Geldpolitische Sondermaßnahmen und Risiken – Auswirkungen der Finanzkrise auf die Zentralbankbilanz Rede anlässlich des ACI - Jahreskongress 2012

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst möchte ich mich für die Einladung bedanken, auf dem diesjährigen ACI Kongress zu sprechen. Ein intensiver Dialog zwischen Marktteilnehmern und Bundesbank war mir immer ein besonderes Anliegen. Daher freue ich mich, dass ich heute die Möglichkeit habe, mit Ihnen einige Gedanken zu den Auswirkungen der Finanzkrise auf die Bilanz des Eurosystems zu teilen.

Das Eurosystem hat auf die Finanzkrise mit einer Reihe von geldpolitischen Sondermaßnahmen reagiert. Sie zielen darauf ab, die Finanzintermediation im Euro-Währungsgebiet aufrechtzuerhalten, die Kreditversorgung der Unternehmen und der privaten Haushalte zu fördern und den geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu stützen. In der Folge haben sich die Zusammensetzung der Bilanz des Eurosystems verändert, die Bilanzsumme erhöht, und zugleich haben die vom Eurosystem übernommenen Risiken erheblich zugenommen. Mit Blick auf die Zukunft bringt diese Entwicklung neue Herausforderungen für die Geldpolitik des Eurosystems mit sich.

2 Konzept einer schlanken Zentralbankbilanz

Außergewöhnliche Zeiten rechtfertigen außergewöhnliche Schritte. Ein größeres Bilanzvolumen birgt in der Regel jedoch auch höhere finanzielle Risiken. Daher streben Zentralbanken in normalen Zeiten schlanke Bilanzen an. Der Ausdruck „schlanke Zentralbankbilanz“ bedarf einer genaueren Erläuterung. Die Passivseite einer Zentralbankbilanz bildet den strukturellen Bedarf des Bankensystems an Zentralbankguthaben ab. Banken benötigen diese Guthaben, um Bargeldabforderungen ihrer Kundschaft, Zahlungen im Interbankenmarkt und gegebenenfalls eine Mindestreservepflicht zu erfüllen. Die Bilanz einer Zentralbank kann somit als schlank angesehen werden, wenn der Banknotenumlauf den Großteil der Bilanzsumme ausmacht, vorausgesetzt das Mindestreserve-Soll ist entsprechend niedrig. Auch die Hinzurechnung von Eigenkapital und Rückstellungen sollte nicht zu einer signifikanten Erhöhung der Bilanzsumme führen. Die Bereitstellung von Liquidität erfolgt über geldpolitische Geschäfte, die auf der Aktivseite einer schlanken Zentralbankbilanz die inländischen Vermögenswerte umfassen, während ausländische Vermögenswerte in erster Linie Währungsreserven darstellen.

Eine schlanke Bilanz fördert auch die Finanzstärke einer Zentralbank, da der Banknotenumlauf eine unverzinste Verbindlichkeit darstellt. Er ist die Grundlage für die sogenannte Seigniorage; darunter versteht man die Nettoeinnahmen einer Zentralbank, die sich aus ihrem Monopol zur Bereitstellung von Basisgeld ergeben. Auch wenn die Gewinnmaximierung nicht das Ziel einer Zentralbank ist, fördert ein positives Einkommen ihr Ansehen und letztlich auch ihre finanzielle Unabhängigkeit. Allerdings sind die Bilanzen der Zentralbanken oftmals nicht schlank, da sie viele zusätzliche Aufgaben übernehmen oder in der Vergangenheit übernommen haben.

3 Bilanz des Eurosystems vor der Krise

Der konsolidierte Ausweis des Eurosystems enthält die Forderungen und Verbindlichkeiten des Eurosystems in den Bilanzen der 17 nationalen Zentralbanken (NZBen) des Euro-Währungsgebiets und der Europäischen Zentralbank (EZB). In dem Ausweis spiegeln sich auch historische Relikte wider. Vor Beginn der Währungsunion haben viele nationale Zentralbanken die Wechselkurse „gemanaged“ und Währungsreserven angesammelt, deren Wert den Umfang des Banknotenumlaufs weit überstieg. Mit ihrem Beitritt zur Europäischen Währungsunion (EWU) verblieben diese Aktiva teilweise in ihren Bilanzen.

