Keynote Parlamentarischer Abend 2024 des Bankenverbands Nordrhein-Westfalen

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich freue mich sehr, heute hier bei Ihnen in Düsseldorf zu sein.

Der Parlamentarische Abend des Bankenverbands NRW bietet eine hervorragende Gelegenheit, sich intensiv über den Finanzplatz Deutschland auszutauschen. Der Finanzplatz NRW nimmt eine wichtige Stellung im deutschen Finanzgefüge ein – insbesondere aufgrund seiner vielen Versicherungsunternehmen.

Ich bin dem Bundesland seit frühester Kindheit fest verbunden. Den Großteil meiner politischen Tätigkeit habe ich hier in Düsseldorf absolvieren dürfen. Als Bundesbank-Vorstand möchte ich mich heute in erster Linie mit dem Finanzplatz Deutschland beschäftigen.

In Deutschland und in Europa stehen wir vor großen Herausforderungen. Allseits bekannt sind die vier Herausforderungen unserer Zeit: Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demografie und De-Globalisierung.

Ich werde mich heute vor allem mit den ersten beiden „D“s beschäftigen.

2 Der Finanzstandort Deutschland im globalen Wettbewerb

Um mit einer guten Nachricht zu beginnen: Der Finanzstandort Deutschland bewegt sich in die richtige Richtung. Als einziges kontinentaleuropäisches Finanzzentrum zählt Frankfurt zu den Top 10 der globalen Finanzplätze.[1]

Und beim Thema finanzielle Teilhabe hat sich Deutschland im weltweiten Vergleich verbessert. In der Unterkategorie Finanzbildung konnte Deutschland sogar auf den ersten Platz springen.[2]

Das sind erfreuliche Entwicklungen, aber wir haben hier keinen Grund für Selbstzufriedenheit. Im Vergleich zu den USA und Großbritannien – trotz Brexit – fallen unsere Finanzplätze in der Bedeutung zurück. Der Druck aus anderen Regionen wird auch weiter zunehmen. So sind US-amerikanische Finanzplätze für börsennotierte Unternehmen oder Unternehmen, die neu an die Börse gehen, deutlich attraktiver.

Ein prominentes Beispiel ist Biontech. Wir wissen alle um die entscheidende Rolle, die das Mainzer Unternehmen in der Corona-Pandemie gespielt hat. Sein Kapital aber hat es sich zu großen Teilen im Ausland beschafft – mit seinem Börsengang in den USA. Das sollte uns zu denken geben.

Ausländische Investoren wiederum nehmen die Anzahl und Fragmentierung deutscher Finanzplätze häufig als Schwäche wahr. In einer digital vernetzten Welt kann diese Vielzahl aber eine Chance sein.

Damit komme ich zum ersten D, der Digitalisierung. Die sollten wir daher nicht nur als Herausforderung sehen.

Denn regionale Finanzplätze haben ihr Gutes: Sie stehen für Kundennähe und Spezialisierung. Diese jeweiligen Stärken sollten wir nutzen – und zu einem großen und starken Cluster (digital) vernetzen. Das Ziel muss also sein, die Attraktivität und Vielfalt des Finanzplatzes Deutschland weiter zu erhöhen. Einen wichtigen Beitrag liefern Finanzplatzinitiativen wie „Germany Finance“ – ein informeller Zusammenschluss der deutschen regionalen Finanzplätze, darunter NRW. Das Motto lautet hier: Gemeinsam sind wir stark – gerade weil wir unterschiedliche Stärken haben.

3 Finanzierung der Transformation braucht starken Finanzplatz

Die zweite Herausforderung, auf die ich heute eingehen möchte, ist die Dekarbonisierung.

Unsere Wirtschaft muss über die nächsten Jahre und Jahrzehnte nachhaltiger und kohlenstoffärmer werden. Und dafür brauchen wir viel Kapital. Das wird die öffentliche Hand alleine nicht stemmen können – dazu benötigen wir auch und vor allem private Mittel. Um diese zu mobilisieren, sind gut entwickelte Finanzplätze mit leistungsfähigen Kapitalmärkten entscheidend.

Denn gerade Zukunftstechnologien und neuartige Geschäftsmodelle verlangen Risikokapital. Gleichzeitig sind junge Unternehmen wie Start-ups auf eine langfristige und stabile Finanzierung angewiesen. Die herkömmliche Kreditfinanzierung stößt hier an Grenzen. Denn die Kreditvergabe der Banken unterliegt – aus guten Gründen – regulatorischen Einschränkungen.

An dieser Stelle kommt der Finanzplatz Deutschland ins Spiel:

Gut ausgebaute Kapitalmärkte sind eine Voraussetzung, damit ausreichend Wagniskapital für Investitionen zur Verfügung steht. Nur so können innovative Unternehmen hierzulande ihre Wachstumschancen ergreifen. Auch wenn Wagniskapitalfinanzierungen im Aufwind sind, ist das Investitionsvolumen hiesiger Investoren noch oft zu gering.

Zum Zuge kommen dann ausländische Investoren – ähnlich wie im vorgenannten Beispiel mit Biontech. Auch für eine andere Entwicklung steht das Unternehmen beispielhaft. Nämlich dafür, dass innovative Unternehmen teilweise sogar ins Ausland abwandern und damit zukunftsträchtige Arbeitsplätze abziehen.

