Deutschlands Banken – Die Stunde der Entscheider Bain Bankers Lounge
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einführung: Tipping point im Strukturwandel
Meine Damen und Herren,
Banking ist notwendig – Banken sind es nicht.
Keine Sorge, das ist nicht meine Einschätzung – aber die von Bill Gates. Und dieses nun schon über 20 Jahre alte Bonmot zeigt: Der Strukturwandel im Bankensektor ist gar nicht so neu.
Wir haben uns schon fast daran gewöhnt: Seit Jahren heißt es: Umbruch, Revolution, Bankensterben, Strukturwandel. Passiert ist aber scheinbar nicht viel. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass wir den Strukturwandel wohl als etwas Lästiges akzeptiert haben, das man aber aushalten kann – etwa so wie Aufsichtsgespräche.
Für den technischen Fortschritt sehe ich das anders. Mancher mag ihn lästig finden – aber weder genügt es, ihm passiv gegenüber zu stehen, noch gibt es ein Entrinnen davor. Der Bankensektor steht vor einem evolutionären tipping point. Das heißt, dass auch schon kleine Veränderungen dazu führen, dass wir eine große Erneuerung im Banking sehen werden.
Denn der technische Fortschritt bedeutet immer Umbruch, bedeutet Umlenkung gesellschaftlicher Ressourcen: Ehemals hoch-wertschöpfende Tätigkeiten werden über kurz oder lang zu Standardprozessen automatisiert.
Diese Entwicklung hat nun auch den Finanzsektor erreicht: Immer mehr ehemals innovative Banktätigkeiten werden standardisiert und der Technik überlassen.
Ich mache ein Geständnis: Auch ich tue mich schwer mit einigen Facetten des Strukturwandels – bis heute tippe ich lieber auf dem Blackberry, als auf dem iPhone zu wischen.
Aber als Bankenaufseher stelle ich mir die Frage: Wenn Banking ohne Banken geht – von wem wird ein Kunde in Zukunft dann seine Banking-Dienstleistungen erhalten?
Eine einfache Antwort darauf habe ich nicht. Aber ich möchte heute fünf Thesen zur Zukunft des Bankings mit Ihnen besprechen.
2 Die Zinslastigkeit muss ein Ende haben
Sprechen wir zunächst über die Einkommensseite. Meine erste These lautet: Die deutschen Banken und Sparkassen bauen nach wie vor zu stark auf die Erträge aus dem Zinsgeschäft. Das hindert sie daran, dauerhaft profitabel zu sein.
Deutsche Banken und Sparkassen verdienen seit Jahren immer weniger am Zinsgeschäft. Sie haben es bis heute nicht geschafft, ihre Strategien an das neue Umfeld anzupassen. Und so sinkt ihre Ertragskraft immer weiter.
Das zeigt sich sehr deutlich in unserer Niedrigzinsumfrage, die wir zusammen mit der BaFin vor drei Wochen veröffentlicht haben. Die Ergebnisse zeigen, dass die kleinen und mittelgroßen deutschen Kreditinstitute in ihren Planungen davon ausgehen, dass ihre Gewinne von 2016 bis 2021 weiter schrumpfen. Sie rechnen mit einem Rückgang ihrer Gesamtkapitalrentabilität um beachtliche 16 %.
Die Schuld hierfür wird gern der Geldpolitik gegeben: Die niedrigen Zinsen führten dazu, dass Banken nicht mehr profitabel seien, heißt es. Aber diese Einschätzung ist mir zu einfach. Wenn der EZB-Rat eine expansive Geldpolitik für angemessen hält, muss er auch für ein entsprechendes Zinsniveau sorgen. Schließlich trägt die Geldpolitik Verantwortung für die gesamte Volkswirtschaft der Eurozone. Die Ertragskraft des Bankensektors ist da nur ein, wenn auch wichtiger, Aspekt.
Auch wenn aus Sicht der deutschen Kreditinstitute die Kritik an der Zinspolitik nachvollziehbar ist – sie übersieht womöglich den größeren wirtschaftlichen Zusammenhang.
Zu dieser Einschätzung trägt ein Blick in die Geschichte bei: Das Zinsniveau geht hierzulande tendenziell seit mehr als 30 Jahren zurück – und das hat insbesondere demographische und makroökonomische Ursachen. Und so schrumpft, wenig überraschend, auch die Zinsmarge im deutschen Bankensektor seit mehr als 30 Jahren durchgehend. Die expansive Geldpolitik ist also nur ein Faktor, wenn auch ein wichtiger. Der Druck auf zinsabhängige Geschäftsmodelle besteht aber schon seit langem.
