Die Stabilitätsunion sichern Dankesrede anlässlich der Verleihung des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik in Berlin am 5. Juli 2012

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Jurymitglieder,

sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Barbier, sehr herzlich für die freundliche Begrüßung und Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Hank, für die wohlwollende Laudatio.

Über die Zuerkennung des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik habe ich mich sehr gefreut, wenngleich ich gestehen muss, dass ich sehr überrascht war, als ich auf der IWF-Frühjahrstagung davon erfuhr. Aber bei näherer Betrachtung zeigt sich eben auch, wie wichtig das öffentliche Verständnis der Bedeutung stabilen Geldes für die Notenbanken ist und dass hierzu auch eine publizistische Arbeit notwendig ist.

Ich danke der Jury für diese ehrenvolle Auszeichnung und möchte zugleich betonen, dass ich diesen Preis nicht allein als Würdigung meiner Person verstehe, sondern auch und vor allem der Institution, deren Präsident ich bin, und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

2 Zur Stabilitätskultur der Bundesbank

Ludwig Erhards Handeln und Denken war von seinem Vertrauen in die markt­wirtschaftlichen Prinzipien geprägt. Dazu zählt nicht zuletzt, dass wirtschaftliche Freiheit und das Prinzip der Haftung zwei Seiten einer Medaille sind. Denn nur Marktakteure, die für ihr Handeln auch selbst haften, handeln verantwortlich. Diese Überzeugung hat in den letzten Jahrzehnten nichts an Aktualität und Relevanz verloren.

Die Geschichte der Bundesbank ist eng mit dem Wirken Erhards verbunden. Schließlich war er maßgeblich verantwortlich für die Währungsreform von 1948 und gilt als „Vater der D-Mark“. In seinem Buch „Wohlstand für Alle“ (1957) schrieb er: „Die soziale Marktwirtschaft ist ohne eine konsequente Politik der Preisstabilität nicht denkbar“[1]. Beständiger Anwalt in dieser Sache war und bleibt die Bundesbank. Stabiles Geld ist das Fundament, auf dem wirtschaftlicher Wohlstand erst gedeihen kann. Die vorteilhaften Wirkungen der Sozialen Marktwirtschaft beruhen zu einem wesentlichen Teil auf Voraussetzungen, die eine Marktwirtschaft nicht aus sich selbst hervorbringen kann. Dies erkannt zu haben, lange bevor die Institutionenökonomik in den Wirtschaftswissenschaf­ten breite Popularität erlangte, ist das Verdienst der Begründer der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland.

Die entscheidende Bedeutung von Regeln und Institutionen für einen stabilen marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen erweisen sich gerade in Zeiten von Krisen. Mit der Finanz- und Schuldenkrise ist die Bundesbank wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt als in den ersten Jahren nach Einführung des Euro. Das spüre ich auch ganz persönlich. Wir werden nun wieder stärker als eigenständige und notwendige Institution wahrgenommen, und zwar sowohl in Deutschland als auch im Eurosystem. Die Bundesbank ist nahezu jedem Deutschen ein Begriff, die Unterstützung für unser Primärziel Geldwertstabilität ist breit angelegt. Es ist dieser Rückhalt in der eigenen Bevölkerung, der den Erfolg einer Notenbank erst möglich macht. Und hierbei spielt eben auch die Berichterstattung einer gut informierten Presse eine große Rolle.

In der internationalen Presse hingegen gilt die Bundesbank bisweilen wahlweise als dogmatisch, starrsinnig oder als Prinzipienreiterin, weil wir auch in der Krise auf die Bedeutung von Geldwertstabilität und die Notwendigkeit der Bindungswirkung von Regeln für einen dauerhaft stabilen Ordnungsrahmen hinweisen. Dies ist für viele eine unbequeme Wahrheit.

