Die Herausforderungen der Digitalisierung für Banken und Bankenaufsicht Rede beim Finanzplaner-Forum Österreich in Wien
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Lieber Otto Lucius, lieber Andreas Ittner,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, heute hier beim Finanzplaner-Forum zu Ihnen über die Bedeutung der Digitalisierung für den Bankensektor zu sprechen.
Noch vor einigen Jahren waren Dinge völlig unvorstellbar, die heute selbstverständlich geworden sind: Mobiles Internet, selbstlernende Algorithmen, autonom fahrende Autos, biometrische Erkennungssoftware - um nur einige Beispiele zu nennen. Und obwohl wir alle wissen, dass wir bereits mitten im digitalen Wandel stecken, wird dieser vielfach noch unterschätzt - unter anderem in weiten Teilen des traditionellen Banken- und Finanzsektors. Aber auch dieser Sektor befindet sich inmitten einer riesigen digitalen Veränderung.
2 Die Bankbranche im Umbruch
Und so stellt sich sowohl für Banker als auch für Aufseher die Frage, was die Branche tun kann, um diese Veränderung aktiv mitzugestalten und sogar von ihr zu profitieren.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Selbstverständlich haben die meisten Banken schon vor Jahrzehnten aufwändige IT-Infrastrukturen im Kernbankengeschäft etabliert, und Onlinebanking gehört mittlerweile zum Standardangebot. Die aktuelle Digitalisierungswelle aber vereinfacht und beschleunigt nicht nur einzelne Prozesse, sondern verändert viele Spielregeln des Bankengeschäfts.
Im Folgenden möchte ich drei Triebkräfte diskutieren, die diese digitalen Veränderungen antreiben. Es sind die Technologie, die Konkurrenz und die Kunden.
Einen ganz wesentlichen Impuls hat die Digitalisierung der Finanzbranche durch mittlerweile sehr leistungsfähige und ausgereifte Technologien erhalten.
Dank Breitbandnetzen, Smartphones und Leistungssprüngen in der Datenverarbeitung verschieben sich die technischen Grenzen so schnell, dass sie faktisch keine Einschränkung mehr darstellen. Was jetzt in den Mittelpunkt rückt, ist die Frage nach sinnvollen Anwendungen. Ökonomisch ist die Digitalisierung in vielerlei Hinsicht attraktiv. Mit intelligenter und gut eingesetzter IT können Prozesse automatisiert und variable Kosten gespart werden. Informationen können ohne Zeitverlust verarbeitet, verknüpft und analysiert werden. Ebenso hilft uns die heutige IT, Komplexität zu beherrschen. Und nicht zuletzt ermöglicht sie Dienstleistungen, die individuell auf den Kunden zugeschnitten sind.
Was der digitalen Entwicklung weitere Kraft verleiht, ist die neue Konkurrenz. Längst sind nicht mehr nur Banken die Hauptakteure bei digitalen Finanzdienstleistungen. Innovative Unternehmen der Finanztechnologie, kurz FinTechs, haben in den vergangenen Jahren bereits eine große Anzahl IT-basierter Geschäftsideen entwickelt: für den Zahlungsverkehr, für die Kreditvermittlung oder für die Vermögensberatung.
Gewöhnlich überlebt nur ein kleiner Teil solch innovativer Ideen und neuer Unternehmen den Härtetest der Praxis. Dennoch zeigen die FinTechs durch ihre Ideenvielfalt, welches Entwicklungspotenzial in der Bankenbranche steckt.
Neben der Technologie und der Konkurrenz sind es aber schließlich auch die Kunden, die die Digitalisierung mitgestalten. Früher wurde das Bankgeschäft als ein Geschäft angesehen, das nur im persönlichen Kontakt möglich ist. Heute wenden sich Bankkunden zunehmend aufgeschlossen - bisweilen sogar fordernd - neuen technologischen Möglichkeiten ihrer Bankgeschäfte zu, ermutigt durch ihre positiven Erfahrungen mit Informationstechnologie in anderen Bereichen des Lebens. Onlinebanking ist mittlerweile für viele Bankkunden selbstverständlich. Gleichzeitig steigt mit innovativen Angeboten wie Videoberatung, digitaler Kreditvermittlung oder der Einbettung von sozialen Medien in Bankgeschäfte die Akzeptanz gegenüber digitalem Bankgeschäft mehr und mehr.
