Die Bundesbank als Stabilitätsanker in stürmischer Zeit Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Forum Bundesbank"
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident Tigges,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich, heute die Gelegenheit zu haben, Ihnen die Rolle der Bundesbank in stürmischer Zeit darzulegen.
Vorab einige wenige Worte zu meiner Person: Zeitgleich mit Beginn der Subprime- und Bankenkrise habe ich im Sommer 2007 meine Arbeit im Vorstand der Bundesbank begonnen. Mein Dienstantritt war der 16. Juli 2007.
Am 24. Juli 2007 stand die IKB vor dem Abgrund. Seither arbeitet die Bundesbank quasi im Krisenmodus – auch wenn sich die konkrete Ausformung der Krise im Zeitablauf verändert hat. Zurzeit ist die Staatsschuldenkrise das bestimmende Thema. Zur Genüge habe ich also stürmische aber auch spannende und interessante Berufsjahre erlebt.
Heute wird von den Frankfurter Journalisten gemeinhin meine Tätigkeit in der Bank mit der Beschreibung "Innenminister" versehen. Vorher habe ich eine Beamtenlaufbahn bestritten. Zuletzt war ich Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei in Stuttgart.
Wir sind nun also im siebten Jahr der Krise. Sie ist das bestimmende Thema der europäischen Finanz-, Wirtschafts- und Geldpolitik.
In der akuten Phase der Krise haben die Bundesbank und die anderen Notenbanken das Finanzsystem mit unkonventionellen Maßnahmen – vor allem mit Liquiditätsinfusionen – vor dem Kollaps bewahrt. Nun ist der Sturm an den Finanzmärkten wieder etwas abgeflaut und die Aufräum- und Reparaturarbeiten sind in vollem Gange. Reformen in verschiedenen Bereichen werden die Währungsunion widerstandsfähiger gegenüber erneuten Finanzmarktturbulenzen machen. Die Bundesbank nimmt in manchen dieser Reformbereiche selbst eine aktive Rolle ein, in anderen Bereichen tritt sie beratend auf.
Das Mandat des Eurosystems lautet, Geldwertstabilität zu gewährleisten. Diesem Mandat fühlt sich die Bundesbank uneingeschränkt verpflichtet – in ruhiger, aber auch in stürmischer See. Die Bank versteht sich stets als Mahnerin für Preisstabilität. Denn stabiles Geld ist die Grundlage einer stabilen Währungsunion. Und stabiles Geld ist vor allem für die Deutschen das Credo schlechthin.
Stabilität bedeutet aber nicht nur Preisstabilität, sondern auch Finanzstabilität. Diese wird durch eine wirksame Bankenaufsicht und eine funktionsfähige Finanzmarktaufsicht gewährleistet. In beiden Bereichen spielt die Bundesbank national und international eine wichtige Rolle.
Ich möchte heute fünf Themen in den Fokus stellen, die in besonderer Weise einen stabilitätspolitischen Anker benötigen:
Die Ausrichtung der Geldpolitik im Spannungsfeld von kurzfristiger Krisenbekämpfung und langfristiger Stabilitätsorientierung,
die Umgestaltung des Rahmens der Währungsunion hin zu einer dauerhaften Stabilitätsunion,
den Beitrag der Bankenunion zu einem stabileren Finanzsystem,
das makroprudenzielle Mandat der Bundesbankund zu guter Letzt
die Strukturreformen als Voraussetzungen für einen stabilen Währungsraum.
Erstens: Wo stehen wir zurzeit in der Geldpolitik?
Die Lage an den Finanzmärkten hat sich seit Mitte 2012 deutlich entspannt. Die Zinsaufschläge für Staatsanleihen der problemgeplagten Peripherieländer sind deutlich gesunken, ein Stück Vertrauen ist offensichtlich zurückgekehrt – aber eben nur ein Stück.
Hier und da herrscht bereits wieder die Einschätzung vor, der Höhepunkt der Krise sei überschritten, das Schlimmste sei vorbei. So sehr ich dies uns allen wünschte: Sie wissen selbst, wie schnell die Nervosität an den Finanzmärkten mitunter zurückkehren kann. Vor diesem Hintergrund ist es erfreulich, dass die Regierungskrise in Italien (vorerst) recht rasch überwunden werden konnte.