Nicht selten heißt es, die Deutschen seien geradezu besessen von ihrer Furcht vor Inflation, weil sich die Erfahrung einer Hyperinflation in den 1920er Jahren ins kollektive Gedächtnis gebrannt habe. Zugegeben, diese Erfahrung mag dazu beigetragen haben, dass uns Deutschen Geldwertstabilität besonders wichtig ist. Eine ebenso wichtige Rolle spielt aber auch die positive Erfahrung, welche die Deutschen mit der D-Mark gemacht haben.

Die D-Mark war stabiler als die meisten anderen Währungen. Das ist nicht zuletzt dem starken Rückhalt in der Bevölkerung zu verdanken, der es erst erlaubte, die Unabhängigkeit der Bundesbank in der Praxis mit Leben zu füllen. In einem Aufsatz zum zehnten Jahrestag der Einführung der D-Mark schrieb Ludwig Erhard (ein bisschen stolz): „Wer hätte mehr Vertrauen verdient als eine Bundesregierung und die Leitung einer Notenbank, die allen Verführungen zum Trotz auf dem Pfad der Tugend blieben, d. h. eine Wirtschafts- und Währungspolitik verfolgten, die ein so zartes Pflänzchen wie die junge Deutsche Mark binnen (…) zehn Jahren zu einer der härtesten Währungen der Welt werden ließ.“[2]

Was Erhard in dieser Aussage verschweigt, ist, dass die Notenbank gerade in den Anfangsjahren heftige Auseinandersetzungen mit Bundeskanzler Adenauer hatte. Ich spiele auf die legendäre „Fallbeil“-Rede an: Als Mitte der 50er Jahre die deutsche Konjunktur zu überhitzen drohte und der Zentralbank­rat die geldpolitischen Zügel anzog, schimpfte Adenauer auf die Geldpolitik, die „wie ein Fallbeil“ die kleinen Leute treffe. Der Zentralbankrat ließ sich davon wenig beeindrucken, was wiederum die Bevölkerung beeindruckte und das Ansehen der jungen Notenbank stärkte. Ohne den Rückhalt in der Bevölke­rung hätte sich auch die Bundesbank schwer getan, ihren stabilitätsorientierten Kurs konsequent zu verfolgen. Weil dem so ist, hätten auch die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands einmal einen Erhard-Preis verdient.

Der Rückhalt und das Vertrauen in die Stabilitätsorientierung der Bundesbank zahlte sich gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten aus: In den ölkrisengeplagten 70er Jahren verzeichneten wir mit einer durchschnittlichen Inflation von 5 % zwar auch in Deutschland eine recht hohe Teuerung. Mit Ausnahme der Schweiz hatten die meisten anderen Industrieländer jedoch mit deutlich höheren Inflationsraten zu kämpfen: z. B. USA 8 %, Japan 9 %, Frankreich 10 %, Italien 14 % und Spanien 15 %.

Die Bundesbank hat sich nie gescheut, unbequeme Ansichten zu vertreten. Das hat sich auch mit der Einführung des Euro nicht grundlegend geändert. Bereits im Vorfeld der Währungsunion wies die Bundesbank auf die Konsequenzen einer gemeinsamen Währung hin. In einer Stellungnahme von 1990 hieß es: „Letzten Endes ist eine Währungsunion damit eine nicht mehr kündbare Solidargemeinschaft, die nach aller Erfahrung für ihren dauerhaften Bestand eine weitergehende Bindung in Form einer umfassenden politischen Union benötigt.“[3]

Nun würde ich diesen 22 Jahre alten Satz insoweit relativieren, als nach meiner Überzeugung eine Währungsunion sehr wohl ohne eine umfassende politische Union grundsätzlich funktionieren kann. Aber er zeigt, dass die Bundesbank schon damals kommen sah, welche Probleme eine Währungsunion mit finanzpolitisch souveränen Mitgliedstaaten nach sich ziehen kann und dass ein stärkerer Souveränitätsverzicht eine Möglichkeit ist, dieser Probleme Herr zu werden.

