Die Bedeutung der Finanzwirtschaft für die Realwirtschaft Rede anlässlich der Mitgliederversammlung Bankenverband Baden-Württemberg

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich freue mich, heute auf der Mitgliederversammlung des Bankenverbands Baden-Württemberg zu Ihnen sprechen zu können.

Das Thema meines Vortrags lautet, "Die Rolle der Finanzwirtschaft für die Realwirtschaft". Das ist wahrlich eine sehr umfassende Themenstellung und ich könnte mir vorstellen, dass es ganze Vorlesungszyklen zu diesem Themenkomplex gibt.

Als für den baren und unbaren Zahlungsverkehr zuständiges Vorstandmitglied der Deutschen Bundesbank könnte ich zum Beispiel heute über die Rolle der Banken bei der Bargeldversorgung der Wirtschaft oder bei der Abwicklung der bargeldlosen Zahlungen sprechen. Ich bin überzeugt, dass ohne einen funktionierenden Zahlungsverkehr unsere arbeitsteilige Wirtschaft wohl zusammenbrechen würde.

Auch wenn ich diese beiden Aspekte des Themas ausgesprochen spannend finde, möchte ich mich heute zwei anderen Fragestellungen widmen: Welche Bedeutung kommt den Banken bei der Finanzierung der Wirtschaft zu und welche Herausforderungen müssen die Banken meistern, um auch in Zukunft ein leistungsfähiger Partner der Wirtschaft sein zu können?

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich darf mich sehr dafür bedanken, dass Sie die heutige Mitgliederversammlung in die Industriewoche Baden-Württemberg gelegt haben. Denn Baden-Württemberg ist das stärkste Industrieland in Deutschland und eine Industrieregion mit Weltrang.

Ein Drittel der Bruttowertschöpfung des Landes entfällt auf die Industrie. Nahezu jeder vierte Erwerbstätige in Baden-Württemberg ist in der Industrie tätig und dabei sind es neben den großen die vielen kleinen und mittleren Uternehmen, häufig auch Familienunternehmen mit langer Tradition, die international höchst konkurrenzfähig sind. Sie haben eine Wirtschaftsstruktur um die Sie die Welt beneidet.

Viele der Unternehmen stellen sich erfolgreich den Herausforderungen der Weltmärkte und sind sogar nicht selten Weltmarktführer in einzelnen Marktsegmenten. Kurz gesagt: Der Mittelstand ist ein Wachstumsmotor der Region und damit eine wichtige Quelle für den Wohlstand.

Unter dem Titel "Why doesn’t France have a Mittelstand?" fragte das britische Wochenmagazin "The Economist" vor einigen Jahren, warum sich das Wachstumsmodell "Mittelstand" nicht auch in einem europäischen Nachbarland wie Frankreich replizieren lasse. Als Antwort verwies das Magazin auf die Versuche der französischen Regierung, mittelständischen Unternehmen durch die Gründung zentraler Förderbanken in Paris unter die Arme zu greifen.

Der Economist stellte dieser Initiative keine guten Noten aus, denn damit hätte die Regierung in Paris gezeigt, dass sie nicht verstanden habe, dass der Erfolg des deutschen Mittelstandes auf Entscheidungen in den Regionen basiert und nicht auf Entscheidungen in Berlin oder Frankfurt. Der Ansatz der zentralen Steuerung ginge damit am Kern des deutschen Erfolgsmodells vorbei.

Teil des deutschen Erfolgsmodells sei dabei sicherlich auch die Art der Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft. Denn nicht nur die Unternehmen seien regional verankert, sondern auch die Banken.

Durch eine jahrelange enge Zusammenarbeit der Kreditinstitute mit den Unternehmen, kennen die Banken zum einen die Geschäftsmodelle und Wettbewerbsbedingungen der Unternehmen sehr genau, und zum anderen wissen die Betriebe, dass sie in den Banken verlässliche Partner haben.

Die Unternehmen müssen also weder Hochdeutsch können, noch müssen sie nach Frankfurt oder Berlin fahren, um mit ihren Banken zu verhandeln.

Ich denke, dass sich das deutsche System bewährt hat. Doch das darf natürlich nicht darüber hinweg täuschen, dass auch in Deutschland Herausforderungen bestehen.

So unterliegen auch in unserem Land die Finanzwirtschaft und die Finanzierungsanforderungen einem Wandel. Deshalb ist dies hier eine gute Gelegenheit, auf diesen Wandel und die sich daraus ergebenden Anpassungserfordernisse einzugehen.