Trotzdem sehen wir kaum Anpassungen. Insbesondere die Geschäftsmodelle kleiner und mittelgroßer deutscher Institute bleiben im internationalen Vergleich überdurchschnittlich zinsabhängig. Und das, obwohl es auch in diesem anspruchsvollen Umfeld Häuser gibt, die ausreichend profitabel wirtschaften können.
Für mich lautet daher das Fazit: Übermäßig zinsabhängige Geschäftsmodelle sind dem Strukturwandel besonders ausgesetzt. Neue Einkommensquellen werden immer wichtiger.
3 Flucht ins Risiko ist keine Lösung
Ein einfacher Ausweg aus der Ergebnis-Misere scheint die Flucht ins Risiko zu sein – search for yield ist das Stichwort. Meine zweite These lautet daher: Banken und Sparkassen dürfen dem Strukturwandel nicht durch eine Flucht ins Risiko entrinnen.
Und je länger das Niedrigzinsumfeld andauert, desto mehr nimmt die Gefahr übertriebener Risikonahme zu. Nach Jahren des Risikoabbaus sehen wir inzwischen erste Anzeichen für eine steigende Risikobereitschaft in Deutschland.
An den Finanzmärkten sehen wir weiterhin beständig neue Höchstbewertungen – nur die Volatilität ist auffallend niedrig; und das trotz des wirtschaftlich wie politisch nicht immer robusten Umfelds.
Wie sieht es bei den Banken und Sparkassen aus? Die Zinsänderungsrisiken bleiben sehr hoch. Im Immobilienbereich gibt es zarte Anzeichen für weichere Kreditkonditionen und Vergabestandards.
Auch unsere Niedrigzinsumfrage zeigt eine gestiegene Risikobereitschaft. Ein Drittel der kleinen und mittelgroßen deutschen Kreditinstitute plant, ihr Geschäftsvolumen und die Risikonahme auszuweiten. Dabei wollen die Institute aber nicht in gleichem Maße Eigenkapital nachlegen – mittelfristig geht so etwas zu Lasten der Widerstandsfähigkeit.
Bekanntlich macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Mehr noch: Erhöhte Risikonahme ist per se noch kein Problem – schließlich ist das Management von Risiken die raison d’être für Kreditinstitute. Momentan bin ich noch entspannt, denn auch die Stresstests der Niedrigzinsumfrage zeigen: Bei mehr als 95% der Banken würden die breit gefassten aufsichtlichen Kapitalanforderungen auch in Krisen-Szenarien eingehalten.
Und dennoch ist Vorsicht angesagt: Zum einen müssen Banken und Sparkassen genau prüfen, ob sie die Auswirkungen der Risiken in ihren Portfolien überblicken und im Krisenfall in den Griff bekommen. Zum anderen ist eine Risikoausweitung – egal ob durch Portfolioverschiebung oder durch Bilanzausweitung – keine Lösung für Strukturprobleme. Sie lindert höchstens kurzfristig die Ertragsengpässe.
4 Kreditinstitute müssen offen sein für neue Formen der Wertschöpfung
Dies führt mich zu meiner dritten These: Um die Ertragsprobleme nachhaltig zu lösen, brauchen Banken und Sparkassen neue Einkommensquellen und müssen offen sein für neue Formen der Wertschöpfung. Und dabei reicht es vermutlich nicht aus, die Preise für bestehende Dienstleistungen zu erhöhen. Vor allem dann nicht, wenn der Wettbewerb nicht mitzieht.
Ich halte wenig von übertriebenen Vorhersagen, dass alle Banken und Sparkassen künftig durch Fintechs ersetzt werden. Trotz des enormen Amazon-Erfolgs sind die Innenstädte auch heute noch voller einkaufender Menschen. Trotz Smartphones werden auch heute noch Briefe verschickt – aber Postunternehmen müssen sich anpassen, um das einbrechende Briefgeschäft zu kompensieren – zum Beispiel durch die Zustellung von Paketen von Online-Versandhäusern.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es auch künftig Kreditinstitute geben wird – aber nur solche, die bereit und in der Lage sind, sich einem Wandel zu unterziehen.
Niemand kann vorhersagen, wie das Bankgeschäft in einigen Jahren aussehen wird. Dieser Unsicherheit können Institute begegnen, indem sie herausfinden, was Kunden – alte und neue – wollen; und außerdem, indem sie sich die digitale Expertise von Fintechs zunutze machen, statt sie als Feindbild zu sehen.