Nimmt man den Anteil des Banknotenumlaufs an der Bilanzsumme als einen Schlankheitsindikator für die Zentralbankbilanz und vergleicht das Eurosystem mit der Federal Reserve (Fed) und der Bank of England vor der Krise, so bestehen deutliche Unterschiede. Der Banknotenumlauf umfasste bei der Federal Reserve etwa 90 Prozent der Bilanzsumme, während er im Eurosystem und bei der Bank of England nur rund die Hälfte betrug. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Eurosystem satzungsgemäß die gesamten Währungsreserven alleine verwaltet, während dies im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten eine gemeinsame Aufgabe von Finanzministerium und Zentralbank ist. Hier wird deutlich, dass ein breiteres Aufgabenfeld zu weniger schlanken Bilanzen führen kann. Die krisenbedingten Maßnahmen führten allerdings bei allen drei Notenbanken zu einem deutlichen Anstieg der Bilanzsummen. Der Anstieg der Bilanzsumme einer Zentralbank durch krisenbedingte Maßnahmen wird relativ stärker ausfallen, wenn ihre Bilanz – wie im Fall der Federal Reserve – in der Ausgangssituation vergleichsweise schlank war.

4 Entwicklung der Bilanz des Eurosystems während der Krise

Wie haben die krisenbedingten Sondermaßnahmen die Bilanz des Eurosystems konkret verändert? Als Mitte 2007 die Finanzmarktturbulenzen einsetzten, waren die Spannungen primär dem mangelnden Vertrauen zwischen den Teilnehmern am Interbankengeldmarkt zuzuschreiben. Der Grund hierfür war die Unsicherheit über die finanzielle Solidität und Liquidität der Geschäftspartner. Das Eurosystem reagierte auf die rückläufige Interbankaktivität am Geldmarkt mit längeren Laufzeiten seiner liquiditätszuführenden geldpolitischen Geschäfte, doch die insgesamt durch geldpolitische Operationen bereitgestellte Liquidität blieb im Schnitt unverändert. In der Zeit nach der Lehman-Insolvenz, die von größter Unsicherheit, gestiegenem Misstrauen und vermehrten Finanzierungsengpässen gekennzeichnet war, nutzten die Banken verstärkt die erweiterte Bereitstellung von Liquidität durch das Eurosystem zu rasch sinkenden Leitzinsen. Neben der Einführung von Mengentendern mit Vollzuteilung in allen geldpolitischen Refinanzierungsgeschäften erweiterte das Eurosystem seinen geldpolitischen Sicherheitenrahmen, indem es beispielsweise die Mindestbonitätsschwelle senkte und zugleich die Bewertungsabschläge erhöhte. Zudem verschob sich die Struktur der ausstehenden Refinanzierungsgeschäfte durch die Einführung bis zu einjähriger Operationen deutlich zugunsten längerfristiger Geschäfte. Die Bilanzsumme des Eurosystems erhöhte sich stark und überschritt erstmals die Marke von 2 Billionen Euro.

Mit der Einführung des Programms zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Covered Bond Purchase Programme - CBBP) am 6. Juli 2009 betrat das Eurosystem Neuland, in dem es erstmalig geldpolitische Geschäfte als endgültige Käufe tätigte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es geldpolitische Geschäfte ausschließlich als befristete Transaktionen getätigt. Ziel dieses Programms war die Wiederbelebung des Marktes für gedeckte Schuldtitel im Euro-Raum und die Verringerung entsprechender Zinsabstände am Sekundärmarkt. Wie angekündigt, wurden die Käufe nach einem Jahr abgeschlossen und insgesamt Schuldverschreibungen mit einem Nominalwert von 60 Milliarden Euro erworben. Ein zweites Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen mit einem Maximalvolumen von 40 Milliarden Euro wurde im November 2011 begonnen.

Beim Programm für die Wertpapiermärkte (Securities Markets Programme - SMP), das am 10. Mai 2010 startete, hat das Eurosystem dagegen keinen Endtermin und kein Maximalvolumen angekündigt, aber trotzdem immer darauf hingewiesen, dass es zeitlich und volumenmäßig begrenzt ist. Aktuell liegt der vom Eurosystem gehaltene SMP-Bestand bei rund 215 Milliarden Euro. Außerdem beschloss der EZB-Rat bei Geschäften des Eurosystems die Anwendung des Bonitätsschwellenwertes bei bestimmten Papieren auszusetzen. Für von der griechischen Regierung begebene oder garantierte Schuldtitel gilt dieser Beschluss seit Mai 2010, für die entsprechenden irischen seit März 2011, für die portugiesischen Papiere seit Juli 2011.

