Euroclearing – Quo Vadis? Begrüßung zum Empfang der Bundesbank in der HV Frankfurt

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie herzlich und freue mich sehr, dass Sie der Einladung zum jährlichen Empfang für unsere Partner im Bereich Zahlungsverkehr und Abwicklungssysteme so zahlreich gefolgt sind.

Ich möchte Ihr Augenmerk auf eine aktuelle Diskussion richten, die uns alle betrifft: Das Euroclearing und die anstehende Überarbeitung der europäischen Derivateregulierung.

2 Einführung

Wie zahlreiche finanzpolitische Diskussionen hat auch diese ihren eigentlichen Ursprung in der Finanzmarktkrise. Aufgrund dieser Erfahrungen wurde die Regulierung der Derivatemärkte wesentlich verstärkt.

Ziel der neuen Regulierung war zum einen die Verbesserung der Transparenz im Finanzsystem. Insbesondere sollten bestehende Risiken für alle Beteiligten offensichtlicher werden. Zum anderen sollte der Derivatehandel sicherer werden. Anders ausgedrückt: Das Management bestehender Risiken sollte verbessert werden.

In der EU wurden diese Ziele mit der sogenannten EMIR-Verordnung verwirklicht. Die Kernelemente der Verordnung sehen einerseits einen einheitlichen Aufsichtsrahmen für alle Zentrale Gegenparteien (CCPs) in der EU vor. Andererseits verpflichtet die EMIR-Verordnung die Marktteilnehmer, einen Großteil der gehandelten Derivate über Zentrale Gegenparteien zu verrechnen.

Was bedeutet das? Die ursprünglich zwischen zwei Marktteilnehmern bilateral abgeschlossenen Derivatekontrakte und das damit verbundene Ausfallrisiko werden auf eine zentrale Instanz, die CCP, übertragen. Diese übernimmt im Gegenzug für alle Parteien das Risikomanagement. Die CCP ist damit eine systemrelevante Infrastruktur im Finanzsystem.

Zu Recht wird daher eine starke Aufsicht über CCPs benötigt. Nur so können die unabsehbaren wirtschaftlichen und systemischen Wirkungen eines möglichen CCP-Ausfalls kontrolliert werden. An dieser Stelle knüpft nun unsere aktuelle Diskussion zum Euroclearing an.

3 Brexit und Euroclearing

Meine Damen und Herren, das Vereinigte Königreich hat sich dazu entschlossen, die EU zu verlassen. Was hat das mit CCPs zu tun, mögen sich nun einige von Ihnen fragen.

Sehr viel. Denn britische CCPs, die bisher unter EU-Recht beaufsichtigt wurden, werden nach dem Brexit ohne weitere Anschlussregelungen automatisch zu Drittstaaten-CCPs. Sie unterliegen somit nicht mehr der gemeinsamen EU-Aufsicht. Bestehen bleiben jedoch die Risiken für die EU und den Euro.

Von welchen Risiken spreche ich? Lassen Sie uns einen kurzen Blick auf den größten britischen CCP werfen: LCH Ltd. hat beispielsweise für das Zinsderivategeschäft am 20. November 2017 ein tägliches Geschäftsvolumen von 2.600 Mrd. Euro ausgewiesen. Das Volumen aller dort ausstehenden Geschäfte belief sich an diesem Tag sogar auf mehr als 265.000 Mrd. Euro, wobei das Volumen in Euro denominierter Kontrakte mit über 82.000 Mrd. Euro mehr als 30 Prozent ausmachte.

Meines Erachtens besteht an dieser Stelle direkter Handlungsbedarf. Von britischen CCPs ausgehende Risiken für die EU und den Euro müssen einer auf EU-Recht basierten Überwachung unterliegen. So wie bisher auch.

Die Europäische Kommission hat dies ebenfalls erkannt. Sie hat deshalb Änderungen für die künftige Aufsicht von Drittstaaten-CCPs vorgeschlagen. Wichtigster Maßstab soll dabei zukünftig die Systemrelevanz einer CCP sein. Für kleinere und weniger risikoreiche CCPs wird sich gegenüber dem Status quo daher wenig ändern.

Anders sieht es jedoch für Drittstaaten-CCPs aus, die für die EU systemisch relevant sind. Diese sollen in Zukunft direkt von der europäischen Wertpapieraufsicht, der ESMA, beaufsichtigt werden.