Ich gebe zu, dass in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs, in denen die Unternehmen ordentliche Erträge erwirtschaften und ihr Eigenkapital stärken können, der Zugang zu Finanzierungsmitteln nicht in der Weise die Schlagzeilen der Wirtschaftszeitungen beherrscht wie das im Konjunkturabschwung der Fall ist. Schlagworte wie "Kreditklemme" oder "Kreditmediator", der in der Finanzkrise von der Bundesregierung vorübergehend eingerichtet wurde, um "bankunabhängig und neutral zwischen Unternehmen und Kreditwirtschaft" zu vermitteln, hat man schon länger nicht mehr gehört.

Doch auch in Zeiten einer guten konjunkturellen Entwicklung bleibt der Zugang zu Finanzierungsmitteln für die Unternehmen bedeutend. Denn mit einer Fortführung des wirtschaftlichen Aufschwungs dürfte auch die Investitionstätigkeit der Unternehmen wieder zulegen. Angesichts ausgelasteter Kapazitäten sind zusätzliche Investitionen zu erwarten. Die Bundesbank-Experten rechnen mit einem Anstieg der Bruttoanlageinvestitionen in diesem und im nächsten Jahr von rund 3 Prozent.

2 Unterschiedliche Finanzierungsformen

Meine Damen und Herren,

wenn Unternehmen sich nicht aus den eigenen Erträgen finanzieren können, können sie ihre Finanzmittel grundsätzlich entweder auf dem Kapitalmarkt oder bei Banken aufnehmen.

Es gibt eine gut dokumentierte wissenschaftliche Diskussion über die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Finanzierungsformen.

Befürworter der bankbasierten Unternehmensfinanzierung vertreten im Allgemeinen die Auffassung, dass Banken besser mit Informationsasymmetrien zurechtkommen. Denn ihre langjährigen Kundenbeziehungen ermöglichten es ihnen, Informationen über Unternehmen und Führungskräfte in einer Qualität zu sammeln, wie sie nur ihnen zugänglich sind. Diese Informationen führten tendenziell zu einer effizienteren Kapitalallokation und einer besseren Unternehmenssteuerung.

Allerdings haben die Banken natürlich ein Interesse daran, diese Informationen für sich zu behalten. Im Gegensatz dazu bedeutet die Finanzierung über Kapitalmärkte einen offeneren Zugang zu Informationen. Denn Informationen über Firmen verbreiten sich bei dieser Finanzierung schneller; denken Sie nur an die bestehenden Veröffentlichungspflichten, die Unternehmen zum Beispiel aufgrund des Wertpapierhandelsgesetzes erfüllen müssen, wenn sie Aktien emittieren oder Anleihen begeben.[1]

Ein breiterer Informationszugang wäre zwar im Grundsatz positiv zu bewerten, weil es das Problem der Informationsasymmetrie mildert. Er kann jedoch auch dazu führen, dass der einzelne Anleger weniger Anstrengungen unternimmt, privilegierte Informationen über die Solidität eines Unternehmens zu erwerben. In solchen Fällen werden Anlage- und damit Kreditentscheidungen auf einer weniger fundierten Basis getroffen.

Die Verfechter der kapitalmarktbasierten Unternehmensfinanzierung sind hingegen vom Gegenteil überzeugt: Große und liquide Finanzmärkte verstärkten eher den Anreiz der Anleger, Informationen über ein Unternehmen einzuholen, da Informationen dann in größerem Stil genutzt werden könnten.[2]

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ließen sich diese beiden Sichtweisen nicht miteinander vereinen. Das ist glücklicherweise aber nicht so. Im Gegenteil: Bankbasierte und kapitalmarktbasierte Finanzierungsformen haben beide ihre Existenzberechtigung – und zwar unabhängig davon, ob man sich der Frage aus der Sicht eines einzelnen Unternehmens oder aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive nähert.

Ob für ein einzelnes Unternehmen ein Bankkredit, eine Anleihe oder eine Aktienemission die günstigste Finanzierungsform darstellt, hängt nämlich zum Gutteil davon ab, in welcher Phase seines Unternehmenszyklus es sich gerade befindet. Oder vereinfacht gesagt: Ein innovatives Start-up-Unternehmen könnte vom Know-how eines Risikokapitalgebers profitieren, für kleine Unternehmen mit langjähriger Hausbankbeziehung dürfte hingegen der Bankkredit die vorteilhafteste Finanzierungsform sein, während große, gut strukturierte Unternehmen die Begebung einer Anleihe oder die Emission neuer Aktien erwägen können.