Daneben lässt mich der Umstand, dass sich viele Krisenländer noch in einer Rezession befinden und mit bedrückend hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, vorsichtig bezüglich der Diagnose sein, dass die durchgreifende Wende bereits geschafft sei.
Dies sage ich ungeachtet der unbestrittenen Fortschritte, die in den Krisenländern in verschiedenen Bereichen inzwischen erreicht wurden. In Griechenland wies der Primärhaushalt jüngst einen unerwarteten Überschuss aus. Spanien und Italien nähern sich dem Ende der Dauer-Rezession. Aber es gibt immer noch mehr Schatten als Licht. Deshalb müssen sich alle Beteiligten bewusst sein, dass das eigentliche Lösen der Krise eher einem Marathonlauf als einem Sprint gleicht. Das dürfte besonders – nomen est omen – auf Griechenland zutreffen.
Ein Aufwärtstrend ist in diesen Wochen also klar zu beobachten. Es wäre aber viel zu früh, die Schulden‑Krise für beendet zu erklären.
Hinzu kommt: Die Beruhigung auf den Finanzmärkten und der Rückgang der unsicherheitsbedingten Risikoaufschläge ist zum guten Teil auch darauf zurückzuführen, dass das Eurosystem mit seinen Krisenmaßnahmen den Marktteilnehmern quasi starke Schmerzmittel verabreicht beziehungsweise in Aussicht gestellt hat.
Dass in Krisenzeiten gerade auch die Zentralbanken gefordert sind, ist unbestritten. Daher hat auch das Eurosystem sehr vieles getan, um eine Ausweitung der Krise zu verhindern. Über ein Allheilmittel verfügen die Zentralbanken jedoch nicht.
In der Krise haben Notenbanken weltweit die Zinsen stark reduziert und mit unkonventionellen Maßnahmen die Märkte mit sehr viel Liquidität versorgt.
Diese lockere Geldpolitik war zur unmittelbaren Krisenbekämpfung notwendig. Die niedrigen Zinsen stützen die gedämpfte Konjunktur im Euro-Raum. Allerdings nimmt die Wirksamkeit der lockeren Geldpolitik ab, umso länger sie beibehalten wird, und die Finanzstabilitätsrisiken nehmen zu. Der Ausstieg wird somit schwerer.
In den USA hat die Diskussion über den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik bereits eingesetzt – auch wenn es noch keine Entscheidung gegeben hat. Aber die Erwartung der Marktteilnehmer über eine Anhebung der Fed-Zinssätze ließ auch die Marktzinsen in Europa steigen.
Deshalb hat der EZB-Rat vor Kurzem versucht, sich mit der Einführung der "Forward Guidance" von der Entwicklung der amerikanischen Geldmarktzinsen abzukoppeln.
Die Forward Guidance ist eine Erwartungsäußerung der Notenbank über die zukünftige Entwicklung der Leitzinssätze. Anfang Juli verkündete EZB-Präsident Mario Draghi: "Der EZB-Rat geht davon aus, dass die Leitzinsen in der Euro-Zone noch für eine längere Zeit auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben".
Dadurch soll die geldpolitische Ausrichtung noch einfacher und noch verständlicher erklärt werden, sodass sie von möglichst vielen Marktteilnehmern verstanden wird. Trotzdem ist das kein Versprechen, die Zinsen für längere Zeit niedrig zu halten. Sobald Inflationsdruck entsteht, wird es zu einer Neujustierung der Geldpolitik kommen. Aber um es klar zu sagen: Derzeit ist von einem solchen Inflationsdruck nichts zu sehen.
Dennoch: Entscheidend ist, dass keine Zweifel aufkommen, dass die EZB dem Primärziel – der Wahrung der Preisstabilität – verpflichtet bleibt.
