfähigkeit einiger Euro-Länder nicht verwunderlich.

Insgesamt gehen die Experten des Eurosystems davon aus, dass der Lohnkostendruck allmählich wieder zunehmen wird und damit auch der binnenwirtschaftliche Preisdruck. Anzeichen für eine gefährliche Abwärtsspirale aus Preisen und Löhnen im Euro-Raum kann ich derzeit erst recht nicht erkennen und habe diesbezügliche Befürchtungen auch in der Vergangenheit für überzogen gehalten.

Daher ist es richtig, die beschlossenen Maßnahmen nun wirken zu lassen. Mit vielen der neuen Maßnahmen haben wir im Eurosystem noch keine Erfahrungen gesammelt. Die Unsicherheit darüber, wie stark sie wirken, ist groß, das wird wie erwähnt unser demnächst erscheinender Monatsbericht näher ausführen.

Ein wichtiger Übertragungsriemen der unkonventionellen Maßnahmen ist im Übrigen der Wechselkurs. Das heißt aber, wenn viele der großen Notenbanken sich vor allem auf diesen Kanal verlassen, besteht die Gefahr, dass sie die Wirkung ihrer Geldpolitik gegenseitig neutralisieren.

Der Wechselkurs darf auch nicht zu einem aktiven Politikinstrument werden. Es muss allen klar sein, dass ein Abwertungswettlauf großen wirtschaftlichen Schaden anrichtet. Mein Eindruck auf dem G7-Treffen in Sendai im Mai war aber, dass dies das gemeinsame Verständnis aller G7-Staaten ist.

Ganz allgemein gilt, dass der Nutzen der unkonventionellen Maßnahmen immer wieder mit den Risiken und möglichen Nebenwirkungen abgeglichen werden muss. Denn je länger die ultra-lockere Geldpolitik beibehalten wird, desto größer ist der mögliche Kollateralschaden. Der kann seinerseits Rückwirkungen auf die Preisentwicklung oder unsere Fähigkeit haben, stabile Preise zu sichern.

4 Die Bedeutung von Preisstabilität in Zeiten niedriger Inflation

Meine Damen und Herren,

wir erleben gerade, dass die Geldpolitik selbst in Zeiten sehr geringer Inflation darum ringen muss, ihre angestrebte Inflationsrate zu erreichen. Für viele Bürger ist die heutige Situation wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig. Jahrzehntelang wurde die Preisstabilität von zu hohen Preisen bedroht, heute liefern zu niedrige Inflationsraten Anlass zum Handeln.

Angesichts der schon seit längerem sehr niedrigen Inflationsraten besteht auch die Gefahr, dass bei den Bürgern des Euro-Raums das Bewusstsein für die Bedeutung stabiler Preise verloren geht. Für die Notenbanken ist das nicht ungefährlich. Denn wenn die Inflation wieder steigt und die geldpolitischen Zügel eigentlich angezogen werden müssten, könnte die Versuchung bestehen, mit Blick auf die hohen Staatsschulden auf eine Verschiebung der Zinserhöhung zu dringen. Wenn solche Debatten aber beginnen, wird eine stabilitätsorientierte Geldpolitik die ganze Unterstützung der Bevölkerung benötigen. Genauso wie wir jetzt Verständnis brauchen, dass auch absehbar anhaltend niedrige Inflationsraten eine expansive Ausrichtung der Geldpolitik erforderlich machen, was aber nicht heißt, dass einzelne Maßnahmen alternativlos wären.

Der Zweck der Stiftung Geld und Währung, nämlich das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedeutung der Preisstabilität zu erhalten, bleibt daher auch in der derzeitigen Niedrig-Inflationsphase aktuell.

Die Kräfte, die in der Vergangenheit die Inflationsraten nach oben gedrückt haben, sind nicht grundsätzlich verschwunden. Gegenwärtig treffen aber viele Faktoren zusammen, die den Preisdruck im Euro-Raum dämpfen – und zwar vorübergehend.

Seit Ende 2014 ist vor allem der starke Rückgang der Rohstoffpreise – und hier spreche ich nicht nur vom Ölpreis – für die niedrige Inflation im Euro-Raum verantwortlich. Dieser externe Einflussfaktor traf auf eine ohnehin schwache Preisentwicklung im Euro-Raum. Denn gerade in den Jahren 2012 bis 2014 wurde der Preisauftrieb zum Großteil von binnenwirtschaftlichen Faktoren wie der schwachen Wirtschaftsentwicklung gedämpft.

In zahlreichen Euro-Ländern führen Unternehmen und private Haushalte ihre teilweise hohe Verschuldung allmählich zurück. Sie erkennen das zum Beispiel daran, dass die Unternehmen und die privaten Haushalte zurzeit mehr sparen als investieren.

Einigen ehemaligen Krisenländern ist es dabei gelungen, ihre Leistungsbilanzdefizite zurückzuführen und sogar in Überschüsse zu verwandeln. Die hierzu notwendige Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel über eine zurückhaltende Lohnentwicklung dürfte auch den Preisauftrieb in diesen Ländern gedämpft haben. Zusätzlich haben die Konsolidierungsanstrengungen der öffentlichen Haushalte tendenziell dämpfend gewirkt – auch wenn diese Anstrengungen seit 2013 nachgelassen haben.