Natürlich haben solche Äußerungen damals bei manchen den Eindruck erweckt, die Bundesbank wolle vor allen Dingen eines: die Währungsunion verhindern, um ihre Bedeutung nicht zu verlieren. Die aktuelle Krise zeigt jedoch, dass die Mahnungen sachlich gerechtfertigt waren.  

3 Zur Krisenpolitik

3.1 Rolle der Geldpolitik

Auch für die Bundesbank ist klar, dass die Schuldenkrise im Euro-Raum eine außergewöhnliche Situation ist, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordert. Wir haben jedoch von Anfang an vor den Risiken und Nebenwirkungen der geld- und fiskalpolitischen Krisenoperationen gewarnt. So müssen auch kurzfristig wirkende Krisenmaßnahmen vor dem Hintergrund ihrer langfristigen Wirkungen betrachtet werden. Eine rein kurzfristig orientierte Krisenpolitik nach dem Motto „Not kennt kein Gebot“ können und wollen wir nicht gutheißen.

Die Bundesbank steht hinter dem Euro. Und gerade deshalb setzen wir uns mit Verve dafür ein, dass der Euro eine stabile Währung bleibt und die Währungsunion eine Stabilitätsunion. Es gibt verschiedene Wege, dieses Ziel zu erreichen. Sicherlich nicht erreichen werden wir dieses Ziel aber, wenn die europäische Geldpolitik in zunehmendem Maße für Zwecke eingespannt wird, die ihrem Mandat nicht entsprechen.

Die unkonventionellen Sondermaßnahmen des Eurosystems haben dazu beigetragen, eine Eskalation der Krise zu verhindern. Das Eurosystem hat im Zuge dieser Maßnahmen aber erhebliche Risiken auf seine Bilanzen genommen, Risiken innerhalb des Euro-Raums umverteilt und sein Mandat weit gedehnt. Das Problem ist, dass wir zunehmend bedrängt werden, weitreichende Entscheidungen zu treffen, für die wir meines Erachtens demokratisch nicht legitimiert sind. Dies gilt gerade unter den Rahmenbedingungen einer Währungsunion souveräner Mitgliedstaaten. Im Übrigen sollte klar sein, dass diese Bilanzrisiken auch Risiken für Ansehen und Glaubwürdigkeit der Notenbanken darstellen.

Letztlich spiegelt sich in den gestiegenen bilanziellen Risiken, dass im Zuge der Krisenbekämpfung die Grenzen zwischen Geld- und Finanzpolitik unschärfer geworden sind. So unvermeidbar diese Verwischung bis zu einem gewissen Grad ist, sie darf nicht so weit führen, dass die Geldpolitik sich vor den Karren der Finanzpolitik spannen lässt. Unbegrenzte Staatsanleihekäufe oder eine Zentralbankfinanzierung der Rettungsschirme („Banklizenz“), wie sie immer wieder gefordert werden, dehnen nicht bloß das Mandat der Notenbanken, sie sind mit ihm unvereinbar. Denn sie würden mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung kollidieren: Staatsdefizite dürfen nicht mit Hilfe der Notenpresse finanziert werden. Das Eurosystem ist einzig und allein deswegen unabhängig gemacht worden, damit es die Geldwertstabilität gewährleisten kann. Die Unabhängigkeit darf nicht dazu dienen, die demokratische Legitimierung fiskalpolitischer Entscheidungen zu umgehen.

Die Geldpolitik kann die Krise im Euro-Raum nicht lösen. Die Krise ist im Kern eine Vertrauenskrise und Vertrauen kann man mit Geld nicht kaufen. Es muss mühsam erarbeitet werden, indem die Probleme an der Wurzel angegangen werden. Maßnahmen, die die Krise bei ihren Ursachen packen, kann nur die Finanz- und Wirtschaftspolitik ergreifen.