Keine Frage: Die Digitalisierung in der Finanzbranche hat eine eindeutige und unumkehrbare Dynamik gewonnen. Doch wohin wird sich die Branche entwickeln? Visionen reichen bis hin zum "banking without banks", also einer funktionstüchtigen Finanzbranche ohne Banken. In den Medien wird bisweilen sogar ein Überlebenskampf zwischen Banken und "digitalen" Herausforderern heraufbeschworen.
Aber traditionelle Banken sind selbstverständlich nicht überflüssig. Einerseits sind sie mit dem Angebot von Konten auch für innovative Finanzdienstleister unersetzlich. Andererseits haben sie ganz eigene Wettbewerbsvorteile bei der Digitalisierung. Dazu gehört, dass sie ein Gesamtpaket an Dienstleistungen und Geschäftsfeldern anbieten können, das für die Kunden und für das Institut selbst Synergien schafft. Ein Vorteil ist auch, dass die Kunden nach wie vor großes Vertrauen in Geschäftsbanken haben, was etwa die Datensicherheit angeht - das zeigen zumindest verschiedene Umfragen. Auch bei komplexeren Finanzierungsfragen wird der persönliche Kontakt zu Banken nach wie vor geschätzt.
Die zentrale Frage, die sich nun stellen muss, ist die nach den Optionen, welche sich in dem Übergang zum digitalen Zeitalter für die Banken bieten.
3 Handlungsoptionen im digitalen Zeitalter
Natürlich ist es nicht die Aufgabe der Aufsicht, Banken die richtige Strategie im Umgang mit der Digitalisierung vorzugeben. Welche Geschäftsmodelle erfolgreich sind, wird durch unternehmerisches Geschick bestimmt. Am Ende entscheiden die Märkte.
Nichtsdestotrotz erlaube ich mir an dieser Stelle, Ihnen zwei grundlegende Botschaften mit auf den Weg zu geben, die ich angesichts des Megatrends Digitalisierung für besonders wichtig halte.
Die erste Botschaft schließt an das an, was ich gerade gesagt habe. Sie lautet: "Aussitzen ausgeschlossen". Es mag eine Tugend sein, sich auf das zu konzentrieren, was man gut kann und Veränderungen in Ruhe abzuwarten. In einer Umbruchphase wird das allerdings vermutlich in eine Sackgasse führen. Stillstand ist Rückschritt.
Zur Gefahr, auf dem falschen Fuß erwischt zu werden, gesellt sich zeitlicher Druck. Bei einem Umbruch bilden sich grundlegend neue Standards und neue Gewohnheiten. Wenn auf diese Weise erste Trampelpfade auf dem Feld der Digitalisierung entstanden sind, erscheint es mehr oder weniger überflüssig, sich noch Gedanken über die Wegplanung zu machen.
Ein Beispiel ist der Zahlungsverkehr. Dort haben Wettbewerber wie PayPal oder jüngst Apple Zahlungsverfahren eingeführt, die den Konsumenten im digitalen Umfeld entgegenkommen. Gewöhnen sich die Kunden erst einmal an eine neue Art des Bezahlens, haben Wettbewerber mit ähnlichen Produkten es alles andere als leicht, die Kunden zum Wechsel zu bewegen. Und daher ist es auch so wichtig, dass die Kreditwirtschaft gemeinsam antritt, um ihre Chancen zu erhöhen.
Zusammengefasst kann ich den Banken also nur empfehlen, die Entwicklungen nicht auszusitzen, sondern sich aktiv und intensiv mit dem Thema Digitalisierung und mit dessen Bedeutung für das eigene Institut auseinanderzusetzen.
Die zweite Botschaft lautet in knappen Worten: "Neue Wege einschlagen und über den Tellerrand blicken".