Ein Blick auf die Kunden zeigt, dass es nicht nur einen Kundentypus gibt – Millenials hin, Millenials her. Es gibt auch heute noch genug Menschen, die Bankdienstleistungen auf traditionellen Wegen bevorzugen. Nur wird deren Anteil weiter zurückgehen – und damit wird der Strukturwandel immer zwingender für die Institute.
Zudem empfehle ich, die Weisheit der Masse zu nutzen. Open Banking Systeme machen mehr und mehr Schule – Banken machen ihre Daten vertrauenswürdigen Fintech-Partnern zugänglich, die dann den Bankkunden Apps anbieten – dadurch kann es neue Gebührenmodelle geben und die Kundenzufriedenheit wird erhöht.
Open Banking Systeme haben aber Risiken, sogenannte Cyber-Risiken. Erfreulicherweise zeigt unsere Niedrigzinsumfrage, dass die Institute planen, in diesem Bereich mehr zu investieren – aber gegenwärtig sind noch viele Institute verwundbar. Mir ist dieses Thema sehr wichtig, weil ich es immer noch für vernachlässigt halte. Wir werden die Fähigkeiten der Kreditinstitute, mit Cyber-Attacken umzugehen, zunehmend kritisch hinterfragen.
Aber die Aufsicht will auch dem Wettbewerb Rechnung tragen. Heute haben wir in der einheitlichen europäischen Aufsicht ein Papier zur Lizenzierung von Bankgeschäften zur Konsultation gestellt – und dieses geht explizit auch auf Fintech-Belange ein. Banken und Fintechs sollten die Konsultationsphase konstruktiv nutzen.
5 Banken und Sparkassen müssen effizienter werden
Kommen wir nun zur Kostenseite und damit zur Herausforderung, schrumpfende Erträge durch höhere Effizienz auszugleichen.
Und so lautet meine vierte These: Die deutschen Kreditinstitute können ihre Dienstleistungen effizienter erbringen. Auch hier verweise ich auf die Niedrigzinsumfrage: Demnach planen die kleineren und mittelgroßen Institute in Deutschland mit einem steigenden Aufwand-Ertrag-Verhältnis. Deutsche Kreditinstitute bleiben damit leider Schlusslicht in Europa.
Wenn die Aufwand-Ertrag-Relation schlecht bleibt, weil die Verwaltungskosten nicht deutlich sinken, dann reicht das nicht. Ein Optimist würde daher hoffen, dass die Zahlen nur deshalb noch nicht befriedigend sind, weil Banken und Sparkassen gerade emsig investieren – in neue IT-Infrastrukturen, in verbesserte Risikomanagementsysteme und in effizientere Prozesse. Dort, wo das so ist, unterstütze ich diesen nachhaltigen Ansatz. An vielen anderen Stellen sehe ich das aber noch nicht.
Und das gilt für alle drei Säulen des deutschen Bankensystems; auch wenn es auf manche Säulen stärker zutreffen mag als auf andere. In unseren Gesprächen mit den Verbänden weisen wir auf diese Unterschiede hin – und ich hoffe, dass sie ihre Lehren daraus ziehen; denn Unterschiede können durchaus darauf hinweisen, dass mancherorts mehr zu tun ist als anderenorts.
Banken und Sparkassen müssen noch effizienter werden – und das in einem neuen, strengeren regulatorischen Umfeld. Konkret meine ich, dass Regulierung nicht abgeschwächt werden darf, damit ineffiziente Institute den Strukturwandel aufschieben können.
Ich gebe zu: Natürlich haben Kreditinstitute Kosten durch Regulierung und Aufsicht. Eine Bank oder Sparkasse, die unter einer effektiven Regulierung und Aufsicht nicht bestehen kann, sollte ihr Geschäftsmodell allerdings dringend überdenken.
Natürlich ist die Umstellung auf die neuen regulatorischen Anforderungen eine wirklich große Aufgabe – und natürlich ist die Unsicherheit über die noch ausstehenden Regulierungsreformen ein Problem: Was passiert mit Basel III, und was wird dies für Banken in der EU bedeuten?
Wir strengen uns deshalb an, Basel III abzuschließen – und dabei keine Überbelastungen entstehen zu lassen. Wenn das geschafft ist, sollte Basel III in der EU möglichst Basel-nah umgesetzt werden.
Dabei sollten wir aber eines tun: Wir sollten uns an die ursprüngliche Absicht von Basel halten: Für international tätige Kreditinstitute braucht es globale Regeln. Für alle anderen wünsche ich mir verhältnismäßig abgestufte Regeln. Das können wir in der CRR und CRD künftig umsetzen: Durch intelligente Schwellenwerte – unterhalb derer vereinfachte Regeln gelten – und durch ein eigenständiges Aufsichtsregime für kleine Institute – die sogenannte Small Banking Box, für die wir derzeit in Brüssel werben.
