Für alle Fälle gewappnet – Vernetzte Weltwirtschaft: Zwischen Kooperation und Konfrontation Impulsstatement beim Hauptstadtempfang

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

wirtschaftlich sind Deutschland und der Euroraum international verflochten, und das ist auch gut so! Wir profitieren vom Welthandel. Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen achten wir allerdings zurecht verstärkt darauf, dass „international verflochten“ nicht gleichbedeutend ist mit „abhängig“, vor allem nicht in strategisch wichtigen Sektoren. So gilt es, etwa Lieferketten robuster zu machen gegenüber möglichen Störungen im internationalen Warenverkehr. Auch der Wahlausgang in den USA birgt Störpotenzial – sprich wirtschaftliche Unsicherheiten.

2 Mögliche Folgen des US-Wahlausgangs für Europa

Gemäß den Aussagen im Wahlkampf sind je nach Wahlausgang sehr unterschiedliche wirtschaftspolitische Entwicklungen denkbar. Eine Wahl Donald Trumps könnte mit drastischen Zollerhöhungen, einer expansiven Fiskalpolitik und einer starken Einschränkung der Zuwanderung einhergehen. Ein Wahlsieg von Kamala Harris dürfte hingegen größere Kontinuität in der Handels- und Wirtschaftspolitik bedeuten.

Im Falle von massiven Zollerhöhungen und wahrscheinlichen Gegenzöllen erscheint es plausibel, dass der negative Effekt daraus stärker auf die US-Wirtschaft wirkt als der fiskalpolitische Stimulus. In einem solchen Szenario wäre außerdem ein erheblicher Inflationsanstieg in den USA möglich, denn durch Zölle steigen die Preise für Importwaren. Die amerikanische Zentralbank könnte dadurch zu Leitzinsanhebungen veranlasst werden.

Mit welchen Auswirkungen müssten wir diesseits des Atlantiks rechnen? Würden Trumps Ankündigungen umgesetzt, könnte dies im Euroraum und in Deutschland zu spürbaren Wachstumseinbußen führen. Das läge nicht nur an den Folgen gravierend höherer Zölle, die direkt oder indirekt unsere Exportwirtschaft beeinträchtigen würden. Sondern auch die Unsicherheit wäre bedeutsam, die ein Wahlsieg Trumps in Europa auslösen dürfte. Sie könnte die Tendenz bei Unternehmen verstärken, sich mit Investitionen zurückzuhalten.

Aufgrund der im Vergleich zum restlichen Euroraum überdurchschnittlichen Handelsverflechtung Deutschlands mit den USA könnten die negativen Effekte für Deutschland größer sein als für den Euroraum. Im Jahr 2023 war Deutschland mit Abstand der größte Exporteur Europas in die USA. Auch der Anteil der Exporte in die USA an den gesamten Exporten lag höher als in den meisten EU-Mitgliedsländern.

In diesem Szenario könnte der heftige Schwenk in der US-Wirtschaftspolitik auch Inflationsrisiken für den Euroraum und Deutschland mit sich bringen. Der Hauptkanal hierfür wäre die Wechselkursentwicklung, beeinflusst durch die amerikanische Geldpolitik: Falls die Fed auf einen Inflationsschub in den USA stärker mit Zinsanhebungen reagieren müsste als der EZB-Rat auf die hiesige Preisentwicklung, wäre eine Abwertung des Euro zu erwarten und mithin ein Anstieg unserer Importpreise.

Verglichen mit Trumps Agenda hätten Harris‘ Vorschläge wohl überschaubare gesamtwirtschaftliche Effekte und Ausstrahlwirkungen.

Meine Damen und Herren, Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht. Dieses Zitat von Joachim Ringelnatz zeigt, dass man Unsicherheit mit Humor nehmen kann. Humor allein reicht mir aber nicht – weder für eine Zentralbank noch für andere Wirtschaftsakteure.