Nach einer vorübergehenden Entspannung verstärkten sich die Anspannungen an den europäischen Finanzmärkten in der zweiten Jahreshälfte 2011 wieder. Der EZB-Rat beschloss am 8. Dezember 2011 zusätzliche Maßnahmen, um die Kreditvergabe zu fördern. Dazu gehörten insbesondere zwei längerfristige Refinanzierungsgeschäfte mit einer Laufzeit von drei Jahren mit Vollzuteilung. Diese Operationen stießen auf eine beispiellose Nachfrage der Banken und führten zu einem historischen Höchststand der ausstehenden geldpolitischen Kreditgeschäfte von mehr als 1,1 Billionen Euro, von denen rund 90 Prozent eine Fristigkeit von drei Jahren besitzen. Im Ergebnis stieg die Bilanzsumme des Eurosystems im März dieses Jahres erstmals über die Marke von 3 Billionen Euro.

5 Bilanzveränderungen bei anderen Zentralbanken

Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers entwickelten sich die Bilanzen der Federal Reserve und der Bank of England zunächst sehr ähnlich wie die Bilanz des Eurosystems. Beide Zentralbanken boten Kredite zu längeren Laufzeiten und mit einem breiteren Spektrum an Sicherheiten an. So führte die Fed dafür die sogenannte Term Auction Facility ein. Das Resultat war ein deutlicher Anstieg der Bilanzsumme. Bei der Federal Reserve war dies bemerkenswert, da sie üblicherweise den Großteil der geldpolitischen Liquidität über endgültige Käufe von Staatspapieren bereitgestellt hatte.

Im Verlauf der Krise verschob sich die Liquiditätsbereitstellung der Federal Reserve und indirekt auch der Bank of England zugunsten endgültiger Käufe von Wertpapieren. Bei der Fed ist dies zwar die traditionelle Form der geldpolitischen Liquiditätsbereitstellung, die sich jedoch in der Zusammensetzung durch Käufe von Federal-Agency-Papieren und Mortgage-Backed-Securities veränderte und insbesondere nach November 2010 volumenmäßig stark erhöhte. Die Bank of England richtete Anfang 2009 im Auftrag des Schatzkanzlers den sogenannten Asset Purchase Facility Fund ein, der auch zur Erreichung geldpolitischer Ziele dient. Der Fonds wird für Verluste durch den Staat entschädigt, und die Rechnungsabschlüsse werden nicht mit denen der Bank of England konsolidiert. Allerdings finanziert die Bank of England diesen Fonds mit Krediten, die in ihrer Bilanz verbucht werden. Im Rahmen der Asset Purchase Facility wurden überwiegend britische Staatspapiere, s.g. gilts, angekauft.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die geldpolitischen Portfolios des Eurosystems, die über endgültige Käufe entstanden sind, im Vergleich zur Federal Reserve und Bank of England sehr gering sind. Sie betragen im Eurosystem weniger als 10 Prozent der Bilanzsumme, während sie bei der Federal Reserve und der Bank of England über 90 Prozent umfassen. Im Eurosystem erfolgt die großzügige Liquiditätsbereitstellung hingegen primär über die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte mit dreijähriger Laufzeit.

6 Herausforderungen der krisenbedingten Bilanzentwicklungen

Welche geldpolitischen Herausforderungen ergeben sich für die Zentralbanken durch die krisenbedingten Bilanzentwicklungen? Durch die Sondermaßnahmen sind im Eurosystem wie auch bei der Fed und der Bank of England die Zentralbankguthaben von Banken stark gestiegen. Einige Ökonomen vertreten die Ansicht, dass dies Inflationsrisiken berge und bezeichnen es als sogenannte quantitative Lockerung. Für die Politik der quantitativen Lockerung existiert keine allgemein anerkannte Definition, und die in diesem Rahmen ergriffenen Maßnahmen sowie deren Begründung unterscheiden sich je nach Zentralbank. Die Ökonomen Claudio Borio (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) und Piti Disyatat (Bank of Thailand) sprechen daher allgemeiner von Bilanzpolitik.1

Unter normalen Umständen signalisieren Notenbanken ihren geldpolitischen Kurs durch Zinsentscheidungen. Während der Krise haben sich die Leitzinsen vieler Notenbanken jedoch ihrer natürlichen Untergrenze angenähert. Zudem wird die Steuerung der kurzfristigen Geldmarktsätze als nicht ausreichend erachtet, um weiter gehende Probleme zu bewältigen, wie die Spannungen an den Interbankenmärkten zu mildern, die Kreditvergabe an Nichtbanken zu unterstützen und die Risikospreads an bestimmten Märkten zu verringern.