In diesem Zusammenhang möchte ich betonen: Preisstabilität lässt sich am zuverlässigsten erreichen, wenn jede Notenbank sich darauf konzentriert, dies in ihrem Währungsraum zu erreichen. Bundesbankpräsident Weidmann warnte deswegen vor wenigen Tagen völlig zu Recht, dass sich die Notenbanken nicht untereinander zu einer bestimmten Geldpolitik verpflichten sollten – etwa in Form eines koordinierten Ausstiegs aus der lockeren Geldpolitik –, wenn dies das Ziel der Preisstabilität gefährden könnte.
Die aktuelle Niedrigzinspolitik sollte zudem nicht etwa dazu führen, dass der Handlungsdruck auf die Regierungen verringert und nötige Anpassungsprozesse damit verzögert werden.
Ich glaube auch, dass die deutsche Bevölkerung nur dann zur Fortsetzung ihrer Solidarität für den Währungsraum bereit ist, wenn sie sieht, dass die Staaten, denen geholfen wird, auch gewichtige eigene Anstrengungen unternehmen und von ihren Bürgern Opfer abfordern.
Die Krise wird letztlich nur überwunden, wenn
die Mitgliedstaaten ihre Staatshaushalte und Bankensysteme tatsächlich in Ordnung bringen und hierdurch das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen,
die Krisenländer die nötigen Strukturreformen umsetzen, um wettbewerbsfähiger zu werden und
der Rahmen der Währungsunion gestärkt und in sich stimmig ausgestaltet wird.
Nach den ersten akuten Krisenmaßnahmen werden nun die Weichen gestellt, um die Herausforderungen der Krise zu bewältigen und den Euro-Raum widerstandsfähiger gegenüber zukünftigen Krisen zu machen.
Hierbei kommt Deutschland als ökonomischem Schwergewicht eine besondere Rolle zu: aufgrund seiner – relativ gesehen – guten wirtschaftlichen Verfassung bildet es den Stabilitätsanker im Euro-Raum.
Deutschland und die Bundesbank werben für eine stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik im Euro-Raum, die ihrer Verantwortung für den Euro gerecht wird.
Um es konkret zu sagen: solide Staatsfinanzen und nachhaltiges Wachstum sind wichtige Voraussetzungen für stabiles Geld. Deshalb ist die Geldpolitik von den Problemen im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie des Rahmenwerks ebenso betroffen. Das ist der Grund, weshalb die Bundesbank auf Reformbedarf in verschiedenen Bereichen auch außerhalb der Geldpolitik hinweist.
Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt:
Zweitens: Umbau des EWU-Rahmenwerks
Die Krise hat deutliche Schwächen im Rahmenwerk der Währungsunion ans Licht gebracht. Diese Schwächen müssen behoben werden, wenn die Währungsunion dauerhaft stabil sein soll. Um dies zu erreichen, muss innerhalb der Währungsunion das Verhältnis von Entscheidungsfreiheit und Verantwortung wieder in die Balance gebracht werden.
In Kurzform geht es um folgendes: Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen. Ein einfaches Prinzip, welches jedoch die Grundlage für vorsichtiges und verantwortungsvolles individuelles Handeln ist, das am Ende nicht auf Kosten anderer geht. Entscheidungsfreiheit und Verantwortung gehören also als Begriffspaar zusammen, sie sind die zwei Seiten derselben Medaille.
Das richtige Verhältnis von Kontrolle – als Ausdruck der Entscheidungsfreiheit – und Haftung – als Konsequenz aus der Verantwortung – ist jedoch nicht nur für eine Marktwirtschaft von entscheidender Bedeutung. Es ist darüber hinaus auch für die Statik der Europäischen Währungsunion essentiell. Zahlreiche Krisenmaßnahmen haben nun die Balance zwischen Kontrolle und Haftung in der Währungsunion gestört. Hier muss gegengesteuert werden.
Trotz zunehmend gemeinschaftlicher Haftung wurden jedoch die gemeinschaftlichen Kontrollmöglichkeiten nicht in gleichem Maße verstärkt. Im Ergebnis treffen also letztlich immer noch die einzelnen Mitgliedstaaten die finanzpolitischen Entscheidungen, auch wenn im Zweifelsfall alle anderen Länder der Währungsunion für die Folgen mithaften.