Bei Unsicherheit ist es nötig, in Szenarien zu denken und sich für mögliche Konstellationen zu wappnen. Wir in der Bundesbank und im Eurosystem machen das. Ich bin sicher, dass die Bundesregierung und die neue EU-Kommission dies ebenfalls tun. Unabhängig vom Wahlausgang in den USA kann es womöglich ein heilsamer Prozess sein, wenn externe Herausforderungen unsere Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft in Europa stärken.

3 Geldpolitik des Eurosystems bleibt auf Kurs

In Sachen Geldpolitik sind wir im EZB-Rat in jedem Fall bereit, das Nötige zu tun, um Preisstabilität zu sichern. Naturgemäß steht dabei unser eigener Wirtschaftsraum im Mittelpunkt. Aber die Inflation und Konjunktur im Euroraum werden vom Umfeld beeinflusst – zum Beispiel von der US-Politik.

Die Gesamtinflationsrate im Euroraum ist im September gemäß Schnellschätzung erstmals seit über drei Jahren wieder unter 2 Prozent gefallen. In Deutschland lag die Teuerungsrate gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex nach vorläufigen Angaben wie im Euroraum bei 1,8 Prozent. Erfreulicherweise sind inzwischen auch die Inflationserwartungen wieder gut verankert. Aber die Kerninflation und insbesondere die Entwicklung bei den Dienstleistungspreisen sind noch nicht zufriedenstellend. Deshalb gilt: Wir müssen wachsam bleiben, damit sich die Inflationsrate mittelfristig bei 2 Prozent einpendelt. Auch wenn die Teuerungsraten in den kommenden Monaten aufgrund von Basiseffekten wieder etwas steigen dürften: Die Inflation ist grundsätzlich auf dem Rückzug.

Bei der Entwicklung der Leitzinsen werden wir uns weiterhin nach den Daten richten. So unerfreulich die jüngsten Daten zur Stimmung im deutschen Unternehmenssektor auch sein mögen, Schlagzeilen wie, die Wirtschaft hierzulande befinde sich im Abwärtsstrudel, erscheinen überzogen.[1] Und die Wirtschaft im Euroraum wächst – in diesem Jahr zwar verhalten, aber den September-Projektionen der EZB-Fachleute zufolge dürfte das Wachstum im nächsten Jahr etwas zulegen.

4 Schluss

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schluss zurückkehren zum globalen Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konfrontation. Einerseits bleibt für Europa selbstverständlich ein enger Verbund mit seinen weltweiten Partnern insbesondere bei der Handels- und Klimapolitik wichtig. Wir sollten uns auch künftig, wo immer wir können, für gute internationale Zusammenarbeit einsetzen.

Andererseits muss sich Europa auf geopolitische Risiken einstellen – auch auf geoökonomische Fragmentierung, also einen Abbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Staaten. Wie können wir uns auf solche Risiken einstellen? Im Oktober haben wir alle bereits wichtige Erfahrungen mit Resilienz gemacht: Wir haben im Zweifel immer eine Jacke dabei. Beim Schuhwerk wählen wir das Exemplar, das auch mal eine Pfütze übersteht. Und wenn wir den Regenschirm mitnehmen, sind wir bei einem Wetterumschwung gewappnet. Unser Ziel sollte sein, uns so aufzustellen, dass der Regen Europa nichts anhaben kann – in welcher Form er auch kommen mag.

Und wir sollten trotz aller Regenwolken die sonnigen Seiten nicht übersehen: Wir haben die Energiekrise und die große Inflationswelle überwunden, ohne dass es zu einer tiefen Rezession gekommen wäre. Und trotz aller Herausforderungen haben im Euroraum so viele Menschen wie noch nie Arbeit. Das zeugt in meinen Augen von einem guten Maß an Resilienz. Darauf können wir aufbauen.

Fußnoten:

  1. Geschrumpft wie lange nicht: Deutsche Wirtschaft vom Abwärtsstrudel erfasst - n-tv.de