Der bisherige Krisenverlauf hat indes gezeigt, dass sehr oft, wenn die Noten­banken Krisenmaßnahmen ergriffen haben, der nachlassende Handlungsdruck dazu geführt hat, dass die Finanzpolitik ihre Hausaufgaben auf die lange Bank geschoben hat. Die Sorgen der Gründungsväter der Währungsunion haben sich insoweit als berechtigt erwiesen. Und wer glauben sollte, dass sich ein tragfähiges europäisches Haus auf dem Fundament einer Notenbankfinanzie­rung bauen ließe, der irrt und verwechselt das Schmerzmittel mit der Ursachentherapie. Hier sind vielmehr fundamentale politische Richtungsentscheidungen gefordert, die von der Bevölkerung mitgetragen und legitimiert werden müssen.

3.2 Wege zu einem konsistenten EWU-Rahmen

Die Währungsunion wird nur dann dauerhaft stabilisiert, wenn sich die Politik auch auf einen konsistenten und glaubwürdigen Ordnungsrahmen einigt.

Derzeit gibt es eine einheitliche europäische Geldpolitik, aber 17 nationale Finanzpolitiken. Mitgliedstaaten haften grundsätzlich nicht für die Schulden anderer Mitgliedstaaten („No-Bail-out“-Klausel). Weil in einer Währungsunion aber die Versuchung einer übermäßigen Verschuldung steigt, gab und gibt es zusätzliche Fiskalregeln, die ein exzessives Schuldenmachen mit Hilfe der Androhung finanzieller Sanktionen verhindern sollen – oder wie es Udo di Fabio jüngst ausgedrückt hat, „ein Grenzzaun […] der, wenn er hält, vor Schäden bewahrt, die aus einem leichtfertigen Umgang mit der Freiheit entstehen“[4].

Auf dem Papier ist dies ein schlüssiger Rahmen, da der Haftungsausschluss dafür sorgt, dass die finanzpolitische Eigenständigkeit nicht zur Verantwortungslosigkeit gegenüber den anderen Mitgliedsländern wird. Diese beiden Seiten von Eigenverantwortung – selbst entscheiden und selbst die Folgen tragen – sind ein konstitutives Prinzip marktwirtschaftlicher Systeme und die Schwächung dieses Prinzips ist bekanntlich ein wichtiger Faktor für die Erklärung der Finanzkrise.

Die Staatsschuldenkrise hat freilich auch Schwächen in dem bestehenden Maastricht-Rahmen offengelegt. So hat sich gezeigt, dass Ansteckungsrisiken und Gefahren für die Finanzstabilität in diesem Rahmen unzureichend Beachtung finden.

Die Politik hat auf diese Schwachstellen mit institutionellen Reformen reagiert. In einem Rahmen letztlicher Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten sind zuvorderst diese gefordert, das in der Krise verloren gegangene Vertrauen in die fiskalische Solidität und die Stabilität der nationalen Finanzsysteme wiederherzustellen. Dort, wo dies nicht ausreicht, wurden Unterstützungsfazilitäten eingesetzt, die den betroffenen Ländern Zeit für die notwendigen Anpassungen geben. In einem Rahmen der Eigenverantwortlichkeit sind diese solidarischen Hilfen jedoch naturgemäß begrenzt. Hilfsprogramme dürfen nur gegen die Erfüllung von Bedingungen gewährt werden und die Ausgestaltung der Programme hat Anreize zu setzen, möglichst rasch wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Weitgehend unkonditionierte Hilfen oder gar Transferzahlungen sind mit dem ursprünglichen Maastricht-Rahmen nicht vereinbar.

Mit Blick auf die bisherige Krisenpolitik stellt sich deshalb immer dringlicher die Frage, ob der bestehende Rahmen überhaupt noch tragfähig ist – nicht, weil er grundsätzlich ungeeignet wäre, wohl aber, weil wir uns vom Maastricht-Rahmen zunehmend entfernen, da Risiken immer stärker vergemeinschaftet werden und die Bindungswirkung der vereinbarten Regeln über die Zeit immer schwächer wurde.