Dass dies keine dauerhaft tragfähige Lösung darstellt, lässt sich mit einem einfachen Beispiel illustrieren: Stellen sie sich vor, Sie und Ihr Nachbar benutzen gemeinsam eine Kreditkarte, ohne dass Sie gegenseitig Ihre Ausgaben kontrollieren können. Das kann nicht funktionieren.
Momentan ist der Umbau des EWU-Rahmenwerks in vollem Gange. Hierbei wird die künftige grundsätzliche Ausrichtung der Währungsunion festgelegt. Zwei Möglichkeiten stehen zur Debatte:
Entweder gibt es im gemeinsamen europäischen Haus eine strikte Hausordnung, die von allen Familienmitgliedern akzeptiert wird. Für eine solche Hausordnung ist der währungspolitische Rahmen des Maastricht-Vertrages dort zu stärken, wo in der Krise Schwachstellen deutlich geworden sind.
Oder es gibt alternativ zu diesem Weg einen strengen Familienvorstand, der das Familieneinkommen verteilt und zugleich für Ordnung sorgt. Ein solches Modell ist durch "mehr Europa" zu erreichen, d. h. eine echte Fiskalunion. In einem solchen Rahmen kann es eine Gemeinschaftshaftung aber erst dann geben, wenn die Mitgliedstaaten gleichzeitig Kontrollrechte in Haushaltsfragen an die europäische Ebene abgeben.
Die Bundesbank setzt sich mit Nachdruck dafür ein, dass die künftige Ausgestaltung der Währungsunion eine Stabilitätsunion sein wird, in der das Grundprinzip der Balance von Entscheidungsfreiheit und Verantwortung wieder umfassend gilt.
Beide Möglichkeiten – ein gestärkter Maastricht-Rahmen und eine echte Fiskalunion – erfüllen bei richtiger Umsetzung dieses Grundprinzip.
Solange eine Fiskalunion jedoch nicht mehrheitsfähig ist, kann die Antwort auf die Krise nur lauten, den Maastricht-Rahmen zu stärken. Diesem Zweck dient auch der sogenannte Fiskalpakt, mit dem die finanzpolitische Koordinierung in der Währungsunion verbessert werden soll.
Die deutschen Bürger spüren ja Gott-sei-Dank die Krise kaum direkt. Sie haben aber oft das ungute Gefühl, irgendwann einmal über die Rettungsfonds haften zu müssen. So manche sagen deshalb heute, dass die Stabilisierung nie und nimmer klappen wird. Sie spielen mit dem Feuer, das da heißt: Euro-Austritt.
Bundesbankpräsident Weidmann warnte vor solchen Überlegungen: "Eine Währungsunion ist kein Club, bei dem man problemlos aus- und wieder eintreten kann." Es ist manchmal schon irritierend, wie leichtfertig mit dem Gedanken einer Abspaltung der europäischen Staaten gespielt wird. Wegen der eng verflochtenen Volkswirtschaften würde insbesondere Deutschland erhebliche Nachteile erleiden. In den Worten des früheren Chefvolkswirts der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing: "Das halte ich politisch wie ökonomisch für Selbstmord".
Mir gefällt in diesem Zusammenhang die Einschätzung des früheren EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet, der sagte: "Mir scheint, dass es in Deutschland einen parteiübergreifenden Konsens gibt, dass die Zukunft des Landes in Europa liegt".
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine grundsätzliche Anmerkung zur Rolle Deutschlands in Europa. Mit deutlichen Worten hat Bundespräsident Gauck anlässlich seiner Rede am 3. Oktober 2013 mehr Verantwortung Deutschlands für Europa angemahnt. Noch deutlicher wurde vor geraumer Zeit der polnische Außenminister, der in einer Rede Deutschland aufforderte, bei Reformen in Europa die Führung zu übernehmen. Er äußerte den bemerkenswerten Satz: "Ich habe wenig Angst vor deutscher Macht, als dass ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu fürchten."