6 Auch Fusionen schützen nicht vor dem Strukturwandel
Meine Damen und Herren, Regulierung darf, will und wird keine Strukturpolitik sein. Das sollen die Marktteilnehmer unter sich ausmachen. Und das bringt mich zu meiner letzten These: Auch Zusammenschlüsse und Übernahmen werden Banken und Sparkassen nicht vor dem Strukturwandel schützen.
Wegen des hohen Wettbewerbs im deutschen Bankensektor[1] halten viele eine Fortsetzung der Konsolidierung für unausweichlich – ich teile diese Einschätzung.
Welche Formen diese annimmt, werden die Kunden durch ihr Verhalten steuern und Banken durch ihre Reaktion. Der Abbau von Kapazitäten innerhalb der bestehenden Institute wird dabei vermutlich eine große Rolle spielen.
Die Frage ist nun konkret: Wird es mehr Fusionen geben – und könnte dies die Probleme des Strukturwandels lindern?
Auch hier gibt unsere Niedrigzinsumfrage interessante Einsichten: Rund jedes neunte der fast 1.600 befragten Institute befindet sich bereits in einem Fusionsprozess oder hat eine konkrete Fusionsabsicht. Und etwa noch einmal so viele Institute können sich vorstellen, in den nächsten fünf Jahren im Rahmen einer Fusion übernommen zu werden.
Aber ich warne vor überhöhten Erwartungen: Fusionen haben sich in der Vergangenheit auch durchaus als Misserfolge erwiesen. Für einen Erfolg müssen nämlich wichtige Voraussetzungen erfüllt sein: Zum Beispiel echte nachhaltige Synergien in den Geschäftsmodellen oder in der regionalen Ausrichtung.
Es gibt hier weder eine abschließende Liste der Erfolgsfaktoren noch eine Blaupause. Deutsche Institute sollten daher unbedingt einen umfassenden Vorsorgecheck durchführen, um vermeidbare Probleme frühzeitig zu erkennen.
Aber selbst im Falle einer erfolgreichen Fusion gilt: Neue Wertschöpfungsbereiche werden nicht automatisch erschlossen, Kundenbedürfnisse werden nicht automatisch besser bedient.
7 Fazit
Meine Damen und Herren, wer der Evolution entgegenhält, dass die Umstände aber unbequem sind, wird vermutlich gefressen werden. Und ähnlich verändert der technologische Wandel die Wertschöpfung des Bankensektors. Davor gibt es kein Entrinnen.
Geldpolitik und Regulierung haben derzeit unbestritten große Nebenwirkungen für den Bankensektor – doch diese sollten unseren Blick nicht vor der unbequemen Wahrheit verschließen: Strukturen im Bankensektor werden gerade auf schöpferische Art und Weise zerstört.
Jede Bank und jede Sparkasse muss sich fragen: Will ich Teil der schöpferischen Kraft, will ich Teil der neuen Strukturen sein – oder nur Teil der zerstörten Strukturen? Ich wage die These, dass die meisten unter Ihnen zur ersten Gruppe gehören wollen. Glauben Sie, dass dies ohne mutige Entscheidungen geht? Ohne riskante Entscheidungen? Ohne unbeliebte Entscheidungen? Ich glaube das nicht.
Wegweisende Entscheidungen brauchen neue Fragen – Fragen, die die Welt durch ein neues Raster beleuchten. In der deutschen Bankenlandschaft haften die Fragen noch zu oft an einer Jahrzehnte alten Mentalität. Braucht das Land also "neue Banker"?
Im Prinzip ja – denn mit der alten Mentalität können Sie Ihre Institute nicht in die neue Welt steuern: aus Banken werden Dienstleister mit Banklizenzen; aus Kontoinhabern und Hausbankkunden werden "User", die ein breites Spektrum an flexiblen Finanzdienstleistungen wünschen. Eine neue Welt braucht neue Banker. Entweder müssen neue Banker her – oder erfahrene Banker, die mutig sind, neue Entscheidungen zu treffen.
Ich rufe daher dazu auf, dort wo es nötig ist, etablierte Unternehmen gedanklich abzureißen und auf der grünen Wiese neu aufzubauen. Nur wo es genug neue Banker oder neue Entscheidungen gibt, werden die heutigen Banken auch künftig erfolgreich sein.
Und nun freue ich mich auf eine angeregte Diskussion mit Ihnen.
- Die Niedrigzinsumfrage hat ergeben, dass zwei Drittel der Institute künftig mit stärkerem Wettbewerb durch andere Banken rechnen – sogar 85% durch FinTechs.