Konkret: Die Gewährung von Fiskalhilfen aus den Rettungsfonds wurde ursprünglich an eine strenge Konditionalität mit Überwachung gebunden. Zudem wurden deutliche Zinsaufschläge vereinbart, damit der Eintritt in ein Programm und der möglichst lange Verbleib darin nicht attraktiv werden. Fiskalhilfen sollten Ultima Ratio der Krisenpolitik sein. Diese Position wurde mittlerweile erkennbar aufgeweicht. Nachdem auf Zinsaufschläge bereits weitgehend verzichtet wird, heißt es nun, dass die Einhaltung der bestehenden Verpflichtungen im Rahmen des europäischen fiskalpolitischen und makroökonomischen Regelwerks ausreichen kann, um Fiskalhilfen zu erhalten. Die Konditionalität würde somit weiter gelockert, der Ultima-Ratio-Gedanke weiter untergraben.

Geht man diesen Weg weiter, dann wird der Maastricht-Rahmen der nationalen Eigenverantwortung weitgehend entkernt. Wie sieht nun aber eine trag­fähige und in sich schlüssige Alternative zu einem derart inkonsistenten Ordnungsrahmen aus? Sicherlich nicht so, dass die Staaten weiterhin autonom ihre Finanzpolitik festlegen, die Folgen aber weitgehend auf die anderen abwälzen können. Wenn die No-Bail-out-Klausel nicht mehr streng angewandt wird und Staaten de facto für andere haften, dann muss diese Mithaftung die nationale Entscheidungsfreiheit der Empfängerländer beschneiden.

Ich hatte ja zu Beginn gesagt, dass Freiheit und Haftung zwei Seiten derselben Medaille sind. Wenn die Haftung für die eigenen Entscheidungen aber nicht mehr glaubwürdig ist und eine Mithaftung der anderen von den politisch Verantwortlichen für unausweichlich befunden wird, dann müssen die, die haften sollen, Kontrollmöglichkeiten bekommen. 

Haftung und Kontrolle müssen dann ins Gleichgewicht gebracht werden.

Eine weitere Ausdehnung von Gemeinschaftshaftung setzt daher strenge Regeln sowie zentrale Kontrollmöglichkeiten und Durchgriffsrechte voraus. Diese stellen einen erheblichen Eingriff in die nationale Souveränität dar und sie setzen daher – einstimmig zu beschließende – Änderungen der EU-Verträge und typischerweise Anpassungen der nationalen Verfassungen voraus.

Einen derartigen Integrationsschub bekommen wir also nicht von heute auf morgen. Das darf aber kein Grund sein, die Reihenfolge auf den Kopf zu stellen. Wenn die Politik die Schrittfolge einer Integrationsvertiefung umkehrt, also erst die gemeinsame Haftung etabliert und dann auf lange Frist die Fiskalunion anstrebt, werden wir keine Stabilitätsunion erreichen. Darauf hätte wohl auch Ludwig Erhard mit Nachdruck hingewiesen.

Hat der Euro-Gipfel der letzten Woche hier mehr Klarheit geschaffen? Meine Antwort hierauf ist: nein. Ein definitives Urteil fällt schon deshalb schwer, weil die Beschlüsse einen weiten Interpretationsspielraum eröffnen. Unbeantwortet bleibt vor allem, ob der Maastricht-Rahmen weiterhin Geltung haben soll oder ob ein Mehr an Integration einschließlich der Aufgabe nationaler Souveränität – im fiskalischen Bereich – angestrebt wird. Solange dies unklar bleibt, ist die Ankündigung neuer Hilfen kritisch zu sehen; zumal wenn diese weitgehend ohne zusätzliche Bedingungen in Aussicht gestellt und Regeln zum Schutz der Geberländer – Stichwort vorrangiger Gläubigerstatus – aufgeweicht werden. Das ursprüngliche Konzept, das Hilfen als Ultima Ratio gegen strikte Konditionalität und Überwachung vorsieht, wird so weiter aufgeweicht, die Balance zwischen Haftung und Kontrolle wieder ein Stück in Richtung Gemeinschaftshaftung verschoben.