Entsprechend hat der Bankkredit als Finanzierungsform für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland eine höhere Bedeutung als für große. Während bei den großen Unternehmen der Bankkredit weniger als 10 Prozent der Fremdmittel ausmacht, liegt der Anteil bei den kleinen und mittleren Unternehmen bei 32 Prozent.[3]

  • Bei einzelnen Teilsektoren der Industrie ist die Bedeutung des Bankkredits sogar noch geringer, etwa beim Maschinenbau und beim Fahrzeugbau. Hier liegt der Anteil sogar nur bei 7 Prozent bzw. 4 ½ Prozent.

  • Erwähnenswert ist aus meiner Sicht außerdem, dass die Bedeutung des Bankkredits als Quelle der Fremdfinanzierung im Zeitablauf gesunken ist. Im Jahr 2000 lagen die vergleichbaren Anteile des Bankkredits an den Fremdmitteln bei den großen Unternehmen noch bei 12,5 Prozent, bei den kleinen und mittleren bei 40 Prozent.
  • Noch auffälliger ist freilich, dass im gleichen Zeitraum der Anteil der Fremdfinanzierung an der gesamten Unternehmensfinanzierung deutlich zurückgegangen ist. Das ist vor allem bei den kleinen und mittleren Unternehmen zu beobachten. Gemessen an der Bilanzsumme verringerte sich der Fremdkapitalanteil bei ihnen von fast 90 Prozent auf 73 Prozent. (Bei den großen Unternehmen betrug der Rückgang weniger als sechs Prozentpunkte auf knapp 69 Prozent.) Darin spiegelt sich zu einem Gutteil der anhaltende Konjunkturaufschwung in Deutschland wider.

Aber nicht nur aus Sicht eines einzelnen Unternehmens, sondern auch aus gesamtwirtschaftlicher und systemischer Sicht gibt es keine überlegene Finanzierungsform.

Auf der einen Seite gibt es Hinweise darauf, dass sich kapitalmarktbasierte Finanzsysteme gerade wegen der Aktienkursschwankungen prozyklischer verhalten könnten als bankbasierte Systeme, weil sich hier Preisausschläge für Vermögenswerte stärker auswirken – etwa auf die Spar- und Konsumentscheidungen der Verbraucher, die dann zum Beispiel wie in den Vereinigten Staaten einen Gutteil ihrer Altersversorge in Aktien halten.[4]

Auf der anderen Seite zeigt die Literatur zum so genannten Finanzakzelerator, dass auch bankbasierte Systeme prozyklische Elemente enthalten können. Denn auch der Wert der Kreditsicherheiten, die die Banken von Unternehmen und Immobilienkäufer verlangen, verändert sich mit den Wertschwankungen bei Vermögenswerten. So kann ein Wirtschaftsabschwung zu einem Rückgang der Vermögenspreise führen, was seinerseits die Verschuldungsmöglichkeiten des privaten Sektors einschränkt und damit möglicherweise den Abschwung noch verstärkt.

Welches System am Ende wirtschaftliche Schocks besser abfedert, hängt nicht zuletzt vom Ausmaß des Schocks ab: Während bankbasierte Systeme die Auswirkungen "normaler" Konjunkturschwankungen wirksamer glätten können, ermöglichen marktbasierte Systeme wohl eine raschere Erholung nach einer Krise.[5] Für diese These spricht unter anderem auch die Beobachtung, dass die eher kapitalmarktbasierte Wirtschaft der Vereinigten Staaten nach der Großen Rezession schneller wieder Tritt fasste als die eher bankbasierte europäische, obwohl die Krise in den USA ihren Ausgang genommen hatte.

Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ergänzen sich bankbasierte und kapitalmarktbasierte Finanzierung also. Und am Ende spiegelt die Struktur des Finanzsystems auch die Unternehmensstruktur einer Volkswirtschaft wider. Deshalb ist in einer Volkswirtschaft wie der deutschen, aber auch der europäischen, mit einem hohen Anteil an kleinen und mittleren Unternehmen auch für die Zukunft von einer Dominanz der bankbasierten Finanzierung auszugehen.