Umfangreiche Zentralbankguthaben sind aber nicht die primäre Intention der Bilanzpolitik. Sie sind nur das Spiegelbild von Maßnahmen auf der Aktivseite der Bilanz. Sie signalisieren auch keine Inflationsrisiken, wie Auslegungen des Standard-Geldschöpfungsmultiplikators nahelegen könnten. Das Eurosystem gewinnt, wie andere Notenbanken, Informationen zu künftigen Risiken für die Preisstabilität aus einer Vielzahl von wirtschaftlichen, finanziellen und monetären Indikatoren. Entstünden Inflationsrisiken, würde das Eurosystem durch eine Erhöhung der Leitzinsen reagieren. Da ein Kredit oder eine andere Anlage im Bankgeschäft nur dann erfolgt, wenn der erwartete Ertrag die zusätzlichen Kosten übersteigt, wird eine Bank ihre Aktivitäten tendenziell verringern, sobald die Leitzinsen angehoben werden. Grundsätzlich kann der Leitzinssatz unabhängig von der Höhe der Zentralbankguthaben festgelegt werden. Die Zentralbank kann auch bei umfangreichen Guthaben der Banken, deren Verzinsung im Einklang mit ihrem operativen Handlungsrahmen festsetzen, die Marktzinssätze beeinflussen und so den Restriktionsgrad des geldpolitischen Kurses jederzeit erhöhen. Notenbanken wie die Federal Reserve und die Bank of England verzinsen die gesamten Überschussreserven. Andere wie das Eurosystem stellen eine verzinste Einlagefazilität zur Verfügung, die die Untergrenze für die Geldmarktsätze bestimmt.

Um im Bedarfsfall Überschussliquidität effektiv zu absorbieren, können Zentralbanken auf verschiedene in ihren Handlungsrahmen verfügbare Instrumente zurückgreifen, etwa Reverse-Repogeschäfte, die Hereinnahme von Termineinlagen, eine Erhöhung der Mindestreserveanforderungen, die Begebung von Zentralbank-Schuldverschreibungen oder auch endgültige Verkäufe von Vermögenswerten. Wenn die Märkte in der Zukunft ihre Finanzierungs- und Intermediationsfunktionen wieder stabil übernehmen und die Sondermaßnahmen der Notenbanken nicht länger benötigt werden, werden die Zentralbanken von derartigen liquiditätsabschöpfenden Instrumenten aktiv Gebrauch machen.

Zentralbanken übernehmen bei der Durchführung liquiditätszuführender geldpolitischer Geschäfte stets auch finanzielle Risiken, welche während einer Finanzkrise üblicherweise steigen. Aus Sicht der geldpolitischen Entscheidungsträger ist dies insofern gerechtfertigt, als sich durch das Nichthandeln der Zentralbank höhere Risiken für die Geldwert- und die Finanzstabilität ergeben könnten. Im Gegensatz zu geldpolitischen Zinsbeschlüssen kann Bilanzpolitik jedoch hohe finanzielle Risiken mit sich bringen, ohne dass ihr Erfolg garantiert ist. Überdies müssen die Maßnahmen nicht unbedingt von der Zentralbank ausgeführt werden. Der Staat könnte zum Beispiel selbst problembehaftete Aktiva ankaufen und hierfür Staatstitel emittieren. Im Euro-Währungsgebiet mit seinen 17 souveränen Staaten gestaltet sich die Koordinierung der Zuständigkeiten mit Regierungen und Bankensektor natürlich wesentlich schwieriger, wie die Diskussionen zur Höhe und Verwendung des EFSF bzw. ESM zeigen.

