Deutschlands Wachstumspfad mit Investitionen pflastern: Hindernisse abbauen, Finanzierung erleichtern Videobotschaft beim Frankfurt EURO FINANCE Summit

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich grüße Sie – die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Frankfurt Euro Finance Summit – alle ganz herzlich!

Leider kann ich heute nicht bei Ihnen sein. Ich erinnere mich noch gut an die interessanten Gespräche bei der Konferenz im vergangenen Jahr. Hätte ich Sie damals gefragt: Womit verbinden Sie die Attribute krank, verkatert, müde? Wäre Ihnen dann die deutsche Wirtschaft eingefallen? Inzwischen sind solche Zuschreibungen immer wieder zu hören. Ich halte sie zwar für zu düster. Doch sie haben eine wichtige Diskussion angestoßen.

Über den Zustand und die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland wurde in den vergangenen Monaten so viel gesprochen wie schon lange nicht mehr. Auch bei Ihnen steht es auf der Tagesordnung. Und das ist gut so! 

Zwar gibt es konjunkturell Lichtblicke und die deutsche Wirtschaft fasst langsam wieder Tritt.[1] In vielen internationalen Vergleichen liegt Deutschland beim Wachstum jedoch weit hinten, ist teilweise sogar Schlusslicht.[2] Bei einem jüngst veröffentlichen Ländervergleich zur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts, ist Deutschland ebenfalls zurückgefallen.[3] Und wir haben es mit einem tiefgreifenden Strukturwandel zu tun, den es zu meistern gilt.

Ich gehöre nicht zu den Schwarzmalern auf dem Zukunftsbild. Die Unternehmen hierzulande haben ihre Anpassungsfähigkeit in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Aber klar ist: Die deutsche Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen. 

So unterschiedlich die Diagnosen und Rezepte teils ausfallen, bei einem Punkt herrscht große Einigkeit: In Deutschland muss mehr investiert werden. Bleibt die Frage: Was lässt sich tun, damit Unternehmen hierzulande mehr investieren wollen und können? Darüber möchte ich heute sprechen. 

2 Investitionsbedarf wächst

Die industriestarke deutsche Wirtschaft steht auf mehreren Säulen: qualifizierte Arbeitskräfte, hohe Produktivität und ein leistungsfähiger, moderner Kapitalstock. Der Wandel zu einer klimaneutralen und digitalisierten Wirtschaft erfordert, den Kapitalstock zu erneuern und zu stärken. 

Investitionen sind daher entscheidend, um die Herausforderungen der grünen Transformation zu meistern und die Chancen neuer digitaler Technologien zu nutzen. Gerade Ausrüstungsinvestitionen übertragen den technischen Fortschritt in die Produktionsstrukturen. Sie helfen also auch, die Produktivität zu steigern und die Wirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad zu führen.

Der gesamte Investitionsbedarf lässt sich nur schwer beziffern, dürfte aber hoch ausfallen. So könnte laut einer KfW-Studie allein das Ziel, in Deutschland bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, Investitionen in Höhe von rund 5 Billionen Euro erfordern.[4]

Von einem entsprechenden Investitionsboom kann jedoch bisher keine Rede sein. Die Unternehmensinvestitionen gingen in letzter Zeit sogar zurück.[5] Außerdem besteht die verbreitete Sorge, dass Investoren zunehmend einen Bogen um Deutschland machen. Das wirft die Frage nach den Ursachen auf: Was hält Unternehmen davon ab, verstärkt hierzulande zu investieren? 

In unserer regelmäßigen Unternehmensumfrage haben wir Antworten gesucht – und gefunden.[6] Demnach drückte das schlechte gesamtwirtschaftliche Umfeld die Investitionstätigkeit.[7] Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die 2023 ihre Investitionen zurückfuhren, gaben dies an. 

