Deutschland und China – Standorte für Innovation Rede bei der deutsch-chinesischen Wirtschaftskonferenz

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Der Wandel zum innovationsgetriebenen Wachstum

Meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr über die Einladung zu der deutsch-chinesischen Wirtschaftskonferenz.

Diese nunmehr fünfte Konferenz dieser Art findet zu einer Zeit statt, in der die technologische Innovationsdynamik deutlich an Momentum gewonnen hat.

Daher freute es mich ganz besonders, dass ich in dieser wichtigen Diskussionsrunde zum Thema Standorte für Innovation heute zu Ihnen sprechen darf.

Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Revolution in der Mobilität – das sind die technologischen Herausforderungen unserer Zeit.

In diesen Bereichen ist China technologisch weit entwickelt. In diesen Bereichen ist eine Zusammenarbeit der deutschen und der chinesischen Wirtschaft besonders gewinnbringend.

Die Grundlagen dafür sind bereits gelegt. Denn die deutsche und die chinesische Wirtschaft sind durch enge und gute Handelsbeziehungen miteinander verbunden.

Im vergangenen Jahr hat Deutschland Waren im Wert von über 100 Mrd. Euro aus China importiert und damit mehr als aus jedem anderen Land.

Insgesamt ist Deutschland mit Abstand das wichtigste Zielland für chinesische Exporteure in Europa.

Zugleich bietet China deutschen Unternehmen einen wichtigen Absatzmarkt für ihre Produkte.

Mit Exporten im Wert von über 86 Mrd. Euro war China 2017 der drittgrößte Abnehmer deutscher Waren.

In der Summe ergibt sich daraus ein Handelsvolumen von 187 Mrd. Euro. Damit war China im vergangenen Jahr der wichtigste Partner Deutschlands im Warenhandel.

Meine Damen und Herren, ich glaube jedoch, dass sich die Art und Weise der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit zunehmend verändert.

China strebt technologisch an die Weltspitze und möchte so das Exportsortiment der eigenen Industrie aufwerten. Zugleich soll auf der Nachfrageseite der private Verbrauch einen größeren Stellenwert erhalten.

Das exportorientierte Wachstumsmodell stößt an seine Grenzen.

Langfristig dürfte China einen Wandel hin zu einem stärker innovationsgetriebenen und Binnenkonsum-orientierten Wirtschaftsmodell vollziehen. Dies würde zu einem ausge­wogeneren, nachhaltigeren Wachstum führen.

2 Internationalisierung des Renminbis

Meine Damen und Herren, wenn wir über eine Neuausrichtung des Wirtschaftsmodells sprechen, sollten wir jedoch auch einen anderen wichtigen Aspekt nicht aus den Augen verlieren: die Währung eines Landes.

Dem globalen Warenaustausch stehen volkswirtschaftlich immer gegenläufige Kapitalströme gegenüber: für die verkauften Waren fließt Geld in das Land des Exporteurs.

Vor diesem Hintergrund ist das Interesse Chinas nach­vollziehbar, seine Währung weiter dem globalen Finanzsystem zu öffnen.

Auf dem Weg zu einer global anerkannten Währung hat der Renminbi einiges erreicht.

Als Handelswährung zählt der Renminbi laut SWIFT-Daten zu den Top 5 der im internationalen Zahlungsverkehr meist genutzten Währungen.

Um den Renminbi als Investitionswährung zu etablieren, öffnet China seine heimischen Finanzmärkte immer mehr für internationale Investoren.

Im Fokus stehen vor allem die chinesischen Aktien- und Anleihemärkte, die dem Volumen nach schon jetzt auf dem zweiten und dritten Platz weltweit rangieren.

Die Öffnung der chinesischen Finanzmärkte erfolgt dabei schrittweise und mit Bedacht.

Der chinesische Aktienmarkt ist in verschiedene Segmente unterteilt:

Je nach Börsennotierung und Währung gibt es verschiedene Aktienarten. Eine mit A-Share bezeichnete Aktie wird in Renminbi an einer chinesischen Börse (Shanghai oder Shenzhen) gehandelt.

Weitere Bezeichnungen sind z.B. H-Share (Aktien von chinesischen Unternehmen, die in Hongkong und in US Dollar gehandelt werden) oder auch D-Share für chinesische Aktien, die in Frankfurt (CEINEX) und in Renminbi notiert sind.

So wurden beispielsweise im Juni chinesische Aktien, sog. A-Shares, in mehrere Indizes des Indexanbieters MSCI aufgenommen.

Das fördert die Bedeutung Chinas gerade für indexorientierte Investoren.

Als Ritterschlag für eine Währung gilt der weltweite Status als Reservewährung.

Der Renminbi gehört seit 2016 zum exklusiven Kreis der IWF-Reservewährungen – ein wichtiger Meilenstein mit hoher Symbolkraft.