Das zweite Ergebnis des Gipfels ist das prinzipielle Bekenntnis zu einer echten europäischen Bankenaufsicht. Diese institutionelle Weichenstellung kann im Prinzip ein wichtiger Bestandteil einer stärkeren Integration der Währungsunion sein. Hier kommt es aber ebenfalls auf die konkrete Ausgestaltung und die richtige Schrittfolge an. Haftung und Kontrolle müssen auch hier in der Balance bleiben. Eine direkte Bankenrekapitalisierung über gemeinschaftliche Mittel sollte nicht vor einer Etablierung einer effektiven Aufsichtsstruktur und nicht ohne die vorherige Übernahme der Verantwortung für bestehende Fehlentwicklungen durch die Anteilseigner und die betroffenen Mitgliedstaaten erfolgen.

Meiner Ansicht nach muss eine Neuordnung des institutionellen Rahmens der Bankenaufsicht auch in eine umfassende Neuordnung des regulatorischen Rahmens der Aufsicht und in eine Begrenzung der nationalen Spielräume der Wirtschafts- und Finanzpolitik eingebettet werden. Dies anders zu sehen, hieße die Aufsicht zu überfordern. Ungeklärt bleibt auch die Frage der parlamentarischen Kontrolle der zentralisierten Aufsicht, die auch hoheitliche Entscheidungen treffen würde, und der möglichen Interessenkonflikte, falls die EZB Aufsichtsfunktionen übernehmen sollte.

Kurzum: Eine Bankenunion ist kein kurzfristiges Instrument zur Lösung der bestehenden Probleme, sondern ein ambitioniertes Projekt, dessen Komplexität nicht hinter der der Währungsunion und der vergemeinschafteten Geldpolitik zurücksteht.

4 Schluss

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.

Ich möchte der Ludwig-Erhard-Stiftung noch einmal herzlich für die Auszeichnung zu danken. Der Verhaltenskodex der Bundesbank untersagt es Vor­standsmitgliedern aus gutem Grund, ein solches Preisgeld selbst anzuneh­men. Auf meinen Wunsch kommt es stattdessen der Stiftung „Zwerg Nase“ zu Gute. Die Stiftung finanziert den Betrieb des Zwerg Nase-Hauses in Wiesbaden. Die Einrichtung ermöglicht behinderten Kindern Pflegeaufenthalte. Damit sollen die Lebensqualität der Kinder gesteigert und auch ihren Familien die Möglichkeit zur Erholung verschafft werden.

Und schließlich gratuliere ich natürlich meinem Mitpreisträger, Herrn Dr. Joffe. Die Medien tragen in der aktuellen Krise eine große Verantwortung. Sie müssen den Menschen die enorm komplizierten Zusammenhänge verständlich vermitteln und sie sollen über die Krise und die Krisenpolitik aufklären ohne dabei in Schwarzmalerei zu verfallen. Journalisten und Publizisten, denen dieser Spagat gelingt, gilt daher eine große Anerkennung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  1. L. Erhard, Wohlstand für Alle, 8. Aufl., 1964, Düsseldorf, Wien, S. 15.
  2. L. Erhard, Zehn Jahre D-Mark, Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung vom 20. Juni 1958, Nr. 108, S. 1113.
  3. Stellungnahme der Deutschen Bundesbank zur Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion in Europa, 19. September 1990, abgedruckt in: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Oktober 1990, S. 41.

  4. U. di Fabio, Das europäische Schuldendilemma als Mentalitätskrise, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Juni 2012, S. 9.