Vor dem Hintergrund der Bilanzentwicklungen infolge der geldpolitischen Sondermaßnahmen ist das finanzielle Risiko, dem das Eurosystem ausgesetzt ist, deutlich gestiegen. Dies hängt einerseits schlicht mit der erheblichen Verlängerung der Bilanz durch den erhöhten Umfang und die längeren Laufzeiten der geldpolitischen Refinanzierungsgeschäfte zusammen. Andererseits ist das höhere Risiko auch der bereits erwähnten effektiven Lockerung der Sicherheitenanforderungen für geldpolitische Kreditgeschäfte geschuldet. Dieses Risiko wird jedoch streng überwacht und gesteuert, vor allem, indem Bewertungsabschläge vorgenommen werden, um Liquiditäts- und Kreditrisiken Rechnung zu tragen. Trotzdem ist unter dem Gesichtspunkt des Risikomanagements wegen des sehr hohen „tail risks“ grundsätzlich ein engerer Kreis an Sicherheiten mit geringeren Bewertungsabschlägen einem weiteren Kreis mit entsprechend größeren Abschlägen vorzuziehen.

Bei einer besicherten Kreditvergabe erleidet die Zentralbank erst dann einen Verlust, wenn es gleichzeitig sowohl zu einem Ausfall des Geschäftspartners als auch zu einem Zahlungsausfall für die hinterlegten Sicherheiten kommt, einem sogenannten Doppelausfall. Ist beim zugrunde liegenden Wertpapier (jedoch nicht beim Geschäftspartner) ein Ausfall zu verzeichnen, so kann die Zentralbank einen Margenausgleich verlangen oder gegebenenfalls ein Kreditgeschäft rückabwickeln. Fällt ein Geschäftspartner aus, kann die Sicherheit am Markt verkauft werden. Da Zentralbanken nicht mit Liquiditätsbeschränkungen konfrontiert sind, können sie die Sicherheiten so lange halten, bis die Marktbedingungen ausreichend günstig sind, um Verlustrisiken zu minimieren. Zur Einschätzung von Risiken aus einem Doppelausfall ist die Korrelation zwischen Geschäftspartnern und Sicherheiten von entscheidender Bedeutung. Das Korrelationsrisiko wird im Eurosystem unter anderem dadurch aufgegriffen, dass es dem Geschäftspartner untersagt ist, Sicherheiten einzureichen, die von einem Emittenten begeben wurden, zu dem er „enge Verbindungen“ unterhält. Das Eurosystem setzt überdies anteilige Beschränkungen innerhalb der Sicherheitenpools seiner Geschäftspartner fest, die den Wert ungedeckter, von Bankengruppen begebener Schuldverschreibungen betreffen.

Unter dem Strich hat sich das Risiko, dem das Eurosystem aufgrund der geldpolitischen Kreditgeschäfte ausgesetzt ist, seit Oktober 2008 erhöht. Der Sicherheitenrahmen ist aufgeweicht worden. So sind marktfähige Schuldverschreibungen, die vom griechischen, irischen oder portugiesischen Staat emittiert oder garantiert sind, von der Mindestbonitätsschwelle ausgenommen. Die Ratinganforderungen für mit Wohnimmobiliendarlehen und mit Krediten an kleine und mittlere Unternehmen besicherte Asset-backed-Securities (ABS) wurden von zwei „AAA“ bei Emission auf zwei „A-“ abgesenkt, wenn gewisse zusätzliche Kriterien erfüllt werden. Die nationalen Zentralbanken können eigene Kriterien, die von den gemeinsamen Kriterien abweichen für die Hereinnahme nicht notleidender Kreditforderungen festlegen. Diese NZB-spezifischen Kriterien sind dabei sehr heterogen und können beispielsweise die Absenkung der Mindestbonitätsschwelle auf eine jährliche Ausfallwahrscheinlichkeit von 1,5 Prozent oder die Akzeptanz von Kreditportfolien beinhalten. Die Verlustteilung unter den nationalen Zentralbanken des Eurosystems ist für diese Kreditforderungen ausgesetzt. Die Bundesbank wird einstweilen keine zusätzlichen Kreditforderungen zulassen.