Ich möchte aber auch Zuversicht verbreiten:

Wir starten nicht bei Null – die Politik hat die Problematik erkannt und erste Schritte eingeleitet. Ein Beispiel ist der Zukunftsfonds – ein Beteiligungsvehikel für Zukunftstechnologien. Ein anderes Beispiel ist das Fondsstandortgesetz, mit dem die Investmentkultur gestärkt werden soll.

Und vor allem die jüngste WIN–Initiative[3] – ein Zusammenschluss aus Politik, Verbänden und großen Kapitalgebern, um junge, innovative Unternehmen und privates Kapital zusammenzubringen. Die Abkürzung steht für Wachstums- und Innovationskapital für Deutschland. Ganz konkret soll mit der Initiative das Ökosystem „Wagniskapital“ gestärkt werden. Dies ist ein wichtiger Baustein, damit Innovationen Marktreife erlangen und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit von Morgen sichergestellt werden kann.

Und dafür brauchen wir einen großen Finanzplatz von internationaler Bedeutung.

4 Europäische Perspektive

Meine Damen und Herren,

wenn von Internationalität und Größe die Rede ist, dürfen wir natürlich die europäische Perspektive nicht vergessen. Auch in Europa gibt es wichtige Instrumente, um junge Unternehmen als Wachstumsmotoren zu stärken. Ich denke etwa an den European Investment Fund, der vor allem kleinen und mittelgroßen Unternehmen Zugang zu Wagniskapital bietet.

Darüber hinaus bleibt die Vertiefung der europäischen Kapitalmarktunion auf der Agenda. Die neuformierte EU-Kommission wird dieses Thema nun entscheidend vorantreiben müssen. Denn nur so können die Vorteile des EU-Binnenmarkts im Finanzsektor gehoben werden.

Das Ziel eines gemeinsamen Kapitalmarkts ist nicht neu. Leider sind wir bisher langsamer vorangekommen, als es nötig wäre. Allerdings gab es in diesem Jahr frischen Schwung. Ich denke etwa an die Stellungnahmen der Eurogruppe und des EZB-Rats oder die Berichte von Enrico Letta und Mario Draghi. Sie sorgen für Rückenwind, den wir nutzen sollten. Denn ein tiefer und integrierter Kapitalmarkt bietet viele Vorteile.

Lassen sie mich einen davon ansprechen: den Verbriefungsmarkt. Verbriefungen sind in der großen Finanzkrise in Verruf geraten. Richtig angewandt und hinreichend reguliert, sind Verbriefungen ein hilfreiches Instrument. Forderungen können gebündelt und als handelsfähige Wertpapiere am Kapitalmarkt platziert werden. Dies erleichtert den Banken die Refinanzierung und setzt Eigenkapital frei – sodass zusätzliche Kreditmittel für die Wirtschaft bereitstehen.

Die Bundesbank setzt sich daher für eine risikoadäquate Regulierung und baselkonforme Umsetzung im Verbriefungsmarkt ein. Dadurch wird die Effizienz der Finanzmärkte erhöht. Das kann einen Schub für einen tiefen und integrierten Kapitalmarkt geben.

5 Schluss

Meine Damen und Herren,

der Bundesbank ist an einem stabilen und leistungsfähigen Finanzplatz gelegen.

Dabei müssen wir breiter denken: Es braucht ein Finanzplatz-Ökosystem, der mehr ist als nur Banken und Börsen. Auch Analysten, Datenanbieter, Anwälte, Wirtschaftsberater, Fonds und Versicherungen spielen eine wichtige Rolle.

Über die Betrachtung des Finanzstandorts Deutschland hinaus unterstützen wir die Vertiefung der Europäischen Kapitalmarktunion. Unternehmen brauchen einen großen und leistungsfähigen Finanzsektor, um Zukunftsaufgaben finanzieren und Wachstumschancen ergreifen zu können.

Effiziente Finanzmärkte bieten die Infrastruktur für den digitalen und nachhaltigen Wandel der Realwirtschaft – sie bringen die Finanzmittel dorthin, wo sie gebraucht werden. Diese Finanzmittel müssen langfristig bereitgestellt werden.

Eine Quelle können hier auch langfristige Spar- und Anlageprodukte sein, etwa im Rahmen der privaten Altersvorsorge. Gerade in diesem Zusammenhang wird die finanzielle Bildung eine entscheidende und zunehmende Rolle spielen – ungeachtet der eingangs erwähnten Fortschritte, die wir bei der finanziellen Teilhabe erreicht haben. Das Thema liegt mir besonders am Herzen, schließlich verantworte ich auch den Bereich ökonomische und finanzielle Bildung in der Bundesbank.

  1. Global Financial Centres Index (GFCI), siehe GFCI_36_Report_2024.09.24_v1.0.pdf (longfinance.net)
  2. Global Financial Inclusion Index, siehe S. 21 in 2024 Global Financial Inclusion Index (principal.com)
  3. WIN-Initiative - Wachstums- und Innovationskapital für Deutschland | KfW