Zusätzlich zur direkten EU-Aufsicht sollen diese Drittstaaten-CCPs aber auch vergleichbare Anforderungen, wie sie für EU-CCPs gelten, erfüllen müssen. Meines Erachtens führt kein Weg an einer risikobasierten Weiterentwicklung der Aufsicht vorbei. In der Sache findet dieser Vorschlag daher meine volle Unterstützung. Über die konkrete Ausgestaltung sollte noch diskutiert werden.

Meine Damen und Herren, mir erscheint es angebracht, gesetzliche Regelungen insbesondere auch für extreme Szenarien zu entwickeln.

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Das Euroclearing eines Drittstaaten-CCPs könnte in seiner Dimension so groß sein, dass selbst eine direkte Beaufsichtigung durch EU-Behörden nicht ausreicht. Welche Handlungsoptionen haben wir in diesem Fall? Zunächst sollte uns allen klar sein: Das Handeln der EU muss sich an den Risiken für den Euro sowie der anderen Währungen innerhalb der EU orientieren. Somit erscheint es mir zwingend notwendig, dass eine Drittstaaten-CCP dann, wenn von ihr erhebliche Risiken für die EU und den Euro ausgehen, ihr Euroclearing-Geschäft in letzter Konsequenz in die EU verlagern muss. Nur so kann sichergestellt werden, dass kontinentaleuropäische Behörden bei der Aufsicht das Heft in die Hand nehmen.

Die EU-Kommission stellt derzeit Überlegungen für solch ein Lokationserfordernis an. Nach ihrer Ansicht sollten „substanziell“ systemrelevante CCPs nur dann für EU-Marktteilnehmer aktiv sein dürfen, wenn sie ihre Clearingaktivitäten in die EU verlagern.

Laut EU-Kommission wäre ein Drittstaaten-CCP „substanziell“ systemrelevant, wenn selbst bei Einhaltung strenger aufsichtlicher Vorschriften weiterhin Risiken für die EU entstünden.

Ein Lokationserfordernis für Drittstaaten-CCPs ist keineswegs der Normalfall, sondern sollte eher als Ultima Ratio aufgefasst werden. Nichtsdestotrotz halte ich diese Option für zwingend notwendig.

Mit Blick auf die eingangs von mir geschilderte schiere Größe des Derivategeschäfts britischer CCPs möchte ich daher nicht ausschließen, dass nach dem Brexit eine Verlagerung von Clearingaktivitäten in die EU notwendig werden könnte. Für mich ist entscheidend, dass EU-Aufseher auch nach dem Brexit einen Zugriff auf das Euroclearing haben.

4 Aufsicht über EU-CCPs

Meine Damen und Herren, trotz der immensen Bedeutung der Themen Systemrelevanz und Lokationserfordernis für Drittstaaten-CCPs dürfen wir auch die künftige Regulierung von in der EU ansässigen CCPs keinesfalls aus den Augen verlieren.

Insbesondere kommt der innereuropäischen Aufsicht eine Schlüsselrolle zu, wenn ein Lokationserfordernis relevant wird und substanziell systemrelevante Drittstaaten-CCPs ihr Geschäft in die EU verlagern.

Auch hier schlägt die EU-Kommission zwei gravierende Änderungen vor: Die stärkere Einbindung der währungsemittierenden Zentralbank, der sogenannten „Central Bank of Issue“, und die Zentralisierung der Aufsicht über EU-CCPs bei der ESMA.

Lassen Sie mich zunächst auf die Rolle der „Central Bank of Issue“ bei der Überwachung von EU-CCPs eingehen. Bisher sind die nationalen Zentralbanken des Eurosystems und die EZB gemeinsam als „Central Bank of Issue“ für den Euro an der Überwachung von EU-CCPs beteiligt.

Dies ist meines Erachtens auch notwendig. Denn es sind letztlich die nationalen Zentralbanken, die im Krisenfall möglicherweise Liquidität für die CCP oder deren Clearingteilnehmer, sprich Banken, als Lender of Last Resort bereitstellen müssen.

Die Überwachungstätigkeit der „Central Bank of Issue“ soll daher sicherstellen, dass die Risikomanagementsysteme der CCPs adäquat funktionieren. Jedoch hat die „Central Bank of Issue“ im heutigen Rechtsrahmen keine herausgehobene Stellung inne, um ihre Anforderungen auch direkt durchzusetzen. In stürmischen Zeiten kann ihre Stimme im Chor des Aufsichtskollegiums leicht überhört werden.

Nach den aktuellen Vorschlägen der EU-Kommission soll sich das aber zukünftig ändern. Es ist vorgesehen, die Eingriffsmöglichkeiten der „Central Bank of Issue“ bei der Überwachung von EU-CCPs zu stärken.