Die EZB schätzt, dass diese Euro-Raum-bezogenen Faktoren dazu beigetragen haben, dass die Inflationsrate ohne Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel, also die so genannte Kernrate, seit Mitte 2013 im Euro-Raum um rund einen Prozentpunkt unter der Rate der Vereinigten Staaten von Amerika liegt. [3]

Der Vollständigkeit halber muss ich auch noch zwei weitere Faktoren nennen, die derzeit als mögliche Ursache für die anhaltend niedrigere Inflation diskutiert werden: Die Globalisierung und die Alterung der Gesellschaft in vielen Industrieländern.

Es gibt zwar Hinweise auf einen Rückgang der Trendinflation, aber auch hier ist die Schätzunsicherheit groß. Untersuchungen für den Euro-Raum zeigen, dass, bei aller Unsicherheit, die sogenannte Phillips-Kurve, also der Zusammenhang zwischen Inflation und konjunktureller Lage, im Grundsatz weiterhin besteht und, in gewissen Spezifikationen zumindest, den seit 2012 zu beobachtenden deutlichen Rückgang des binnenwirtschaftlichen Preisdrucks gut erklären kann. [4]

Dass dabei die Steigung der Phillips-Kurve für den Euro-Raum, also das Ausmaß, mit dem die Inflation auf eine Änderung der konjunkturellen Lage reagiert, zuletzt größer geworden zu sein scheint, könnte auch Folge der tieferen und längeren Rezession und der Reformanstrengungen in einigen Euro-Ländern sein, so in Italien und in Spanien.

Für Deutschland lässt sich hingegen keine strukturelle Veränderung der Phillips-Kurven-Parameter feststellen. Hier ist der Einfluss realwirtschaftlicher Größen auf die Inflationsrate allerdings auch eher gering, was angesichts einer seit dem Jahr 2012 annähernd geschlossenen Outputlücke nicht überrascht. Es dominieren vielmehr außenwirtschaftliche Größen wie der Ölpreis und die Einfuhrpreise ohne Energie. [5]

Aufgabe des Eurosystems ist, dafür zu sorgen, dass mittelfristig die Inflationsrate im Einklang mit der angestrebten Rate von unter, aber nahe 2 % steht. Aber auch die Politik kann ihren Teil dazu beitragen, dass die gegenwärtige Phase zu geringer Inflationsraten eher früher als später endet.

5 Danksagungen und Schluss

Meine Damen und Herren,

Herbert Giersch wird die Aussage zugeschrieben "Geld ist wie Sprache". Beides diene dem Austausch, Sprache dem von Gedanken, Geld dem von Eigentumsrechten. Und genauso wie Kommunikation nur dann funktionieren könne, wenn sich die Sprache nicht zu schnell ändere, könne Geld seinen Zweck als Tauschmittel nur dann erfüllen, wenn es im Wert stabil sei.

Die Arbeit der Stiftung Geld und Währung ist und bleibt wichtig. Darum möchte ich an dieser Stelle dem scheidenden Vorsitzenden des Stiftungsrats, Herrn Professor Remsperger, und dem scheidenden Vorsitzenden des Stiftungsvorstands, Herrn Dr. Friedmann, noch einmal ganz herzlich für ihren Einsatz für die Stiftung Geld und Währung danken.

Beide sind ja verdiente Bundesbanker und eigentlich schon in Pension. Trotzdem haben Sie sich für die Stiftung noch einmal viele Jahre intensiv ins Zeug gelegt.

Lieber Herr Remsperger, lieber Herr Friedmann, Sie waren beide ein Glücksfall für die Stiftung. Herr Friedmann war lange unser Zentralbereichsleiter Volkswirtschaft. Herr Remsperger war elf Jahre Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank und hat nie den Kontakt zur Forschung verloren. Bis vor kurzem waren Sie zum Beispiel noch Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität hier in Frankfurt.

Damit waren Sie beide bestens auf die Aufgaben in der Stiftung vorbereitet: Sie haben einen Überblick über den Stand der Wissenschaft und Ahnung von den politisch relevanten Fragestellungen. Das haben Sie durch die gelungene Auswahl der Förderprojekte eindrucksvoll bewiesen.

Es freut mich besonders, dass es der Stiftung gelungen ist, mit Herrn Professor Möllers und Herrn Ziebarth zwei ausgezeichnete Nachfolger zu finden. Sehr geehrter Herr Möllers, lieber Herr Ziebarth, ich wünsche Ihnen beiden eine glückliche Hand!


Fußnoten

  1. J R Barro (1996), Inflation and Growth. Federal Reserve Bank of St. Louis Review, May/June 1996.

  2. J Andrés und I Hernando (1997), Does Inflation Harm Economic Growth? Evidence for the OECD. NBER Working Paper No 6062.

  3. M Draghi (2015), Global and Domestic Inflation, Speech at the Economic Club of New York, 4. December 2015.

  4. V Constancio (2015), Understanding Inflation Dynamics and Monetary Policy, Panel Remarks at the Jackson Hole Economic Policy Symposium, Federal Reserve Bank of Kansas City, 29. August 2015.

  5. Deutsche Bundesbank (2016), Die Phillips-Kurve als Instrument der Preisanalyse und Inflationsprognose in Deutschland. Monatsbericht April 2016, S. 31 ff.