Ich komme nun zum dritten Punkt:
Drittens: Bankenunion
Zu einem überarbeiteten Ordnungsrahmen der Währungsunion gehört auch die zurzeit im Aufbau befindliche Bankenunion. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier hat dieses Ziel zuletzt nicht umsonst zum "größten gemeinsamen Projekt seit der Euro-Einführung" erkoren. Bekanntermaßen haben sich Fehlentwicklungen in den Finanzsystemen verschiedener Mitgliedsstaaten als eine offene Flanke der Währungsunion und somit als ein Einfallstor für eine gemeinschaftliche Haftungsübernahme herausgestellt.
Es kam zu Rückkopplungen zwischen den Problemen von Banken und Staaten: Banken, die zum Beispiel durch ausfallgefährdete Papiere in ihren Bilanzen in Schwierigkeiten geraten sind, mussten vom Steuerzahler gerettet werden. Aber nicht nur haben Probleme der Banken die Staatshaushalte belastet, auch umgekehrt bedrohen die hohen Bestände an Staatsanleihen in den Büchern die Solidität der Institute. Dieser Teufelskreis muss künftig durchbrochen werden, und genau hier kann die europäische Bankenunion helfen.
Die Bankenunion soll vor allem einen
europaweit einheitlichen, hohen Aufsichtsstandard durchsetzen,
Entwicklungen und Risiken in den nationalen Bankensystemen transparenter machen und
übermäßigen Risiken konsequent entgegentreten.
Die Bankenunion soll jedoch keine neuen Interessenkonflikte schaffen, die die Geldpolitik von ihrem Hauptziel abbringen könnten, den Geldwert stabil zu halten. Insofern ist die jetzt gefundene Konstruktion nicht optimal. Denn aufgrund der Vorgaben des derzeitigen EU-Rechts würde der EZB-Rat auch die Letztverantwortung für bankaufsichtliche Entscheidungen erhalten, was die Gefahr von Interessenkonflikten birgt.
Zu einer Bankenunion gehört neben der gemeinsamen Aufsicht für die Banken auch ein Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismus. Ein Finanzsystem muss grundsätzlich selbst im Stande sein, Schieflagen von Finanzinstituten zu überwinden, ohne hierbei auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Daraus folgt, dass es auch möglich sein muss, Banken bei massiven Schieflagen abzuwickeln.
Im Abwicklungsfall ist Klarheit über die Haftungsreihenfolge wichtig, um nach Möglichkeit Unsicherheiten wie im Falle Zyperns zu verhindern. Es sollen
erst die Eigenkapitalgeber,
dann die Fremdkapitalgeber
und dann die Einleger unter Berücksichtigung der Einlagensicherung herangezogen werden.
Erst dann sollte ein von den Finanzinstituten gespeister gemeinschaftlicher Abwicklungsfonds einspringen.
Und zuallerletzt ist der Steuerzahler heranzuziehen, was jedoch nur im Ausnahmefall geschehen darf.
Die Aufbauarbeiten zur Bankenunion laufen auf Hochtouren, die gemeinsame Aufsicht wird aller Voraussicht nach im November 2014 ihre Arbeit aufnehmen. Im Zusammenhang mit der Bankenunion gilt es jedoch, nicht zu vergessen, dass sie ein in die Zukunft gerichtetes Projekt ist. Sie kann folglich nicht die aktuelle Krise der Banken in verschiedenen Mitgliedstaaten lösen und sollte auch nicht zu einer Vergemeinschaftung der bilanziellen Altlasten führen.
Die Bundesbank unterstützt den Aufbau der Bankenunion nach Kräften. Dies geschieht zum Beispiel durch hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zur EZB wechseln und dort ihre Expertise beim Aufbau des gemeinsamen Aufsichtsmechanismus einbringen. Ohne wenn und aber, auch als Personalvorstand sage ich: Die Bundesbank muss dazu beitragen, dass sich bei der EZB eine gute Aufsichtskultur entwickeln kann. Wir rechnen mit bis zu 100 Spitzenkräften, die von der Bundesbank zur EZB wechseln. Um einen "Aderlass" zu vermeiden, bereiten wir uns bereits heute darauf vor und stellen im Bereich der Bankenaufsicht neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein.