Im Wesentlichen werden Maßnahmen, die die Ausübung der Kernaufgaben der „Central Bank of Issue“ berühren, zustimmungspflichtig. Es handelt sich schlicht gesagt um ein implizites Vetorecht bei entscheidenden Sachfragen.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals betonen, dass stärkere Eingriffskompetenzen der „Central Bank of Issue“ aus meiner Sicht notwendig und auch angemessen sind.

Wie Sie sehen, hat die EU-Kommission wichtige Veränderungen bei der Aufsicht über CCPs angestoßen. Insbesondere die Pläne für Drittstaaten-CCPs und die zusätzlichen Kompetenzen für die „Central Bank of Issue“ sehe ich als notwendig an.

Jedoch beinhalten die Vorschläge der EU-Kommission die in Europa üblich gewordene Tendenz zur Zentralisierung der Aufgaben. Das in den EU-Verträgen verankerte Prinzip der Subsidiarität hat es immer schwerer, Beachtung zu finden.

Die EU-Kommission plant, vereinfacht gesagt, die Zentralisierung der Aufsicht über EU-CCPs mit der ESMA als zuständige Behörde. Diese europäische Behörde, die im CCP-Bereich bisher hauptsächlich für die einheitliche Regelauslegung der EMIR-Verordnung zuständig ist, soll zukünftig also die zentrale Instanz bei der Aufsicht über EU-CCPs werden.

Die bisher für die CCP-Aufsicht in der EU zuständigen nationalen Behörden, in Deutschland die BaFin, sollen nach dem Willen der EU-Kommission keine relevanten Entscheidungen mehr treffen können, ohne dass die ESMA ihre Einwilligung erteilt hat.

Ich möchte an dieser Stelle nicht diskutieren, ob die Erwägungsgründe der EU-Kommission für diesen Paradigmenwechsel in der CCP-Aufsicht hinreichend überzeugend formuliert sind.

Ich halte aber die Zentralisierung der Aufsicht aus einem wesentlichen Grund für nicht zielführend: Haftung und Kontrolle bei der Regulierung von CCPs müssen in einer Hand bleiben. Daher sollte die Aufsicht über EU-CCPs in den Händen der nationalen Aufsichtsbehörden verbleiben und die Vertretung der „Central Bank of Issue“ für den Euro durch die nationalen Zentralbanken wahrgenommen werden. Denn schlussendlich sollte eine Situation vermieden werden, in welcher der nationale Steuerzahler für entstehende Risiken haftet, dieser aber bei Aufsichtsmaßnahmen nicht mitentscheiden kann, da das Entscheidungsrecht bei der ESMA liegt.

5 Schluss

Meine Damen und Herren, derzeit sind die Verhandlungen über die zukünftige Ausgestaltung der Derivateregulierung und die Zukunft des Euroclearings auf europäischer Ebene in vollem Gang. Sie werden uns sicherlich auch im nächsten Jahr beschäftigen. Aber: Die Zeit drängt. Der Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union Ende März 2019 rückt unaufhaltsam näher.

Das ist jedoch nicht alles, was uns in der näheren Zukunft beschäftigen wird. Es sind viele weitere Themen in der Pipeline. Lassen Sie mich kurz die Vorhaben des Eurosystems zur Weiterentwicklung der Markinfrastrukturen erwähnen. TARGET2 feiert seinen zehnten Geburtstag, die Migration auf TARGET2-Securities ist erfolgreich abgeschlossen und das Projekt zur Realisierung eines Instant-Payment-Services durch das Eurosystem genannt TIPS ist auf den Weg gebracht und wird im November 2018 seinen Betrieb aufnehmen. Ein Beschluss zur Konsolidierung der Zahlungsverkehrs- und Wertpapierabwicklungsinfrastruktur von TARGET2 und TARGET2-Securities mit dem Ziel der Umsetzung bis November 2021 ist in Vorbereitung. Letzteres wird auch erhebliche Anstrengungen auf Seiten der Teilnehmer verlangen, wenn ich an die Umstellung auf das neue Nachrichtenformat (ISO 20022) denke. Auch laufen derzeit die Planungen zum einheitlichen europäischen Sicherheiten-Managementsystem ECMS. Aber diese Themen können wir gerne im Laufe des Abends vertiefen. Wichtig ist mir, dass wir mit Ihnen gemeinsam aktiv die Zukunft mitgestalten.

Meine Damen und Herren, wir freuen uns, dass Sie, unsere Partner, heute zum gegenseitigen Austausch gekommen sind.