Inflation und Transformation: Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft Rede beim Jahresempfang der Hauptverwaltung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Sehr geehrte Damen und Herren
als ich das letzte Mal vor vier Jahren zu Ihnen gesprochen habe, war die Welt noch eine ganz andere. Damals, im Jahr 2019, haben wir an das 20-jährige Bestehen des Euro gedacht. Die Inflation im Euroraum lag klar unterhalb der Marke von 2 %. Negative Leitzinsen und umfangreiche Staatsanleihekäufe prägten das Bild.
Dieses Bild hat sich seitdem um 180 Grad gedreht. Ereignisse, die für uns unvorstellbar schienen, wurden Realität.
Die Corona-Pandemie hat mit Jahresbeginn 2020 das Wirtschaftsgeschehen massiv beeinträchtigt. Die Pandemie hat insbesondere viel Sand in sonst reibungslos funktionierende Lieferketten gestreut. Angebotsengpässe waren und sind teilweise immer noch die Folge. Das war vor allem Anfang 2020 eine raue See für viele Reeder und Logistiker in Hamburg.
Im Jahr 2022 begann dann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, mit all dem menschlichen Leid. Dieser Krieg hat uns die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen schmerzlich vor Augen geführt.
2 Inflation
Meine Damen und Herren,
im Zuge dieser Ereignisse und anderer Entwicklungen ist die Inflation im Euroraum im vergangenen Jahr auf ein hohes Niveau gestiegen. Noch nie zuvor in der Geschichte der Gemeinschaftswährung war die Inflation im Euroraum so hoch wie im vergangenen Jahr. Über mehrere Monate lag sie sogar im zweistelligen Bereich. Wesentliche Treiber waren neben den Nahrungsmittelpreisen insbesondere die stark gestiegenen Energiepreise. Auch wenn sich die Lage an den Energiemärkten erholt hat, ist die allgemeine Teuerung nach wie vor hoch. Im Mai lag die am harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessene Inflationsrate im Vorjahresvergleich bei 6,1 % im Euroraum und bei 6,3 % in Deutschland.
Von der Zielmarke von 2 % Inflation im Euroraum sind wir also gegenwärtig noch ein ganzes Stück entfernt. Der EZB-Rat hat reagiert und die geldpolitischen Zügel fest angezogen. Seit vergangenem Sommer hat er die Leitzinsen in insgesamt acht Schritten um 4,0 Prozentpunkte angehoben.
So ist etwa der Zinssatz, zu dem Banken bei der Bundesbank Geld einlegen können, der sogenannte Einlagesatz, von -0,5 % auf jetzt 3,5 % gestiegen. Die Zentralbanken im Euroraum fahren zudem ihr geldpolitisches Portfolio an Staatsanleihen und Unternehmensanleihen zurück.
Aber: es zeichnet sich ab, dass noch mehr getan werden muss, um die angestrebte Inflationsmarke von 2 % zu erreichen. Denn: Für den Euroraum rechnen die Fachleute des Eurosystems weiterhin mit hohen Inflationsraten: Im laufenden Jahr mit einem Anstieg des HVPI um 5,4 %, für 2024 noch mit 3,0 % und für 2025 mit 2,2 %. Mit Blick auf Deutschland rechnet die Bundesbank sogar noch mit etwas höheren Werten: für 2023 mit 6,0 % (nach 8,7 % im Jahr 2022), für 2024 mit 3,1 % und für 2025 mit 2,7 %.
Aus all diesen Zahlen lässt sich eine klare Aussage ableiten: Den Zinsgipfel haben wir noch nicht erreicht. Die Zentralbanken müssen weiter handeln.
Marktteilnehmer erwarten gemäß Umfragen mit fast 90 % Wahrscheinlichkeit den nächsten Zinsschritt bereits im Juli.[1] Wie es nach der Sommerpause weitergeht, wird der EZB-Rat von der Datenlage abhängig machen. Und auch wenn hohe Zinsen für Unternehmer und Verbraucher eine Herausforderung sind, muss der Weg der geldpolitischen Straffung fortgesetzt werden.
Denn strukturell schmälert die hohe Teuerung die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher. Breite Bevölkerungsschichten leiden unter der Inflation. Menschen mit geringem Einkommen geraten schon bei den täglichen Einkäufen und monatlichen Rechnungen unter Druck.
Für Menschen mit mittlerem Einkommen wird es zudem schwieriger, eine eigene Immobilie zu finanzieren. Die Neuaufträge und die Baugenehmigungen für Häuser und Wohnungen sind bereits deutlich zurückgegangen und die Immobilienpreise sinken.