Um Fehlentwicklungen im Finanzsystem entgegenzuwirken, sollten wir aber nicht ausschließlich auf die Bankenunion setzen. Die Bankenunion benötigt eine unterstützende regulatorische Flankierung, um den Teufelskreis zwischen Staatshaushalten und Bankbilanzen zu durchbrechen oder zumindest abzumildern.
Banken müssen die Kredite in ihren Bilanzen grundsätzlich mit Eigenkapital hinterlegen. Das verteuert zwar die Kreditvergabe, aber das gebundene Eigenkapital wirkt wie ein Puffer bei Verlusten.
Bei Krediten an den Staat in heimischer Währung muss bisher kein Eigenkapital hinterlegt werden. Die Realität hat aber gezeigt, dass die implizite Annahme, wonach solche Kredite sicher sind, nicht zu halten ist. Deshalb sollte die Bevorzugung von Ausleihungen an den Staat abgeschafft werden.
Außerdem sollten Obergrenzen für Staatsanleihen in den Bankbüchern eingeführt werden. Wie auch bei Krediten an einzelne Unternehmen verringert sich dadurch das Risiko der Bank, durch den Ausfall eines Schuldners selbst in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten.
Natürlich erfordert eine solche Neuregelung angemessene Übergangsfristen. Momentan sind die Finanzierungsmöglichkeiten einiger Krisenländer eingeschränkt, die Risikoaufschläge an den Finanzmärkten verteuern die Schuldenaufnahme. Das liegt an den anhaltenden Nachwirkungen der Krise und dem noch nicht vollständig zurückgekehrten Vertrauen der Anleger. Deshalb profitieren gerade diese Staaten von den bestehenden Eigenkapitalregeln, die es für die Banken attraktiv machen, Staatsanleihen zu kaufen. Eine sofortige Umsetzung einer solchen Neuregelung würde die Finanzierungsprobleme einzelner Länder nur noch weiter verschärfen.
In einem engen Zusammenhang mit einer verschärften Bankenaufsicht im Rahmen der Bankenunion steht auch mein vierter Punkt:
Viertens: Das makroprudenzielleMandat der Bundesbank
Es hat sich in der Krise gezeigt, dass die Beaufsichtigung der einzelnen Banken, also die mikroprudenzielle Aufsicht, nicht ausreicht, um ein stabiles Finanzsystem zu gewährleisten.
Denn der Blickwinkel der Einzelinstitutsebene ist zu eng, um gleichgerichtete Entwicklungen – wie etwa bei einer Blasenbildung an den Immobilienmärkten – früh genug zu erkennen. Nur dann können rechtzeitig geeignete Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, um ein Übergreifen der Krise auf andere Akteure oder Märkte zu verhindern.
Die engen Verflechtungen im Finanzsystem bedeuten ein hohes Ansteckungsrisiko bei Schocks. Deshalb hatte die Krise in den Jahren nach 2007 auch so gravierende Auswirkungen. Daher nimmt die Bundesbank seit Anfang des Jahres das sogenannte makroprudenzielle Mandat wahr.
Das bedeutet, dass wir laufend die für die Finanzstabilität maßgeblichen Sachverhalte analysieren und mögliche Gefahren für die Finanzstabilität identifizieren. Gegebenenfalls erarbeiten wir Vorschläge, wie diese Gefahren abgewehrt werden können.
Durch eine enge Verzahnung von mikroprudenzieller und makroprudenzieller Aufsicht kann das Finanzsystem langfristig krisenresistenter werden. Die Bundesbank leistet hierzu also einen aktiven Beitrag.
Nun zu meinem fünften und letzten Punkt:
Zu den Strukturreformen im Euro-Raum
Eine leistungsfähige Wirtschaftsstruktur im Euro-Raum liegt im elementaren Interesse einer stabilitätsorientierten Geldpolitik. Das hat die Krise eindrucksvoll gezeigt. Die Bundesbank hat deshalb wiederholt auf die Notwendigkeit von Strukturreformen in den Krisenländern hingewiesen. Diese Strukturreformen, insbesondere auch im Bereich des Arbeitsmarktes, bedeuten für die Bevölkerung tiefe Einschnitte. Aber nur so können die Krisenländer ihre Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft wiederherstellen und auf den Wachstumspfad zurückkehren.