 

3 Herausforderungen der Banken

Meine Damen und Herren,

 

wenn wir über die theoretischen Vorzüge der Bankfinanzierung einerseits und der Kapitalmarktfinanzierung andererseits nachdenken, muss die Rolle der Bundesbank deutlich bleiben: Sie tritt nicht für bestimmte Finanzierungsmodelle ein, sondern wacht lediglich darüber, dass ein stabiles Finanzsystem die Bedürfnisse der Volkswirtschaft erfüllt.

Aber so viel steht fest: Die deutsche, ebenso wie die europäische Wirtschaft werden auch in Zukunft Bankkredite als wichtiges Finanzierungsinstrument nutzen.

Dabei profitieren die Unternehmen natürlich davon, wenn es den Banken wirtschaftlich gut geht. Nun ist es kein Geheimnis, dass die Banken derzeit einigen Herausforderungen gegenüberstehen. So belastet insbesondere das anhaltende Niedrigzinsumfeld die Ertragslage der Institute, während die Regulierung immer anspruchsvoller wird und die fortschreitende Digitalisierung nach massiven Investitionen in die technische Infrastruktur verlangt.

3.1 Niedrigzinsumfeld

Angesichts sehr niedriger Zinsen und einer flachen Zinsstruktur gerät die Ertragslage der Banken immer weiter unter Druck. Das betrifft besonders die Banken, bei denen der Zinsüberschuss den wesentlichen Beitrag zum Ertrag liefert.

Das Geschäft für diese Banken ist folglich schon seit einer ganzen Zeit härter geworden. Früher haben Spötter das klassische Bankengeschäft als das sogenannte "3-6-3-Modell" beschrieben: Bankeinlagen würden zu 3 Prozent verzinst, Kredite zu einem Zinssatz von 6 Prozent vergeben und um 3 Uhr nachmittags sei der Banker auf dem Golfplatz.

Ich weiß natürlich, dass die Realität ganz anders aussieht. Dafür sorgt schon der hohe Wettbewerbsdruck, gerade im deutschen Bankensystem. Die Zinsspanne verläuft seit Anfang der 2000er in der Seitwärtsbewegung zwischen 1 Prozent und 1 ¼ Prozent – von 3 Prozent sind wir also weit entfernt.

Die sinkenden Zinsen haben aber anfänglich bei einigen Banken durchaus zu positiven Bewertungseffekten geführt. Außerdem verringert die konjunkturstimulierende Wirkung der Geldpolitik das Risiko von Kreditausfällen. Der Gesamteffekt des Niedrigzinsumfelds auf die Bankerträge variiert also zwischen den Bankensystemen der einzelnen Länder im Euroraum und über die Zeit hinweg.

Eines ist allerdings auch klar: Je länger die Niedrigzinsphase anhält, desto größer werden die Belastungen. Das haben unsere Umfragen zum Niedrigzinsumfeld unter kleinen und mittleren Banken gezeigt. Und ich bin mir sicher, dass das auch die derzeit durchgeführte Neuauflage der Umfrage bestätigen wird, an deren Konzeption ja auch der Bundesverband deutscher Banken mitgewirkt hat.

Insofern ist es auch nachvollziehbar, dass die Rufe nach einer weniger expansiven Geldpolitik gerade auch aus dem Bankensektor lauter werden.

Wer eine solche Forderung jedoch erhebt, dem muss klar sein, dass der EZB-Rat seine geldpolitischen Entscheidungen einzig und allein an seinem Mandat ausrichten kann. Und dieses Mandat verlangt, Preisstabilität zu gewährleisten.

Dabei strebt der EZB-Rat auf mittlere Frist eine Inflation im Euroraum von unter, aber nahe 2 Prozent an.

Was der EZB-Rat genau unter einer "mittleren Frist" versteht, hat er nicht näher definiert. Wie rasch die Preissteigerungsrate ihren Zielwert erreichen sollte, hängt nämlich auch davon ab, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Untersuchungen zeigen, dass sich die Wirtschaft nach schweren Finanzkrisen nur langsamer erholt als nach "normalen" Rezessionen.

Nun ist die Inflationsrate im Euroraum innerhalb der vergangenen Monate insgesamt deutlich gestiegen, auch wenn sie mit 1,4 Prozent im Mai geringer war als im April mit 1,9 Prozent.