Aber auch strukturelle Probleme hielten Unternehmen davon ab, mehr am Standort Deutschland zu investieren. Dazu zählten vor allem hohe Lohn- und Energiekosten sowie der Fachkräftemangel. Darüber hinaus hemmten Unsicherheit über den regulatorischen Rahmen und eine hohe Steuer- und Abgabenlast die Investitionsneigung. Geringe staatliche Förderungen oder eine mangelhafte Infrastruktur wurden im Vergleich zu den übrigen Problemen dagegen weniger häufig als Investitionsbremsen genannt.

3 Investitionshemmnisse abbauen

Für die Politik ist es wichtig zu wissen, wo den Unternehmen der Schuh am meisten drückt. Nicht alle Hürden lassen sich ohne Weiteres aus dem Weg räumen, etwa das schwierige gesamtwirtschaftliche Umfeld. Unsere Umfrage liefert aber auch Hinweise auf wichtige Stellschrauben, die die Politik in der Hand hat, um den Standort Deutschland für Investitionen attraktiver zu machen. Drei Stellschrauben möchte ich exemplarisch aufgreifen: Sie setzen an der Energiepolitik an, an den Bürokratielasten und am Arbeitsmarkt.

Erstens gilt es, die Planungssicherheit in der Energie- und Klimapolitik zu erhöhen. Unsicherheit ist Gift für Investitionen. Durch einen verlässlichen und konsistenten Rahmen lassen sich Unsicherheiten über die Energiewende reduzieren.

Wir empfehlen dafür, die CO2-Bepreisung als Hauptinstrument weiter auszubauen. Sie soll die Kosten der Kohlendioxidverschmutzung abbilden und grüne Investitionen sowie Energieeinsparungen anregen. Die CO2-Bepreisung wäre dazu möglichst breit, einheitlich und vorhersehbar anzuwenden. 

Außerdem sollte die Politik den Netzausbau und die Energieverfügbarkeit absichern. Stabile Rahmenbedingungen für Investitionen in erneuerbare Energien, Speicher und Übertragungsnetze sind daher ebenso zentral wie besser integrierte europäische Energienetze. 

Im Monatsbericht April haben wir jüngst dargelegt, wie wichtig neben dem CO2-Preis der Beitrag höherer Energieeffizienz ist, um gesetzte Einsparziele zu erreichen.[8] Neben den Anreizen über steigende CO2-Preise können hier auch Subventionen für Forschung und Entwicklung eine Rolle spielen. 

Insgesamt plädiere ich bei Subventionen aber zur Vorsicht. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht im Subventionsdickicht verheddern. Dort wuchern oft Bürokratie, immer komplexere Staatseingriffe und eine stetige Belastung der Staatsfinanzen. Außerdem besteht die Gefahr, dass Unternehmen Investitionen in der Hoffnung auf neue Subventionen immer wieder aufschieben. In diesem Zusammenhang lohnt auch der kritische Blick auf bestehende Subventionen. So laufen beispielsweise braune Subventionen dem klimapolitischen Ziel der CO2-Bepreisung entgegen.[9] 

Eine zweite Stellschraube für die Politik bieten die Bürokratielasten. Einerseits geht es um das Ausmaß an Anforderungen, die an Unternehmen gestellt werden. Jüngst wurden das Lieferkettengesetz und Fragen des Datenschutzes intensiv diskutiert. Hier muss die Politik verschiedene Aspekte abwägen, auch mit Blick auf den Investitionsstandort.

Andererseits betrifft es die Bürokratie-Geschwindigkeit. In Deutschland gibt es nicht nur im Straßenverkehr Staus, sondern auch bei Genehmigungsprozessen. Das zeigt sich exemplarisch beim Ausbau der erneuerbaren Energien, etwa bei Windrädern. 

Hier sollten wir Digitalisierung als große Chance begreifen, Verwaltungsprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen. Dies läge nicht zuletzt im Eigeninteresse der Verwaltung, die ebenfalls mit Fachkräftemangel kämpft. Und hier spreche ich nicht nur als Ökonom, sondern auch ganz konkret als Präsident einer Zentralbank. Bürokratieabbau und Digitalisierung sind zwar oft mühsam, kleinteilig und erfordern einen langen Atem. Aber sie bergen auch enorme Chancen und können viel Kreativität freisetzen.