Die steigenden Kosten belasten auch viele Unternehmen. Neben hohen Lohnabschlüssen dämpfen höhere Finanzierungskosten die Investitionen von Unternehmen, die in den kommenden Monaten nur sehr verhalten zunehmen dürften.
Auch die Preise für Gewerbeimmobilien sind nach einem deutlichen Auftrieb in den Jahren vor der Corona-Pandemie inzwischen unter Druck geraten (Einzelhandelsimmobilien etwas früher, Büroimmobilien etwas später). Wir sehen insgesamt bereits einen Rückgang in der Kreditvergabe, besonders deutlich bei Immobilienkrediten, aber auch bei sonstigen Verbraucher- und Unternehmenskrediten.
Man kann festhalten, dass es insgesamt ein sehr herausforderndes Umfeld für Verbraucher und Unternehmen ist. Daher geht die Bundesbank für 2023 aufgrund des schwachen Jahresauftakts von einem Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland von 0,3 % aus. Für die kommenden beiden Jahre rechnen wir wieder mit einer Erholung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und mit Wachstumsraten von 1,2 % im Jahr 2024 bzw. 1,3 % im Jahr 2025.
3 Transformation
Meine Damen und Herren, wir haben jetzt viel über Krisen gesprochen. Es ist wichtig, dass wir auch einen Blick nach vorne werfen.
Die deutsche Wirtschaft steht vor einem historischen Strukturwandel:
- ein neues geopolitisches Umfeld,
- eine umfassende Digitalisierung,
- eine Dekarbonisierung bis 2045 bzw. 2050 und
- ein großer demographischer Wandel.
All das stellt uns vor große Herausforderungen, denn es wird sich vieles ändern. Doch Wandel ist auch immer eine Chance.
Die Zukunft braucht Innovationen, unter anderem in den Feldern:
- Künstliche Intelligenz,
- Gesundheit und
- Mobilität.
Da passt es gut, dass Deutschland bei der Anmeldung von Patenten Weltklasse ist. Hier belegen wir regelmäßig den zweiten Platz. Und zwar auf globaler Ebene.
Bei der Gründung von Unternehmen haben wir allerdings noch Luft nach oben. Hamburg ist hier ein Hoffnungsträger. In der Hansestadt siedeln sich viele Start-ups an. Doch gerade die Start-up Szene steht aktuell unter Druck. Die Kosten – insbesondere bei der Finanzierung – steigen. Die Zurückhaltung von Investoren gerade gegenüber jungen Unternehmen ist in Deutschland hoch. Das hat viel mit geringer Risikobereitschaft in Deutschland zu tun. Oft fehlen den potenziellen Investoren aber auch die notwendigen Branchenkenntnisse. Das ist an internationalen Finanzplätzen wie London oder New York anders.
In Deutschland braucht es also eine stärkere Verknüpfung von Branchen Know-how und Finanzen. So können auch Chancen und Risiken von Investitionen besser eingeschätzt werden. Hamburg hat das erkannt und einen „Masterplan Finanzwirtschaft“ aufgesetzt. Lieber Senator Dressel, ich hoffe, es wird Ihnen gelingen, mit dieser Standortstrategie ein gutes Finanzökosystem aufzusetzen. Mit der Gründung der „Finance City Hamburg GmbH“ setzen Sie erste Maßstäbe. Ihr Start Up Förderprogramm „InnoFinTech“ kann innovativen Ideen zu Wachstum verhelfen.
Gute Ideen und Innovationen in die Tat umzusetzen, ist elementar für die Zukunftsfähigkeit des deutschen Wirtschaftsstandorts. Der Schulterschluss aus Finanzbehörde, Handelskammer und Finanzplatz ist wegweisend – auch für andere Standorte in Deutschland. Hier werden öffentliche Rahmensetzung mit unternehmerischem Know-how erfolgversprechend gebündelt. Das sollte Schule machen.
4 Schluss
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich resümieren. Vor uns liegen große Herausforderungen. Zu den großen Themenfeldern, die vor uns liegen, gehören:
- geopolitische Verschiebungen,
- Inflation,
- fehlende Arbeitskräfte,
- Digitalisierung und
- Dekarbonisierung.
Deutschland steht vor einem historischen Strukturwandel.
Das wird vieles verändern. Wir werden uns ändern müssen. Denn dann kann der Wandel eine Chance sein. Eine Chance für Deutschland den Wohlstand zu halten und auszubauen.
Daher mein Appell:
Lassen wir uns auf den Wandel ein!
Fußnote:
- Quelle: Bloomberg