Parallel dazu müssen die Länder ihre Haushalte wieder in Ordnung bringen, um die Anforderungen an eine Mitgliedschaft in der Währungsunion zu erfüllen. Diese sogenannten Konvergenzkriterien, auf die man sich bei Gründung der Währungsunion geeinigt hatte, sollen tragfähige Staatsfinanzen sicherstellen. Denn die einheitliche Geldpolitik wirkt am besten bei wirtschaftlich soliden Ländern, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zu weit voneinander abweicht. Außerdem sind gesunde Staatsfinanzen eine wichtige Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum.
Als Vorbild dieser Strukturreformen wird immer wieder Deutschland genannt. Noch vor einigen Jahren galten wir als "kranker Mann Europas". Nun ernten wir den Erfolg unserer – damals durchaus umstrittenen – Reformen wie der Agenda 2010 und der Rente mit 67.
Bundesbankpräsident Weidmann hat aber kürzlich darauf hingewiesen, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern zwar gut durch die Krise gekommen sei, sich aber nicht auf den Erfolgen der vergangenen Reformen ausruhen dürfe. Ein wirtschaftlicher Vorsprung könne auch schnell wieder verloren gehen.
Lassen Sie mich dies anhand der beiden Schlagworte "Globalisierung" und "demographischer Wandel" kurz verdeutlichen. Diesen Herausforderungen muss Deutschland sich stellen, um auch zukünftig international wettbewerbsfähig zu sein und langfristig Wachstum und Wohlstand zu sichern.
Sowohl die Globalisierung als auch der demographische Wandel machen es unverzichtbar, dass Deutschland seine hohe Verschuldung reduziert, um finanziellen Spielraum für die kommenden Herausforderungen zu gewinnen und die zukünftigen Steuerzahler nicht zu stark zu belasten.
Aber auch Anpassungen am Arbeitsmarkt würden helfen, dem durch die Demographie angelegten Rückgang des Arbeitskräfteangebots entgegenzuwirken. Schließlich müssen die Unternehmen trotz eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels auf dem Weltmarkt innovativ und konkurrenzfähig bleiben.
Deshalb ist es zum einen wichtig, die Anzahl der Erwerbspersonen zu erhöhen. Hierzu bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten:
Die "stille Reserve" des Arbeitsmarktes kann aktiviert werden, indem die Anreize zu arbeiten erhöht werden. Potenzial gibt es gerade bei Frauen und bei Älteren. Ebenfalls denkbar, aber politisch brisant, sind Reformvorschläge für das Steuer- und Transfersystem, die eine Nichterwerbstätigkeit unattraktiver machen würden.
Außerdem kann eine systematische Zuwanderungspolitik qualifiziertes ausländisches Fachpersonal anziehen.
In diesem Zusammenhang ist es mir auch wichtig, auf mögliche negative Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohns hinzuweisen. Auch wenn ein Mindestlohn die Arbeitslosigkeit nicht zwingend unmittelbar erhöht, kann er negative Effekte auf die Beschäftigungsdynamik haben.
Denn es besteht das Risiko, dass Unternehmen in Aufschwungphasen weniger neue Arbeitskräfte einstellen. Das würde besonders die Gruppen am Arbeitsmarkt treffen, denen der Mindestlohn eigentlich helfen sollte. Er verschlechtert vor allem die Beschäftigungschancen von Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen und erschwert denjenigen den Zugang zum Arbeitsmarkt, die noch nicht über ausgeprägte berufsspezifische Fertigkeiten verfügen.
Wenn uns in Zukunft weniger Erwerbstätige zur Verfügung stehen, ist es deshalb umso wichtiger, dass diese bestmöglich ausgebildet sind. Dies erfordert ein Bildungssystem, das deutschlandweit vergleichbaren hohen Standards genügt und das Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Raum und die Hilfen bietet, ihre Anlagen bestmöglich zu entfalten. Da sich der Bildungserfolg der Heranwachsenden in Deutschland vor allem im vorschulischen Bereich entscheidet, ist es sinnvoll, die frühkindliche und vorschulische Förderung stärker in den Fokus der öffentlichen Finanzierung zu rücken.