Die Inflationsentwicklung folgt dabei derzeit vor allem der Entwicklung der Energiepreise. Es handelt sich also um vorübergehende Effekte, was sich auch daran zeigt, dass der binnenwirtschaftliche Preisdruck im Euroraum noch immer verhalten ist. Die Kernrate, also die Rate ohne die volatilen Komponenten Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel, liegt bei etwa 1 Prozent.

Die vor knapp zwei Wochen vorgelegten Inflationsprognosen des Eurosystems deuten aber darauf hin, dass die Inflationsrate mittelfristig in den Zielbereich von unter, aber nahe 2 Prozent zurückkehren wird. Mit dem anhaltenden Wirtschaftsaufschwung, dem zuletzt ja sogar eine etwas stärkere Dynamik bescheinigt wurde als noch im März erwartet, wird auch die Arbeitslosigkeit im Euroraum allmählich zurückgehen. Das dürfte die Löhne etwas stärker steigen lassen und damit auch den binnenwirtschaftlichen Preisdruck.

Da es aber noch nicht soweit ist, ist eine expansive Ausrichtung der Geldpolitik derzeit im Grundsatz durchaus angemessen. Über den richtigen Grad der geldpolitischen Expansion kann man allerdings unterschiedlicher Auffassungen sein.

Das sage ich auch vor dem Hintergrund, dass die sehr expansive Ausrichtung der Geldpolitik besonders durch den Einsatz unkonventioneller Instrumente erreicht wird. Solche Instrumente weisen letztlich ein anderes Nutzen-Risiko-Verhältnis auf als die konventionelle Geldpolitik. Das gilt vor allem im Hinblick auf den Kauf von Staatsanleihen.

In einer Währungsunion mit weitgehend unabhängigen nationalen Fiskal- und Wirtschaftspolitiken können Staatsanleihekäufe durch die Notenbank die ohnehin schon erhöhte Verschuldungsneigung der Mitgliedstaaten verstärken. Staatsanleihekäufe sind deshalb bestenfalls ein reines Notfallinstrument, etwa um eine Deflation abzuwenden. Von einem Deflationsszenario, also eine gefährlichen Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und Löhnen, sind wir angesichts der guten Konjunkturentwicklung derzeit aber weit entfernt. Gleichwohl wird das Ankaufprogramm  wie vorgesehen fortgeführt.

Durch die umfangreichen Käufe sind die Notenbanken im Euroraum mittlerweile die größten Gläubiger der Mitgliedstaaten.  Um der Deflationsgefahr zu begegnen, wurde das Staatsanleihekaufprogramm eingeführt. Zwischenzeitlich sind Staatsanleihen im Wert von 1.600 Mrd. Euro von den Notenbanken des Euroraums angekauft worden. Bis zum Jahresende werden monatlich Staatsanleihen im Wert von etwa 50 Mrd. Euro angekauft. Damit wird das Volumen auf knapp 2.000 Mrd. anwachsen. Die niedrigen Zinsen haben zu Zinsersparnissen von etwa 1.000 Mrd. Euro gegenüber dem Zinsniveau von 2007 für die Euro-Länder geführt. Allein Deutschland hat von 2008 bis 2016 250 Mrd. Euro weniger für Zinsen ausgegeben. Die damit verbundenen beträchtlichen Zinseinsparungen bergen deshalb das Risiko, dass die Finanzminister einer Tragfähigkeitsillusion aufsitzen. Zumal der Teil der Staatsschulden, den das Eurosystem gekauft hat, der Disziplinierung durch die Kapitalmärkte entzogen wird. Die Staaten zahlen dafür, unabhängig vom Zustand ihrer öffentlichen Finanzen, weitgehend gleichhohe Zinsen.

Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass die Konsolidierungsanstrengungen der Euro-Länder seit dem Jahr 2013 deutlich nachgelassen haben. So wurden die beträchtlichen Zinseinsparungen nicht etwa dazu genutzt, um die Staatsschulden zurückzuführen. Stattdessen wurden zumeist die Ausgaben ausgeweitet, etwa in Frankreich, Italien und Spanien.

Das muss nicht Folge der sehr lockeren Geldpolitik sein, aber es kann eben auch daran liegen, dass der Klammergriff, den die hohen Staatsschulden auf die öffentlichen Haushalte ausüben, in den vergangenen Jahren lockerer geworden ist.

Entscheidend wird es deshalb sein, die Geldpolitik dann wieder zu straffen, wenn es die Aussichten für die Preisstabilität erfordern, auch wenn das zu fiskalischen Mehrbelastungen führt.