Eine dritte Stellschraube setzt am Arbeitsmarkt an. Mit Blick auf den Mangel an Fachkräften ist ein Bündel an Maßnahmen denkbar: Von günstigeren Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren, über die gezielte Anwerbung von Qualifizierten aus dem Ausland und die Stärkung von Aus- und Weiterbildung bis hin zur besseren Vermittlung von Langzeitarbeitslosen und Zugewanderten in Arbeit.

Dabei sollten wir auch an Gruppen denken, die bislang nicht am Arbeitsmarkt teilnehmen. So umfasste laut Statistischem Bundesamt die sogenannte „Stille Reserve“ in Deutschland zuletzt fast 3,2 Millionen Menschen.[10] Sie wünschen sich Arbeit, können aber zum Beispiel aufgrund von Betreuungspflichten kurzfristig keine Arbeit aufnehmen oder suchen zum Beispiel nicht aktiv nach Arbeit, etwa weil sie glauben, keine passende Tätigkeit finden zu können.

Fast 60 Prozent der Menschen in „Stiller Reserve“ haben ein mittleres oder hohes Qualifikationsniveau. Dieses ungenutzte Arbeitskräftepotenzial sollten wir besser ausschöpfen. Zum Beispiel könnten erweiterte Betreuungsangebote für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige mehr Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen.

Auch für mehr Beschäftigung Älterer gibt es Ansatzpunkte. So ließe sich das gesetzliche Rentenalter nach 2031 an die Lebenserwartung koppeln. Kurzfristig könnte geprüft werden, die finanziellen Anreize zur Frühverrentung wieder einzuschränken.

Und schließlich ist es für ein beschäftigungs- und investitionsfreundliches Umfeld wichtig, die Abgabenlast auf Arbeit und Kapital im Auge zu behalten. So hat sich etwa bei den Unternehmensteuern die deutsche Position im internationalen Vergleich in den vergangenen Jahren eher verschlechtert.[11]

Mir ist klar, dass es nicht einfach ist, bei knappen staatlichen Mitteln mit den vielen neuen Herausforderungen umzugehen. Letztlich wird es aber unvermeidlich sein, bei neuen Herausforderungen die politische Prioritätensetzung zu überprüfen. 

4 Kapital mobilisieren

Meine Damen und Herren, 

Investitionen wollen auch finanziert sein. Zu oft stoßen Unternehmen an innereuropäische Grenzen, wenn sie nach einer passenden Finanzierung suchen. Wir müssen uns deshalb um einen wirklich integrierten europäischen Finanzmarkt bemühen, in dessen Zentrum die Banken- und Kapitalmarktunion steht.

Ein gemeinsamer, tiefer Kapitalmarkt würde es erleichtern, privates Kapital für Investitionen zu mobilisieren. Das ist nur einer von vielen guten Gründen für die Kapitalmarktunion. Und solange sie ein abstraktes Ziel bleibt, ist auch praktisch niemand dagegen. Sobald es aber um konkrete Maßnahmen geht, endet die Einigkeit leider oft. Denn ein Mehr an Harmonisierung bedeutet, unterschiedliche nationale Regeln anzugleichen. Hier wird es nicht ohne die Bereitschaft zu Kompromissen gehen. 

Erfreulicherweise wächst die Einsicht in die hohe Bedeutung eines gemeinsamen Kapitalmarkts. Dadurch hat das Thema in den vergangenen Monaten frischen Schwung bekommen. So sehe ich uns zum Beispiel bei der Entwicklung eines europäischen Verbriefungsmarktes auf einem guten Weg. 