Allerdings werden nun striktere Risikokontrollmaßnahmen angewendet. Dazu zählen beispielsweise höhere Bewertungsabschläge und Ratinganforderungen für ABS sowie verschärfte Regeln zu den zugrunde liegenden Forderungen. Parallel zur permanenten Senkung der Mindestbonitätsschwelle des Eurosystems auf „BBB-“ (vorher „A-“) wurden deutlich höhere Bewertungsabschläge für diese Sicherheiten eingeführt. Zudem können NZBen seit März 2012 die Akzeptanz von staatlich garantierten, ungedeckten Bankschuldverschreibungen als Sicherheit ablehnen, sofern der garantiegebende Staat einem Programm der EU oder des IWF unterliegt oder das Rating unterhalb der Mindestratingschwelle des Eurosystems liegt. Die Bundesbank macht von dieser Möglichkeit Gebrauch und wird ab 10. Mai 2012 keine ungedeckten Bankschuldverschreibungen aus Griechenland, Portugal und Irland als Sicherheit akzeptieren.

Die Tatsache, dass es zu einem Doppelausfall kommen muss, damit finanzielle Verluste tatsächlich eintreten, gilt allerdings nicht für die geldpolitischen Wertpapierportfolios, die insbesondere im Zuge des SMP durch das Eurosystem aufgebaut wurden. In diesem Fall ist das Eurosystem eindeutig mit höheren Risiken konfrontiert. Der Grund hierfür ist, dass das Eurosystem, wenn es Wertpapiere erwirbt und sie in seiner Bilanz hält, vollständig und ohne Absicherung das Ausfallrisiko des Emittenten trägt. Da das Eurosystem beabsichtigt, alle angekauften Wertpapiere bis zu ihrer Fälligkeit zu halten, kommen Markt-, Zins- und Liquiditätsrisiken nicht zum Tragen. Die große Summe (rund 215 Milliarden Euro) an erworbenen langfristigen Staatsanleihen, die von hoch verschuldeten Euro-Ländern begeben wurden, führt dazu, dass die Zentralbanken des Eurosystems angemessene Rückstellungen bilden müssen. Nur dadurch ist sichergestellt, dass das potenzielle Ausfallrisiko im Einklang mit den Grundsätzen der vorsichtigen Rechnungslegung berücksichtigt ist. Das bedeutet, dass die Notenbankgewinne, die vom Eurosystem an die Länder des Euro-Raums abgeführt werden, über einen längeren Zeitraum hinweg womöglich deutlich niedriger ausfallen werden. Indem die Ausschüttung potenzieller Gewinne zurückgehalten wird, kann das Eurosystem für das höhere Kreditrisiko effektiv Vorsorge treffen. Die Bundesbank hat genau aus diesem Grund im Rahmen ihres Jahresabschlusses die Risikovorsorge seit 2010 deutlich erhöht.

Indirekt könnte die Bundesbank als Anteilseigner der EZB von Risiken betroffen sein, denen die EZB ausgesetzt ist. Darauf bezieht sich auch die öffentliche Diskussion zu den Target2-Salden, die seit 2008 deutlich angestiegen sind. Sie sind vor allem Ausdruck der Vertrauenskrise im Bankensektor einiger Euro-Länder und von Verwerfungen im Interbankenmarkt. Banken nutzen aus diesen Gründen stärker das Eurosystem als alternative Finanzierungsquelle, denn im Zuge der Krisenbekämpfung hat das Eurosystem seine Refinanzierungsgeschäfte quantitativ und qualitativ deutlich ausgeweitet. Das eigentliche Problem sind somit die Risiken, die sich aus den Refinanzierungsgeschäften des Eurosystems mit diesen Banken ergeben. Die Target2-Salden sind demgegenüber nur das Symptom, das auf die zugrunde liegenden Risiken verweist.

Eine eigenständige Bedeutung erhalten Target2-Salden nur in dem hypothetischen Fall, dass ein Land mit negativem Saldo aus der Währungsunion ausscheidet und die NZB des betreffenden Landes nicht in der Lage ist, ihre Verbindlichkeiten gegenüber der EZB voll auszugleichen. In diesem Fall müsste für die verbliebene Differenz eine Regelung gefunden werden, beispielsweise ein Rückzahlungsplan. Erst wenn die Restforderung uneinbringlich wäre, entstünde bei der EZB ein bilanzwirksamer Verlust. EZB-Verluste werden zunächst durch laufende Einkünfte und Wagnisrückstellungen abgedeckt. Über einen darüber hinaus notwendigen Ausgleich entscheiden die nationalen Zentralbanken als Kapitaleigner im EZB-Rat mit Kapitalmehrheit. Für das resultierende bilanzielle Risiko der NZBen ist aber nur ihr jeweiliger Kapitalanteil und nicht ihr Target2-Saldo relevant.