Meine Damen und Herren,

so wenig, wie es Aufgabe der Notenbank ist, für tragfähige Staatsschulden zu sorgen, ist es die Aufgabe der Notenbanken, Banken auskömmliche Gewinne zu sichern. Allerdings ist es unstrittig, dass eine wirksame Geldpolitik einen gesunden und funktionierenden Bankensektor benötigt. Denn Banken sind ein wichtiger Transmissionsriemen der Geldpolitik im Euroraum.

Gesunde Banken zeichnen sich durch eine starke Kapitalbasis aus. Und die setzt wiederum eine hinreichende Profitabilität voraus. Denn nur dann können die Banken Gewinne thesaurieren und nur dann besteht ein günstiges Umfeld für Eigenkapitalemissionen.

Der sinkende Zinsüberschuss drückt auf die Ertragslage der Banken. Das hat aber nicht erst mit dem Niedrigzinsumfeld eingesetzt. Es verstärkt allerdings die seit längerem bestehende strukturelle Ertragsschwäche im deutschen Bankensystem. Im europäischen Vergleich müssen deutsche Banken im Schnitt etwa zehn Cent mehr für einen Euro Ertrag aufwenden als die Banken im übrigen Euroraum.

Dass die sinkende Ertragslage nicht zu einem Rückgang der Gewinn im Verhältnis eins-zu-eins führt, liegt vor allem daran, dass die gute Wirtschaftslage in Deutschland es den Banken erlaubt, besonders wenig für Wertberichtigung zur Seite zu legen. Mit einer Verschlechterung des wirtschaftlichen Umfelds könnte die Profitabilität der deutschen Institute also weiter abnehmen.

Die von mir bereits erwähnte Niedrigzinsumfrage macht auch deutlich, dass eine lang anhaltende Niedrigzinsphase, die durch eine schnelle Zinswende beendet würde, besonders ertragsbelastend für die Banken wäre.

Deshalb müssen sich die Banken mit dem Thema Zinsänderungsrisiko auseinandersetzen und eine entsprechende Vorsorge treffen. Die EZB als europäische Bankenaufsichtsbehörde hat im Übrigen angekündigt, das Zinsrisiko im Anlagebuch im Rahmen des diesjährigen Stresstests genauer prüfen zu wollen.

Erste Untersuchungen der Bundesbank deuten darauf hin, dass abrupte Zinsänderungen bei über 40 Prozent der deutschen Banken Anpassungen erforderlich machen würden. Auch wenn die Risiken nicht per se schlecht sind, müssen die Institute dafür sorgen, dass sie die Risiken managen und gegebenenfalls genügend Eigenkapital vorhalten.

Nun ist mir natürlich vollkommen bewusst, dass die Banken nicht erst mit Beginn der Niedrigzinsphase Maßnahmen ergriffen haben, um ihrer sinkenden Profitabilität entgegenzuwirken.

Die Banken haben unter anderem ihr zinsunabhängiges Provisionsergebnis ausgebaut. Dies wirkt ergebnisstabilisierend. Auch befinden sich die Institute schon seit einiger Zeit auf einem Konsolidierungskurs. Im Ergebnis gibt es heute weniger Institute, weniger Filialen und weniger Mitarbeiter: Ende 1996 gab es noch 3.675 Kreditinstitute. Ende 2016 waren es nur noch 1.888 Institute. Die Anzahl der Kreditinstitute hat sich somit in zwanzig Jahren in Deutschland halbiert.

Zurücklehnen dürfen sich die Banken aber trotzdem nicht. Es führt kein Weg daran vorbei, Geschäftsmodelle auf den Prüfstand zu stellen und Organisationsstrukturen und Prozesse weiterhin nach Kostensenkungspotenzialen zu durchleuchten.

Ich bin mir dabei bewusst, dass dies nicht einfach ist. Die Banken sind gewissermaßen in der Situation eines Sportlers, dem geraten wird, trotz einer hartnäckigen Erkältung seine Kondition zu verbessern. Nur: Während man dem Sportler wohl zunächst eine Trainingspause empfehlen würde, bleibt den Banken letztlich keine Zeit für Erholungspausen.