Damit deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb weiterhin konkurrenzfähig sind, muss zum anderen die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes erhalten und verbessert werden. Ein flexibler Arbeitsmarkt erlaubt es Unternehmen, in wirtschaftlichen Schwächephasen Handlungsspielräume bei der Beschäftigung auszuschöpfen.
Bisher wird diese Flexibilität nur von wenigen Arbeitnehmern in Sonderbeschäftigungsformen gewährleistet. Ich spreche hierbei von den Minijobbern, Leiharbeitern und Beschäftigten mit Zeitverträgen.
Die Flexibilität dieses kleinen Arbeitsmarktsegments reicht aber nicht aus, um mit dauerhaften Strukturverschiebungen umzugehen. Wenn eine Branche schrumpft, und eine neue, aufstrebende Branche Arbeitskräfte sucht, sollte ein reibungsloser Wechsel der Arbeitnehmer möglich sein. Das bedeutet, der Arbeitsmarkt sollte insgesamt – das heißt in der Breite und nicht nur in einzelnen Segmenten – flexibler werden.
Mein Fazit
In der akuten Phase der Krise fiel den Notenbanken eine Rolle zu, die sie sich nicht unbedingt gewünscht haben. Sie galten als einzig handlungsfähige Institutionen, um ein Ausweiten der Krise zu verhindern; zudem waren sie für klamme Banken "Kreditgeber der letzten Instanz".
Mit ihrer unkonventionellen Geldpolitik haben die Notenbanken eine Eskalation der Krise verhindert. Dabei bewegten sie sich an der Grenze ihres Mandats weit in unbekanntes Terrain hinein.
Nun muss es darum gehen, den Patienten mit der richtigen Therapie gesunden zu lassen.
Wie Sie wissen, herrscht an Vorschlägen zum Bewältigen der Krise kein Mangel. Um diese Vorschläge zu bewerten und nach Auswegen oder Irrwegen unterscheiden zu können, ist eine Frage essenziell:
Passen die Vorschläge in einen schlüssigen Ordnungsrahmen, der das Fundament der Währungsunion festigt? Oder höhlen inkonsistente Vorschläge dieses Fundament weiter aus?
Diese Vorschläge legen den künftigen Kurs der Währungsunion fest. Die Bundesbank hat hierbei eine wichtige Gestaltungsfunktion: als Stabilitätsanker setzt sie sich mit Nachdruck dafür ein, nicht vom Kurs der Stabilitätsunion abzukommen, so wie es in den frühen 1990er-Jahren im Maastricht-Vertrag angelegt und den Bevölkerungen seinerzeit versprochen wurde.
Um Preisstabilität glaubwürdig gewährleisten zu können, ist es wichtig, dass das Mandat der Notenbank möglichst eng ausgelegt wird. Es ist kein Geheimnis, dass die Bundesbank den Ankauf von Staatsanleihen kritisch sieht, da hierdurch die Grenzen der Verantwortung von Geld- und Fiskalpolitik verschwimmen und die Unabhängigkeit der Notenbank gefährdet werden könnte.
Auch die extrem lockere Geldpolitik kann nicht ewig andauern. Sobald Inflationsrisiken auftauchen, müssen die geldpolitischen Zügel wieder angezogen werden. Uns Deutschen wird hierbei zwar eine regelrechte "Inflations-Besessenheit" vorgeworfen. Aber aus Erfahrung wissen wir, wie schwierig die Bekämpfung der Inflation ist. Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl beschrieb es einmal so: "Inflation ist wie Zahnpasta. Ist sie einmal aus der Tube, bekommt man sie nur schwer wieder rein."
Die Bundesbank wird unverändert für den Erfolg des Euro als stabile Währung eintreten. Dies ist unser oberstes Ziel, denn wir sitzen alle in einem Boot. Kein europäisches Land kann auf Dauer stark sein, wenn es anderen nicht gut geht.
Deshalb ist die Bundesbank manchmal unbequem und mahnt die Regierungen, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen und Reformen durchzuführen. Denn die Geschichte hat gezeigt, dass stabile Staatsfinanzen und stabiles Geld Hand in Hand gehen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.