Umgekehrt werden die Target2-Salden wieder in dem Ausmaß zurückgehen, wie das Vertrauen der Banken untereinander zurückkehrt und diese sich wieder am Markt statt über das Eurosystem refinanzieren.

Wie ist das mit den Krisenmaßnahmen einhergehende erhöhte finanzielle Risiko nun mit Blick auf das Eigenkapital der Zentralbanken zu beurteilen? Die während der Staatsschuldenkrise vom Eurosystem erworbenen Vermögenswerte stellen einen permanenten Risikotransfer vom privaten zum öffentlichen Sektor dar. Mögliche Verluste würden vergemeinschaftet. Im Gegensatz zu einem Privatunternehmen kann eine Zentralbank jedoch niemals illiquide und damit im technischen Sinne insolvent werden. Vermögenswerte können stets bis zur Fälligkeit gehalten werden, weshalb die Zentralbank lediglich dem Kreditrisiko, jedoch nicht dem Liquiditäts- oder Zinsrisiko ausgesetzt ist. Verluste der NZBen müssen von Eigentümern nicht unmittelbar über einen Kapitalnachschuss ausgeglichen werden und ein Verlustvortrag hätte keine Auswirkungen auf die betriebswirtschaftlichen Erfordernisse der Bundesbank. Verluste schaden aber möglicherweise der Reputation der Zentralbank. Das Eigenkapital einer Zentralbank ist damit vielmehr ein Signalgeber für die politische Unabhängigkeit, den Ruf und die Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die Umsetzung der Geldpolitik. Beim Eintreten von Verlusten wäre schließlich eine glaubhafte Kommunikationspolitik von zentraler Bedeutung, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bereitschaft und in die Fähigkeit der Notenbank zu bewahren, das vorrangige Ziel der Geldpolitik, nämlich die Gewährleistung von Preisstabilität, weiter zu verfolgen.

7 Ausblick und Schlussbemerkungen

Lassen Sie mich zum Abschluss einige aus meiner Sicht wichtige grundsätzliche Punkte hervorheben, die sich im Zusammenhang mit den krisenbedingten Sondermaßnahmen der Zentralbanken ergeben

Normalerweise sind schlanke Zentralbankbilanzen und geringe Risiken vorzuziehen. In Krisen lässt sich dieses Ideal jedoch nicht unbedingt verwirklichen. Geldpolitische Portfolios mit staatlichen oder staatsnahen Vermögenswerten sind bei anderen Zentralbanken wesentlich bedeutender als im Eurosystem und werden dort zum Teil gemeinsam mit dem Staat koordiniert. Dies ist grundsätzlich fragwürdig, denn die fiskalische Finanzierung über die Zentralbankbilanz ist nicht demokratisch legitimiert.

Mit Blick auf den Euro-Währungsraum kommt hinzu, dass es zwar eine Währungsunion, aber keine Fiskalunion gibt. Diese de facto durch die Hintertür der Zentralbankbilanz einzuführen, würde das demokratische Mitspracherecht des Bürgers im Euro-Raum untergraben. Die Krise kann im ungünstigen Fall weitere Kosten bedeuten. Wie diese von der Gemeinschaft getragen werden sollen, müssen die Volksvertreter in den Parlamenten entscheiden. Zentralbanken sind in dieser Frage nicht entscheidungsbefugt. An der klaren Aufgabentrennung von Fiskal- und Geldpolitik darf daher nicht gerüttelt werden. Die Geldpolitik sollte sich möglichst bald wieder allein auf die Gewährleistung von Preisstabilität im Euro-Währungsraum konzentrieren. Dies ist die primäre Aufgabe der EZB und der nationalen Zentralbanken im Euro-Raum, die sie seit Beginn der Währungsunion unabhängig von der Politik erfolgreich erfüllen. Ich gehe fest davon aus, dass sich an dieser stabilitätsorientierten Grundausrichtung der Geldpolitik des Eurosystems trotz der krisenbedingten temporären Sondermaßnahmen auch in Zukunft nichts ändern wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Fußnoten:

1. Siehe C. Borio und P. Disyatat, Unconventional monetary policies: an appraisal, BIS Working Papers No 292, November 2009.