3.2 Digitalisierung

Denn mit der Digitalisierung sehen sich die Banken einer weiteren Herausforderung ausgesetzt. Die Digitalisierung liefert zwar auch die Chance, Prozesse zu automatisieren und effizienter zu machen, was perspektivisch Kosten senkt. Um diese Möglichkeit aber überhaupt nutzen zu können, müssen viele Banken erst einmal viel Geld in die Hand nehmen, um eine leistungsfähige und moderne IT-Infrastruktur aufzubauen. Das ist zumindest das Ergebnis aufsichtlicher Überprüfungen von IT-Systemen.

Investitionen in die IT-Infrastruktur dienen aber nicht nur dazu, die Wettbewerbsfähigkeit der Banken und damit ihrer Zukunftsfähigkeit zu sichern, sie dienen auch der IT-Sicherheit.

Gerade weil unser Finanzsystem immer abhängiger von technischen Systemen ist, wird es zunehmend anfällig gegenüber Angriffen aus dem Cyberspace. Die WannaCry-Attacke vor wenigen Wochen ist ja letztlich nur ein besonders prominentes Beispiel für solche Angriffe.

Egal ob von Hackern, Saboteuren oder gar Terroristen ausgeführt, können Cyberangriffe riesige Schäden anrichten. Laut dem Verfassungsschutz verursachen Cyberattacken bereits heute Schäden in Höhe von rund 50 Mrd. Euro jährlich für die deutsche Wirtschaft. Weltweit sollen es 400 Mrd. Euro sein.

Gerade mit Blick auf das Finanzsystem können diese Schäden sogar weit über den unmittelbaren finanziellen Schaden des betroffenen Instituts hinausgehen: Sie können die Reputation dieser Bank nachhaltig schädigen und das Vertrauen der Kunden in das gesamte Finanzsystem untergraben.

Angesichts der wachsenden Gefährdungslage gerade der Finanzbranche ist es entscheidend, dass die zentralen und dezentralen Schutzmechanismen laufend optimiert werden und dass eine Cybersicherheitskultur verankert wird.

Banken, aber auch Zahlungsverkehrs- und Wertpapierabwickler, müssen ihre IT- und Cyberrisiken mit der gleichen Sorgfalt steuern wie ihre traditionellen Bankrisiken.

Die Bankenaufsicht muss die potenziellen Gefahren im Zusammenhang mit Cyberkriminalität deshalb noch stärker als bisher in den Blick nehmen.

Und die Notenbanken stehen für sich selbst in der besonderen Verantwortung, sich gegen Cyberrisiken zu schützen und damit das Vertrauen in das Finanzsystem zu sichern. Deshalb arbeiten wir auch international eng abgestimmt daran, Cyberrisiken für uns und für die Finanzmarktinfrastrukturen zu reduzieren.

4 Schluss

Meine Damen und Herren,

Oskar Wilde sagte einmal, wenn man Menschen die Wahrheit sagen wolle, müsse man sie zum Lachen bringen, sonst würden sie einen umbringen.

So ernst ist die Lage zum Glück nicht, zumal es ja in vielen Bereichen auch erfreuliche Entwicklungen zu verzeichnen gibt: Der Konjunktur geht es gut, wie auch den allermeisten Unternehmen in Deutschland. Und auch die deutschen Banken sind im Durchschnitt heute besser aufgestellt als vor der Finanzkrise.

Gleichwohl habe ich auch auf einige Herausforderungen hingewiesen, die die Banken zu bewältigen haben. Neben den Auswirkungen des Niedrigzinsumfelds sind das die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Und natürlich verlangt auch die Regulierung den Banken viel ab.

Damit die Banken auch in Zukunft ein leistungsfähiger Partner der Wirtschaft sind, müssen sie sich den Herausforderungen stellen. Aber das steht für Sie, meine Damen und Herren, ja außer Frage, da bin ich mir sicher.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich jetzt auf unsere Diskussion.

Fußnoten:

  1. Stiglitz, Joseph E. (1985). Credit markets and the control of capital. Journal of Money, Credit and Banking, 17,133-52.
  2. Homstrom, B. and Tirole, J. (1993). Market liquidity and performance monitoring, Journal of Political Economy,101, 678-709.
  3. Siehe Deutsche Bundesbank, Hochgerechnete Angaben aus Jahresabschlüssen 1997 bis 2015, Dezember 2016..
  4. Leroy, A (2014), Credit Procyclicality and Financial Structure in the EU”. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=2568112 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2568112.
  5. Gambacorta, L., Yang, J., Tsatsaronis, K. (2014): "Financial Structure and Growth", BIS Quarterly Review, March 2014, pp. 21-35.