Der Renminbi hat somit währungspolitisch in den letzten Jahren bereits durchaus an Bedeutung gewonnen.

Auch die Bundesbank hat sich Mitte 2017 entschlossen, den Renminbi als Reservewährung aufzunehmen.

3 Innovation im Zahlungsverkehr – Bargeld und mobile Zahlmethoden

Neben der währungspolitischen Seite gibt es aber natürlich auch eine realwirtschaftliche Seite.

Damit meine ich in diesem Fall ganz konkret die Funktion einer Währung als Zahlungsmittel.

Die Auswirkungen von Innovation und Digitalisierung sind hier sehr deutlich spürbar.

Als zuständiges Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank für den Bereich Bargeld folge ich dieser Entwicklung mit besonderer Aufmerksamkeit.

In China findet seit einigen Jahren eine bemerkenswerte Transformation statt: Eine traditionell sehr bargeldaffine Wirtschaft entwickelt sich mehr und mehr in Richtung einer bargeldlosen Gesellschaft.

Hierbei stehen innovative Zahlmethoden und insbesondere mobile Zahlungen über Smartphone-Apps im Vordergrund.

Große digitale Ökosysteme wie Alipay und WeChat bestimmen den chinesischen Markt.

Eine empirische Studie der Bundesbank u.a. in Zusammen­arbeit mit der Zhejiang Universität in Hangzhou von 2017 hat ergeben, dass umsatzbezogen insgesamt 56,1% der Zahlungen mobil über Alipay und WeChat abgewickelt wurden,  25,6 % über Karten und nur 17,8% in bar.

Das Zahlungsverhalten in Deutschland ist im Vergleich dazu stärker bargeldbasiert.

Eine aktuelle Bundesbank-Studie zeigt, dass auch im Zeitalter der Digitalisierung knapp 48%  aller Umsätze an den deutschen Ladenkassen mit Bargeld abgewickelt werden.

Die Unterschiede im Zahlungsverhalten zwischen China und Deutschland sind meiner Ansicht nach verschiedenen Ursachen geschuldet:

Zum einen scheint das Bewusstsein der Verbraucher für Datenschutz und Privatsphäre in Deutschland deutlich höher ausgeprägt, zum anderen haben auch strukturelle Gründe eine große Bedeutung.

So ist die Rolle der Geschäftsbanken in Deutschland traditionell stark. Gleichzeitig gibt es aber keinen Marktführer, der eine kritische Masse an Kunden erreicht. Das Angebot mobiler Zahlmethoden ist daher fragmentiert. 

Auch existieren in Deutschland bereits lang etablierte, gut funktionierende unbare Zahlungssysteme.

In Kombination mit einer hohen Dichte an Bargeld­bezugspunkten – wie zum Beispiel Geldautomaten – ist Bargeld für den Verbraucher in Deutschland nahezu überall verfügbar. Es wird vom Handel gerne akzeptiert und ist zudem ein einfaches und günstiges Zahlungsmittel.

In Deutschland haben Überweisungen, Lastschriftverkehr und Kartenzahlungen eine lange Tradition. In China hingegen war der Wirtschaftskreislauf noch mindestens bis 2011 stark bargeldabhängig.

Aus der schnellen Transformation zu mobilen Zahlungen lässt sich deswegen schließen, dass Teile der chinesischen Konsumenten  frühere Entwicklungsstufen von unbaren Zahlungsinstrumenten wie z.B. Telefon-Banking oder Kreditkarten übersprungen und gleich den direkten Schritt in die Digitalisierung gemacht haben.

Wie die Entwicklung in der Zukunft in Deutschland weitergeht, bleibt abzuwarten.

Klar ist, die digitale Welt macht vor Chinas Grenzen nicht halt. In Europa wird Alipay bereits von 10.000 Einzelhändlern akzeptiert. Noch richten sich die Angebote überwiegend an Chinesen im Ausland.

Ob sich im Bereich des Zahlungsverkehrs die Digitali­sierung in Deutschland so rasant durchsetzt, da habe ich meine Zweifel.

Für uns als Bundesbank ist der zentrale Akteur immer der Verbraucher. Er soll entscheiden, welches Zahlungsmittel er einsetzen möchte.

Solange der Verbraucher Bargeld schätzt und nutzt, wird es auch im Zeitalter von Innovation und Digitalisierung eine wichtige Alternative im Zahlungsmittelportfolio bleiben.

Meine Damen und Herren, dieses Beispiel zeigt eines: Die Geschwindigkeit der Digitalisierung hängt nicht nur von der Innovationskultur eines Landes ab.

Die Verbreitung und Akzeptanz neuer Technologien hängt vielmehr auch immer mit den kulturellen Werten und Standards eines Landes zusammen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.