Gerade mit dem bereits erwähnten Vorpreschen von FinTechs auf den Markt der Finanzdienstleistungen stellt sich die Frage, wie Banken mit dieser Entwicklung umgehen können.
Um diese Frage zu beantworten empfiehlt es sich, die Stärken und Schwächen beider Akteure einmal genauer zu betrachten: FinTechs zeichnen sich in der Regel durch einen sicheren Umgang mit modernen Technologien aus. Dies sind Bereiche, die bei traditionellen Banken noch nicht sehr weit entwickelt sind. Bei aller Innovationskraft teilen die meisten FinTech-Unternehmen aber eine Schwäche: Sie alle leiden unter einem Mangel an Bekanntheit, Vertrauen, Erfahrung und Kundenbeziehungen - genau die Stärken, die der Bankensektor aufweist. Vor allem das bestehende Vertrauen ihrer Kunden in die Kompetenz für Bankgeschäfte, in die Datensicherheit und den Datenschutz ist für Banken ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, den sie nutzen und kommunizieren können.
Dies im Hinterkopf, ergeben sich mehrere Handlungsmöglichkeiten, die wir zum Teil auch schon in der Praxis sehen. Die erste Möglichkeit besteht darin, dass Banken und FinTechs strategische Allianzen eingehen und miteinander kooperieren. Zweitens können Banken eigene digitale Plattformen gründen oder sich an Start-ups beteiligen. Und drittens haben manche FinTechs inzwischen schon Banklizenzen erworben.
Die Möglichkeiten sind verschieden, die Richtung ist klar: Hin zu einem digitalen Finanzsektor, in dem alle Akteure quasi gezwungen sind, flexibel und offen für Neues zu sein. Denn wer in der digitalen Finanzbranche bestehen will, muss ihre neuen Spielregeln verinnerlichen und anwenden. Wer nicht "digital" denkt, wird es schwer haben im Wettbewerb um den digitalen Kunden.
4 Digitalisierung - Die Sicht eines Bankenaufsehers
Aufseher sind an stabilen und nachhaltig profitablen Kreditinstituten interessiert. Möglicherweise erscheint Ihnen die Digitalisierung an diesem Punkt meiner Rede ausschließlich als Bedrohung für das gewohnte Geschäft von Banken. Doch es lohnt sich, eine andere Perspektive einzunehmen, in der die Digitalisierung nicht das Problem, sondern vielmehr die Lösung ist.
Was uns als Aufseher im Moment stark beschäftigt ist die Ertragsschwäche des Bankensystems. Eine zentrale Ursache für diese Ertragsschwäche ist die anhaltende Phase niedriger Zinsen. Das Problem der Ertragsschwäche zu lösen, ist für die Stabilität des Finanzsystems entscheidend. Die Digitalisierung kann insofern sehr wohl Teil der Lösung sein.
Sinnvoll eingesetzte Informationstechnologie kann zum Beispiel neue Geschäftsfelder generieren und mittelfristig die Rentabilität steigern. Von komfortablen und alltagstauglichen IT-Anwendungen bis hin zu "big data"-Analysen werden derzeit viele potenzielle Ertragsquellen erprobt. Und durch praktische Zusatzleistungen bleiben Kunden ihrer Bank auch im schärferen Wettbewerb verbunden. Stabilität heißt nicht Stillstand - daher ist es sehr wohl im Interesse der Aufseher, wenn Banken sich an eine neue Nachfrage anpassen, um ihre Ertragskraft zu wahren oder gar zu steigern.
Doch auch auf der Kostenseite wirkt die Digitalisierung. So sind zum Beispiel in Deutschland und Österreich die Filialnetze immer noch relativ engmaschig und damit entsprechend teuer. Die Digitalisierung kann dabei helfen, auch mit einem grobmaschigeren Filialnetz noch eine große Zahl an Kunden zu erreichen.