Diesen Schwung gilt es jetzt auch für Fortschritte in anderen Bereichen zu nutzen. Seien es die Insolvenzregeln für Unternehmen, das Steuerrecht oder die Grundsätze der Rechnungslegung. Wir sollten beherzt Stück für Stück die Schlagbäume abbauen, die die europäischen Kapitalmärkte immer noch trennen! 

5 Schluss

Mit diesem Appell komme ich zum Schluss.

Ich bin davon überzeugt: Wenn Deutschland auf einen höheren Wachstumspfad einschwenken soll, dann führt an mehr Investitionen kein Weg vorbei. Nicht an allen, aber an etlichen Stellen kann die Politik dabei Hürden aus dem Weg räumen.

Auch wenn der Standort Deutschland besser ist als sein derzeitiger Ruf – wir sollten ihn noch besser machen! 

Herzlichen Dank.

Fußnoten:

  1. Deutsche Bundesbank, Deutschland-Prognose: Deutsche Wirtschaft fasst langsam wieder Tritt ‒ Perspektiven bis 2026, Monatsbericht, Juni 2024.
  2. Vgl. z. B. Internationaler Währungsfonds (2024), World Economic Outlook: Steady but Slow: Resilience amid Divergence, April 2024; OECD (2024), OECD Economic Outlook, Mai 2024.
  3. IMD (2024), 2024 IMD World Competitiveness Ranking.
  4. Vgl.: Brand et al. (2021), 5 Bio. EUR klimafreundlich investieren – eine leistbare Herausforderung, KfW Research, Fokus Volkswirtschaft Nr. 350. Bei dieser Studie handelt es sich um eine Aktualisierung und Hochrechnung der Ergebnisse von Burret et al. (2021), Beitrag von Green Finance zum Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland, Nextra Consulting, NKI & Prognos. Die Studie von Helmcke et al. (2021), Net-Zero Deutschland – Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität, McKinsey & Company, beziffert den Investitionsbedarf zur Erreichung vollständiger Klimaneutralität bis 2045 sogar auf 6 Billionen Euro. Darin enthalten sind auch Investitionen, die ohnehin anstehen, nun aber klimafreundlicher ausfallen. Vgl. Nagel, J. (2024), Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft – volkswirtschaftliche Kosten, Chancen für die Kreditwirtschaft und geldpolitische Implikationen, Rede bei den Münsteraner Bankentagen, Münster, 25. April 2024.
  5. Deutsche Bundesbank, Deutschland-Prognose: Deutsche Wirtschaft fasst langsam wieder Tritt ‒ Perspektiven bis 2026, Monatsbericht, Juni 2024.
  6. Deutsche Bundesbank, Inländische Investitionshemmnisse für deutsche Unternehmen, Monatsbericht, Mai 2024.
  7. Deutschland als Exportnation mit einem hohen Stellenwert des Verarbeitenden Gewerbes war von der Energiekrise und der globalen Nachfrageschwäche stark betroffen. Und auch die gestiegenen Finanzierungskosten dämpfen die Investitionen. Vgl. Best, L., B. Born und M. Menkhoff (2024), Wie passen Unternehmen ihre Investitionen an die gestiegenen Zinsen an?, ifo Schnelldienst digital, 2024, 5, Nr. 3.
  8. Deutsche Bundesbank, Energieeffizienzgewinne: Folgen für CO2-Emissionen und Wirtschaftsleistung in Deutschland, Monatsbericht, April 2024.
  9. Vgl. Plötz, P., N. Koch, S. Bach, P. Haan, D. Kistinger und N. Illenseer (2024), Klimaschädliche Subventionen entsprechen negativen CO2-Preisen, Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam.
  10. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/05/PD24_192_13.html
  11. Spengel, C., Heckemeyer, J., Nicolay, K., Gaul, J., Gundert, H., Spix, J., Steinbrenner, D., Weck, S., Wickel, S. (2024), Mannheim Tax Index Update 2023 - Effective Tax Levels using the Devereux/Griffith Methodology, MannheimTaxation Project, Mannheim.