Schließlich kann auch das Risikomanagement von der Digitalisierung profitieren. Die Aufgabe, rechtzeitig gut fundierte Entscheidungen zu treffen, ist herausfordernder denn je. Denken Sie an die immer komplexeren Verknüpfungen von Märkten, Ländern und Produkten und die zunehmende Dynamik der Märkte. Mit einer leistungsfähigen IT-Architektur - und damit meine ich konsistente, anpassungsfähige und akkurat arbeitende Systeme - sind Institute in der Lage, sich einen schnellen Überblick über ihre Aktivitäten und ihre Risiken zu verschaffen. Gut informierte Entscheider erhöhen ihre eigenen Erfolgsaussichten und schützen zudem das Finanzsystem als Ganzes vor Spekulation und Kurzschlusshandlungen.
Aufseher müssen aber auch mögliche Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems im Auge behalten. Das neu gestaltete Spielfeld und die neuen Spieler werden sehr wahrscheinlich auch neue Risiken mit sich bringen. Dem Schutz kritischer Infrastrukturen widmen wir uns als Regulierer bereits zusammen mit anderen Behörden und den jeweiligen Anbietern. Und auch die neuen, weitgehend unregulierten Wettbewerber wie zum Beispiel FinTechs werden wir in den Blick nehmen - da können Sie sicher sein.
Aber auch für die einzelne Bank bringt die Digitalisierung neue Risiken. Die findigsten digitalen Lösungen nützen nur wenig, wenn sie gleichzeitig enormen Risiken die Tore öffnen. So haben die sogenannten Cyber-Risiken in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen. Denn die Zahl der schützenswerten Güter ist gewachsen. Neben Geldvermögen sind inzwischen auch persönliche Daten und damit der Zugang zu Dienstleistungen im "Cyberspace" gespeichert.
Gezielte Angriffe auf IT-Systeme können heutzutage von überall in der Welt aus gestartet werden - oft braucht es kaum mehr als einen Laptop mit Internetzugang. Die Bandbreite von Motiven für Cyber-Angriffe ist groß und reicht von simplen Angriffen durch Amateure bis hin zu minutiös geplanten Angriffen mit ökonomischem oder politischem Hintergrund. Gleichzeitig verbreiten sich neue Angriffs-Methoden blitzschnell über das Netz und entwickeln sich ständig weiter.
Doch es muss nicht immer ein gezielter Angriff sein. Gerade in komplexen IT-Systemen können selbst kleine Fehler im System schnell enorme Schäden verursachen. Das Bewusstsein für diese Risiken scheint mir noch nicht in allen Führungsetagen von Banken vorhanden zu sein. Hier gilt es, dringend aufzuholen und den Schutz der IT-Systeme und Kundendaten deutlich zu verbessern.
5 Fazit
Ich hoffe, dass Sie am Ende meines Vortrages zuversichtlich sind, dass die Digitalisierung eine Entwicklung ist, von der alle Beteiligten profitieren können. Damit die Banken den Anschluss an diese Entwicklung nicht verpassen, sind meines Erachtens vier Dinge erforderlich:
Erstens braucht jede Bank eine "digitale Agenda" und eine anpassungsfähiger Strategie.
Zweitens muss jede Bank ein Gleichgewicht zwischen vorhandenen Stärken und neuen Formen des Bankgeschäfts finden.
Drittens muss jede Bank sich des Problems der IT-Sicherheit bewusst sein und dieses Bewusstsein auch an ihre Kunden weitergeben.
Viertens muss jede Bank ihre IT-Infrastruktur soweit wie nötig modernisieren und für die nötige Sicherheit der Systeme sorgen.
Die neuen Spielregeln zu lernen und den Wandel aktiv mitzugestalten, ist entscheidend, um auf einem digitalen Finanzmarkt mithalten zu können. Denn hier gilt, was schon Winston Churchill formulierte: "Man löst keine Probleme, indem man sie auf Eis legt." Das gilt übrigens nicht nur für die Banken, sondern auch für die Aufseher. Denn es geht nicht nur darum, neue Chancen aufzuspüren und zu nutzen, sondern auch darum, neue Risiken zu erkennen und zu begrenzen. Wenn das gelingt, kann der digitale Wandel für alle Beteiligten erfolgreich und sicher verlaufen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.